L 14 KG 11/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 9/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 11/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 KG 1/06 R
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. September 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Frage, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung des Kindergelds für ein behindertes Kind mit Wirkung ab 01.09.2004 aufgehoben hat.

Die im Jahre 1932 geborene Klägerin, eine griechische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Griechenland, bezieht von der deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg ab 01.06.1997 eine Regelaltersrente (bei lediglich zwölf Pflichtbeiträgen zur deutschen Arbeiterrentenversicherung für Kindererziehung) und seit 01.07.1997 eine Altersrente vom griechischen Versicherungsträger OGA (bei 144 Pflichtbeiträgen zum dortigen System). Auf ihren Kindergeldantrag vom Juni 2002 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2004 - unter Berufung auf die vierjährige Verjährungsfrist des § 45 Abs.1 Sozialgesetzbuch Teil I - Kindergeld ab Januar 1998 für den 1970 geborenen und seit Geburt schwerbehinderten Sohn E. (laufende Anweisung des Kindergelds ab 01.05.2004 bei einer Nachzahlung von 10.509,00 EUR). Zugrunde lagen eine Bescheinigung der griechischen Verbindungsstelle, dass die Klägerin Kindergeld oder ähnliche familienbezogene Leistungen nicht erhalte sowie die Angaben der Klägerin und eine Rentenbescheinigung, aus denen hervorgeht, dass der Sohn selbst seit Juli 1991 eine Behindertenrente (Invalidenrente) bezieht. Auf wiederholte Anfragen der Beklagten teilte die Klägerin mit, sie habe mit der OGA telefoniert und von dieser die Auskunft erhalten, dass Kinderzulagen zur Rente dann nicht gewährt würden, wenn das Kind eine Erwerbsunfähigkeitsrente von der OGA erhalte.

Ohne vorherige Durchführung eines Anhörungsverfahrens nahm die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.07.2004 die Kindergeldbewilligung mit Wirkung ab 01.09.2004 gemäß § 45 Abs.2 Sozialgesetzbuch Teil X (SGB X) zurück und veranlasste die Einstellung der laufenden Kindergeldzahlungen mit Ablauf August 2004. Im Bescheid hieß es, der begünstigende Verwaltungsakt vom 21.04.2004 sei zu Unrecht ergangen, weil der Wohnsitzstaat Griechenland allein für Kindergeldleistungen zuständig sei (Art.77 Abs.2 Buchst.b Ziffer i EWG-VO 1408/71). Da das Kindergeld für Rentner mit dem Rentenanspruch verknüpft sei, könne deutsches Kindergeld in diesem Falle nur gewährt werden, wenn der Anspruch auf eine der in Art.77 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 genannten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich schon aufgrund deutscher Versicherungszeiten erworben worden sei. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 24.09.2002 in der Rechtssache C-471/99) auch dann, wenn im vorrangig zuständigen Mitgliedstaat aufgrund der dortigen Bestimmungen kein Anspruch auf Familienleistungen bestehe. Das Vertrauen auf den Bestand der rechtswidrigen Begünstigung sei nicht schutzwürdig, weil das öffentliche Interesse eine Rücknahme erfordere. Diese Entscheidung ergehe nach pflichtgemäßem Ermessen. Hierbei seien alle Gesichtspunkte des vorliegenden Einzelfalles beachtet und gewürdigt worden. Aufgrund des öffentlichen Interesses an einer gesetzmäßigen Gewährung staatlicher Leistungen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Rücknahme lediglich mit Wirkung für die Zukunft erfolge, so dass in der Vergangenheit getroffene Vermögensdispositionen hinsichtlich des bereits ausgezahlten Kindergeldes nicht berührt würden, sei die Rücknahmeentscheidung angemessen.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie keine Familienleistungen von allen in Frage kommenden griechischen Leistungsträgern erhalte und ihr Sohn seit Geburt invalide sei. Die Bewilligung des Kindergelds sei daher zu Unrecht zurückgenommen worden. Die Rechtsbehelfsstelle der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2005 zurück, wobei ausführlich auf die Rechtslage und die Ermessensgesichtspunkte im Rahmen der Rücknahmeentscheidung eingegangen worden ist. Berücksichtigt wurde auch, dass die Widerspruchsführerin nicht dargelegt habe, dass sie hinsichtlich der Leistungen Vermögensverfügungen getroffen habe und vorliegend das öffentliche Interesse an der Rücknahme der rechtswidrigen Entscheidung mit Wirkung für die Zukunft überwiege. Hierdurch sei sie nicht schlechter gestellt, als wenn die Entscheidung von Anfang an richtig getroffen worden wäre.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Nürnberg mit Urteil vom 19.09.2005 ab, weil die Klägerin nicht allein aufgrund der deutschen Vorschriften eine Altersrente beziehe und unter diesen Umständen allein der Wohnsitzstaat Griechenland für Leistungen wie Kindergeld zuständig sei. Die Bewilligung des Kindergelds nach deutschen Rechtsvorschriften sei von Anfang an unrichtig gewesen, und die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides gemäß § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft lägen vor. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Beklagten scheitere im Ergebnis auch nicht daran, dass vor Erteilung des Bescheids vom 26.07.2004 kein gesondertes Anhörungsverfahren durchgeführt worden sei. In dem genannten Bescheid seien sämtliche für den konkreten Fall maßgebenden Umstände beschrieben; der Bescheid mache der Klägerin auch deutlich, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung getroffen habe. Damit könne die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens als nachgeholt gelten. Die Äußerungen der Klägerin im Widerspruchsverfahren würden belegen, dass die Klägerin die Möglichkeit zur Äußerung zu allen rechtlichen und tatsächlichen Umständen gehabt habe.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung begehrt die Klägerin wörtlich, unter Aufhebung des Urteils und Abänderung des angefochtenen Bescheids die Beklagte zu verurteilen, an sie Kindergeld "ab Mai 2004" in gesetzlicher Höhe weiter zu gewähren. Eine Begründung hierzu ist nicht erfolgt.

Der Senat hat die Kindergeldakte der Beklagten und die Versichertenakte der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg beigezogen, weiterhin die Beteiligten zum Erlass eines Beschlusses anstelle eines Urteils mit vorausgehender mündlicher Verhandlung angehört.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.09.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die oben genannten beigezogenen Unterlagen vor.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist unbegründet.

Der Klägerin hat das bewilligte Kindergeld von Anfang an nicht zugestanden; der begünstigende Bescheid vom 21.04.2004 war anfänglich rechtswidrig. Die Zuständigkeit des deutschen Trägers für Familienleistungen ist ausgeschlossen, weil die Klägerin nur unter Zuhilfenahme der EG-Vorschriften und der griechischen Beitragszeiten die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente nach den deutschen Vorschriften (Wartezeit von 60 Monaten) erfüllt hat und in Griechenland Vorschriften über die Gewährung von Kindergeld bzw. Familienzulagen zur Rente bestehen. Das (griechische) Gesetz 4169/1961 und die RVO 4547/1966 (GrRBl. 227 A) mit nachfolgenden Änderungen und Ergänzungen sehen ein Kindergeld von 750,00 Drachmen zur Rente aus der landwirtschaftlichen Versicherung vor, und zwar für unverheiratete und nicht erwerbstätige Kinder bis zum 18. Lebensjahr. Gemäß Art.9 Abs.1 des Gesetzes 2458/1997 (GrRBl.15/A/ 14.02.1997) mit einer Neuregelung der Renten aus der landwirtschaftlichen Versicherung wird ein erhöhtes und zudem bei Studium der Kinder bis zum 24. Lebensjahr und bei erwerbsunfähigen Kindern allgemein über das 18. Lebensjahr hinaus verlängertes Kindergeld gewährt, sofern nicht die behinderten Kinder eine eigene Rente gleich welcher Art ("aus irgendeiner Quelle") beziehen. Offen kann bleiben, ob die Klägerin als "Bestandsrentnerin" Rente von der OGA nach den älteren Vorschriften bezieht oder aufgrund besonderer Umstände ihre Rente nach den neueren Vorschriften umgestellt worden ist. Hierauf kam es nicht an. Es ist nach der Gesetzeslage hinreichend, dass der primär leistungszuständige EG-Staat Famililenbeihilfen für Empfänger von Alters- oder Invaliditätsrenten überhaupt vorsieht. Unerheblich ist es hingegen, ob eine Rentnerin konkret keinen Anspruch auf Kindergeld seitens des Wohnsitzstaates hat, weil das Kind in diesem Staat (Griechenland) bereits eine Altersgrenze (z.B. das 18. Lebensjahr) überschritten hat oder eine eigene Invalidenrente, die den gleichzeitigen Bezug von Kindergeld durch die Eltern ausschließt, erhält. Dies hat der Europäische Gerichtshof in mehreren Fällen gerade im Bezug auf ehemalige Gastarbeiter in der BRD durch Auslegung der Art.77 Abs.2 EG-VO (Familienbeihilfen für Rentner) und Art.78 Abs.2 EG-VO (Familienbeihilfen für Waisen), mehrmals entschieden, und zwar für folgende Fallgestaltungen: Ende des Familienbeihilfebezugs im Wohnsitzstaat wegen Alters des Kindes, z.B. in Spanien mit 18 Jahren auch bei darüber hinausgehender Schul- und Berufsausbildung; Ausschluss des Familienbeihilfeanspruchs wegen zu hohen Einkommens der Eltern oder des Kindes; Ende des Beihilfeanspruchs für ein schwerbehindertes Kind mit Volljährigkeit (vgl. Urteil vom 24.09.2002 - C-471/99 in SozR 3-6050 Art.77 Nr.6, weiterhin Urteile vom 07.05.1998 - C-113/96 in SozR 3-6050 Art.78 Nr.5 und vom 27.02.1997 - C-59/95 in SozR 3-6050 Art.77 Nr.4). Die Leistungspflicht des anderen Mitgliedstaats (BRD) wird in den geschilderten Fällen nicht dadurch begründet, dass der zuständige Wohnsitzstaat unter anderen Voraussetzungen als der andere Mitgliedstaat Kindergeld für Rentner gewährt oder die Familienbeihilfeansprüche nach dem Recht des Wohnsitzstaates früher enden als im anderen Mitgliedstaat. Dies gilt auch, wenn bereits bei Beginn des Bezugs von zwei Renten aus zwei EG-Staaten ein Anspruch gegenüber dem zuständigen Leistungsträger des Wohnlandes ab diesem Zeitpunkt nicht (mehr) besteht bzw. durch besondere Umstände (Einkommen der Eltern usw., Bezug einer Behindertenrente des Kindes) ausgeschlossen ist. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheids waren erfüllt.

Hinsichtlich der Einzelheiten macht der Senat von der Verfahrenserleichterung des § 153 Abs.2 SGG Gebrauch und verweist zur näheren Begründung der materiell-rechtlichen Rechtslage und des Verfahrensrechts auf die Ausführungen des Sozialgerichts. Anstelle eines Urteils mit vorausgehender mündlicher Verhandlung konnte - nach Anhörung der Beteiligten - ein Beschluss ergehen, weil der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hielt (§ 153 Abs.4 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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