L 2 U 368/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 58/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 368/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 4/06 BH
Datum
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1935 geborene Kläger war als Hauer beschäftigt. Er hatte am 30. Oktober 1978 beim Hochheben eines größeren Bergebrockens einen Schmerz in der Kreuzbeingegend verspürt. Nach dem Bericht der Unfallklinik D. vom 31. Oktober 1978 bestand ein Muskelschmerz paravertebral zur Lendenwirbelsäule (LWS) beidseits. Die Röntgenaufnahme der LWS zeigte keinen sicheren Anhalt für eine frische, knöcherne Verletzung. Unfallunabhängig bestünde eine ausgeprägte Spondylarthrose der LWS. Ein Arbeitsunfall läge nicht vor.

Vom 17. November 1978 bis 3. Januar 1979 wurde der Kläger wegen eines ausgetretenen Bandscheibenprolapses im Segment L4/L5 links stationär behandelt. Gemäß dem Operationsbericht vom 14. Dezember 1978 fand sich degeneratives Bandscheibenmaterial. Nach dem Bericht der Klinik vom 10. Januar 1979 handelte es sich histologisch um degenerative Bandscheibenveränderungen. Die Behandlung erfolgte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.

Im Rahmen eines Verfahrens zum Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) lag der Beklagten u.a. eine arbeitsmedizinische Stellungnahme des Dr. W. vom 9. Mai 2000 vor. Danach ergab die Auswertung der Röntgenaufnahmen der LWS vom 12. Februar 2000 ein ausgeprägtes Degenerationsbild sämtlicher LWS-Segmente. Mit Bescheid vom 28. Februar 2001 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass einer Berufskrankheit ab, sicherte jedoch zu, in einem gesonderten Verfahren zu prüfen, ob die Rückenbeschwerden auf das Unfallereignis vom 30. Oktober 1978 zurückzuführen sind.

Der Beklagten lag ein Leistungsauszug der Krankenkasse für die Jahre 1972 bis 1989 vor. In dieser sind Erkrankungen wegen Lumbago bzw. Ischialgie bereits 1973, 1974 sowie im Mai/Juni 1978 vermerkt.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. E. A. ein. Im Gutachten vom 10. Dezember 2002 stellte der Sachverständige eine Versteifung der LWS, eine Einklemmung des Diskus L4/L5 mit leichter Spondylolisthesis sowie eine isolierte Arthrose bei L4/L5 fest. In Anbetracht des Alters des Klägers, des langen Bestehens der Läsionen, die durch eine Arthrose nur verschlimmert werden könnten, und der Schwere der Symptomatik sei von einem Invaliditätsgrad von 40 v.H. auszugehen.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Ereignisses vom 30. Oktober 1978 ab. Die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen seien nicht durch das Ereignis vom 30. Oktober 1978, sondern anlagebedingt als Folgen degenerativer Veränderungen der Bandscheiben im Segment L4/L5 wesentlich verursacht worden. Die Tätigkeit sei lediglich der Auslöser und damit nicht die wesentliche Bedingung im rechtlichen Sinne gewesen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2004 zurück.

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren holte das Sozialgericht München ein Gutachten des Orthopäden Dr. G. nach Aktenlage ein, der am 20. Mai 2004 einen Zustand nach subligamentärem Bandscheibenprolaps im Lendenwirbelkörper (LWK) 4/5 linksseitig mit Nervenwurzelirritation L5 linksseitig ohne neurologisches Defizit sowie einen Zustand nach operativer Versorgung vom 14. Dezember 1978 mit Entfernung des Bandscheibenvorfalls im betroffenen Segment diagnostizierte. Insgesamt gelangte er zu dem Ergebnis, dass sich durch ein bloßes Anheben von Gegenständen, auch von hohem Gewicht, kein Bandscheibenvorfall ereignen könne. Es hätten nachweislich erhebliche degenerative Veränderungen, vor allem im Bereich der Wirbelgelenke mit beschriebener ausgeprägter Spondylarthrose der LWS, bestanden, die bereits im Bericht der Unfallklinik D. vom 31. Oktober 1978 beschrieben worden seien. Eine solche Spondylarthrose entwickele sich regelhaft begleitend bei degenerativen Bandscheibenveränderungen. Auch operativ sowie gemäß dem histologischen Befund habe sich degenerativ verändertes Bandscheibenmaterial gefunden. Insgesamt handele es sich um eine schicksalshafte, anlagebedingte Degeneration der unteren Segmente der LWS. Durch das angeschuldigte Ereignis sei es lediglich zu einer Muskelverspannung paravertebral der LWS gekommen. Arbeitsunfähigkeit habe für längstens vier bis sechs Wochen bestanden. Die Muskelzerrungen seien ausgeheilt. Eine MdE über die 26. Woche hinaus bestehe nicht.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 21. September 2004 führte Dr. G. aus, die von dem behandelnden Arzt Dr. B. erhobenen aktuellen Befunde zeigten ebenfalls nur Zeichen einer chronisch rezidivierenden Lumbalgie bei den bekannten degenerativen Veränderungen mit wahrscheinlich im Wesentlichen alten neurologischen Störungen. Traumatisch bedingte Folgeschäden aus dem Jahr 1978 seien der Befundung nicht zu entnehmen.

Mit Urteil vom 26. Juli 2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Arbeitsunfall und Bewilligung einer Verletztenrente. Zur Begründung bezog sich das Sozialgericht weitgehend auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. G ... Jedenfalls könne das Heben nicht als rechtlich wesentliches äußeres Ereignis angesehen werden, da die beim Kläger vorhandene Schadensanlage als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Bandscheibenvorfalls anzusehen sei. Eine Fraktur des Wirbelkörpers sei nicht aufgetreten. Die Mechanik sei nicht geeignet gewesen, den Bandscheibenvorfall herbeizuführen. Es habe auch nicht Beschwerdefreiheit bzw. -armut vor dem Unfall vorgelegen.

Mit der Berufung begehrt der Kläger weiterhin die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. Mit Schreiben vom 1. März 2006 hat der Senat die Beteiligten auf die Möglichkeit und Absicht hingewiesen, ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Sie haben sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

Einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2006 abgelehnt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 26. Juli 2005 sowie des Bescheides der Beklagten vom 10. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 2004 zu verurteilen, das Ereignis vom 30. Oktober 1978 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Juli 2005 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber unbegründet.

Der Senat hält die Berufung einstimmig nicht für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Er wies die Beteiligten auf diese Auffassung hin. Der Senat konnte daher durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden.

Das Ereignis fand bereits am 30. Oktober 1978 statt. Da jedoch eine Leistung nach dem am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) erstmals festzusetzen ist, kommen nach § 214 Abs. 3 S. 1 SGB VII die Vorschriften des SGB VII und nicht die der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Anwendung.

Streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 SGB VII, der vom Kläger in dem Ereignis vom 30. Oktober 1978 gesehen wird. Dabei geht es dem Kläger darum, den am 14. Dezember 1978 operierten Bandscheibenvorfall im Segment L4/L5 links als Unfallfolge anerkannt zu erhalten, so dass sich daraus ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII ergeben könnte.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit, § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Ein Unfall stellt gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis dar, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Die Definition des Unfalls dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden auf Grund von inneren Ursachen sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Sie besagt nicht, dass es eines äußerlich sichtbaren Geschehens oder Vorgangs bedarf. Es genügt auch, wenn durch eine der versicherten Tätigkeit zuzurechnende außergewöhnliche Kraftanstrengung, wie hier das Anheben eines schweren Gesteinbrockens, ein Vorgang im Körperinneren ausgelöst wird, der die gesundheitliche Schädigung bewirkt (BSG, Urteil v. 12. April 2005, Az.: B 2 U 27/04 R).

Allerdings liegt kein versicherter Arbeitsunfall vor, da es an einer wesentlichen Mitursache des Unfallereignisses für den Bandscheibenprolaps im Segment L4/L5 links im Sinne der haftungsbegründenden Kausalität fehlt. Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und dem Erstschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte.

Zur Abgrenzung eines degenerativ bedingten Bandscheibenvorfalls von einem traumatischen Bandscheibenvorfall ist anerkannt, dass bestimmte Kriterien vorliegen müssen (zum Ganzen: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 529 ff). Das Unfallereignis muss, auch im Ablauf seiner Mechanik, schwer genug gewesen sein, um Rissbildungen in der Bandscheibe zu verursachen, im Anschluss an den Unfall müssen schmerzhafte Funktionsstörungen an der LWS aufgetreten sein und es muss eine Beschwerdefreiheit, zumindest eine Beschwerdearmut vor dem Unfall bestanden haben.

Zutreffend verweist das Sozialgericht in der Urteilsbegründung auf das Gutachten sowie die ergänzende Stellungnahme des Dr. G ... Danach fehlt es an Beschwerdefreiheit bzw. Beschwerdearmut vor dem Unfall und die Unfallmechanik war nicht geeignet, einen darartigen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Entscheidend ist, dass eine anlagebedingte Degeneration der unteren Segmente der LWS durch bildgebende Verfahren, durch den Operationsbericht sowie den histologischen Befund belegt sind. Ferner ergibt sich aus dem Bericht der Unfallklinik D. vom 31. Oktober 1978, dass zwar ein Muskelschmerz paravertebral zur LWS beidseits bestand, unfallunabhängig jedoch eine ausgeprägte Spondylarthrose der LWS diagnostiziert wurde. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls wurde deshalb verneint.

Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird entsprechend § 153 Abs. 2 SGG abgesehen, da die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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