L 2 U 410/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 49/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 410/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 130/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 29.09.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1968 geborene Klägerin wurde am 18.06.2002 gegen 16:10 Uhr beim Heimweg von ihrer Tätigkeit im Klinikum A. von einem Bekannten durch mehrere Messerstiche schwer verletzt.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Tatort um eine Parkbucht des Zentralklinikums, die über die Zufahrt zur Notaufnahme zu erreichen ist. Der Arbeitgeber der Klägerin, das Klinikum A. , gab an, es handele sich um einen öffentlichen, gut einsehbaren Parkplatz. Der Parkplatz werde hauptsächlich von Beschäftigten des Zentralklinikums benutzt. Die Klägerin gab an, zu dem Täter eine Beziehung gehabt zu haben, die sie beendet habe. Schon am 20. Mai 2002 habe er sie vor ihrem Wohnhaus in ihrem Auto verletzt. Am 18.06.2002 sei der Täter plötzlich direkt neben ihrem Auto gestanden. Sie sei auf dem Weg zum Auto beschäftigt gewesen, einige SMS abzurufen und habe den Täter vermutlich darum nicht bemerkt. Sie vermute, dass der Täter von ihr abgelassen habe, weil sich jemand genähert habe. Neben ihrem Auto hätten weitere Fahrzeuge gestanden. Die Staatsanwaltschaft führte in der Anklageschrift vom 11.11.2002 aus, aus Wut und Eifersucht, weil die Klägerin den Täter verlassen und sich seiner Meinung nach einem neuen Partner zugewandt habe, habe er am 18.06.2002 beschlossen, sie zu töten. In dieser Absicht habe er ihr auf dem Beschäftigtenparkplatz vor dem Gebäude der Kinderklinik A. aufgelauert. Der Täter wurde mit Urteil vom 07.05.2003 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.09.2003 die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls vom 18.06.2002 ab: ein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung liege nicht vor. Die Klägerin sei am 18.06.2002 Opfer eines Überfalls geworden, der sich weder aus Gründen, die in ihrer Beschäftigung zu suchen seien, noch aus der Zurücklegung des Heimweges von der Arbeitsstelle ergeben habe. Der Überfall habe sich nachmittags gegen 16:10 Uhr auf einem öffentlichen, gut einsehbaren Parkplatz ereignet. Es könne also nicht davon ausgegangen werden, dass die Örtlichkeit den Überfall wesentlich begünstigt habe.

Die Klägerin wandte mit Widerspruch vom 22.10.2003 ein, der Unfall habe sich außerhalb des Klinikgeländes auf einem abgeschiedenen Parkplatz, der ringsum bewaldet und mit einer Mauer abgeschlossen sei, ereignet. Der Täter habe gewusst, dass sie ihr Auto ausschließlich auf diesem Parkplatz abstellte und dass sie aus ihrer Schicht die Einzige war, die dort parkte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Wegeumstände hätten die Tat nicht wesentlich begünstigt. Die Gesamtumstände sprächen dafür, dass für den offensichtlich zu allem entschlossenen Täter Ort und Zeit eher nebensächlich gewesen seien. Eine Tatbegehung zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel vor der Wohnung der Klägerin, wäre genauso gut denkbar und möglich gewesen. Immerhin habe der Täter noch einen Schlüssel zur Wohnung besessen.

Mit der Klage zum Sozialgericht Augsburg hat die Klägerin nochmals betont, die einzige Gelegenheit, sie zu überfallen, sei für den Täter auf dem Parkplatz der Arbeitsstelle gegeben gewesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.09.2004 abgewiesen. Aus der Akte der Staatsanwaltschaft A. ergebe sich, dass es sich nicht um einen besonders einsam gelegenen Parkplatz gehandelt habe, vielmehr sei dort Auto an Auto geparkt gewesen. Der Täter habe sich auch nicht darauf verlassen können, dass kein anderer Parkplatzbenutzer zur gleichen Zeit anwesend sein würde.

Zur Begründung der Berufung hat die Klägerin eingewandt, der Arbeitsplatz sei der einzige dem Täter bekannte Ort, der die Ausführung des Tatplans ermöglicht habe. Die Klägerin habe den Parkplatz trotz des Angriffs vom 20.05.2002 benutzt, weil sie ihr Leben so normal wie möglich fortführen wollte. Im Übrigen hätte ein anderer Parkplatz einen weiteren Fußweg erfordert.

Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 29.09.2004 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2004 zu verurteilen, ihr aus Anlass des Unfalls vom 18.06.2002 Entschädigungsleistungen zu gewähren. Hilfsweise beantragt sie, den Täter als Zeugen dazu zu hören, dass er die Tat am Tatort deswegen begangen hat, weil er sich dort bei der Ausführung der Tat darüber im Klaren war, dass die Tat am fraglichen Ort zur fraglichen Zeit die beste, wenn nicht sogar die einzige Möglichkeit geboten hat, die Klägerin alleine anzutreffen, um die Tatausführung vorzunehmen. Dies insbesondere deshalb, weil ihm durch die Bekanntschaft mit dem Opfer bekannt war, dass das Opfer den Heimweg zur bekannten Zeit über den Parkplatz wählen wird und dort zur fraglichen Zeit auch regelmäßig kein weiterer Personenverkehr zu erwarten ist, da der Täter das Opfer zu früherer Zeit bereits mehrfach zur Arbeitsstelle gefahren hat und sie dabei regelmäßig auf dem W.parkplatz absetzte.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten, der Staatsanwaltschaft A. , des Amtes für Versorgung und Familienförderung A. sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass der am 18.06.2002 erlittenen Verletzungen, da es sich hier nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) gehandelt hat. Ein Arbeitsunfall setzt gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII einen Unfall voraus, den ein Versicherter bei einer der den Versicherungsschutz gemäß §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Der Begriff des Unfalls erfordert ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden geführt hat (vgl. BSGE 23, 139). Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, das heißt, sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (Krasney VSSR 1993, 81, 114).

Eine versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Nach dem Ergebnis der Ermittlungen befand sich die Klägerin auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause und stand somit grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es bei der Frage, ob ein Überfall auf dem Weg nach oder von der Arbeitsstätte als Arbeitsunfall (Wegeunfall) anzusehen ist, in der Regel entscheidend auf die Beweggründe des Angreifers an (vgl. BSGE 17, 75; 50, 100 m.w.N.). Ein solches betriebsbezogenes Tatmotiv fehlt hier, da betriebsfremde Beziehungen zwischen der Klägerin und dem Täter das Motiv für den Überfall waren. Der innere Zusammenhang zwischen einem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit verliert an Bedeutung, wenn, wie hier, die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind. Hier bedeutete die Zurücklegung des Weges nach oder von der Arbeitsstätte nur eine von vielen Gelegenheiten für den Angreifer zum Überfall, wobei ihm die Klägerin auch zu anderer Zeit an anderer Stelle erreichbar gewesen wäre. Mit der Erwägung, dass hier die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Klägerin vorherrschen und den Zusammenhang des Überfalls mit dem Zurücklegen des versicherten Weges als rechtlich unwesentlich zurückdrängen, rechtfertigt sich die Versagung des Unfallversicherungsschutzes (vgl. BSGE 17, 75; BSG vom 30.06.1998, B 2 U 27/97 R).

Unfallversicherungsschutz kann allerdings trotzdem gegeben sein, wenn besondere Verhältnisse bei der Zurücklegung des Weges die Verübung der Gewalttat entscheidend begünstigt haben (vgl. BSGE 78, 65). Es war hier aber nicht so, dass nur der Arbeitsweg der Klägerin dem Täter die Möglichkeit geboten hätte, die Tat mit dem schließlich durchgeführten Ablauf zu planen. Die Regelmäßigkeit, mit der die Klägerin ihre Arbeitsstätte aufsuchte und nach Dienstschluss wieder heimkehrte, hätte es dem Täter genausogut möglich gemacht, ihr, wie er es schon am 20.05.2002 getan hatte, vor ihrem Wohnhaus aufzulauern. Der Einwand der Klägerin, dies sei für den Täter nicht möglich gewesen, weil sie die Wohnung nicht mehr allein verlassen habe, überzeugt insofern nicht, da sie ja offensichtlich ihre Arbeitsstelle ohne Begleitung aufsuchte und ebenso ohne Begleitung wieder den Weg nachhause antrat.

Der Überfall ist auch nicht durch andere besondere Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges begünstigt worden. Nach der Rechtsprechung sind derartige besondere Verhältnisse Dunkelheit, Dämmerung, einsam gelegener Tatort, örtliche Gegebenheiten, die eine sichere Flucht ermöglichen oder die den Tatplan erheblich bestimmt haben (vgl. BSGE 78, 65). Zwar konnte der Täter weitgehend sicher sein, die Klägerin zum Zeitpunkt des Dienstschlusses, der ihm aus der früheren Beziehung bekannt war, auf dem Parkplatz anzutreffen. Auch konnte er sich hinter Autos verstecken und ihr auflauern. Andererseits ging er ein beträchtliches Risiko ein, gesehen und verfolgt zu werden. Der Parkplatz befindet sich in der unmittelbaren Nähe der Klinikgebäude und einer öffentlichen Straße und ist nach Angaben der Klinikverwaltung gut einsehbar. Am 18.06.2002 war es um 16:10 Uhr noch hell, so dass auch insofern die Gefahr der Entdeckung für den Täter groß war. Zudem wurde der Parkplatz offensichtlich von vielen Klinikangehörigen und Klinikbesuchern benutzt, wie sich aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft A. ergibt. Denn zum Zeitpunkt der Tat standen eine Vielzahl von Autos auf dem Parkplatz, und der Wagen der Klägerin musste von den zur Hilfeleistung eingetroffenen Sanitätern erst aus der Reihe herausgeschoben werden, damit die Türen geöffnet werden konnten. Daher konnte der Täter auch aus diesem Grund nicht sicher sein, dass nicht irgendein Autobesitzer zum Zeitpunkt des Überfalls den Parkplatz betreten würde. Offenbar hat auch die Klägerin mit dieser Möglichkeit gerechnet, als sie in der polizeilichen Vernehmung angab, sie nehme an, dass der Täter von ihr abgelassen habe, weil sich jemand genähert habe.

Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich. Insbesondere sah der Senat keine Veranlassung, den Täter als Zeugen zu hören. Der Täter hat bei der polizeilichen Vernehmung vom 22.06.2002 angegeben, er habe auf dem Parkplatz gewartet, weil er wusste, dass die Klägerin dort ihr Auto abstellte; versteckt habe er sich nicht; er habe sogar den Eindruck gehabt, die Klägerin habe ihn auf ihrem Weg über den Parkplatz gesehen. Er hat keinerlei Angaben dazu gemacht, dass besondere Eigenschaften des Parkplatzes für ihn maßgeblich gewesen seien. Es handelte sich lediglich um eine von verschiedenen Möglichkeiten, die Klägerin zu treffen; so besaß der Täter ja auch noch einen Wohnungsschlüssel und hätte die Klägerin also jederzeit in ihrer Wohnung aufsuchen können. Im Übrigen müssten subjektive Vorstellungen in objektiven Umständen eine Stütze finden. Auch hat die Klägerin in der polizeilichen Vernehmung vom 19.06.2002 angegeben, nach dem Überfall vom 20.05.2002 habe sie schon angefangen, "die ganze Sache zu vergessen". Offensichtlich rechnete die Klägerin nicht mehr mit einem Überfall und hielt jedenfalls den Parkplatz nicht für einen sie gefährdenden Platz. Das Argument, sie habe einen weiteren Fußweg gescheut, kann insofern nicht überzeugen, zumal sie selbst einräumte, auf dem Weg zu ihrem Auto mit dem Abrufen von Kurzmitteilungen auf ihrem Handy so beschäftigt gewesen zu sein, dass sie nicht herumgeschaut habe.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Notwendigkeit, den Weg von und zur Arbeit zurückzulegen, den Überfall überhaupt erst ermöglicht hätte. Den Besonderheiten des Weges und des Parkplatzes kommt gegenüber der Motivation des offenbar zu allem entschlossenen Täters nicht das Gewicht einer annähernd gleichwertigen Bedingung zu. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei dem Täter eine Persönlichkeitsstörung festgestellt wurde, die "vernünftige" Überlegungen bezüglich der Tatplanung eher in den Hintergrund drängte. Die Umstände des Tatortes sind gegenüber dem rein persönlich motivierten Angriff nur als unwesentliche Gelegenheitsursache anzusehen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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