L 3 KA 511/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 39 KA 5331/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 KA 511/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.12.2002 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Gegenstandswert beträgt 806,00 EUR.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht die Mangelhaftigkeit einer prothetischen Versorgung der Patientin L. (L) sowie die Pflicht zur Erstattung des Kassenanteils festgestellt hat.

Der Kläger ist Vertragszahnarzt in M ...

Aufgrund des Heil- und Kostenplanes (HKP) vom 20.01.2000, der von der Beigeladenen zu 2) am 24.01.2000 genehmigt wurde, fertigte der Kläger für die Beigeladene zu 3) (L) eine prothetische Versorgung der Zähne 23 bis 26 (Brücke und Krone) an. Nachdem sich beim Einpassen der zahntechnischen Leistungen am 01.03.2000 herausstellte, dass die prothetische Versorgung zu hoch war, wurde der Zahnersatz noch einmal im Labor überarbeitet. Am 02.03.2000 zementierte der Kläger den Zahnersatz endgültig ein. L war zu diesem Zeitpunkt örtlich betäubt. Da L mit dem neuen Zahnersatz im 2. Quadranten Probleme hatte, beschliff der Kläger am 06.03.2000 den Gegenzahn 35. Weitere Maßnahmen sind im Krankenblatt nicht vermerkt.

Daraufhin wandte sich L an die Beigeladene zu 2) und reichte einen neuen HKP der Dres. K. und S. vom 12.04.2000 ein. Zugleich teilte sie mit Schreiben vom gleichen Tag mit, dass sie das Vertrauen zum Kläger restlos verloren habe und die Praxis nicht mehr betreten würde. Auf Veranlassung der Beigeladenen zu 2) erstellte Dr. V. am 22.04.2000 nach Untersuchung der L am 18.04.2000 ein Gutachten. Er stellte fest, dass die ausgeführten prothetischen Leistungen nicht frei von Fehlern und Mängeln waren. Die Untersuchung habe gezeigt, dass im Bereich der Zähne 23 bis 26 eine Nonokklusion von ca. 0,5 mm bestehe. Dieser Okklusionsmangel könne relativ einfach durch Aufbrennen von Keramikmaterial behoben werden, wenn es gelänge, die Restaurationen zerstörungsfrei zu entfernen. Ansonsten müsse die Versorgung erneuert werden.

Mit Schreiben vom 11.05.2000 leitete die Beigeladene zu 2) das Verfahren vor dem Prothetikausschuss ein und teilte mit, dass das Vertrauensverhältnis der L zum Kläger zerstört sei. In diesem Verfahren bestätigten die Dres. K. und S. die nahezu fehlenden Kontakte an der neuen Brücke 23 bis 25 sowie der Einzelkrone 26. Der Kläger teilte mit, dass L am 02.03.2000 ein gutes Gefühl gehabt habe und er deshalb den Zahnersatz mit ihrer Zustimmung einzementiert habe. Am 06.03.2000 sei eine kleine Okklusionskorrektur am Gegenzahn 35 durchgeführt worden. Seither hätte er von L nichts mehr gehört, sie habe sogar den Eigenanteil überwiesen. Er sei bereit, den relativ einfach behebbaren Okklusionsmangel zu beseitigen. Selbst wenn bei der Abnahme der Restauration das Metallgerüst Schaden nähme, würde er die Versorgung erneuern. Er bestehe auf seinem Recht zur Nachbesserung. Der Prüfungsausschuss entschied in seiner Sitzung am 19.07.2000 nach Untersuchung der L, dass die Mängelrüge anerkannt wird. Die Kosten für die Brücke 23 bis 25 und die Krone 26 seien vom Kläger ebenso wie die Kosten der Begutachtung (1.577,46 DM) zu erstatten. Die klinische Untersuchung der L durch die zahnärztlichen Mitglieder bestätigte die Infraokklusion der verfahrensgegenständlichen Brücke und Krone im linken Oberkiefer. Eine Nachbesserung sei zwar wie im Gutachten beschrieben möglich, aber unter den angegebenen Umständen der L nicht zumutbar. Hiergegen legte der Kläger am 17.09.2000 Widerspruch ein. Der Zahnersatz sei fest einzementiert worden, da ausweislich der Karteikarte keinerlei Komplikationen vorlagen und von L keine Beschwerden geäußert worden seien. Es sei in Erwägung zu ziehen, dass von einem anderen Arzt weitere Einschleifmaßnahmen durchgeführt worden seien. Er wies erneut auf seine Bereitschaft zur Nachbesserung hin. Die Patientin habe zudem eine Mitwirkungspflicht, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Eine Nachbesserung sei zumutbar, die Beigeladene zu 2) hätte auf eine Nachbesserung hinwirken müssen. In der Sitzung am 03.11.2000 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und erkannte die Mängelrüge der Beigeladenen zu 2) an. Die Kosten für die Brücke 23 bis 25 und die Krone 26 seien vom Kläger zurückzuerstatten, ebenso die Kosten der Begutachtung. Eine erneute Untersuchung der Beigeladenen sei nicht zwingend notwendig gewesen. Die Nonokklusion sei belegt. Der eingegliederte Zahnersatz sei in der Form funktionsuntauglich und nur durch eine Neuanfertigung zu ersetzen. Dass die eingegliederte Restauration unbeschädigt abgenommen werden könne, insbesondere im Hinblick auf das Grundgerüst, sei reine Spekulation.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 20.12.2000 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 03.11.2000 hinsichtlich der prothetischen Versorgung der Patientin H. L. aufzuheben und die Mängelrüge der Beigeladenen zu 2) zurückzuweisen. Ein Verschulden des Klägers sei nicht feststellbar. Außerdem sei eine Nachbesserung möglich. Der Beklagte hätte ohne Untersuchung der L nicht feststellen dürfen, dass eine Nachbesserung nicht mehr möglich sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13.12.2002 zurückgewiesen und zur Begründung auf den Bescheid des Beklagten verwiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 03.04.2003 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, dass eine Nachbesserung durchaus möglich gewe- sen wäre und ein Verschulden nicht vorliege. Die Herstellung der Okklusion sei eines der schwierigsten Probleme bei der Anfertigung größerer Zahnersatzstücke. Nach der Eingliederung im Mund des Patienten sei der Arzt auf exakte Angaben des Patienten zur Überprüfung angewiesen. Toleranzen im Bereich von Tausenstelmillimetern seien für den Behandler objektiv nicht verifizierbar. Deshalb spiele die subjektive Wahrnehmung des Patienten eine große Rolle. Die Herstellung einer für den Patienten als akzeptabel empfundenen Okklusion sei nur im Wege mehrmaliger Anpassung und Korrektur möglich. Ein fehlender Bisskontakt sei dann nicht vom Kläger zu vertreten, wenn auch andere vom Behandler nicht herbeigeführte Ursachen in Betracht kämen. Außerdem hat der Kläger bestritten, dass eine weitere Behand- lung bzw. eine Neuanfertigung des Zahnersatzes durch ihn der L nicht zumutbar gewesen sei. L hat am 18.05.2003 darauf hingewiesen, dass sie nach der Eingliederung des Zahnersatzes starke Schmerzen gehabt habe und deshalb am 06.03. und am 07.03. (Faschingsdienstag) zur Nachbesserung beim Kläger war. Die Beigeladene zu 1) hat in der Stellungnahme vom 11.08.2003 dargelegt, dass in der Zahnmedizin anerkannt sei, dass aufgrund der Wirkung des Schmerzmittels u.a. auf die im betroffenen Bereich befindliche Muskulatur eine Bissnahme zur Überprüfung der Okklusion bei bestehender lokaler Betäubung nur beschränkt aussagekräftig sei. Der Kläger habe deshalb die an der Prothetik festgestellten Mängel zu vertreten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.12.2002 sowie den Bescheid des Beklagten vom 03.11.2000 aufzuheben.

Der Beigeladene zu 1) beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.12.2002 zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) schließt sich diesem Antrag an.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten bei- der Instanzen sowie die beigezogenen Akten des Beklagten ver- wiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.12.2002, ebenso wenig wie auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 03.11.2000.

Zutreffend hat das SG festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 3.11.2000 formell und materiell rechtmäßig ist.

Der Beklagte war nach § 4 der Anlage 12 zum Bundesmantelvertrag für Zahnärzte (BMVZ) berechtigt, den Regress wegen des Prothetikmangels festzustellen. Da die bayerischen Gesamtvertragspartner für den Primärkassenbereich - also auch für die Beigeladene zu 2) - bisher keine Regelung getroffen haben - die in § 11 Gesamtvertrag Zahnärzte (GVZ) vorgesehene Anlage 4b zum Prothetik-Einigungsverfahren wurde bisher nicht erlassen -, greift § 4 Abs. 2 Satz 2 der Anlage 12 zum BMVZ ein, so dass die Vorschriften des BMVZ und der Verfahrensordnung bzw. der Prüfvereinbarung (Anl. 4a zum GVZ) entsprechend anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 27.06.2001, B 6 KA 60/00 R).

Voraussetzung eines Regresses ist, dass der Zahnersatz mangelhaft ist und dass der Vertragsarzt diesen Mangel zu vertreten hat. Außerdem muss eine Nachbesserung unmöglich oder für den betroffenen Patienten - im vorliegenden Fall L - unzumutbar sein.

Die Mangelhaftigkeit der prothetischen Versorgung im Bereich der Zähne 23 bis 26 steht zur Überzeugung des Senates aufgrund der Feststellungen des Gutachters Dr. V. bzw. der Ausführungen der Dres. K. und S. im Schreiben vom 26.05.2000 fest. Im Bereich der neuen Brücke auf den Zähnen 23 bis 25 sowie der Einzelkrone 26 fehlte nahezu jeder Kontakt mit dem Unterkiefer. Diese Nonokklusion betrug ca. 0,5 mm. Der Zahnersatz entsprach demnach nicht den Regeln der zahnärztlichen Kunst (§ 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch - SGB V). Dieser Mangel wurde von klägerischer Seite auch eingeräumt, da ein Anspruch der L auf Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bereits gegenüber dem Gutachter Dr. V. und nachfolgend während des gesamten Verfahrens anerkannt wurde.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat dieser den Mangel auch zu vertreten. Zunächst kann ausgeschlossen werden, dass die Zähne der L nach der Eingliederung und der Nachbesserung am 06. und 07.03.2000 von einem anderen Behandler abgeschliffen wurden. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Dres. K. und S. im Schreiben vom 26.03.2000, sie hätten bis zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Behandlungsmaßnahmen vorgenommen, unrichtig wären. Die Behauptung des Klägers ist so vage, dass der Senat von einer reinen Schutzbehauptung ausgeht.

Im Übrigen hat der Kläger schuldhaft gehandelt. Er hat fahrlässig, d.h. unter Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs.2 BGB) gegen die Regeln der zahnärztlichen Kunst verstoßen. Wie der Kläger zutreffend darstellt, ist die Herstellung einer guten Okklusion eines der schwierigsten Probleme bei der Erstellung von Zahnersatz. Um so mehr verwundert es, dass der Kläger am 02.03.2000 die Okklusion prüfte, nachdem er die L lokal betäubt hatte. Weil am Vortag, dem 01.03.2000, ein zu hoher Biss vorlag, erfolgten im Labor entsprechende Korrekturmaßnahmen. Am 02.03.2000 wurde also die überarbeitete Prothetik erstmalig im Mund der L angepasst. Zu diesem Zeitpunkt wäre der Kläger also in besonderem Maße auf die Mitarbeit der L angewiesen gewesen. Er verließ sich trotzdem auf die von L unter lokaler Betäubung gemachten Angaben und zementierte die prothetische Versorgung endgültig fest. Dies hätte er jedoch erst nach einer Überprüfung der Okklusion ohne Lokalanästhesie machen dürfen. Dabei weist der fachkundig besetzte Senat vor allem darauf hin, dass eine zu geringe Bisshöhe und die entsprechende Nonokklusion vor der endgültigen Befestigung des Zahnersatzes durchaus leicht zu beheben sind, indem erneut Keramikmaterial auf den Zahnersatz aufgebrannt wird. Der Kläger hat also trotz unzureichender Überprüfung der Okklusion den Zahnersatz fest eingesetzt. Dieses Verhalten ist fahrlässig, da es die notwendige Sorgfalt und die Regeln der zahnärztlichen Kunst missachtete. Durch das voreilige Festzementieren machte der Kläger die Herstellung einer Okklusion bei L unmöglich, da der Zahnersatz nicht mehr unbeschädigt entfernt werden konnte.

Nach Auffassung des Senats war der Mangel auch vermeidbar. Die Einlassung des Klägers, dass bei L bereits vor der Behandlung eine latente, unbewusste Okklusionsstörung bestand, überzeugt nicht. Sollte vor der Neuversorgung eine Okklusionsstörung bestanden haben, so wäre es Aufgabe einer sachgerechten zahnärztlichen Versorgung nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst gewesen, nunmehr eine entsprechende Okklusion herzustellen. Auch die Einlassung, das Kausystem sei stark irritiert gewesen, so dass die Bisslage nicht konkret ermittelt werden konnte, schließt ein Vertretenmüssen des Mangels durch den Kläger nicht aus. Ihm hätte als erfahrenem Zahnarzt durchaus bekannt sein müssen, dass die dauerhafte Herstellung der Okklusion ein gewisses Abwarten voraussetzt. Auch dieser Gesichtspunkt spricht gegen ein sofortiges, festes Einsetzen des Zahnersatzes.

Außerdem war nach Auffassung des sachkundig mit einem Zahnarzt besetzten Senates eine Nachbesserung der Nonokklusion nach der Eingliederung mit festem Zement ausgeschlossen, wie der Beklagte zutreffend ausführte. Die Nachbesserung hätte vorausgesetzt, dass der endgültig eingesetzte Zahnersatz ohne Beschädigung hätte herausgenommen werden können. Dies war jedoch nach dem endgültigen Zementieren des Zahnersatzes nicht mehr möglich, so dass eine zusätzliche Keramikschicht zur Erhöhung der Bisslage nicht mehr aufgebrannt werden konnte. Soweit der Gutachter Dr. V. und der Prothetikausschuss davon ausgingen, dass eine Nachbesserung möglich sei, falls es gelänge, den angefertigten und eingesetzten Zahnersatz ohne Beschädigung zu entfernen, folgt dem der Senat nicht. Diese Äußerungen sind aus zahnmedizinischer Sicht nicht nachvollziehbar, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat.

Da die vom Kläger angefertigte Prothetik wegen der Nonokklusion vollständig unbrauchbar und eine Nachbesserung nicht möglich war, konnte sich L entsprechend § 628 Abs. 2 BGB vom Dienstvertrag lösen. Sie hatte einen wichtigen Grund zur Kündigung (vgl. BSG-Urteil vom 16.01.1991, 6 RKa 25/89, SozR 3-555 § 12 Nr. 2).

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.12.2002 ist unbegründet und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved