L 16 R 293/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 1318/05 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 293/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 510/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 10. März 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente aus der Rentenversicherung des I. L ...

Der 1931 geborene und am 17.06.2004 verstorbene Versicherte I. L. , kroatischer Staatsangehöriger, war bis zu seiner Scheidung im Jahr 1977 verheiratet mit M. L. , deren Antrag auf Geschiedenenwitwenrente von der Beklagten mit bestandskräftigem Bescheid vom 03.11.2004 abgelehnt worden ist. Die 1940 geborene Klägerin, ebenfalls kroatische Staatsangehörige, lebte nach ihren eigenen Angaben mit dem Versicherten ab 1977 bis zu dessen Tod in einer festen außerehelichen Lebensgemeinschaft, und zwar bis April 2004 in der Bundesrepublik Deutschland und die letzten Monate bis zum Ableben des Versicherten in Kroatien. Der Versicherte I. L. bezog von der Beklagten zuletzt bis zu seinem Tod Regelaltersrente.

Am 13.09.2004 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ihre außereheliche Lebensgemeinschaft mit dem Versicherten und ihre Miterbenstellung sowie unter Vorlage eines "Erbbescheides" die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11.01.2005 ab, weil die Klägerin nicht mit dem Versicherten verheiratet gewesen sei und sie daher nicht die Voraussetzungen des § 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfülle.

Der dagegen erhobene Widerspruch, mit dem sie eine Gleichstellung ihrer außerehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Eheschließung begehrte, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 21.03.2005 an das Sozialgericht Landshut, dort eingegangen am 29.03.2005, verfolgte die Klägerin ihr Ziel der Gewährung von Witwenrente weiter. Zur Begründung verwies sie darauf, dass sie in dem oben genannten Erbbescheid als außereheliche Frau bezeichnet worden sei. Vorgelegt wurde u.a. ein Schriftsatz der geschiedenen Ehefrau des Versicherten vom 14.03.1976 aus dem Scheidungsverfahren. Mit Schreiben vom 03.05.2005 leitete die damalige Vorsitzende der 11. Kammer diesen Antrag mit Anlagen an die Beklagte weiter mit der Bitte um Verbescheidung, weil dieser Antrag nicht als Klagebegehren, sondern nur als Rücknahmeantrag zu werten sei.

Dieser Antrag wurde von der Beklagten aufgrund fehlender Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des bestandskräftigen Bescheides vom 11.01.2005 mit Bescheid vom 02.06.2005 abgelehnt.

Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch verwies die Klägerin erneut auf ihre Einsetzung als Erbin des Versicherten und auf die Anerkennung als außereheliche Frau in dem vorgelegten Erbschein. Aufgrund der langen Dauer der außerehelichen Lebensgemeinschaft, der wirtschaftlichen Gemeinschaft und der 15-jährigen Betreuung und Pflege des Versicherten durch die Klägerin sei diese Lebensgemeinschaft trotz der fehlenden "formalen" Eheschließung einer Ehe gleichzustellen und daher Witwenrente zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es sei weder ein neuer Sachverhalt vorgetragen worden noch ergäben sich Anhaltspunkte für die materielle Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 11.01.2005.

Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut und forderte die Gleichstellung der langjährigen außerehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Ehe, weil alle Eigenschaften einer Ehegemeinschaft auch ohne die Förmlichkeit einer Eheschließung erfüllt gewesen seien. Auch habe sie als gesetzliche Erbin des Versicherten den größten Teil seines Vermögens geerbt.

Nach entsprechender Ankündigung gegenüber den Beteiligten wies das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.03.2006 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 11.01.2005 habe, weil sie weder Witwen- noch Geschiedenenwitwenrente beanspruchen könne. Denn die Klägerin sei mit dem Versicherten nicht verheiratet gewesen. Eine Ehe sei nicht geschlossen worden; das Zusammenleben in einer außerehelichen Gemeinschaft sei nicht ausreichend. Auch die Einsetzung als "außereheliche Frau" zur Erbin erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Die langjährige außereheliche Lebensgemeinschaft sei als Ehegemeinschaft anzuerkennen. Denn diese Lebensgemeinschaft habe alle Eigenschaften einer Ehe erfüllt; auch erbrechtlich sei sie als außerehelicher Partner einer Ehefrau gleichgestellt. Schließlich seien auch alle Rechte der außerehelichen Kinder "ausgeglichen" mit den Rechten der in einer Ehe geborenen Kinder.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 10.03.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2004 Witwenrente nach dem Versicherten I. L. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die angefochtenen Bescheide.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 143, 153 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Witwenrente gemäß § 46 SGB VI im Wege der Rücknahme abgelehnt.

Liegt bereits eine nicht mehr anfechtbare Verwaltungsentscheidung über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente vor und wird diese nachträglich als unrichtig bezeichnet, kommt als Rechtsgrundlage einer rückwirkenden Neuprüfung nur § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Nach Abs.1 Satz 1 dieser Bestimmung ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Im Hinblick auf den bindend gewordenen Bescheid vom 11.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2005 ist dieser rechtliche Maßstab der Entscheidung zugrunde zu legen. Dieser Bescheid ist aber nicht rechtswidrig, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des I. L. hat.

Nach § 46 Abs.1 Satz 1 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Zwar hat der Versicherte I. L. die allgemeine Wartezeit erfüllt. Die Klägerin ist jedoch nicht die Witwe des Versicherten, weil sie mit ihm zum Zeitpunkt seines Todes nicht rechtsgültig verheiratet war (s. BSG, Urteil vom 30.03.1994, Az.: 4 RA 18/93; SozR Nr.2 zu § 1263 RVO). Eine familienrechtlich wirksame Ehe bestand weder aufgrund einer im Inland vor dem Standesbeamten geschlossenen Ehe noch einer nach ausländischem Recht wirksamen Ehe (sog. hinkende Ehe), welche nach dem Tod des Ehepartners einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente begründen.

Die zwischen der Klägerin und dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes bestehende eheähnliche Lebensgemeinschaft reicht hingegen für die Begründung eines Anspruchs auf Witwenrente nicht aus. Auch die Dauer dieser engen Lebensgemeinschaft von 26 Jahren sowie die von der Klägerin vorgetragene erbrechtliche Gleichstellung nach kroatischem Recht mit einer Ehefrau vermögen keine entsprechende Anwendung der Regelung des § 46 Abs.1 SGB VI auf Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu rechtfertigen. Denn es fehlt die für eine analoge Anwendung einer Vorschrift erforderliche planwidrige Regelungslücke (s. hierzu BSGE 53, 137); der Gesetzgeber hat vielmehr von einer Gleichstellung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit der Ehe bewusst abgesehen (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.1994 a.a.O.).

Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Beschränkung der Voraussetzungen des § 46 Abs.1 SGB VI auf das Erfordernis einer rechtsgültigen Ehe.

Art.6 Abs.1 Grundgesetz (GG) schützt nicht jede Lebensgemeinschaft, sondern nur die nach der geltenden Rechtsordnung rechtsgültig geschlossene Ehe (so etwa BSG SozR 2200 § 1264 Nr.4, 4100 § 119 Nr.17 und Urteil vom 30.03.1994, a.a.O.).

Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG ist nicht verletzt. Denn sachlicher Differenzierungsgrund für die Gewährung von Witwen- bzw. Witwerrenten nur an hinterbliebene Ehegatten ist die Regelung in Art.6 Abs.1 GG, die - nur - die Ehe unter den "besonderen" Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Diese spezielle staatliche Schutzpflicht legitimiert, ausschließlich den Wegfall eines nur an die wirksame Ehe geknüpften gesetzlichen Unterhaltsanspruchs versicherungsrechtlich auszugleichen (so Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18.02.1998, Az.: 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 und BSG, Urteil vom 30.03.1994, a.a.O.). Denn die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Rentenversicherung hat Unterhaltsersatzfunktion. Sie soll den durch den Tod des Ehepartners weggefallenen, an die wirksame Ehe geknüpften gesetzlichen Unterhaltsanspruch des anderen Ehepartners ersetzen. Demgegenüber sind die Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft einander nicht gesetzlich zu Unterhaltsleistungen verpflichtet. Auch aus einer lang andauernden regelmäßigen Unterhaltsgewährung - wie von der Klägerin vorgetragen - kann kein gesetzlicher Rechtsanspruch auf die Unterhaltssicherung über den Tod des Versicherten hinaus für die Zukunft begründet werden.

Dem Grundsatz der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips, kommt bei dem Erfordernis einer rechtsgültigen Ehe in § 46 Abs.1 SGB VI mit der Publizitätswirkung der Ehe (durch Eintragung im Heirats- und Familienbuch) eine vorrangige Bedeutung zu (so BSG, Urteil vom 30.03.1994, a.a.O.).

Art.2 Abs.1 GG, der eine nichteheliche Lebensgemeinschaft als freie Betätigung ihrer Mitglieder schützt, ist ebenfalls nicht verletzt. Denn Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft können nicht Vorteile beanspruchen, die Eheleuten zum Schutz der Ehe gewährt werden, ohne aber selbst die mit der Ehe verbundenen Rechtspflichten zu übernehmen. Insoweit legitimiert und fordert Art.6 Abs.1 GG Unterscheidungen (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.1994, a.a.O.).

Hieran vermag auch die nach dem Vortrag der Klägerin im kroatischen Erbrecht erfolgte Gleichstellung des außerehelichen Partners mit einer Ehefrau - wobei hier offen ist, ob die Klägerin aufgrund willentlicher (etwa testamentarischer) Einsetzung oder kraft gesetzlicher Erbfolge Miterbin ist - nichts zu ändern. Denn die Interessenlage ist nicht vergleichbar. Der deutsche Gesetzgeber hat in Ausübung seines Gestaltungsermessens in § 46 SGB VI die Voraussetzung einer Eheschließung in nicht zu beanstandender Weise (s.o.) gewählt.

Schließlich kann auch aus der gesetzlichen Gleichstellung der ehelichen mit den unehelichen Kindern keine Gleichstellung eines eheähnlichen Partners mit einem Ehegatten gefordert werden. Denn während der Gesetzgeber in § 48 Abs.1 SGB VI allein an die Eigenschaft als Kind des verstorbenen Elternteils anknüpft, um den durch den Tod des Versicherten entfallenden Unterhalt zu ersetzen (vgl. hierzu KassKomm-Gürtner § 48 SGB VI Rdnr.21), durfte und musste der Gesetzgeber in § 46 SGB VI aus o.g. Gründen ebenfalls zum Zweck der Unterhaltssicherung eine Beschränkung der Anspruchsbegründung auf Ehegatten vornehmen. Diese gleichgerichtete Zielsetzung der Unterhaltssicherung in §§ 46, 48 Abs.1 SGB VI widerspricht sogar einer gleichgeschalteten Hinterbliebenenregelung für uneheliche Kinder und eheähnliche Partner, weil der eheähnliche Partner im Gegensatz zum verstorbenen Elternteil eben keinen gesetzlichen Unterhalt schuldete.

Die Berufung kann daher keinen Erfolg haben und ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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