L 9 EG 123/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 EG 31/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 123/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 7. April 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für ihren 1993 geborenen Sohn M. streitig.

Die 1966 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche sich seit 1990 in Bayern berechtigt aufhält, lebte in den ersten Lebensjahren mit ihrem Sohn, für den ihr die Personensorge zustand, und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog das Kind und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der AOK Bayern, R. , krankenversichert.

Für die Zeit vom 05.09.1993 bis 04.09.2005 erhielt sie Bundeserziehungsgeld (BErzg). Am 26.05.1994 (Eingangsstempel auf dem Antragsformular) stellte sie Antrag auf Familienbeihilfe. Dieser Antrag wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 04.08.1994 abgelehnt. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten. Ein Antrag auf LErzg ist in der Akte bis zum Jahr 2002 nicht ersichtlich. Ein am 18.03.2002 gestellter Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 30.04.2002 abgelehnt; der am 01.10.2002 erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 07.01.2003 als unzulässig verworfen.

Die Klägerin beantragte am 04.02.2003 die Überprüfung des ablehnenden Bescheides gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Der Beklagte lehnte den Antrag auf Rücknahme des Bescheides vom 30.04.2002 mit der Begründung ab, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999, C-262/96, könnten Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor dem Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das 1993 geborene Kind hätte spätestens am 04.03.1996 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne.

Mit dem gegen den ablehnenden Bescheid am 06.03.2003 erhobenen Widerspruch verwies die Klägerin auf das Urteil des BSG vom 29.01.2002 (SozR 3-6940 Art. 3 Nr. 2). In dieser Entscheidung sei einer Leistungsberechtigten LErzg für ein am 07.01.1991 geborenes Kind bewilligt worden. Das BSG habe dazu ausgeführt, dass der Ausschluss in Bayern lebender türkischer Staatsangehöriger vom Bezug des LErzg gegen das Diskriminierungsverbot des europäisch-türkischen Assoziationsrechts verstoße. Das Argument, Leistungen könnten erst nach dem 04.05.1999 erbracht werden, könne deswegen nicht zutreffend sein. Im Übrigen habe die Klägerin schon im sechsten Lebensmonat die Bewilligung von LErzg beantragt; der Antrag sei aber abgelehnt worden. Der Beklagte hielt seine Rechtsansicht aufrecht und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 11.08.2003 zurück.

Mit der am 09.09.2003 beim Sozialgericht (SG) Regensburg erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. In der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2005 trug die Klägerin vor, ihr Ehemann sei 5 bis 10 mal bei der Behörde gewesen und habe jedes Mal die Auskunft erhalten, dass Türken kein LErzg erhalten. Trotz dieser Auskunft habe er das entsprechende Formblatt ausgefüllt und abgegeben. Den späteren Antrag vom 26.05.1994 habe sie zugeschickt.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 07.04.2005 ab. Ein Anspruch auf LErzg bestehe seitens der Klägerin nicht. Zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates (ARB) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin aber nicht erfüllt. Die am 26.05.1994 beantragte Familienbeihilfe stelle im Verhältnis zum LErzg ein aliud dar; außerdem sei dieser Antrag vom Beklagten abgelehnt worden. Ein Antrag auf LErzg finde sich in der Verwaltungsakte des Beklagten nicht. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in der vorigen Stand nach § 27 SGB X wurden vom SG ebenso verneint wie die für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Mit der am 19.05.2005 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, in der Akte des Beklagten sei nur noch der Antrag auf Familienbeihilfe vorhanden, nicht aber der zunächst vom Ehemann der Klägerin nach 5 bis 10 Vorsprachen persönlich abgegebene Antrag auf LErzg. Es sei wohl empfohlen worden, Antrag auf Familienbeihilfe zu stellen. Der Antrag auf LErzg sei noch anhängig. Dies bedeute, dass die vom EuGH angenommene Ausnahme für eine Leistung vor 04.05.1999 gegeben sei. Der Ehemann der Klägerin habe wohl angenommen, dass der ursprüngliche Antrag auf LErzg nicht mehr relevant sei.

In einem am 01.09.2006 durchgeführten Erörterungs- und Beweistermin wurde der Ehemann der Klägerin als Zeuge gehört. Bezüglich seiner Aussage wird auf das Protokoll über seine Einvernahme verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 07.04.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 07.02.03 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.03 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für das Kind M. Landeserziehungsgeld zu gewähren.

Der Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und des Sozialgerichts Regensburg sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die mangels des Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 SGG grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege ergehen, da eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist und der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet hält (§ 153 Abs 4 SGG). Die Beteiligten wurden gehört und erklärten ihr Einverständnis.

Rechtsgrundlage für die Gewährung des bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl. 1989 S. 206)in der ab 01.07.1993 geltenden Fassung (Art. 9a BayLErzGG vom 26.07.1995, GVBl. 1995 S. 387, 388 ). Anspruch auf LErzg für sechs Monate hatte gemäß Art. 1 Abs. 1 BayLErzGG, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besaß (Nr. 5).

In der vorliegenden Streitsache erfüllte die Klägerin im Bewil- ligungszeitraum unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hatte nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1990 in Bayern, lebte im An- spruchszeitraum mit ihrem Sohn, für den ihr die Personensorge zustand, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreute und erzog das Kind selbst und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus.

Nicht erfüllt hatte die Klägerin aber die Voraussetzungen der Nr. 5 des Art. 1 LErzGG, worin der Anspruch auf LErzg von der Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften abhängig gemacht wurde.

Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen übergeordnetes europäi- sches Gemeinschaftsrecht. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, Az.: C-262/96 (SozR 3-6935 Allg Nr. 4) verbietet es Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 (ARB) einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen u.a. auf Familienleistungen nach Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses von anderen Voraussetzungen abhängig zu machen als für Staatsangehörige des Mitgliedstaates. Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 10.07.1997 das Bundeserziehungsgeld in Anwendung des Urteils des EuGH vom 10.10.1996 (Az.: C-245/94 und C-312/94) zur Familienleistung erklärt. Dem hat sich das BSG mit Urteil vom 29.01.2002 (SozR 3-6940 Art. 3 Nr. 2) für das Bayerische Landeserziehungsgeld angeschlossen.

Der Klägerin steht aber das beanspruchte Landeserziehungsgeld dennoch nicht zu, weil sie sich insoweit nicht auf das Diskri- minierungsverbot nach Art. 3 Abs. 1 ARB berufen kann. Nach der Sürül-Entscheidung des EuGH kann die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 ARB nämlich nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass dieses Urteils am 04.05.1999 geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Wie das Bundessozialgericht (u.a. Urteil vom 18.02.2004 SozR 4-6940 Art. 3 Nr. 1) darlegt, bezieht sich die im Urteil vom EuGH ausgesprochene zeitliche Beschränkung nicht nur auf Verfahren über Kindergeld, sondern auf alle Verfahren, in denen es, wie auch beim Landeserziehungsgeld, um die Geltendmachung von Sozialleistungsansprüchen geht, die auf eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 ARB gestützt werden. Ebenso wie die Hauptaussage des EuGH zur unmittelbaren Anwendbarkeit des assoziationsrechtlichen Diskriminierungsverbots ist auch die von ihm verfügte zeitliche Beschränkung, wie das Bundessozialgericht darlegt, verbindlich. An der Rechtmäßigkeit dieser "Neben"-Entscheidung bestehen laut BSG (a.a.O.) keine Zweifel. Voraussetzung für eine wie vom EuGH angenommene zeitliche Beschränkung ist es laut BSG (a.a.O.), dass Unklarheiten des anzuwendenden Rechts oder das Verhalten der Gemeinschaftsorgane einen Zustand der Rechtsunsicherheit geschaffen haben, der es nicht angemessen erscheinen lässt, in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse rückwirkend in Frage zu stellen (Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes). Darüber hinaus muss die Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen bestehen. Es ist nicht ersichtlich laut BSG, dass der EuGH in der Rechtssache Sürül diese Voraussetzungen zu Unrecht bejaht hat. Der EuGH hat dargelegt, dass sich aus seinem Urteil vom 10.09.1996, Az.: C-277/94, Ungewissheit über eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 ARB ergeben konnte. Unter diesen Umständen durften die Mitgliedstaaten davon ausgehen, sie könnten die Anpassung ihres innerstaatlichen Rechts bis zum Erlass entsprechender Umsetzungsakte zurückstellen. Daraus hat der EuGH den Schluss gezogen, dass abschließend geregelte Rechtsverhältnisse durch sein Urteil vom 04.05.1999 nicht wieder in Frage gestellt werden sollten. Überdies war zu berücksichtigen, dass die Frage, ob Erziehungsgeld eine Familienleistung im Sinne des Europarechts ist, erst durch das Urteil des EuGH vom 10.10.1996 geklärt wurde. Bei der Einschätzung der finanziellen Auswirkungen musste der EuGH schon aus Gründen der Gleichbehandlung alle Sozialleistungen in Betracht ziehen, die europaweit vom ARB erfasst werden.

Die vom EuGH angeordnete zeitliche Beschränkung hindert die Klägerin, ihre Ansprüche auf Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass des Urteils geltend zu machen. Die vom EuGH vor- gesehene Ausnahme für Betroffene, die "vor diesem Zeitpunkt ge- richtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben", kommt ihr nicht zugute. Nach der Begründung der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 soll diese Ausnahmeregelung verhindern, dass der Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, durch die verfügte zeitliche Beschränkung in nicht gerechtfer- tigter Weise eingeschränkt wird. Aus der Bezugnahme auf einen effektiven Rechtsschutz ergibt sich, dass mit den vom EuGH an- gesprochenen "Rechtsbehelfen" nur solche gemeint sind, die bei Erlass des Urteils vom 04.05.1999 noch rechtshängig, also offen waren. Denn bei abgeschlossenen Verfahren stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit des Rechtsschutzes von vornherein nicht. Als Rechtsbehelf sind in diesem Zusammenhang auch erstmalige Leistungsanträge zu verstehen, denn auch sie dienen der Gel- tendmachung von Rechten und unterbrechen z.B. die Verjährung von Ansprüchen (§ 45 Abs. 3 SGB I). Dabei stellt der EuGH nicht darauf ab, aus welchen Gründen entsprechende Anträge nicht ge- stellt oder nach abschlägigen Entscheidungen nicht weiterver- folgt worden sind.

Aus dem Urteil des BSG vom 29.01.2002 (a.a.O.) lässt sich nichts gegenteiliges herleiten. Es trifft zwar zu, dass in dem vom BSG entschiedenen Fall LErzG vom 04.05.1999 zugesprochen wurde; dies war aber darin begründet, dass in diesem Fall die von EuGH angenommene Ausnahme vorgelegen hatte. Der vor 04.05.1999 gestellte Antrag war noch offen, das Verfahren noch anhängig gewesen.

Zur Begründung des Anspruchs hätte die Klägerin laut BSG zwei Fristen einhalten müssen: Zum einen könnte sie sich auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 ARB nur dann berufen, wenn sie bereits vor dem Erlass des Sürül-Urteils vom 04.05.1999 einen auf Landeserziehungsgeld gerichteten Rechtsbehelf eingelegt hätte. Zum anderen ist zu beachten, dass LErzg gemäß Art. 3 Abs. 2 Bayerisches LErzGG in der Fassung 26.07.1995 rückwirkend höchstens für sechs Monate vor der schriftlichen Antragstellung zu gewähren ist.

Die Klägerin hat erst im März 2002 einen Antrag auf Landeserziehungsgeld für ihren Sohn M. gestellt und demnach die beiden genannten Fristen nicht eingehalten. Ein früherer Antrag ist nicht nachgewiesen.

In der Verwaltungsakte des Beklagten ist ein entsprechender Antrag nicht enthalten. Der am 26.05.1994 gestellte Antrag auf Familienbeihilfe betraf eine andere Leistung, die dem LErzg nicht gleichgestellt werden kann. Diese andere Leistung wurde von der Klägerin auch ausdrücklich gewählt. Der Antragsvordruck bezog sich sowohl auf das LErzg als auch auf die Familienbeihilfe, die alternativ gewählt werden konnte. Von der Klägerin war eindeutig "Familienbeihilfe" angekreuzt. Selbst wenn aber eine Gleichstellung der beiden Leistungen vorzunehmen wäre, könnte die Klägerin daraus keine Rechte herleiten, da der Antrag nicht mehr offen wäre. Er wurde nämlich vom Beklagten mit Bescheid vom 04.08.1994 abgelehnt, so dass auch dann die Voraussetzungen einer Leistung für die Zeit vor 04.05.1999 nicht gegeben wären.

Ein früherer, nicht verbeschiedener Antrag auf LErzg als vom 18.03.2002 ist auch durch die Angabe der Klägerin in der Verhandlung vor dem SG und die Aussage ihres Ehemannes als Zeuge nicht nachgewiesen. Der Nachweis erfordert, dass die behauptete Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht. Im Falle der Klägerin bestehen aber erhebliche Zweifel an einer Antragstellung sowie seiner Nichtverbescheidung. Diese sind bereits darin begründet, dass die Klägerin im Antragsvordruck angab, es sei für das Kind M. früher kein Antrag auf LErzg gestellt worden. Da sie dies aber auch hinsichtlich der Familienbeihilfe verneinte, die zweifellos beantragt war, kommt dieser Angabe allein keine entscheidende Bedeutung zu. Entscheidend ist jedoch, dass ihre Angabe und die Aussage ihres Ehemannes im Hinblick auf den gesamten Sachverhalt nicht glaubhaft erscheint. Laut Vorbringen der Klägerin hat ihr Ehemann fünf bis zehnmal in der Behörde vorgesprochen und dabei jedes Mal die Auskunft erhalten, türkischen Staatsangehörigen stehe LErzg nicht zu. Trotz dieser Auskunft habe er das entsprechende Formblatt ausgefüllt und abgegeben.

Dass der Ehemann eine solche Auskunft erhalten hat, ist sicher glaubhaft, da der Beklagte bis Januar 2002 einen Anspruch auf LErzg für türkische Staatsangehörige verneint hat. Nicht überzeugend ist jedoch, dass die Klägerin bei der genannten Intensität der Nachfrage nicht auf einem Bescheid der Beklagten bestanden haben sollte, dass sie sich wenigstens nach ihrem Antrag erkundigt hätte, dies um so mehr, als ihr im Zusammenhang mit dem Antrag auf Familienbeihilfe bekannt war, dass auch bei Unbegründetheit des Antrags eine schriftliche Entscheidung ergeht.

Hinzukommt, dass die Schilderung, die der Ehemann der Klägerin bei seiner Aussage als Zeuge über die Antragstellung im Rahmen einer Vorsprache im Amt und den weiteren Ablauf gegeben hat, nicht überzeugend ist. So schlüssig ist, dass er die Auskunft erhalten habe, ein Anspruch auf LErzg bestehe nicht, so wenig glaubhaft ist, dass die Bedienstete zunächst sich geweigert habe, den Antrag anzunehmen, dann aber bekundet habe, "sie werde sich nochmals bemühen, sie könne aber keine Garantie geben, dass die Klägerin Nachricht erhalte". Zwar mag bei einer persönlichen Antragstellung es geschehen sein, dass der Antragsteller nach unter Umständen nachdrücklicher Belehrung über die Aussichtslosigkeit den Antrag wieder mitgenommen oder sonst von der Antragstellung Abstand genommen hat. Dabei kann auch der Eindruck entstanden sein, der Antrag sei nicht angenommen worden. Dass aber eine Bedienstete den Antrag entgegen nimmt, erklärt, sie werde sich noch mal bemühen, sie könne aber keine Garantie geben, dass die Klägerin Nachricht erhalte, ist sehr unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass ein Antragsteller, der so nachhaltig auf der Antragstellung beharrt, sich mit der Entgegennahme des Antrags ohne weitere Folgen begnügt. Unterstrichen werden diese Zweifel dadurch, dass im Widerspruchsverfahren ausdrücklich vorgetragen worden ist, dass ein früher, ca. im sechsten Lebensmonat für das Kind M. gestellter Antrag auf LErzg - wie durch die Rechtsprechung nunmehr festgestellt, zu Unrecht - abgelehnt worden sei.

Bei dieser Sachlage sieht es der Senat nicht als nachgewiesen an, dass vor 04.05.1999 ein Antrag auf LErzg gestellt, aber nicht verbeschieden worden ist.

Auf die Regelung des § 27 SGB X kann die Klägerin sich zur Begründung ihres Anspruchs ebenfalls nicht stützen. Nach dessen Abs. 1 gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs. 3 SGB X nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Da die Klägerin den Antrag erst im März 2002 gestellt hat, kommt es darauf an, ob er die Antragstellung vor der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

Der Begriff der höheren Gewalt hat eine subjektive Komponente und ist nicht auf von außen kommende nicht beeinflussbare Ereignisse beschränkt (vgl. BSG a.a.O.). Höhere Gewalt ist jedes Geschehen, das auch durch die größstmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Als unabwendbar in diesem Sinn ist eine Fristversäumnis grundsätzlich auch dann anzusehen, wenn sie durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Beleh- rung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wird (BSG, a.a.O., m.w.N.).

Aus den Akten ist kein Hinweis ersichtlich, dass die Klägerin von dem Beklagten falsch beraten worden wäre. Aber selbst wenn die Klägerin wegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsansicht von der Antragstellung abgehalten worden wäre, hilft ihr das nicht weiter. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung dazu festgehalten, dass ein Hinweis der Behörde, ein entsprechender Antrag brauche nicht gestellt zu werden, weil kein Anspruch auf LErzg bestehe, die Annahme von höherer Gewalt nicht rechtfertige. Diese Information sei zwar im Licht der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (BSGE 89, 129) objektiv falsch gewesen, auch wenn sie der damaligen Rechtsprechung entsprochen habe. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liege auch dann vor, wenn der Versicherungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte. Entscheidend sei insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht. Das BSG weist aber ausdrücklich auf Folgendes hin: Zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der Information bedarf es jedoch der Berufung auf die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 ARB für einen Zeitraum vor Erlass der Sürül-Entscheidung des EuGH. Es greift hier somit die in diesem Urteil ausgesprochene zeitliche Beschränkung ein. Da nicht bewiesen ist, dass die Klägerin am 04.05.1999 ein offenes Verfahren über die Gewährung des Landeserziehungsgelds hatte, kann sie die objektive Unrichtigkeit der ihr zuteil gewordenen Beratung nicht zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags geltend machen.

Andere Umstände, die unter dem Gesichtspunkt einer höheren Gewalt eine Wiedereinsetzung ohne Rückgriff auf die unmittelbare Anwendung des Art. 3 Abs. 1 ARB begründen würden, sind bei der Klägerin nicht ersichtlich.

Auch auf grund des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht der Klägerin kein Landeserziehungsgeld für ihr Kind M. zu. Nach der Rspr. des BSG (Urteile vom 02.02.2006 Az.: B 10 EG 7/05 R u.a.) kann ein sog. Herstellungsanspruch neben dem Institut der Wiedereinsetzung herangezogen werden; es sind aber seine Voraussetzungen nicht erfüllt. Sein Tatbestand fordert das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Leistungsträger zuzurechnen ist, dadurch muss beim Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden eingetreten sein, schließlich muss durch Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre.

Wie das Bundessozialgericht darlegt (a.a.O.), kann wegen des Ausspruchs der zeitlichen Beschränkung in der Sürül-Entscheidung der Herstellungsanspruch wie auch der Wiedereinsetzungsantrag auf die objektiv fehlerhafte Beratung durch den Beklagten nicht gestützt werden. Ebenso wenig ist die Verletzung einer Pflicht des Beklagte anzunehmen, die Klägerin auf einen sich abzeichnenden Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bzw. entsprechende anhängige Verfahren hinzuweisen. Eine solche Hinweispflicht könnte allenfalls dann entstehen, wenn es aufgrund gravierender Umstände wahrscheinlich erscheint, dass ein Wandel in der Rechtsprechung eintreten wird. In der fraglichen Zeit konnte davon nicht gesprochen werden.

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die Entscheidung über die Kosten, § 193 SGG, ist darin begründet, dass die Klägerin mit ihrem Begehen nicht durchdringen kann.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved