Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 501/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 324/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Mai 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2002 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. April 2001 zu zahlen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der 1956 geborene Kläger hat von 1972 bis 1976 den Beruf des Starkstromelektrikers gelernt. Nach der Bundeswehrzeit war er von 1977 bis Juni 1978 als Bohrer versicherungspflichtig beschäftigt und hat dann von November 1978 bis Februar 1998 bei der Firma O. Holzbau GmbH als Zimmerer gearbeitet; er hat sich nach eigenen Angaben dort das erforderliche Wissen durch die Tätigkeit angeeignet. Nach dem Konkurs der Firma O. war der Kläger sodann vom Juni 1998 bis April 1999 als Staplerfahrer und im Versand bei der Firma P. AG erwerbstätig. Vom 1. Mai 1999 bis Januar 2002 bestand ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Holzbau R ... Er erlitt dort am 15.05.1999 einen Arbeitsunfall und bezog auf Grund dessen bis 18.08.2000 Verletztengeld und seither Unfallrente nach einer MdE von 30 v.H. Seit 04.01.2002 ist er arbeitslos und erhält Leistungen der Arbeitsagentur.
Am 08.03.2001 beantragte der Kläger die Rente bei der Beklagten. Diese ließ ihn durch den Orthopäden Dr.W. am 15.05.2001 untersuchen und begutachten.
Sie holte weiterhin eine Arbeitgeberauskunft der Firma L. R. Holzbau ein. Hiernach war der Kläger dort als Zimmererhelfer beschäftigt und verrichtete ungelernte Arbeiten. Zu deren Verrichtung benötige ein Arbeitnehmer ohne einschlägige Vorkenntnisse eine Ausbildungsdauer von sechs Monaten. Der Kläger habe nicht über alle Kenntnisse eines ausgebildeten Facharbeiters verfügt. Der Kläger sei - tätigkeitsentsprechend - in Berufsgruppe 5 der Bauwirtschaft eingestuft worden.
Mit Bescheid vom 12.06.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder teilweise bzw. volle Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit vorliege. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers werde beeinträchtigt durch - chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Minderbelastbarkeit des rechten Fußes nach Versteifungsoperation des unteren Sprunggelenks, - Zustand nach Fersenbeinbruch mit posttraumatischer Arthrose des unteren Sprunggelenks, - myostatisches Wirbelsäulensyndrom. Der Kläger könne nach wie vor auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich tätig sein.
Gegen die Rentenablehnung erhob der Kläger am 09.07.2001 Widerspruch. Er legte ein Schreiben der Firma O. vor, wonach er auf Grund seiner Erfahrung in der Zimmerei eingesetzt worden sei. Sein Aufgabengebiet habe das komplette Leistungsbild eines Zimmerers umfasst, wie zum Beispiel das Abbinden und Aufrichten von Dachkonstruktionen, das Herstellen und Montieren von Holzhäusern oder Holzfassaden. Er habe teilweise Vorgesetztenfunktion gegenüber Facharbeitern innegehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei zumindest fraglich, ob der Kläger durch die Beschäftigung bei der Firma O. tatsächlich den Berufsschutz eines Zimmererfacharbeiters erlangt habe. Unabhängig davon sei der Kläger durch den Konkurs dieses Arbeitgebers bedingt in der Folge über einen längeren Zeitraum hinweg als ungelernter Arbeiter beschäftigt gewesen. Bei der zuletzt ausgeübten Beschäftigung in einem Zimmereibetrieb sei er lediglich als Zimmererhelfer eingesetzt gewesen, somit in ungelernter Tätigkeit. Diese sei maßgeblich.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 22.08.2002 Klage zum Sozialgericht Augsburg: Ihm stehe zumindest Berufsunfähigkeitsrente zu. Denn er sei nicht nur als Zimmerer, sondern sogar als gehobene Fachkraft entlohnt worden.
Das Sozialgericht (SG) veranlasste eine orthopädische Begutachtung auf Grund ambulanter Untersuchung durch Dr.M ... Dieser kommt in seinem Gutachten vom 16.01./20.02.2004 zur Feststellung folgender Gesundheitsstörungen: 1. Bewegungsaufhebung im unteren Sprunggelenk rechts. 2. Belastungsschmerz am rechten Fuß infolge einer Fersenbeinfraktur und nachfolgender Versteifungsoperation im unteren Sprunggelenk. 3. Wirbelsäulensyndrom mit leichten degenerativen Veränderungen. 4. Alter Bizepssehnenriss links. Die Befunde hätten sich nicht wesentlich verändert. Im Vordergrund stünden die Veränderungen am rechten Sprunggelenk sowie in leichtem Maße auch die Veränderungen der Wirbelsäule. Der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Sitzen oder im Wechsel der Körperhaltungen ohne Zwangshaltungen mehr als sechs Stunden täglich verrichten.
Auf Anfrage des Sozialgerichts beschrieb die Firma R. die Tätigkeiten des Klägers, wie folgt: "Mithilfe beim Aufrichten, Schalungsarbeiten, Dachlattung und Eindeckarbeiten". Das Bruttoentgelt habe 12.48 EUR pro Stunde - leistungsentsprechend - betragen. Der Kläger sei eine "angelernte Fachkraft" gewesen; er sei in Berufsgruppe 4 eingestuft gewesen. Er habe die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Facharbeiters durch die Tätigkeiten bei der Vorfirma besessen.
Auf Rückfrage des Gerichts bezüglich dieser widersprüchlichen Angaben verwies der Arbeitgeber auf die unfallbedingt kurzen Beschäftigungszeiträume, in denen der Kläger tatsächlich die Arbeiten eines Zimmererhelfers ausgeübt habe. Der Lohn habe jedoch im Hinblick auf die Tätigkeit bei den Vorfirmen dem eines Zimmererfacharbeiters entsprochen. Es sei zudem vorgesehen gewesen, den Kläger an die Arbeit eines Zimmererfacharbeiters heranzuführen.
Die Vorteile seiner Tätigkeit bei der Firma P. erklärte der Kläger in zweierlei Weise: Schutz vor den Witterungsverhältnissen und Wohnortnähe. Allerdings habe er nach einem Dreivierteljahr gemerkt, dass ihm die Arbeit nicht zusagte, weshalb er sich dann wieder bei der Firma R. als Zimmerer beworben habe.
Mit Urteil vom 11.05.2004 wies das SG die Klage ab. Es folgte dem Gutachter Dr.M ... Berufsunfähig sei der Kläger nicht, da er nicht mehr den Berufsschutz als Zimmerer genieße. Er habe diese Tätigkeit nicht gesundheitsbedingt aufgegeben, Hauptberuf sei Zimmererhelfer.
Am 09.06.2004 legte der Kläger gegen das Urteil Berufung ein: Nach dem Gutachten Dr.M. sei er als Zimmerer nicht mehr leistungsfähig. Er genieße den Berufsschutz eines Facharbeiters. Die Widersprüche in der Auskunft der Firma R. seien so zu erklären, dass er vor dem Unfall nur wenige Wochen tätig gewesen sei und nach dem Unfall gesundheitsbedingt nicht mehr sämtliche Facharbeiten habe verrichten können.
Auf gerichtliche Anfrage nahm die Firma R. nochmals ergänzend Stellung: - Effektiv gearbeitet habe der Kläger nur in der ersten Maihälfte 1999 bis zum Unfall, weiterhin vom 25.10.1999 bis 01.01.2000 und vom 01.04.2000 bis 06.07.2000. Er habe in dieser Zeit mitgeholfen beim Aufrichten, Abbinden und bei Schalungsarbeiten von Dachstühlen. Außerdem habe er selbständig Dachstühle eingelattet und mit Dachziegeln eingedeckt, "also alles Arbeiten, die ein ausgebildeter Zimmerergeselle auch ausübt." - Ausgebildete Zimmerergesellen hätten damals einen Stundenlohn von 12,48 EUR gehabt, Helfer von 10,60 EUR und Vorarbeiter von 14,21 EUR.
Der Senat erhob Beweis durch Vernehmung des Inhabers der Firma R. , Herr L. R. , als Zeugen. Der Zeuge erklärte, den Kläger schon seit der Kindheit zu kennen und mit ihm bei der Firma O. als Kollege gearbeitet zu haben. Der Kläger sei nicht der einzige Beschäftigte gewesen, den er von der Firma O. übernommen habe. Er habe den Einstiegslohn eines Zimmerergesellen laut Bautarifvertrag erhalten. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag habe es nicht gegeben. Auf Vorhalt der Aussage vom 22.03.2001, der Kläger habe dort ungelernte Tätigkeiten verrichtet, konnte der Zeuge nicht sagen, warum dies seinerzeit so beantwortet worden sei.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11.05.2004 sowie des Bescheides der Beklagten vom 12.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2002 zu verurteilen, ihm ab 01.04.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Augsburg sowie die Prozessakte hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Maßgebend sind die Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.), da aufgrund des Antrags vom 08.03.2001 Rente nur für einen Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 in Frage kommen kann (§ 300 Abs.1 SGB VI). Dies ist auch der Fall.
Dem Kläger steht antragsgemäß Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.04.2001 zu. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts sowie der Bescheide der Beklagten war diese daher zur Rentenzahlung gemäß § 240 SGB VI n.F zu verurteilen.
Der Kläger ist berufsunfähig. Er hat zwar keinen Ausbildungsberuf erlernt, war aber langjährig als Zimmerer bei der Firma O. Holzbau versicherungspflichtig beschäftigt. Diese Firma ordnet den Kläger eindeutig als Facharbeiter ein. Ihre Tätigkeitsbeschreibung ist umfassend im Sinne des kompletten Leistungsbildes eines Zimmerers. Nach gefestigter Rechtsprechung kann eine Berufsausbildung durch den Erwerb der Kenntnisse und Fertigkeiten in praktischer Tätigkeit ersetzt werden; entsprechend langjährige Tätigkeit liegt hier vor.
Fraglich ist lediglich, ob der Kläger sich vom Beruf des Zimmerers mit der Folge gelöst hat, dass spätere Tätigkeiten diesen als Hauptberuf abgelöst haben.
Dies ist im Ergebnis nicht der Fall. Eine maßgebliche Lösung vom Beruf liegt vor, wenn ein Versicherter nicht nur vorübergehend eine andere (geringerwertige) Tätigkeit aufnimmt und die Aufgabe der höherwertigen Tätigkeit vom Willen des Versicherten getragen ist. Der Versicherte muss sich also eine Lösung vom Beruf immer dann entgegenhalten lassen, wenn er seiner bisherigen Berufstätigkeit erkennbar nicht mehr nachgehen will und sich endgültig einer anderen Berufstätigkeit zuwendet (s. Niesel in Kasseler Kommentar, § 43 Anm.32, BSGE 46, 121). Für die Lösung ist der innere Lösungswille maßgebend, welcher anhand der äußeren Umstände festzustellen ist (s. Urteil des BSG vom 30.07.1997 - 5 RJ 20/97, zitiert in Kasseler Kommentar, a.a.O.). Eine Lösung liegt insbesondere dann vor, wenn der Versicherte sich damit abgefunden hat, dass eine Rückkehr zum früheren Beruf nicht möglich ist und die Ausübung eines anderen Berufs zwangsläufig auf Dauer ausgerichtet ist. Der Wille, zur früheren Tätigkeit zurückzukehren, ist nur beachtlich, wenn er realisierbar ist, so lange der Versicherte also eine reelle Chance hat und sie zu nutzen versucht (s. BSG, SozR 2200 § 1246 Nr.158, zitiert bei Kasseler Kommentar, Anm.33).
Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger durch die - vorletzte - Tätigkeit als Staplerfahrer schon deshalb nicht vom Hauptberuf Zimmerer gelöst, weil diese Tätigkeit für den Kläger keine dauerhafte Perspektive war, wie auch das baldige Ende der Beschäftigung nach ca. neun Monaten deutlich macht. Maßgeblich für die genannten rechtlichen Kriterien des Lösungswillens sowie die reelle Chance, zur früheren Tätigkeit zurückzukehren, ist hier die zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Auch diese Tätigkeit war, infolge des Unfalls nur von kurzer Dauer, zumindest was die aktive Ausübung der Beschäftigung anbelangt (ca. viereinhalb Monate). Unstreitig bedeutet die Aufnahme dieser Tätigkeit eine weitgehende Wiederannäherung an den bisherigen Hauptberuf Zimmerer. Streitig ist zwischen den Beteiligten nur, ob der Kläger in dieser kurzen Zeit vollwertige Zimmererarbeiten ausgeführt hat oder nicht. Selbst wenn - zu Lasten des Klägers - hier unterstellt wird, dass das Tätigkeitsniveau in dieser Zeit nicht auf Facharbeiterebene anzusiedeln ist, so hätte auch diese Annahme keine rechtliche Konsequenz zu Lasten des Klägers. Denn in jedem Fall ist durch den Tätigkeitswechsel vom vorletzten zum letzten Arbeitgeber die entscheidende Rückorientierung zum bisherigen Beruf erfolgt. Die Aussage des Arbeitgebers, es sei vorgesehen gewesen, den Kläger an die Arbeit eines Zimmererfacharbeiters heranzuführen, ist plausibel und steht insoweit auch nicht im Widerspruch zu anderen Aussagen. Die maßgeblichen rechtlichen Kriterien - Wille zur früheren Tätigkeit zurückzukehren und reelle Chance hierzu - sind trotz der durchaus verbleibenden Widersprüche in der Arbeitgeberauskunft damit zweifelsfrei gegeben. Es ist kaum ein vernünftiger Grund ersichtlich für einen Zimmerer, gegebenenfalls auch eine Helfertätigkeit in diesem Bereich anzunehmen, wenn er nicht zugleich den Wunsch hätte, durch die praktische Tätigkeit am Arbeitsplatz nachzuweisen, dass er auch höhere berufliche Anforderungen nach wie vor erfüllen kann. Auf die Frage, ob ihm dieser Nachweis innerhalb der ersten 4 1/2 Monate der praktischen Tätigkeit bereits gelungen ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an.
Selbst wenn man, abweichend hiervon, es zumindest als möglich ansehen würde, der Arbeitgeber hätte, abweichend von seiner eigenen Aussage, dem Kläger niemals eine "reelle Chance" einräumen wollen, wieder auf Facharbeiterniveau tätig zu sein, so gäbe es für eine solche Hypothese keinerlei Nachweis. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten der Beklagten (s. Meyer-Ladewig, § 103 Anm.19a): Die Beklagte müsste nachweisen, dass der Kläger aufgrund seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entweder nicht den Willen oder aber keine reelle Chance gehabt hat, wieder auf Facharbeiterniveau als Zimmerer zu arbeiten. Ein solcher Nachweis ist nach den durchgeführten Ermittlungen jedenfalls nicht mehr zu führen.
Hat sich der Kläger somit vom Beruf des Zimmerers nicht gelöst, so genießt er nach wie vor den Berufsschutz, den er aus seiner Tätigkeit bei der Firma O. herleiten kann. Er ist Facharbeiter.
Verweisungstätigkeiten sind von der Beklagten nicht benannt und auch nicht ersichtlich. Somit ist der Kläger berufsunfähig. Dies gilt seit der Antragstellung am 08.03.2001, weil eine spätere gesundheitliche Veränderung von Gewicht nicht feststellbar ist.
Dem Kläger steht daher Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.04.2001 zu. Somit hatte die Berufung des Klägers Erfolg.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der 1956 geborene Kläger hat von 1972 bis 1976 den Beruf des Starkstromelektrikers gelernt. Nach der Bundeswehrzeit war er von 1977 bis Juni 1978 als Bohrer versicherungspflichtig beschäftigt und hat dann von November 1978 bis Februar 1998 bei der Firma O. Holzbau GmbH als Zimmerer gearbeitet; er hat sich nach eigenen Angaben dort das erforderliche Wissen durch die Tätigkeit angeeignet. Nach dem Konkurs der Firma O. war der Kläger sodann vom Juni 1998 bis April 1999 als Staplerfahrer und im Versand bei der Firma P. AG erwerbstätig. Vom 1. Mai 1999 bis Januar 2002 bestand ein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Holzbau R ... Er erlitt dort am 15.05.1999 einen Arbeitsunfall und bezog auf Grund dessen bis 18.08.2000 Verletztengeld und seither Unfallrente nach einer MdE von 30 v.H. Seit 04.01.2002 ist er arbeitslos und erhält Leistungen der Arbeitsagentur.
Am 08.03.2001 beantragte der Kläger die Rente bei der Beklagten. Diese ließ ihn durch den Orthopäden Dr.W. am 15.05.2001 untersuchen und begutachten.
Sie holte weiterhin eine Arbeitgeberauskunft der Firma L. R. Holzbau ein. Hiernach war der Kläger dort als Zimmererhelfer beschäftigt und verrichtete ungelernte Arbeiten. Zu deren Verrichtung benötige ein Arbeitnehmer ohne einschlägige Vorkenntnisse eine Ausbildungsdauer von sechs Monaten. Der Kläger habe nicht über alle Kenntnisse eines ausgebildeten Facharbeiters verfügt. Der Kläger sei - tätigkeitsentsprechend - in Berufsgruppe 5 der Bauwirtschaft eingestuft worden.
Mit Bescheid vom 12.06.2001 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder teilweise bzw. volle Erwerbsminderung noch Berufsunfähigkeit vorliege. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers werde beeinträchtigt durch - chronifiziertes Schmerzsyndrom mit Minderbelastbarkeit des rechten Fußes nach Versteifungsoperation des unteren Sprunggelenks, - Zustand nach Fersenbeinbruch mit posttraumatischer Arthrose des unteren Sprunggelenks, - myostatisches Wirbelsäulensyndrom. Der Kläger könne nach wie vor auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich tätig sein.
Gegen die Rentenablehnung erhob der Kläger am 09.07.2001 Widerspruch. Er legte ein Schreiben der Firma O. vor, wonach er auf Grund seiner Erfahrung in der Zimmerei eingesetzt worden sei. Sein Aufgabengebiet habe das komplette Leistungsbild eines Zimmerers umfasst, wie zum Beispiel das Abbinden und Aufrichten von Dachkonstruktionen, das Herstellen und Montieren von Holzhäusern oder Holzfassaden. Er habe teilweise Vorgesetztenfunktion gegenüber Facharbeitern innegehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei zumindest fraglich, ob der Kläger durch die Beschäftigung bei der Firma O. tatsächlich den Berufsschutz eines Zimmererfacharbeiters erlangt habe. Unabhängig davon sei der Kläger durch den Konkurs dieses Arbeitgebers bedingt in der Folge über einen längeren Zeitraum hinweg als ungelernter Arbeiter beschäftigt gewesen. Bei der zuletzt ausgeübten Beschäftigung in einem Zimmereibetrieb sei er lediglich als Zimmererhelfer eingesetzt gewesen, somit in ungelernter Tätigkeit. Diese sei maßgeblich.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 22.08.2002 Klage zum Sozialgericht Augsburg: Ihm stehe zumindest Berufsunfähigkeitsrente zu. Denn er sei nicht nur als Zimmerer, sondern sogar als gehobene Fachkraft entlohnt worden.
Das Sozialgericht (SG) veranlasste eine orthopädische Begutachtung auf Grund ambulanter Untersuchung durch Dr.M ... Dieser kommt in seinem Gutachten vom 16.01./20.02.2004 zur Feststellung folgender Gesundheitsstörungen: 1. Bewegungsaufhebung im unteren Sprunggelenk rechts. 2. Belastungsschmerz am rechten Fuß infolge einer Fersenbeinfraktur und nachfolgender Versteifungsoperation im unteren Sprunggelenk. 3. Wirbelsäulensyndrom mit leichten degenerativen Veränderungen. 4. Alter Bizepssehnenriss links. Die Befunde hätten sich nicht wesentlich verändert. Im Vordergrund stünden die Veränderungen am rechten Sprunggelenk sowie in leichtem Maße auch die Veränderungen der Wirbelsäule. Der Kläger könne noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Sitzen oder im Wechsel der Körperhaltungen ohne Zwangshaltungen mehr als sechs Stunden täglich verrichten.
Auf Anfrage des Sozialgerichts beschrieb die Firma R. die Tätigkeiten des Klägers, wie folgt: "Mithilfe beim Aufrichten, Schalungsarbeiten, Dachlattung und Eindeckarbeiten". Das Bruttoentgelt habe 12.48 EUR pro Stunde - leistungsentsprechend - betragen. Der Kläger sei eine "angelernte Fachkraft" gewesen; er sei in Berufsgruppe 4 eingestuft gewesen. Er habe die Kenntnisse und Fertigkeiten eines Facharbeiters durch die Tätigkeiten bei der Vorfirma besessen.
Auf Rückfrage des Gerichts bezüglich dieser widersprüchlichen Angaben verwies der Arbeitgeber auf die unfallbedingt kurzen Beschäftigungszeiträume, in denen der Kläger tatsächlich die Arbeiten eines Zimmererhelfers ausgeübt habe. Der Lohn habe jedoch im Hinblick auf die Tätigkeit bei den Vorfirmen dem eines Zimmererfacharbeiters entsprochen. Es sei zudem vorgesehen gewesen, den Kläger an die Arbeit eines Zimmererfacharbeiters heranzuführen.
Die Vorteile seiner Tätigkeit bei der Firma P. erklärte der Kläger in zweierlei Weise: Schutz vor den Witterungsverhältnissen und Wohnortnähe. Allerdings habe er nach einem Dreivierteljahr gemerkt, dass ihm die Arbeit nicht zusagte, weshalb er sich dann wieder bei der Firma R. als Zimmerer beworben habe.
Mit Urteil vom 11.05.2004 wies das SG die Klage ab. Es folgte dem Gutachter Dr.M ... Berufsunfähig sei der Kläger nicht, da er nicht mehr den Berufsschutz als Zimmerer genieße. Er habe diese Tätigkeit nicht gesundheitsbedingt aufgegeben, Hauptberuf sei Zimmererhelfer.
Am 09.06.2004 legte der Kläger gegen das Urteil Berufung ein: Nach dem Gutachten Dr.M. sei er als Zimmerer nicht mehr leistungsfähig. Er genieße den Berufsschutz eines Facharbeiters. Die Widersprüche in der Auskunft der Firma R. seien so zu erklären, dass er vor dem Unfall nur wenige Wochen tätig gewesen sei und nach dem Unfall gesundheitsbedingt nicht mehr sämtliche Facharbeiten habe verrichten können.
Auf gerichtliche Anfrage nahm die Firma R. nochmals ergänzend Stellung: - Effektiv gearbeitet habe der Kläger nur in der ersten Maihälfte 1999 bis zum Unfall, weiterhin vom 25.10.1999 bis 01.01.2000 und vom 01.04.2000 bis 06.07.2000. Er habe in dieser Zeit mitgeholfen beim Aufrichten, Abbinden und bei Schalungsarbeiten von Dachstühlen. Außerdem habe er selbständig Dachstühle eingelattet und mit Dachziegeln eingedeckt, "also alles Arbeiten, die ein ausgebildeter Zimmerergeselle auch ausübt." - Ausgebildete Zimmerergesellen hätten damals einen Stundenlohn von 12,48 EUR gehabt, Helfer von 10,60 EUR und Vorarbeiter von 14,21 EUR.
Der Senat erhob Beweis durch Vernehmung des Inhabers der Firma R. , Herr L. R. , als Zeugen. Der Zeuge erklärte, den Kläger schon seit der Kindheit zu kennen und mit ihm bei der Firma O. als Kollege gearbeitet zu haben. Der Kläger sei nicht der einzige Beschäftigte gewesen, den er von der Firma O. übernommen habe. Er habe den Einstiegslohn eines Zimmerergesellen laut Bautarifvertrag erhalten. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag habe es nicht gegeben. Auf Vorhalt der Aussage vom 22.03.2001, der Kläger habe dort ungelernte Tätigkeiten verrichtet, konnte der Zeuge nicht sagen, warum dies seinerzeit so beantwortet worden sei.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 11.05.2004 sowie des Bescheides der Beklagten vom 12.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2002 zu verurteilen, ihm ab 01.04.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Augsburg sowie die Prozessakte hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Maßgebend sind die Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.), da aufgrund des Antrags vom 08.03.2001 Rente nur für einen Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 in Frage kommen kann (§ 300 Abs.1 SGB VI). Dies ist auch der Fall.
Dem Kläger steht antragsgemäß Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.04.2001 zu. Unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts sowie der Bescheide der Beklagten war diese daher zur Rentenzahlung gemäß § 240 SGB VI n.F zu verurteilen.
Der Kläger ist berufsunfähig. Er hat zwar keinen Ausbildungsberuf erlernt, war aber langjährig als Zimmerer bei der Firma O. Holzbau versicherungspflichtig beschäftigt. Diese Firma ordnet den Kläger eindeutig als Facharbeiter ein. Ihre Tätigkeitsbeschreibung ist umfassend im Sinne des kompletten Leistungsbildes eines Zimmerers. Nach gefestigter Rechtsprechung kann eine Berufsausbildung durch den Erwerb der Kenntnisse und Fertigkeiten in praktischer Tätigkeit ersetzt werden; entsprechend langjährige Tätigkeit liegt hier vor.
Fraglich ist lediglich, ob der Kläger sich vom Beruf des Zimmerers mit der Folge gelöst hat, dass spätere Tätigkeiten diesen als Hauptberuf abgelöst haben.
Dies ist im Ergebnis nicht der Fall. Eine maßgebliche Lösung vom Beruf liegt vor, wenn ein Versicherter nicht nur vorübergehend eine andere (geringerwertige) Tätigkeit aufnimmt und die Aufgabe der höherwertigen Tätigkeit vom Willen des Versicherten getragen ist. Der Versicherte muss sich also eine Lösung vom Beruf immer dann entgegenhalten lassen, wenn er seiner bisherigen Berufstätigkeit erkennbar nicht mehr nachgehen will und sich endgültig einer anderen Berufstätigkeit zuwendet (s. Niesel in Kasseler Kommentar, § 43 Anm.32, BSGE 46, 121). Für die Lösung ist der innere Lösungswille maßgebend, welcher anhand der äußeren Umstände festzustellen ist (s. Urteil des BSG vom 30.07.1997 - 5 RJ 20/97, zitiert in Kasseler Kommentar, a.a.O.). Eine Lösung liegt insbesondere dann vor, wenn der Versicherte sich damit abgefunden hat, dass eine Rückkehr zum früheren Beruf nicht möglich ist und die Ausübung eines anderen Berufs zwangsläufig auf Dauer ausgerichtet ist. Der Wille, zur früheren Tätigkeit zurückzukehren, ist nur beachtlich, wenn er realisierbar ist, so lange der Versicherte also eine reelle Chance hat und sie zu nutzen versucht (s. BSG, SozR 2200 § 1246 Nr.158, zitiert bei Kasseler Kommentar, Anm.33).
Im vorliegenden Fall hat sich der Kläger durch die - vorletzte - Tätigkeit als Staplerfahrer schon deshalb nicht vom Hauptberuf Zimmerer gelöst, weil diese Tätigkeit für den Kläger keine dauerhafte Perspektive war, wie auch das baldige Ende der Beschäftigung nach ca. neun Monaten deutlich macht. Maßgeblich für die genannten rechtlichen Kriterien des Lösungswillens sowie die reelle Chance, zur früheren Tätigkeit zurückzukehren, ist hier die zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Auch diese Tätigkeit war, infolge des Unfalls nur von kurzer Dauer, zumindest was die aktive Ausübung der Beschäftigung anbelangt (ca. viereinhalb Monate). Unstreitig bedeutet die Aufnahme dieser Tätigkeit eine weitgehende Wiederannäherung an den bisherigen Hauptberuf Zimmerer. Streitig ist zwischen den Beteiligten nur, ob der Kläger in dieser kurzen Zeit vollwertige Zimmererarbeiten ausgeführt hat oder nicht. Selbst wenn - zu Lasten des Klägers - hier unterstellt wird, dass das Tätigkeitsniveau in dieser Zeit nicht auf Facharbeiterebene anzusiedeln ist, so hätte auch diese Annahme keine rechtliche Konsequenz zu Lasten des Klägers. Denn in jedem Fall ist durch den Tätigkeitswechsel vom vorletzten zum letzten Arbeitgeber die entscheidende Rückorientierung zum bisherigen Beruf erfolgt. Die Aussage des Arbeitgebers, es sei vorgesehen gewesen, den Kläger an die Arbeit eines Zimmererfacharbeiters heranzuführen, ist plausibel und steht insoweit auch nicht im Widerspruch zu anderen Aussagen. Die maßgeblichen rechtlichen Kriterien - Wille zur früheren Tätigkeit zurückzukehren und reelle Chance hierzu - sind trotz der durchaus verbleibenden Widersprüche in der Arbeitgeberauskunft damit zweifelsfrei gegeben. Es ist kaum ein vernünftiger Grund ersichtlich für einen Zimmerer, gegebenenfalls auch eine Helfertätigkeit in diesem Bereich anzunehmen, wenn er nicht zugleich den Wunsch hätte, durch die praktische Tätigkeit am Arbeitsplatz nachzuweisen, dass er auch höhere berufliche Anforderungen nach wie vor erfüllen kann. Auf die Frage, ob ihm dieser Nachweis innerhalb der ersten 4 1/2 Monate der praktischen Tätigkeit bereits gelungen ist oder nicht, kommt es hingegen nicht an.
Selbst wenn man, abweichend hiervon, es zumindest als möglich ansehen würde, der Arbeitgeber hätte, abweichend von seiner eigenen Aussage, dem Kläger niemals eine "reelle Chance" einräumen wollen, wieder auf Facharbeiterniveau tätig zu sein, so gäbe es für eine solche Hypothese keinerlei Nachweis. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten der Beklagten (s. Meyer-Ladewig, § 103 Anm.19a): Die Beklagte müsste nachweisen, dass der Kläger aufgrund seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entweder nicht den Willen oder aber keine reelle Chance gehabt hat, wieder auf Facharbeiterniveau als Zimmerer zu arbeiten. Ein solcher Nachweis ist nach den durchgeführten Ermittlungen jedenfalls nicht mehr zu führen.
Hat sich der Kläger somit vom Beruf des Zimmerers nicht gelöst, so genießt er nach wie vor den Berufsschutz, den er aus seiner Tätigkeit bei der Firma O. herleiten kann. Er ist Facharbeiter.
Verweisungstätigkeiten sind von der Beklagten nicht benannt und auch nicht ersichtlich. Somit ist der Kläger berufsunfähig. Dies gilt seit der Antragstellung am 08.03.2001, weil eine spätere gesundheitliche Veränderung von Gewicht nicht feststellbar ist.
Dem Kläger steht daher Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.04.2001 zu. Somit hatte die Berufung des Klägers Erfolg.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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