L 17 U 75/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 270/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 75/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.01.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) Nr 2301 nach der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) streitig.

Der 56-jährige Kläger ist gelernter Steinmetz. Ab August 1963 war er in diesem Beruf tätig, seit September 1988 als selbstständiger Steinmetz bis 01.07.2002. Von der Versicherung ist er seit 01.07.1992 befreit.

Der Kläger nahm alle anfallenden Steinmetzarbeiten wahr, dabei auch Tätigkeiten mit Presslufthammer, Flex, Schleiftrennmaschine, Rüttelbock. Der Lärm durch Maschinen war nach seinen Angaben erheblich. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten wertete in seiner Arbeitsplatz-Lärmanalyse vom 15.01.2003 die Geräuschbelastung anfangs mit über 85, ab August 1988 mit über 90 dB (A). Aus technischer Sicht habe mit größter Wahrscheinlichkeit ein grenzender Gehörgefährdungsschaden vorgelegen.

Die Beklagte holte eine Auskunft über die Krankheiten des Klägers von der AOK Mittelfranken vom 25.10.2002, einen Befundbericht des Hörgeräteakustikers H. und W. vom 21.11.2002, weitere Befundeberichte des HNO-Arztes Dr.E. vom 08.08.2002/22.11.2002 und einen Arztbericht des Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Berichtwesen A. vom 06.05.2003 ein. Sodann erstellte der HNO-Arzt Dr.H. ein Gutachten am 22.05.2003. Er stellte bei dem Kläger beidseitig eine kombinierte Schwerhörigkeit fest. Der Hörschaden im Hochtonbereich könne als lärmverursacht gelten. Dagegen zeige sich im Tieftonbereich eine lärmuntypische pantonale Schwerhörigkeit in einem Ausmaß, die keineswegs durch Lärm verursacht sein könne. Der zusätzliche Schall-Leitungsanteil sowohl rechts als auch links sei eindeutig lärmunabhängig durch entzündliche Prozesse entstanden. Selbst bei Annahme einer Lärmschädigung im Hochtonbereich sei davon auszugehen, dass die wesentliche Hörstörung durch entzündliche Prozesse der beiden Ohren einschließlich eines Zustandes nach Operation links lärmunabhängig bestanden habe. Unabhängig von der Ursache werde die MdE aufgrund der beidseits kombinierten Schwerhörigkeit auf 50 % geschätzt.

Nach Stellungnahme des Gewerbeaufsichtsamtes N. (Dr.S.) vom 27.06.2003 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.07.2003 die Anerkennung einer BK Nr 2301 sowie die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 25.09.2003).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und beantragt, festzustellen, dass bei dem Kläger eine beruflich verursachte Hörstörung im Sinne einer BK nach Nr 2301 BKV vorliege. Er hat vorgetragen, dass die Schwerhörigkeit ausschließlich aufgrund der Lärmschädigung bei der Berufsausübung als Steinmetzmeister entstanden sei. Erst seit 1993 sei in Steinmetzbetrieben Schallschutz eingeführt worden.

Die Beklagte hat ein Gutachten des Prof.Dr.J. vom 12.03.2004/ 12.07.2004 veranlasst. Dieser hat die Lärmexposition als Teilursache der bestehenden Innenohrschwerhörigkeit nicht ausgeschlossen. Er ist von einer BK nach Nr 2301 der Anlage zur BKV ausgegangen. Aufgrund der komplexen Situation mit beiderseitigen Schall-Leitungsstörungen sowie fehlender Beurteilbarkeit des Beginns der chronischen Veränderung auf dem rechten Ohr hat er eine MdE von unter 20 vH empfohlen.

Die Beklagte hat erwidert, dass nach den Vorgaben des Königsteiner Merkblattes eine lärmverursachte Hörstörung nicht wahrscheinlich gemacht werden könne. Allein der Nachweis einer langjährigen, nicht unerheblichen Lärmeinwirkung lasse eine entsprechende Beurteilung nicht zu. Dass die stattgehabte Lärmexposition als Teilursache der Innenohrschwerhörigkeit nicht auszuschließen sei, reiche für die Anerkennung einer - auch nur anteilig lärmbedingten - Hörstörung nicht aus. Vielmehr müsse ein Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung rechtlich wesentlich sein. Unter Hinweis auf eine Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr.S. vom 11.01.2005 hat die Beklagte weiter ausgeführt, dass alleiniges - nicht hinreichendes - Argument für eine berufsbedingte Hörstörung der positive Nachweis einer entsprechenden Exposition sei. Die Befundlage spreche jedoch gegen eine berufliche Verursachung. Sowohl audiometrischer Kurvenverlauf als auch die Ergebnisse der überschwelligen Tests seien untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit. Die vorliegende Hörstörung sei daher überwiegend lärmfremd verursacht worden. Mangels eindeutiger Abgrenzbarkeit eines möglicherweise auch vorliegenden lärmverursachten Anteils sei die gesamte Schwerhörigkeit als lärmfremd zu werten.

Mit Urteil vom 18.01.2005 hat das SG Nürnberg festgestellt, dass bei dem Kläger eine beruflich bedingte Hörstörung iS der BK Nr 2301 der BKV vorliege.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, dass alleiniges Argument für eine berufsbedingte Hörstörung der positive Nachweis einer entsprechenden Exposition sei. Sie hat auf die HNO-Stellungnahme nach Aktenlage des Dr.N. vom 01.04.2005 verwiesen, der ausführte, dass der Umfang der Lärmbelastung allein nicht unmittelbar eine Lärmschwerhörigkeit begründen könne. Da aus früheren Jahren keine Hörprüfungen vorliegen, könne der Umfang des während der Lärmbelastung eingetretenen Hörschadens nicht mehr festgestellt werden. Der gesamte vorliegende Hörschaden könne auch durch lärmunabhängige chronische Mittelohreiterung, Ohroperation, Mittelohrerguss mit Änderung, Schleimhautveränderungen im Nasen-Rachenraum verursacht worden sein. Es lägen auch keinerlei Hinweise auf einen typischen Befund der chronischen Lärmschwerhörigkeit vor. Eine Abgrenzung der lärmunabhängigen von den berufsbedingten Ursachen sei schwierig. Jedenfalls sei die Lärmexposition als Teilursache der Innenohrschwerhörigkeit entgegen der Auffassung des Prof.Dr.I. keine geeignete Begründung für die Annahme einer wesentlichen Bedingung.

Der Senat hat die ärztlichen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken, die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. , eine Auskunft über die Erkrankungen des Klägers von der AOK Mittelfranken vom 06.07.2005 sowie einen Befundbericht des Internisten Dr.M. vom 23.05.2005 zum Verfahren beigezogen. Sodann hat Dr.D. am 22.03.2006 ein HNO-ärztliches Gutachten erstellt. Er hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die jetzigen Ergebnisse der überschwelligen Tests weder eine wesentliche Lärmschwerhörigkeit beweisen noch ausschließen könnten. Es liege unumstritten eine überwiegend lärmfremde Schwerhörigkeit vor.

Die Beklagte hat hierzu Stellung genommen und dargelegt, unumstritten liege eine von allen Gutachtern übereinstimmend festgestellte überwiegend lärmfremde Schwerhörigkeit auf beiden Ohren vor. Diese sei nicht nur vermutet worden, sondern auch nachgewiesen. Zwar sei auch eine tonaudiometrische Innenohrschwerhörigkeit während der Berufstätigkeit bis zum Jahr 2000 entstanden. Da der berufsbedingte Hörschaden von der lärmfremden Schwerhörigkeit bis zum Ende der Berufstätigkeit jedoch nicht sicher abgegrenzt werden könne, müsse nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip der gesamte Hörschaden als lärmfremd eingestuft werden. Die berufliche Schwerhörigkeit stelle eindeutig nicht die wesentliche Bedingung dar.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 18.01.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 16.07.2003 idF des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2003 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 18.01.2005 zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2006 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter in der Sache als Einzelrichter entscheidet.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung N. und die Rentenakte der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 18.01.2005, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die Berufung ist nach § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus den Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen.

Ergänzend ist auszuführen, dass die vom Berichterstatter vorgenommene weitere Sachaufklärung keine Anhaltspunkte erbracht hat, mit denen das Begehren der Beklagten eindeutig zu begründen wäre. Auszugehen ist weiterhin davon, dass das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen aufgrund einer über Jahre dauernden Einwirkung eines Beurteilungspegels von mindestens 85 dB (A) auf den Versicherten zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Für die Feststellung einer Lärmschwerhörigkeit sind - wie Prof.Dr.I. überzeugend ausführte - frühere HNO-ärztliche Untersuchungsergebnisse und audiometrische Untersuchungen von Bedeutung. Obwohl derartige Ergebnisse nicht auffindbar sind, hat Prof.Dr.I. doch überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass die Lärmexposition Teilursache der bestehenden Innenohrschwerhörigkeit ist. Es habe ein beträchtliches Ausmaß einer beruflichen Lärmeinwirkung bestanden. Diese Feststellungen werden im Gutachten des Dr.D. vom 23.03.2006 nicht ausgeschlossen. Für eine Lärmschwerhörigkeit spricht bei ihm nämlich, dass der Kläger mehrere Jahrzehnte bei einem extrem hohen Beurteilungspegel tätig war. Die Hörminderung sei auch glaubhaft während der Berufstätigkeit im Lärm aufgetreten. Dies ist zumindest durch das Tonaudiogramm vom November 1996 belegt. Der Kläger hat auch nie Gehörschutz benutzt. Hinzuweisen ist noch auf den recruitment-positiven Langenbeck-Test beidseits im Jahr 2006. Auch wenn überwiegend eine lärmfremde Schwerhörigkeit vorliege, müsse dennoch bei durchschnittlich empfindlichen Ohren eine Schädigung im Hochtonbereich eingetreten sein. So lassen die Ergebnisse der überschwelligen Tests eine wesentliche Lärmschwerhörigkeit nicht ausschließen.

Die Berufung ist daher als unbegründet zurückzuweisen. Der Berichterstatter konnte im Einverständnis mit den Beteiligten anstelle des Senats entscheiden (§ 155 Abs 3, 4 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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