Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 267/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 377/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.11.2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit (BK) streitig.
Die 1942 geborene Klägerin war in der Zeit vom 01.04.1986 bis 04.1987 als Datentypistin im Grundbuchamt des Amtsgerichts R. beschäftigt. Auf diese Tätigkeit führt sie eine Hauterkrankung zurück. Sie wurde beim Hautarzt Dr.F. seit 1987 behandelt, dessen am 15.10.1987 durchgeführte Epicutantestung eine positive Reaktion unter anderem auch auf Formaldehyd erbrachte. Vom Staatlichen Gesundheitsamt mitgeteilte Raumluftmessergebnisse im Grundbuchamt des Amtsgerichts R. vom 17.11.1987 ergaben eine Formaldehydbelastung von 0,1 ppm und vom 29.12.1987 von 0,05 ppm.
Die Beklagte lehnte nach Einholung eines Gutachtens des Dr.M. (Klinikum N.) vom 23.02.1989, der eine Formaldehydallergie nicht feststellen konnte, denn Pricktestung und RAST auf Formaldehyd waren ebenso wie Epicutantestung negativ und einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr.S. (Bayer. Landesinstitut für Arbeitsmedizin) vom 03.04.1989, die Anerkennung der bei der Klägerin bestehenden Hauterkrankung als BK ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) holte dieses ein Gutachten des Dr.D. (Toxcenter M.) vom 15.10.1993/24.01.1994 ein. Er war der Auffassung, dass die Hauterkrankung der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit auf die Tätigkeit beim Amtsgericht R. zurückzuführen sei. Gegen das die Klage abweisende Urteil des SG vom 05.07.1994 legte die Klägerin Berufung ein. Nachdem im Berufungsverfahren ein Messergebnis der Raumluftmessung vom 26.10.1987 mit 0,4 ppm für Zimmer 204 im Justizneubau des Amtsgerichts R. vorgelegt worden war, erklärte sich die Beklagte am 13.11.1995 bereit, zu überprüfen, ob bei der Klägerin eine BK vorliegt unter Zugrundelegung des bei der Klägerin insgesamt vorliegenden Krankheitsbildes.
In Ausführung des Vergleiches holte die Beklagte ein Gutachten des Prof.Dr.N. (Klinikum Innenstadt M.) vom 15.11.1999/09.10.2000 ein. Er führte aus, bei der Klägerin habe keine Formaldehydintoxikation bestanden und keine IgE-Sensibilisierung gegen Formaldehyd. Es bestehe der Verdacht auf eine ideopathische umweltbezogene Unverträglichkeit, die nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine kurzzeitige Formaldehydexposition zurückzuführen sei. Die Auffassung des Dr.D. stünde in eklatantem Gegensatz zur internationalen Literatur und sei unhaltbar. Der Gewerbearzt Dr.B. stimmte dieser Auffassung zu.
Mit Bescheid vom 25.04.2001 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen gemäß § 551 Abs.1 und Abs.2 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab. Zwischen dem Beschwerdebild und der angeschuldigten erhöhten Formaldehydexposition bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2001 zurück.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum SG erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das Hautleiden als BK nach der Nr.5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und entsprechend zu entschädigen. Das SG hat Gutachten des Dipl.Chemikers Prof.Dr.W. (Universität U.) gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 18.12.2002 und des Prof.Dr.H. vom 29.08.2003 eingeholt. Prof.Dr.W. hat dargelegt, dass die durchführten Raumluftmessungen am 26.10.1987 unzureichend gewesen seien und die toxikologische Bewertung erheblich erschwerten. Es spreche jedoch einiges dafür, dass in den ersten Monate nach Bezug des Neubaus der Innenraumrichtwert für Formaldehyd von 0,1 ppm zumindest teilweise deutlich überschritten gewesen sei. Eine akute oder chronische Formaldehydintoxikation habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Prof.Dr.H. hat eine beruflich bedingte Erkrankung der Klägerin verneint. Bei ihr sei ein endogenes Ekzem und ein Multiple Cemikal Syndrom (MCS) diagnostiziert worden. Das gesamte Krankheitsbild sei in jeder Hinsicht unspezifisch und könne keinesfalls im Sinne einer Intoxikation gedeutet werden. Die Anwendung des § 551 Abs.2 RVO komme wegen fehlender Erkenntnisse nicht in Betracht.
Mit Urteil vom 19.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und eine Stellungnahme des Prof.Dr.W. vom 19.05.2004 vorgelegt. Der Senat hat Gutachten des Prof.Dr.S. (Universitätsklinikum U.) vom 30.07.2004 gemäß § 109 SGG und von Prof.Dr.L. (Universitätsklinikum R.) vom 12.07.2005/07.01.2006 eingeholt. Prof.Dr.S. hat ausgeführt, die Klägerin leide mit der Grundkonstellation einer leichten Atopie und einigen bestätigten Allergien an Erscheinungen der Haut und an Reaktionen des Nerven- und Kreislaufsystems, deren Zuordnung zunächst unklar sei. Ihr Zustand könne als MCS-Syndrom benannt werden. Ob überdurchschnittlich mit Formaldehyd belastete neue Büroräume Ursache seien, wisse man nicht. Prof.Dr.L. hat ausgeführt, es liege keine beruflich bedingte Hauterkrankung vor. Die vorliegenden Typ IV Sensibilisierungen seien nicht berufsrelevant und wahrscheinlich außerberuflich erworben. Insbesondere sei im Epicutantest keine Typ IV Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd nachweisbar. Diese Tatsache werde auch durch den negativen RAST Formaldehyd gestützt. Es liege ein konstitutionell bedingtes atopisches Ekzem vor, dessen klinisches Erscheinungsbild stark von äußeren Einflüssen abhänge. Die Klägerin legte Stellungnahmen des Hautarztes Dr.F. vom 12.10.2005 und 23.03.2006 vor, wonach die Formaldehydbelastung auch im Sinne einer möglichen Intoxikation zu einer nachhaltigen Veränderung der immunologischen Reaktionslage geführt habe, in deren Gefolge sich neue Allergien entwickeln konnten.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 19.11.2003 und des Bescheides vom 25.04.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2001 zu verurteilen, das Hautleiden als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.11.2003 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Akten des SG Regensburg S 4 U 340/89 und des BayLSG L 2 U 238/94 hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Hauterkrankung als BK und auf die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß §§ 551 Abs.1 und 2, 580 RVO i.V.m. Nr.5101 der Anlage zur BKV. Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sie Verletztenrente auch für die Zeit vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) zum 01.01.1997 begehrt (Art.36 UVEG, §§ 212, 214 Abs.2 SGB VII).
Nach § 551 Abs.1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs.1 Satz 1 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Feststellung einer BK erfordert den vollen Nachweis der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen sowie eine Erkrankung, die wesentlich ursächlich auf die belastende versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden kann. Für diesen Kausalzusammenhang genügt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Der Kausalzusammenhang ist dann hinreichend wahrscheinlich, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann (BSGE 32, 203). Davon ist auszugehen, wenn mehr Gründe für als gegen einen entsprechenden Zusammenhang sprechen und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Nach Auffassung des Senats ist bei der Klägerin eine Hautkrankheit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch eine Formaldehydexposition an ihrem Arbeitsplatz im Justizneubau des Grundbuchamtes des Amtsgerichtes R. , die von ihr angeschuldigt wird, wesentlich verursacht worden. Eine BK Nr.5101, die schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, betrifft, liegt nicht vor.
Es ist schon nicht nachgewiesen, ob und in welcher Höhe die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Datentypistin im Neubau des Grundbuchamtes Schadstoffeinwirkungen durch Formaldehyd ausgesetzt gewesen war, die nach gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nach Art und Intensität geeignet waren, dauerhafte Gesundheitsschäden in Form einer Hauterkrankung zu bewirken. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Gutachten des Toxikologen Dipl.Chemiker Prof.Dr.W ... Dieses zu Unrecht nach § 109 SGG eingeholte Gutachten - nach § 109 SGG kann nur ein Arzt gehört werden (Meyer-Ladewig, Kommentar SGG, 8. Auflage, § 109 Anm.5) wird vom Senat verwertet. Aus ihm ergibt sich, dass das Messergebnis vom 26.10.1987, wonach im Zimmer 204 0,4 ppm gemessen wurden, ungenau ist. Messungen mit Hilfe der sog. Drägerröhrchen - wie vorliegend erfolgt - sind Vorprüfverfahren, die keine Aussage über die Höhe einer FA-Exposition, die mit einem längeren Aufenthalt in Innenräumen verbunden ist, erbringen. Insbesondere die Tatsache, dass nicht dokumentiert ist, wann die Räume vor der Probenahme zuletzt gelüftet wurden, macht eine fundierte Bewertung der Messwerte nahezu unmöglich. Auch fand die erste Messung erst drei Monate nach Bezug des neuen Gebäudes statt und ist somit nicht repräsentativ für die anfängliche Formaldehydbelastung. Wie Prof.Dr.W. ausführt, sei nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass zumindest zeitweise der Innenraumrichtwert überschritten worden war. Das Auftreten von Reizerscheinungen der Schleimhäute der Augen und der oberen Atemwege sei plausibel. Das vielschichtige polysymptomatische Krankheitsbild der Klägerin stehe nicht in Übereinstimmung mit der in der Fachliteratur vielfach dokumentierten Symptomatik von Formaldehydexpositionen unterschiedlichen Ausmaßes. Hinzu kommt, dass die Messung vom 26.10.1987 erst nach Aufgabe der Tätigkeit der Klägerin im Justizneubau erfolgt ist und die übrigen Messungen erst weit nach ihrem Ausscheiden erfolgten.
Damit ist auch nach Auffassung des Senats nicht erwiesen, ob und in welchem Umfang die Klägerin der Einwirkung von Formaldehyd in der Zeit ihrer Tätigkeit im Justizneubau des Grundbuchamtes R. ausgesetzt gewesen ist.
Selbst wenn aber von einer relevanten Formaldehydbelastung der Klägerin ausgegangen wird, so ist der notwendige Zusammenhang zwischen der Belastung und dem Gesundheitsschaden nicht wahrscheinlich. Der Senat kommt bei Auswertung der vorliegenden Gutachten des Prof.Dr.S. und des Prof.Dr.L. zu der Überzeugung, dass bei der Klägerin ein konstitutionell bedingtes atopisches Ekzem bestand und auf diesem Boden ein allergisches Kontaktekzem durch die Einwirkung von Formaldehyd nicht entstanden ist. Voraussetzung wäre eine Sensibilisierung gegen das Kontaktallergen Formaldehyd. Bis auf den behandelnden Hautarzt Dr.F. im Jahr 1987 hat kein Sachverständiger eine derartige Sensibilisierung nachweisen können. Schon bei Dr.M. im Januar 1989 waren Prickhauttestung, RAST und Epicutantestung auf Formaldehyd negativ. Auch Prof.Dr.N. konnte eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd nicht bestätigen, ebenso wenig wie Prof.Dr.L ... Auch hier waren Epicutantest und RAST negativ. Eine Reihe von Typ IV Sensibilisierungen waren jedoch feststellbar wie Benzocain, Paraben-Mix, Kaliumdichromad, Duftstoffmix, 4,4-Diaminodiphenylmethan, Benzoylperoxid, Tolubalsam, 4-Aminoazobenzol, Isoeugenol und Cocamidopropylbetain. Es ist davon auzugehen, dass diese Sensibilisierungen außerberuflich erworben wurden, denn im Arbeitsumfeld der Klägerin hatten sie keine Bedeutung. Nachdem im zeitlichen Zusammenhang mit der angeschuldigten Formaldehydbelastung keine Streureaktionen aufgetreten sind, spricht außer dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung der Hautveränderungen und beruflichen Tätigkeiten nichts für das Vorliegen eines allergischen Kontaktekzems, sondern nur für das Vorliegen eines atopischen Ekzems. Damit steht fest, dass mehr gegen die Annahme einer beruflich erworbenen Hauterkrankung als dafür spricht. In diesem Fall aber ist - wie oben ausgeführt - der berufliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich. Die Ausführungen des Dr.F. im Schreiben vom 12.10.2005 und 23.03.2006 stellen spekulativ vorgetragene Meinungen dar und sind für die Entscheidung des Rechtsstreits unbehelflich.
Da durch die versicherte Tätigkeit eine Krankheit bei der Klägerin nicht verursacht worden ist, stellt sich nicht die Frage, ob das Hautleiden der Klägerin "wie eine Berufskrankheit" nach § 551 Abs.2 RVO zu entschädigen ist.
Die Berufung war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung einer Hautkrankheit als Berufskrankheit (BK) streitig.
Die 1942 geborene Klägerin war in der Zeit vom 01.04.1986 bis 04.1987 als Datentypistin im Grundbuchamt des Amtsgerichts R. beschäftigt. Auf diese Tätigkeit führt sie eine Hauterkrankung zurück. Sie wurde beim Hautarzt Dr.F. seit 1987 behandelt, dessen am 15.10.1987 durchgeführte Epicutantestung eine positive Reaktion unter anderem auch auf Formaldehyd erbrachte. Vom Staatlichen Gesundheitsamt mitgeteilte Raumluftmessergebnisse im Grundbuchamt des Amtsgerichts R. vom 17.11.1987 ergaben eine Formaldehydbelastung von 0,1 ppm und vom 29.12.1987 von 0,05 ppm.
Die Beklagte lehnte nach Einholung eines Gutachtens des Dr.M. (Klinikum N.) vom 23.02.1989, der eine Formaldehydallergie nicht feststellen konnte, denn Pricktestung und RAST auf Formaldehyd waren ebenso wie Epicutantestung negativ und einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr.S. (Bayer. Landesinstitut für Arbeitsmedizin) vom 03.04.1989, die Anerkennung der bei der Klägerin bestehenden Hauterkrankung als BK ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) holte dieses ein Gutachten des Dr.D. (Toxcenter M.) vom 15.10.1993/24.01.1994 ein. Er war der Auffassung, dass die Hauterkrankung der Klägerin mit Wahrscheinlichkeit auf die Tätigkeit beim Amtsgericht R. zurückzuführen sei. Gegen das die Klage abweisende Urteil des SG vom 05.07.1994 legte die Klägerin Berufung ein. Nachdem im Berufungsverfahren ein Messergebnis der Raumluftmessung vom 26.10.1987 mit 0,4 ppm für Zimmer 204 im Justizneubau des Amtsgerichts R. vorgelegt worden war, erklärte sich die Beklagte am 13.11.1995 bereit, zu überprüfen, ob bei der Klägerin eine BK vorliegt unter Zugrundelegung des bei der Klägerin insgesamt vorliegenden Krankheitsbildes.
In Ausführung des Vergleiches holte die Beklagte ein Gutachten des Prof.Dr.N. (Klinikum Innenstadt M.) vom 15.11.1999/09.10.2000 ein. Er führte aus, bei der Klägerin habe keine Formaldehydintoxikation bestanden und keine IgE-Sensibilisierung gegen Formaldehyd. Es bestehe der Verdacht auf eine ideopathische umweltbezogene Unverträglichkeit, die nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine kurzzeitige Formaldehydexposition zurückzuführen sei. Die Auffassung des Dr.D. stünde in eklatantem Gegensatz zur internationalen Literatur und sei unhaltbar. Der Gewerbearzt Dr.B. stimmte dieser Auffassung zu.
Mit Bescheid vom 25.04.2001 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen gemäß § 551 Abs.1 und Abs.2 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab. Zwischen dem Beschwerdebild und der angeschuldigten erhöhten Formaldehydexposition bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2001 zurück.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum SG erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das Hautleiden als BK nach der Nr.5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen und entsprechend zu entschädigen. Das SG hat Gutachten des Dipl.Chemikers Prof.Dr.W. (Universität U.) gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 18.12.2002 und des Prof.Dr.H. vom 29.08.2003 eingeholt. Prof.Dr.W. hat dargelegt, dass die durchführten Raumluftmessungen am 26.10.1987 unzureichend gewesen seien und die toxikologische Bewertung erheblich erschwerten. Es spreche jedoch einiges dafür, dass in den ersten Monate nach Bezug des Neubaus der Innenraumrichtwert für Formaldehyd von 0,1 ppm zumindest teilweise deutlich überschritten gewesen sei. Eine akute oder chronische Formaldehydintoxikation habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Prof.Dr.H. hat eine beruflich bedingte Erkrankung der Klägerin verneint. Bei ihr sei ein endogenes Ekzem und ein Multiple Cemikal Syndrom (MCS) diagnostiziert worden. Das gesamte Krankheitsbild sei in jeder Hinsicht unspezifisch und könne keinesfalls im Sinne einer Intoxikation gedeutet werden. Die Anwendung des § 551 Abs.2 RVO komme wegen fehlender Erkenntnisse nicht in Betracht.
Mit Urteil vom 19.11.2003 hat das SG die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und eine Stellungnahme des Prof.Dr.W. vom 19.05.2004 vorgelegt. Der Senat hat Gutachten des Prof.Dr.S. (Universitätsklinikum U.) vom 30.07.2004 gemäß § 109 SGG und von Prof.Dr.L. (Universitätsklinikum R.) vom 12.07.2005/07.01.2006 eingeholt. Prof.Dr.S. hat ausgeführt, die Klägerin leide mit der Grundkonstellation einer leichten Atopie und einigen bestätigten Allergien an Erscheinungen der Haut und an Reaktionen des Nerven- und Kreislaufsystems, deren Zuordnung zunächst unklar sei. Ihr Zustand könne als MCS-Syndrom benannt werden. Ob überdurchschnittlich mit Formaldehyd belastete neue Büroräume Ursache seien, wisse man nicht. Prof.Dr.L. hat ausgeführt, es liege keine beruflich bedingte Hauterkrankung vor. Die vorliegenden Typ IV Sensibilisierungen seien nicht berufsrelevant und wahrscheinlich außerberuflich erworben. Insbesondere sei im Epicutantest keine Typ IV Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd nachweisbar. Diese Tatsache werde auch durch den negativen RAST Formaldehyd gestützt. Es liege ein konstitutionell bedingtes atopisches Ekzem vor, dessen klinisches Erscheinungsbild stark von äußeren Einflüssen abhänge. Die Klägerin legte Stellungnahmen des Hautarztes Dr.F. vom 12.10.2005 und 23.03.2006 vor, wonach die Formaldehydbelastung auch im Sinne einer möglichen Intoxikation zu einer nachhaltigen Veränderung der immunologischen Reaktionslage geführt habe, in deren Gefolge sich neue Allergien entwickeln konnten.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 19.11.2003 und des Bescheides vom 25.04.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2001 zu verurteilen, das Hautleiden als Berufskrankheit anzuerkennen und zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.11.2003 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Akten des SG Regensburg S 4 U 340/89 und des BayLSG L 2 U 238/94 hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Hauterkrankung als BK und auf die Gewährung einer Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß §§ 551 Abs.1 und 2, 580 RVO i.V.m. Nr.5101 der Anlage zur BKV. Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sie Verletztenrente auch für die Zeit vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) zum 01.01.1997 begehrt (Art.36 UVEG, §§ 212, 214 Abs.2 SGB VII).
Nach § 551 Abs.1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs.1 Satz 1 RVO Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die Feststellung einer BK erfordert den vollen Nachweis der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen sowie eine Erkrankung, die wesentlich ursächlich auf die belastende versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden kann. Für diesen Kausalzusammenhang genügt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Der Kausalzusammenhang ist dann hinreichend wahrscheinlich, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf eine Entscheidung gestützt werden kann (BSGE 32, 203). Davon ist auszugehen, wenn mehr Gründe für als gegen einen entsprechenden Zusammenhang sprechen und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.
Nach Auffassung des Senats ist bei der Klägerin eine Hautkrankheit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch eine Formaldehydexposition an ihrem Arbeitsplatz im Justizneubau des Grundbuchamtes des Amtsgerichtes R. , die von ihr angeschuldigt wird, wesentlich verursacht worden. Eine BK Nr.5101, die schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, betrifft, liegt nicht vor.
Es ist schon nicht nachgewiesen, ob und in welcher Höhe die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Datentypistin im Neubau des Grundbuchamtes Schadstoffeinwirkungen durch Formaldehyd ausgesetzt gewesen war, die nach gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen nach Art und Intensität geeignet waren, dauerhafte Gesundheitsschäden in Form einer Hauterkrankung zu bewirken. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Gutachten des Toxikologen Dipl.Chemiker Prof.Dr.W ... Dieses zu Unrecht nach § 109 SGG eingeholte Gutachten - nach § 109 SGG kann nur ein Arzt gehört werden (Meyer-Ladewig, Kommentar SGG, 8. Auflage, § 109 Anm.5) wird vom Senat verwertet. Aus ihm ergibt sich, dass das Messergebnis vom 26.10.1987, wonach im Zimmer 204 0,4 ppm gemessen wurden, ungenau ist. Messungen mit Hilfe der sog. Drägerröhrchen - wie vorliegend erfolgt - sind Vorprüfverfahren, die keine Aussage über die Höhe einer FA-Exposition, die mit einem längeren Aufenthalt in Innenräumen verbunden ist, erbringen. Insbesondere die Tatsache, dass nicht dokumentiert ist, wann die Räume vor der Probenahme zuletzt gelüftet wurden, macht eine fundierte Bewertung der Messwerte nahezu unmöglich. Auch fand die erste Messung erst drei Monate nach Bezug des neuen Gebäudes statt und ist somit nicht repräsentativ für die anfängliche Formaldehydbelastung. Wie Prof.Dr.W. ausführt, sei nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass zumindest zeitweise der Innenraumrichtwert überschritten worden war. Das Auftreten von Reizerscheinungen der Schleimhäute der Augen und der oberen Atemwege sei plausibel. Das vielschichtige polysymptomatische Krankheitsbild der Klägerin stehe nicht in Übereinstimmung mit der in der Fachliteratur vielfach dokumentierten Symptomatik von Formaldehydexpositionen unterschiedlichen Ausmaßes. Hinzu kommt, dass die Messung vom 26.10.1987 erst nach Aufgabe der Tätigkeit der Klägerin im Justizneubau erfolgt ist und die übrigen Messungen erst weit nach ihrem Ausscheiden erfolgten.
Damit ist auch nach Auffassung des Senats nicht erwiesen, ob und in welchem Umfang die Klägerin der Einwirkung von Formaldehyd in der Zeit ihrer Tätigkeit im Justizneubau des Grundbuchamtes R. ausgesetzt gewesen ist.
Selbst wenn aber von einer relevanten Formaldehydbelastung der Klägerin ausgegangen wird, so ist der notwendige Zusammenhang zwischen der Belastung und dem Gesundheitsschaden nicht wahrscheinlich. Der Senat kommt bei Auswertung der vorliegenden Gutachten des Prof.Dr.S. und des Prof.Dr.L. zu der Überzeugung, dass bei der Klägerin ein konstitutionell bedingtes atopisches Ekzem bestand und auf diesem Boden ein allergisches Kontaktekzem durch die Einwirkung von Formaldehyd nicht entstanden ist. Voraussetzung wäre eine Sensibilisierung gegen das Kontaktallergen Formaldehyd. Bis auf den behandelnden Hautarzt Dr.F. im Jahr 1987 hat kein Sachverständiger eine derartige Sensibilisierung nachweisen können. Schon bei Dr.M. im Januar 1989 waren Prickhauttestung, RAST und Epicutantestung auf Formaldehyd negativ. Auch Prof.Dr.N. konnte eine Sensibilisierung gegenüber Formaldehyd nicht bestätigen, ebenso wenig wie Prof.Dr.L ... Auch hier waren Epicutantest und RAST negativ. Eine Reihe von Typ IV Sensibilisierungen waren jedoch feststellbar wie Benzocain, Paraben-Mix, Kaliumdichromad, Duftstoffmix, 4,4-Diaminodiphenylmethan, Benzoylperoxid, Tolubalsam, 4-Aminoazobenzol, Isoeugenol und Cocamidopropylbetain. Es ist davon auzugehen, dass diese Sensibilisierungen außerberuflich erworben wurden, denn im Arbeitsumfeld der Klägerin hatten sie keine Bedeutung. Nachdem im zeitlichen Zusammenhang mit der angeschuldigten Formaldehydbelastung keine Streureaktionen aufgetreten sind, spricht außer dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entstehung der Hautveränderungen und beruflichen Tätigkeiten nichts für das Vorliegen eines allergischen Kontaktekzems, sondern nur für das Vorliegen eines atopischen Ekzems. Damit steht fest, dass mehr gegen die Annahme einer beruflich erworbenen Hauterkrankung als dafür spricht. In diesem Fall aber ist - wie oben ausgeführt - der berufliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich. Die Ausführungen des Dr.F. im Schreiben vom 12.10.2005 und 23.03.2006 stellen spekulativ vorgetragene Meinungen dar und sind für die Entscheidung des Rechtsstreits unbehelflich.
Da durch die versicherte Tätigkeit eine Krankheit bei der Klägerin nicht verursacht worden ist, stellt sich nicht die Frage, ob das Hautleiden der Klägerin "wie eine Berufskrankheit" nach § 551 Abs.2 RVO zu entschädigen ist.
Die Berufung war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.
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