L 9 AL 117/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 370/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 117/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 4. März 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung und Erstattung überzahlter Leistungen.

Der 1974 geborene Kläger meldet sich nach Tätigkeiten als Gartenarbeiter, Hilfsarbeiter in einem Fachzentrum für Raumausstattung, Produktionshelfer, Aushilfsarbeiter bei der Firma K. , Busfahrer bei einem Touristikunternehmen, Aushilfsarbeiter bei der Firma Messebau S. am 11.06.2001 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Das Arbeitsamt bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 07.08.2001 ab 11.06.2001 Arbeitslosengeld (Alg) für 180 Tage in Höhe von wöchentlich 280,84 DM unter Zugrundelegung eines gerundeten Bemessungsentgelts (BE) von 580,00 DM (ungerundet: 580,93 DM) in Leistungsgruppe A/1.

Nach Erschöpfung des Anspruchs auf Alg bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger mit Bescheid vom 15.02.2002 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi) für den Bewilligungsabschnit vom 08.12.2001 bis 07.12.2002, ab 08.12.2001 in Höhe von wöchentlich 238,91 DM weiterhin unter Zugrundelegung eines BE von gerundet 580,00 DM.

Sowohl anlässlich seines Antrags auf Alg wie anlässlich seines Antrags auf Anschluss-Alhi hatte der Kläger das aktuelle Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und unterschriftlich bestätigt, von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Zahlungsanweisung vom 18.02.2002 überwies das Arbeitsamt dem Kläger den ihm für die Zeit vom 08.12.2001 bis 31.12.2001 zustehenden Gesamtbetrag von insgesamt 819,12 DM.

Mit Bescheid vom 18.02.2002 bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger Alhi für den Restzeitraum des Bewilligungsabschnitts vom 01.01.2002 bis 07.12.2002 in Euro und nach Maßgabe der ab 01.01.2002 geltenden Leistungsentgeltverordnung. Dabei führte das Arbeitsamt das bisherige BE von 580,00 DM (ungerundet 580,93 DM) in Euro fort, was in Leistungsgruppe A/1 zum 01.01.2002 einen wöchentlichen Leistungssatz von 196,91 EUR ergab.

Ab 09.09.2002 nahm der Kläger an einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulung zum Tischler teil, die sich bis zum 31.08.2004 erstrecken sollte. Dementsprechend bewilligte das Arbeitsamt dem Kläger unter gleichzeitiger Aufhebung der Alhi-Bewilligung ab diesem Zeitpunkt mit Bescheid vom 23.08.2002 ab 09.09.2002 Unterhaltsgeld (Uhg). Dies weiterhin unter Zugrundelegung eines gerundeten BE von 580,00 EUR, was nach Maßgabe der Leistungsentgeltverordnung 2002 in A/1 ein Uhg von wöchentlich 230,37 EUR ergab.

Mit Bescheid vom 04.12.2002 setzte das Arbeitsamt das laufende Uhg ab 01.12.2002 unter Zugrundelegung eines BE von gerundet nur mehr 295,00 EUR (ungerundet: 297,02 EUR) auf wöchentlich nur mehr 153,15 EUR herab.

Zugleich wandte sich das Arbeitsamt mit Schreiben vom 03.12.2002 an den Kläger. Bei den Zahlungen ab 01.01.2002 seien versehentlich die der Leistung zugrunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM-Beträgen in Euro-Beträge umgerechnet worden. So habe er vom 01.01.2002 bis 08.09.2002 eine wöchentliche Alhi in Höhe von 196,91 EUR statt der ihm zustehenden Alhi von 121,23 EUR sowie vom 09.09.2002 bis 30.11.2002 ein wöchentlliches Uhg in Höhe von 230,37 EUR statt des ihm zustehenden Uhg von 143,15 EUR erhalten. Er habe die Überzahlung zwar nicht verursacht, hätte jedoch an den ihm ausgezahlten Beträgen leicht erkennen können, dass ihm Leistungen in dieser Höhe nicht zustünden. Ihm werde Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, welche Gründe aus seiner Sicht einer Aufhebung der Leistungsbewilligung und eventuellen Erstattung entgegenstünden.

Der Kläger nahm hierzu mit Schreiben vom 13.12.2002 Stellung. Er habe den ihm mitgeteilten Berechnungsfehler anhand der ihm zugegangenen Bewilligungsbescheide nicht erkennen können. Bei einer Umrechnung der Zahlbeträge von DM in Euro hätte sich bei der Alhi nämlich ein Zahlbetrag von lediglich 100,68 EUR sowie beim Uhg von 117,79 EUR wöchentlich ergeben. Er sei guten Glaubens gewesen, dass die Zahlungen seitens der Bundesagentur rechtens seien und keine Fehler enthielten. Er habe die erhaltenen Leistungen für seinen Lebensunterhalt verbraucht und sei nicht in der Lage, für die Rückzahlung aufzukommen.

Mit Bescheid vom 14.02.2003 nahm das Arbeitsamt "die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und Unterhaltsgeld für die Zeit vom 01.01.2002 bis 30.11.2002 teilweise in Höhe von 75,18 EUR bzw. 87,22 EUR wöchentlich zurück". Der Kläger könne keinen Vertrauensschutz beanspruchen, da er mit einfachsten und ganz naheliegenden Überlegungen habe erkennen können, dass ihm die bewilligten Leistungen in dieser Höhe nicht zustünden. Sofern er die ihm ausgehändigten Merkblätter für Arbeitslose nicht gelesen habe, sei ihm dies zur Last zu legen. Infolgedessen müsse er die ihm im Zeitraum vom 01.01.2002 bis 30.11.2002 zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 3.729,92 EUR erstatten.

Vertreten durch Rechtsanwalt S. aus U. erhob der Kläger Widerspruch. Der Kläger, so sein Verfahrensbevollmächtigter, berufe sich zu Recht darauf, dass der Berechnungsfehler nicht offensichtlich gewesen sei. Bei der Neufestsetzung habe für ihn keine Klarheit bestanden, da die umgerechneten Euro-Beträge nicht den ursprünglichen DM-Beträgen entsprochen hätten, so dass er davon ausgegangen sei, dass die Neufestsetzung der Leistung auf eine Kürzung zurückzuführen sei. Unklarheit sei auch deshalb entstanden, da der Kläger zunächst Alhi und dann innerhalb eines kurzen Zeitraums Uhg, eine damit nicht vergleichbare Leistung, erhalten habe. Unter diesen Umständen sei für den Leistungsempfänger keine Transparenz mehr gegeben, so dass ihm als fachlich Unkundigen nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, dass er die Bescheide nicht nachvollziehen könne, zumal der Fachbehörde ihrerseits mehrere Rechenfehler unterlaufen seien.

Das Arbeitsamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2003 als unbegründet zurück. Dabei unterschied es nunmehr zwischen der Überzahlung von Alhi im Zeitraum vom 01.01.2002 bis 08.09.2002 in Höhe von 2.695,74 EUR und der Überzahlung von Uhg im Zeitraum vom 09.09.2002 bis 30.11.2002 in Höhe von 1.034,18 EUR, zusammen 3.729,92 EUR. Der Widerspruchsführer habe schon bei einem Vergleich mit der vorangegangenen Höhe des Alg bis 07.12.2001 und der Alhi ab 08.12.2001 sowie aufgrund der Fortführung des wöchentlichen BE von 580,00 DM auch im Jahr 2002 in Euro erkennen müssen, dass ihm die ihm ab 01.01.2002 bewilligte Alhi und das ab 09.09.2002 bewilligte Uhg in dieser Höhe nicht zustünden. Daher könne er keinen Vertrauensschutz genießen. Die Bewilligung der Alhi wie auch die Bewilligung des Uhg hätten nach den §§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X i.V.m. § 330 Abs.2 SGB III teilweise zurückgenommen werden müssen. Die zu Unrecht gewährten Leistungen müssten nach § 50 Abs.1 SGB X erstattet werden.

Dagegen hat der Kläger, weiterhin vertreten durch Rechtsanwalt S. aus U., Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. Dem Kläger sei, so der Klägerbevollmächtigte, auf keinen Fall grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Es müsse berücksichtigt werden, dass der der Beklagten unterlaufene Berechnungsfehler nicht im Endbetrag, sondern in der Bemessungsgrundlage gelegen habe, mit welcher sich ein Leistungsempfänger nicht unbedingt befasse. So sei für den Kläger nach eigenen Angaben ein Fehler deshalb nicht ersichtlich gewesem, weil die umgestellten Leistungen im Endbetrag nicht dem Betrag entsprochen hätten, der sich rechnerisch bei Umrechnung von DM auf Euro ergeben hätte. Auch sei der ab Jahresbeginn festgesetzte Neubetrag deswegen schlecht nachvollziehbar gewesen, da gleichzeitig eine Erhöhung der Leistung infolge der Anpassung an die Entwicklung des Bruttoarbeitsentgelts stattgefunden habe. Schließlich sei die Erhöhung der Leistung auch nicht so gravierend gewesen, dass sich der Fehler habe aufdrängen müssen. Im Zuge der Währungsumstellung habe noch keine Vertrautheit mit den neuen Beträgen entstehen können.

Die Beklagte entgegnete hierauf, dass das BE als grundlegender Berechnungsfaktor in den Bewilligungsbescheiden, die der Kläger erhalten habe, deutlich ausgewiesen sei. Es habe dem Kläger unbedingt auffallen müssen, dass in den ihm zeitgleich zugegangenen Bewilligungsbescheiden vom 15.02.2002 für die Alhi vom 08.12.2001 bis 31.12.2001 sowie nachfolgend vom 18.02.2002 ab 01.01.2002 das BE in Höhe des gleichen Betrages von 580,00, einmal in DM, dann in Euro ausgewiesen gewesen sei. Auch habe der sprunghafte Anstieg bei der Leistungszahlung ab 01.01.2002 nur in einem Berechnungsfehler - der Umstellung von DM auf Euro - seinen Grund gehabt haben können. In den Verhältnissen des Klägers habe es keine Änderung gegeben. Die Alhi habe auch nicht weit über dem Betrag des zuvor bezogenen Alg liegen können. Die gleichen Überlegungen würden für die fehlerhafte Bewilligung des Uhg gelten.

Der Klägervertreter verwies daraufhin nochmals darauf, dass der Kläger sich nicht mit dem zugrunde gelegten BE beschäftigt, sondern lediglich den Leistungsbetrag zur Kenntnis genommen habe. Dessen Fehlerhaftigkeit sei jedoch nicht ohne Weiteres zu erkennen gewesen. Im Übrigen sei der Kläger in den den Bescheiden hinzugefügten Belehrungen auch nicht darauf hingewiesen worden, dass er zur Überprüfung der Richtigkeit der Bescheide verpflichtet sei. Er sei lediglich über die Möglichkeit der Einlegung des Widerspruchs belehrt worden.

Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 04.03.2005 als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass die Erhöhung des wöchentlichen Zahlbetrages ab 01.01.2002 um 75,18 EUR (61,76 %) nicht der Richtigkeit entsprochen habe, zumal hierfür keinerlei leistungsrechtlicher Anlass gegeben gewesen sei. Er sei zumindest verpflichtet gewesen, bei der Beklagten nachzufragen, ob der wöchentliche Leistungsbetrag ab 01.01.2002 korrekt sei.

Im Berufungsschriftsatz trug der Klägervertreter wiederum vor, dass der Fehler für den Kläger dann ohne Weiteres erkennbar gewesen wäre, wenn sich der Leistungsbetrag - entsprechend einer Übernahme von DM in Euro - in etwa verdoppelt hätte. Jedoch seien sowohl der Beklagten Fehler unterlaufen wie auch noch andere Neuberechnungsfaktoren für den Endbetrag erheblich gewesen, wie bereits ausgeführt, so dass die verschiedenen Bescheide eine "allgemeine Verwirrung beim Berufungskläger ausgelöst hätten". Die Anforderungen an die Überprüfungspflicht eines Leistungsempfängers dürften nicht zu hoch angesetzt werden.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 04.03.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre bisherigen Ausführungen. Die zu Unrecht bewilligte Leistungshöhe könne mit der kalenderjährlichen Anpassung der Leistungssätze an die Entwicklung der Bruttoarbeitslöhne nicht begründet werden.

Der Senat hat die Gerichtsakten erster Instanz sowie die Akten der Beklagten beigezogen. Die Beklagte hat dem Senat Muster der Alg-, Alhi- und Uhg-Bewilligungsbescheide aus den Jahren 2001 und 2002 sowie Kopien der dem Kläger anlässlich des Antrags auf Anschluss-Alhi vom 28.01.2002 und des Umschulungsantrags vom 19.08.2002 ausgehändigten Merkblätter überlassen und mitgeteilt, dass im Rahmen mehrerer Schwerpunktprüfungen durch das Vorprüfungsamt der BA im November 2002 festgestellt worden sei, dass in einer nicht unerheblichen Zahl von Leistungsfällen eine manuell durchzuführende Währungsumrechnung von DM auf Euro versehentlich nicht vorgenommen worden sei, woraufhin den einzelnen Ämtern Listen mit unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfenden Leistungsfällen zur Verfügung gestellt worden seien. Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der gesamten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2003 zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte hat die Bewilligung der Alhi zu Recht vom 01.01.2002 bis 08.09.2002 sowie von Uhg vom 09.09.2002 bis zum 30.11.2002 teilweise aufgehoben und die Erstattung eines überzahlten Betrages von insgesamt 3.729,92 EUR angeordnet.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung der Alhi und des Uhg für die Vergangenheit ist § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs.2 SGB III. Die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes setzt danach voraus, dass der Verwaltungsakt zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war (§ 45 Abs.1 SGB X), dass der Begünstigte keinen Vertrauensschutz nach § 45 Abs.2 SGB X genießt und dass die Behörde die Rücknahmefristen des § 45 Abs.3 und Abs.4 SGB X eingehalten hat.

Der Bewilligungsbescheid vom 18.02.2002 über die Bewilligung der Alhi ab dem 01.01.2002 war rechtswidrig, insoweit als die Höhe der Alhi falsch berechnet war. Die Beklagte hat dem Kläger ab 01.01.2002 Alhi in Höhe von 196,91 EUR unter Zugrundelegung eines BE von gerundet 580,00 EUR (ungerundet: 580,93 EUR) bewilligt. Dabei hat sie die ab 01.01.2002 mit der Umsetzung des BE nach Maßgabe der ab 01.01.2002 geltenden Leistungsentgeltverordnung in den aktuellen Alhi-Leistungssatz anstehende Umrechnung des der Leistung zugrunde liegenden BE von DM in Euro übersehen. Die Umrechnung in Euro hätte ab 01.01.2002 ein ungerundetes BE von 297,02 EUR wöchentlich, nach Maßgabe des § 132 Abs.3 SGB III gerundet von 295,00 EUR ergeben. Dem entsprach nach der gemäß den §§ 136, 151 Abs.2 Nr.2 SGB III für das Jahr 2002 maßgeblichen Leistungsentgeltverordnung in Leistungsgruppe A/1 eine Alhi von 121,73 EUR. Dies bedeutet ab 01.01.2002 eine überhöhte Bewilligung in Höhe von 75,18 EUR wöchentlich Alhi, täglich (§ 139 SGB III) 10,74 EUR. Multipliziert mit 251 Kalendertagen (01.01.2002 bis 08.09.2002) waren dies 2.695,74 EUR.

Mit dem Bescheid vom 23.08.2002 hat die Beklagte dem Kläger ab 09.09.2002 zu hoch errechnetes Uhg in Höhe von wöchentlich 230,37 EUR weiterhin unter Zugrundelegung eines gerundeten BE von 580,00 EUR bewilligt. Tatsächlich hätte dem Kläger bei dem in Euro umgerechneten BE von gerundet 295,00 EUR in A/1 Uhg nur in Höhe von wöchentlich 143,15 EUR zugestanden. Dies bedeutet eine Differenz von 87,22 EUR wöchentlich d.h. 12,46 EUR täglich. Malgenommen mit 83 Kalendertagen (09.09.2002 bis 30.11.2002) ergibt dies einen überhöhten Betrag in Höhe von 1.034,18 EUR Uhg.

Die Rücknahme von zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtwidrigen begünstigenden Verwaltungsakten mit Wirkung für die Vergangenheit setzt nach § 45 Abs.4 Satz 1 SGB X voraus, dass ein Vertrauensschutz vernichtender Tatbestand nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X in der Person des Leistungsempfängers gegeben ist.

Insoweit scheiden die Tatbestände des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.1 und Nr.2 SGB X von vorneherein aus, da der Kläger die Fehlbewilligung der Alhi und des Uhg nicht durch falsche Angaben oder sonstwie aktiv herbeigeführt hat. In Betracht kommt nur der Vertrauenschutz vernichtende Tatbestand des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt danach vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Hierzu fasst das BSG im Urteil vom 08.02.2001 SozR 3-1300 § 45 Nr.45 die bisherige Rechtsprechung (insbesondere BSG vom 13.12.1972 = BSGE 35, 108/112, vom 31.08.1976 = BSGE 42, 184/186 u., vom 20.09.1977 BSGE 44, 264/273) ausführlich zusammen. Danach ist zwischen dem Grad der erforderlichen Fahrlässigkeit und dem insoweit an den Einzelnen anzulegenden Maßstab zu unterscheiden. Dabei ist die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wenn der Begünstigte schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jeder beachten und was jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen.

Hierbei stellt das BSG im Urteil vom 08.02.2001 a.a.O. insbesondere auf den begünstigenden Bescheid ab. Dieser sei Bezugspunkt für die grob fahrlässige Unkenntnis. Allerdings könnten Fehler im Bereich der dem Bescheid zugrunde liegenden Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung, auch wenn sie nicht unmittelbar Bezugspunkt für das grob fahrlässige Nichtwissen seien, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür sei aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergäben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar seien.

In diesem Zusammenhang knüpft das BSG a.a.O. den Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X an die in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Pflicht der Beteiligten eines Sozialrechtsverhältnisses, "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren". Dies schließe auch eine Obliegenheit des Leistungsempfängers ein, Bewilligungsbescheide zur Kenntnis zu nehmen und zu lesen. Wohl könne dem Antragsteller nicht auferlegt werden, anhand der abstrakten Erläuterungen in den Merkblättern jeweils zu überprüfen, ob die Behörde seine gegebenenfalls wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umgesetzt habe. Jedoch könne sich auch für den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller aus dem Bescheid selbst ergeben, dass mit der Bewilligung etwas nicht in Ordnung sei. Zum Beispiel könne dem Leistungsempfänger die Fehlerhaftigkeit einer Bewilligung geradezu "in die Augen springen", wenn die bewilligte Lohnersatzleistung offensichtlich außer Verhältnis zu dem zugrunde liegenden Arbeitsentgelt stehe. Auch könne eine Bescheidbegründung, soweit sie den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergebe, einen Antragsteller hinreichend darauf aufmerksam machen, dass mit der Bewilligung etwas nicht in Ordnung sein könne, weil der zugrunde gelegte Sachverhalt nicht den Tatsachen entspreche. Letztlich müsse es nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, inwieweit der Begünstigte Bewilligungsbescheide zum Anlass für Richtigkeitsüberlegungen und Nachfragen bei der Behörde zu nehmen habe.

"In die Augen springende" Auffälligkeit ist im Fall des Klägers primär der im Bewilligungsbescheid vom 18.02.2002 für die Alhi ab 01.01.2002 bewilligte Zahlbetrag von 196,91 EUR. In dem dem Kläger zeitgleich oder wenige Tage zuvor zugegangenen Bewilligungsbescheid vom 15.02.2002 über die Alhi für den Bewilligungsabschnitt vom 09.12.2001 bis 07.12.2002 ist nämlich direkt neben dem ab 08.12.2001 bewilligten wöchentlichen DM-Betrag von 238,91 DM der entsprechende, in Euro umgerechnete Betrag in Höhe von 122,15 EUR ausgewiesen. Dies käme einer Erhöhung der wöchentlichen Alhi vom 31.12.2001 auf den 01.01.2002 um 62,41 % gleich. Dass die Lohnersatzleistungen der Beklagten jeweils zu Jahresbeginn an die Entwicklung der durchschnittlichen Abzüge bei den Arbeitnehmereinkommen angepasst werden, war dem Kläger aufgrund bisheriger Erfahrung und nach eigenem Vorbringen bekannt. So war dem Kläger aber auch mit Sicherheit bewusst, dass in der jährlich vorgenommenen Anpassung an die durchschnittlichen Abzüge bei Arbeitnehmern mit Sicherheit keine Erklärung für eine Veränderung in dieser Größenordnung, zumal im Sinne einer Erhöhung zu finden sein konnte. Tatsächlich bewirkte die Anpassung an die Entwicklung der Abzüge von den Bruttoeinkommen bei Arbeitnehmern nach Maßgabe der Leistungsentgeltverordnung 2002, dass dem Kläger ab 01.01.2002 nur 121,73 EUR wöchentlich (statt 122,15 EUR wöchentlich) zustanden.

Der Kläger hat vor allem eingewendet bzw. seinen Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, dass ein Umrechnungsfehler von DM auf Euro aus dem Zahlbetrag als solchem nicht zu erkennen gewesen sei. Bei einer Umwandlung von DM in Euro hätten sich nämlich niedrigere Beträge ergeben, bei der Alhi lediglich ein Zahlbetrag von 100,68 EUR, beim Uhg von 117,79 EUR. Mit der Bemessungsgrundlage habe er sich jedoch nicht befasst und müsse sich auch nicht befassen.

Dazu ist zu sagen, dass nach dem Urteil des BSG vom 08.02.2001 a.a.O. Bösgläubigkeit im Sinne einer besonders schweren Sorgfaltsverletzung nicht voraussetzt, dass der Begünstigte den Grund einer Überzahlung erkennt bzw. diese anhand seiner Angaben und der rechtlichen Vorschriften genau nachvollziehen kann oder auch können müsste. Vielmehr reichen für Bösgläubigkeit im Sinne einer besonders schweren Sorgfaltspflichtverletzung irgendwelche Auffälligkeiten je nach den Umständen des Einzelfalls, die so offensichtlich sind, dass sie den Begünstigten zumindest zur Nachfrage bei der Behörde veranlassen müssten.

Eine solche Auffälligkeit lag primär in der Erhöhung der Alhi vom 31.12.2001 auf den 01.01.2002, wie sie aus den Bescheiden vom 15.02.2002 und vom 18.02.2002 deutlich zu ersehen war und naturgemäß auch in den überwiesenen Leistungen zum Ausdruck kam.

Der Kläger hat sogar selbst eingeräumt bzw. durch seinen Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, dass die verschiedenen Bescheide eine gewisse Verwirrung bei ihm hervorgerufen hätten. Das hätte ihn jedoch veranlassen müssen, entweder unmittelbar bei der Beklagten nachzufragen oder aber, was das BSG vom 08.02.2001 a.a.O. dem Begünstigten auch zumutet, die kurz hintereinander folgenden Bewilligungsbescheide wenigstens kurz durchzulesen. Dann hätte ihm auffallen müssen, dass das in den Bescheiden unter "Berechnungsgrundlage" als Ausgangsgröße aufgeführte BE von wöchentlich 580,00 DM bis 31.12.2001 ab 01.01.2002 als BE von 580,00 EUR schlichtweg fortgeführt wurde. Aus den Bescheiden ist auch ohne weiteres zu sehen, dass sich der letztendliche wöchentliche Leistungsbetrag primär aus dem Bemessungsentgelt ableitet und dass sich ein Unterbleiben der Umrechnung des BE von DM in Euro gravierend auf die Leistung auswirken musste. Nach der Arbeitsbiographie einschließlich der vorliegenden Umschulungsakten wie auch dem Vortrag des Klägers hat dies die Erkenntnismöglichkeiten des Klägers nicht überfordert.

Dem Unterhaltsgeldbescheid vom 23.08.2002 über die Bewilligung von Uhg ab 09.09.2002 ist wiederum ohne weiteres zu entnehmen, dass dieser auf den identischen Berechnungsgrundlagen aufbaut wie die vorangehende Alhi-Bewilligung, also dem identischen BE sowie dem sich daraus für 2002 ergebenden Leistungsentgelt und dass der Unterschied im Zahlbetrag sich letztendlich nur aus der höheren Leistungsquote ergibt. Nachdem der Kläger aufgrund der Auffälligkeiten bei der Alhi-Bewilligung unbedingt zumindest hätte beim Arbeitsamt nachfragen müssen, hätte er dies demnach auch bei der Uhg-Bewilligung tun müssen und erstreckt sich die besonders schwere Sorgfaltsverletzung im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X auch auf die Bewilligung der Uhg.

Die Jahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X und damit auch die Frist des Abs.3 ist mit Erlass des Teilaufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 14.02.2003 eingehalten. Abzustellen ist auf die Kenntnis der "Behörde"; dies ist die Dienststelle, die die Rücknahme des Verwaltungsaktes vorzubereiten und über sie zu entscheiden hat (von Wulffen/Wiesner, Rz.33 zu § 45 SGB X). Dies war im Fall des Klägers das Arbeitsamt I. als Geschäftsstelle des Arbeitsamtes M. , welches auch die Bewilligungsbescheide erlassen hatte. Die "Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Vewaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen", ist nicht die Kenntnis der allgemeinen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes ergibt, also hier die Kenntnis der Umstellung auf Euro ab 01.01.2002, vielmehr ist dies die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es in einem bestimmten Fall zu einer rechtswidrigen Bewilligung gekommen ist und dass ein Vertrauensschutztatbestand nicht gegeben ist (von Wulffen/Wiesner, Rz.34 zu § 45 SGB X).

Die mit Rundbrief vom 15.11.2002 den einzelnen Arbeitsämtern aufgrund einer Schwerpunktprüfung durch das Vorprüfungsamt der BA zur Verfügung gestellte Liste von potentiellen Leistungsempfängern, bei denen möglicherweise die Währungsumstellung von DM auf Euro nicht vorgenommen worden war, datiert vom 13.11.2002. Auch konnte das hier maßgebliche Arbeitsamt über einen möglichen Vertrauensschutztatbestand in der Person des Klägers erst nach dessen Anhörung mit Schreiben vom 03.12.2002 Bescheid wissen.

Damit sind nicht nur die Voraussetzungen erfüllt, die die Beklagte nach § 45 SGB X zur Teilrücknahme der Alhi-Bewilligung vom 01.01.2002 bis 08.09.2002 und der Uhg-Bewilligung vom 09.09.2002 bis 30.11.2002 ermächtigen. Vielmehr hat die Beklagte aufgrund der Sonderbestimmung des § 330 Abs.2 SGB III wegen Vorliegens des Vertrauensschutz vernichtenden Tatbestandes des § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X die begünstigenden Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ein Ermessensspielraum steht ihr hierbei nicht zu, so dass auch das zweifellos gegebene Behördenverschulden, welches zur überhöhten Bewilligung geführt hat, keine Berücksichtigung finden kann.

Aufgrund der Teilrücknahme der Alhi-Bewilligung vom 01.01.2002 bis 08.09.2002 hat die Beklagte dem Kläger, wie oben ausgeführt, insgesamt 2.695,74 EUR zu viel geleistet. Aufgrund der Teilrücknahme der Uhg-Bewilligung vom 08.09.2002 bis 30.11.2002 hat der Kläger insgesamt 1.034,18 EUR zu viel erhalten, macht insgesamt einen überzahlten Betrag von 3.729,92 EUR. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Kläger diesen Betrag zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Einen Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, bestand nicht, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Rechtskraft
Aus
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