L 4 KR 232/06 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 432/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 232/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger ab seiner Rückkehr nach Hause bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens 18,5 Stunden täglich Behandlungspflege nach Maßgabe der jeweiligen vertragsärztlichen Verordnungen zu erbringen.
II. Die Beklagte trägt drei Viertel der außergerichtlichen Kosten des Anordnungsverfahrens.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Behandlungspflege.

Der 2001 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an einer infantilen spinalen Muskelatrophie. Er ist steh- und gehunfähig und auf dauernde Beatmung angewiesen. Der behandelnde Arzt Dr.D. hat ab 14.06.2003 24 Stunden Behandlungspflege bei einem dauerbeatmeten Kind für ca. vier Wochen wegen Risikoschwangerschaft der Mutter verordnet, nachdem zuvor jeweils mindestens zwölf Stunden Behandlungspflege verordnet waren. Nachdem die Beklagte mit Bescheiden vom 02.07.2003 und 13.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2003 nur jeweils bis zu zwölf Stunden täglich zu Lasten der Kranken- und Pflegeversicherung zu einem Stundensatz von 31,00 EUR je Stunde genehmigt hatte, wurde Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Das Sozialgericht hat durch Dr.O. ein ärztliches Gutachten eingeholt. Nachdem der Gutachter auch nach Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2006 zu dem Ergebnis gekommen war, die Eltern des Klägers könnten auch nach entsprechender Schulung nicht vertretbar Pflegeleistungen wie stündliche Kontrolle der Vitalwerte und Atmungsparameter, Absaugen endotracheal, oral und nasal, Wechseln der Trachealkanüle einmal wöchentlich erbringen, stellte das Sozialgericht im Urteil vom 14.02.2006 fest, dass von der Beklagten und Beigeladenen Pflegesachleistungen als häusliche Pflege für eine Dauer von 24 Stunden täglich ab 14.06.2003 nach vertragsärztlicher Verordnung zu erbringen waren bzw. zu erbringen sind. Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Beigeladene am 13.06.2006 Berufung eingelegt.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat am 07.06.2006 mitgeteilt, der Kläger habe wegen der Weigerung der Beklagten, die notwendigen 24 Stunden häuslicher Behandlungspflege zu gewähren, auf die Intensivstation des Südklinikums N. eingeliefert werden müssen. Die Eltern des Klägers seien nicht in der Lage, die notwendige medizinische Betreuung zu leisten, der beauftragte Pflegedienst wiederum sei weder in der Lage noch verpflichtet, auf eigene Kosten eine über zehn Stunden häusliche Behandlungspflege hinausgehende Behandlungspflege zu erbringen. Am 14.08.2006 wurde der Kläger stationär in der Intensivpflegeklinik F. aufgenommen. Im Erörterungstermin am 30.08.2006 erklärten die Beteiligten übereinstimmend, dass nach wie vor 24 Stunden Behandlungspflege verordnet werde, die Beklagte jedoch nur 10,5 Stunden bewillige. Nach Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erklärte sich die Bevollmächtigte der Beklagten bereit, 18,5 Stunden pro Tag Behandlungspflege ab der Rückkehr des Klägers nach Hause zu erbringen. Der Bevollmächtigte des Klägers nahm nach Rücksprache mit den Eltern des Klägers dieses Angebot nicht an.

Er beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für den Kläger häusliche Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich zu Lasten der Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren und die Kosten bis zu 31,50 EUR je Stunde dem Kläger zu erstatten.

Auf die beigezogenen Akten des Sozialgerichts, der Beklagten und der Beigeladenen wird Bezug genommen.

II.

Gemäß § 86b Abs.2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben sind. Beide Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.2 ZPO).

Bei einer Regelungsanordnung, um die es hier geht, liegt der Anordnungsanspruch im materiellen Recht, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird. Der Anordnungsgrund besteht in der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung und ist im Fall des Klägers gegeben. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht voll-streckungsfähig. Es ist im Interesse des Klägers, zu Hause betreut und gepflegt zu werden. Diese sinnvolle Pflege scheitert wohl im Moment an einer fehlenden Kostensicherheit. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, hierzu die Entscheidung im Berufungsverfahren abzuwarten.

Es besteht auch ein Anordnungsanspruch. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R) und des vom Sozialgericht eingeholten Gutachtens geht der Senat davon aus, dass der Kläger, der rund um die Uhr der Beobachtung bedarf, grundsätzlich gegen die Beklagte Anspruch auf Behandlungspflege gemäß § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V 24 Stunden täglich entsprechend den jeweiligen vertragsärztlichen Verordnungen hat. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung gegen die Beigeladene nach dem SGB XI hat. Während der Erbringung der Leistungen der Grundpflege tritt die Behandlungspflege grundsätzlich in den Hintergrund, so dass insoweit nur die Leistungspflicht der Pflegekasse besteht. Bei einem Zeitbedarf der Grundpflege von 330 Minuten täglich verbleibt damit ein behandlungspflegerischer Zeitbedarf von 18,5 Stunden. Diese Leistung hat die Beklagte zu erbringen, bis im Berufungsverfahren überprüft ist, ob und weshalb sich die Eltern des Klägers an der Pflege, zu der sie früher wohl bereit und fähig waren, jetzt nicht mehr beteiligen können.

Die Kostenfolge ergibt sich aus entsprechender Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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