Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 100/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 9/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17.01.2006 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Lan- deserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1997 geborene Tochter G. streitig.
Die 1975 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit mindestens 24.09.1996 mit Aufenthaltserlaubnis in Bayern lebte, ist die Mutter des 1997 geborenen Kindes, für das ihr Personensorge zustand. Sie lebte mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog es und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der IKK Bayern krankenversichert.
Am 30.05.1997 beantragte sie die Gewährung von Bundeserzie- hungsgeld (BErzg) für das erste Lebensjahr des Kindes und am 16.03.1998 stellte sie nach Vorsprache Antrag für das zweite Lebensjahr. Der Beklagte bewilligte ihr ( Bescheide vom 3.6.1997 und 19.3.1998) die begehrte Leistung für die Zeit vom 24.04.1997 bis 23.04.1999. Der letzte in der Akte festgehaltene Bearbeitungsvorgang datiert vom 23.04.1998.
Der am 18.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg, wurde durch Bescheid vom 24.10.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, ein Antrag auf LErzg wirke nach Art.3 Abs.2 LErzGG höchstens sechs Monate zurück. Der Anspruchszeitraum hätte spätestens am 23.04.2000 geendet. Der Antrag vom 18.02.2002 sei nicht innerhalb der sechs Folgemonate gestellt. Die Klägerin habe nach dem sog. Sürül-Urteil des EuGH vom 04.05.1999 erst am 09.03.2001 Kontakt mit dem Beklagten gehabt; dies werde als fiktiver Antrag gewertet. Die Rückwirkung betrage sechs Monate (d.h. bis 09.09.2000). Der Anspruch auf LErzg habe bereits am 23.04.2000 geendet, so dass der Klägerin kein LErzg zustehe.
Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf wurde geltend gemacht, die verspätete Einreichung des Antrags sei nicht von der Klägerin verschuldet. Bei einer Vorsprache des Ehemannes der Klägerin im Zusammenhang mit dem Antrag auf BErg sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Anspruch auf LErzg nicht zustehe. Daraufhin sei die Antragstellung unterblieben. Die Klägerin folge dem, was ihr offiziell gesagt werde. Es müsse von einem Beratungsfehler ausgegangen werden, der durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder durch die nunmehr geänderte Verwaltungspraxis korrigiert werden müsse. In einem Flugblatt des Amtes für Versorgung und Familienförderung sei empfohlen worden, für Kinder, welche zwischen August 1998 und September 1999 geboren seien, den Antrag umgehend einzureichen. Zusätzlich sei erklärt worden, für andere Kinder gäbe es keine allgemeine Ausschlussfrist. Im übrigen sei beim Kontakt vom 09.01.2001 der Anspruch immer noch verneint worden. Der Kontakt zeige aber, dass die Klägerin darum bemüht gewesen sei, den Anspruch geltend zu machen.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.01.2003). Der Beklagte hielt sein Vorbringen aufrecht und führte ergänzend aus, erst nach dem Sürül-Urteil sei die Verwaltung in der Lage gewesen, den betroffenen Personenkreis zu informieren. Erst seit diesem Zeitpunkt hätten beachtliche Aussichten auf einen entsprechenden Leistungsanspruch bestanden. Es müsse jedoch ein konkreter Anlass für eine dahingehende Beratung vorgelegen haben. Falsche Informationen über Merkblätter und Info-Broschüren würden für sich allein nicht ausreichen. Nach den Aktenunterlagen habe es nach dem 04.05.1999 keine diesbezüglichen Anfragen seitens der Klägerin bzw. konkreten Anlass für eine entsprechende Beratung gegeben. Letztmalig sei die Akte am 24.03.1998 in Bearbeitung gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die neue richtungsweisende Rechtsprechung des EuGH noch nicht absehbar gewesen; es habe daher auch keine entsprechende Beratung erfolgen können.
Mit der am 10.02.2003 beim Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wies erneut darauf hin, dass ihr Ehemann bei der Antragstellung für das zweite Lebensjahr die Auskunft erhalten habe, es bestehe für türkische Staatsangehörige kein Anspruch auf Landeserziehungsgeld, was auch der damaligen Praxis des Beklagten bis 29.01.2002 entsprochen habe. Er sei darauf hingewiesen worden, dass ein trotzdem gestellter Antrag abzulehnen sei. Erst aufgrund des Urteils des EuGH vom 04.05.1999 und dem des BSG vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R), von dem sie Anfang Februar 2002 Kenntnis erhalten habe, habe sie die Gewährung von LErzg beantragt. Vorher habe sie im Hinblick auf die Rechtsansicht des Beklagten von einer Antragstellung abgesehen. Dass sie gleichwohl einen Anspruch auf LErzg habe geltend machen wollen, zeige sich daran, dass sie ihre Ansprüche auf BErzg verfolgt habe. Es liege eine fehlerhafte Beratung bzw ein fehlerhafter Hinweis seitens des Beklagten vor. Im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei die Klägerin so zu stellen, als ob sie rechtzeitig einen Antrag auf LErz gestellt habe. Aber selbst wenn die Ansicht des Beklagten durchgreife, dass Art.3 Abs.2 LErzGG dem Anspruch entgegen stehe, sei der Klägerin wegen der versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie sei durch die ihr zur Verfügung gestellten Informationen und die Verwaltungspraxis an der Antragstellung verhindert gewesen. Nach Wegfall des Hindernisses Anfang Februar habe sie die Antragstellung binnen zwei Wochen nachgeholt. Auch unter dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs sei ihr Wiedereinsetzung zu gewähren.
Der Beklagte bezog sich hinsichtlich eines Leistungsanspruchs für die Zeit vom 24.04.1999 bis 03.05.1999 auf die Sürül-Entscheidung des EuGH; für die Zeit ab 04.05.1999 nahm er auf den Widerspruchsbescheid Bezug und verneinte einen Herstellungsanspruch. Ein objektiv pflichtwidriges Handeln der Verwaltung sei nicht gegeben.
Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem SG gab die Klägerin an, sie habe im Juni 1999 Antrag auf LErzg gestellt; dieser Antrag sei nicht angenommen worden. Ihr Ehemann habe den Antrag an der Information abzugeben versucht. Sie habe den Vorgang anschließend ihrem Bruder C. E. erzählt. Das Gericht kündigte an, den Bruder schriftlich zu befragen.
Es hörte die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid an; der Beklagte erklärte sein Einverständnis, der Bevollmächtigte der Klägerin äußerte sich nicht.
Der Bruder der Klägerin wurde vom Gericht schriftlich zu seinen Kenntnissen bezüglich einer Antragstellung im Juni 1999 befragt. Seine Antwort wurde vom Bevollmächtigten der Klägerin übersandt. Er gab an, seine Schwester und ihr Ehemann hätten ihn besucht und hätten damals ca. Juni 1999 erzählt, dass sie Antrag auf Landeserziehungsgeld gestellt hätten und dass der Antrag "zurückgelehnt" worden sei, da türkische Staatsangehörige kein Recht auf LErzg hätten.
Das Sozialgericht hob mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2006 den Bescheid vom 24.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2003 auf und verpflichtete den Beklagten der Klägerin LErzg für ihr 1997 geborenes Kind G. für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Klägerin gehöre zum Personenkreis des Art.1 Abs.1 Satz 1 LErzGG, da sie gemäß Art.3 des Beschlusses des Assoziationsrats vom 19.09.1980 (ARB) den Staatsangehörigen der EU gleichgestellt sei, wie sich aus dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 ergebe. Ein Anspruch auf LErzg für die Zeit vor 04.05.1999 scheitere daran, dass die Klägerin daraus keine Rechte herleiten könne. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen auf die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor.
Ein Anspruch auf LErzg für die Zeit ab 04.05.1999 bis 23.04.2000 sei jedoch begründet. Die Vorschrift des Art.3 Abs.2 LErzGG stehe nicht entgegen, da der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist zu gewähren sei. Nach einem Jahr seit dem Ende der Frist könne die versäumte Handlung zwar nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen sei. Als höhere Gewalt stelle sich auch dar, wenn die Fristversäumnis durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Belehrung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht worden sei. Entscheidend sei die Beratungspraxis des Beklagten, die sowohl bei der Wiedereinsetzung als auch im Rahmen des Herstellungsanspruchs eine Rolle spiele. Eine Aufklärungs- und Beratungspflicht setze grundsätzlich ein konkretes Beratungs- und Auskunftsersuchen voraus. Ausnahmsweise bestehe aber auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht, wenn dem jeweiligen Sachbearbeiter bei der Bearbeitung eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich sei, die ein verständiger Antragsteller wahrnehmen würde. Generell sei Voraussetzung, dass zum Antragsteller wenigstens Kontakt bestehe und der Informationsbedarf offen zutage trete. Eine ähnliche Situation ergebe sich bei laufendem Bezug von BErzg nach dem 04.05.1999.
Im Falle der Klägerin habe das BErzg aber vor 04.05.1999 geendet. Dieses Datum stelle die Grenze für die Beratungsverpflichtung des Beklagten dar, da vor diesem Datum eine Beratung durch den Beklagten nicht habe verlangt werden können. Selbst der EuGH habe betont, dass er sich im Urteil vom 04.05.1999 zum ersten mal veranlasst gesehen habe, Art.3 ARB auszulegen und dass davor Ungewissheit bestehen konnte, ob der Einzelne vor einem nationalen Gericht sich auf diesen Beschluss habe berufen können.
Anders ist nach Ansicht des SG allerdings die Rechtslage nach dem 04.05.1999. Insofern treffe den Beklagten die volle Beratungspflicht. Dies gelte nicht nur bei konkretem Kontakt mit der Leistungsempfängerin, sondern auch dann, wenn kein konkreter Anlass zur Beratung mehr bestanden habe. Es seien nachwirkende Beratungspflichten gegeben, wenn der Beklagte ohne unzumutbaren Aufwand eine derartige Beratung hätte durchführen können. Davon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn der Bezug von BErzg in einem derartigen zeitlichen Anstand vor dem 04.05.1999 geendet habe, dass auch unter Zuhilfenahme der elektronischen Datenverarbeitung eine Ermittlung der betroffenen früheren BErzg-Bezieher noch zumutbar gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass elektronisch gespeicherte Daten regelmäßig noch längere Zeit leicht erreichbar seien und dass sich vorliegend die Suchkriterien in aller Regel durch das Geburtsdatum der Kinder (nach dem 03.05.1996) und die Staatsangehörigkeit des Antragsteller (türkisch), die sich praktisch in allen Fällen von den Namen ablesen lasse, eingrenzen lasse. Da der relevante Zeitraum bei der Klägerin ca. zehn Tage betragen habe, habe sich für den Beklagten noch eine Beratungsverpflichtung ergeben. Der Beklagte hätte die Klägerin so beraten müssen, dass sie durch rechtzeitige Antragstellung ihre Rechte auf LErzg wahre. Dass der Beklagte eine andere - falsche - Rechtsauffassung vertreten habe, stelle keinen Grund dar, die Belehrung der Klägerin zu unterlassen. Der Klägerin sei durch die fehlende Auskunft ein Nachteil entstanden. Durch eine Neuprüfung des Antrags könne der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der fehlenden Beratung durch den Beklagten bestanden habe. Es liege ein Fall höherer Gewalt vor.
Für ein Verschulden der Klägerin lägen keine Anhaltspunkte vor. Es sei nicht ersichtlich, dass ihr vor der Entscheidung des BSG vom 29.01.02 bekannt gewesen oder infolge von Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sei, dass eine Geltendmachung des Anspruchs auf LErzg auch für sie als türkische Staatsangehörige erfolgen könne. Daneben lägen die Vorausssetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor. Demnach sei die Klägerin so zu stellen, wie sie ohne die Falschberatung durch den Beklagten gestanden hätte.
Der Beklagte legte am 08.02.06 Berufung ein und beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. Januar 2006 (in Ziffer I., II. und IV.) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akte L 9 EG 56/04, Merkblätter des Beklagten Stand 01/96, 03/97, 02/98 sowie das Hinweisblatt betreffend Geburten von August 1998 bis September 1999 beigezogen. Der Beklagte teilte mit, die Merkblätter bzw. Informationsblätter zum BErzGG und LErzGG seien in der Regel als "Antragspaket" ausgehändigt worden.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie des SG München und auf die Akte des Bayer.Landessozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die mangels einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Berufung des Beklagten (§§ 143 f. SGG) erweist sich als in der Sache unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf BErzg für ihre 1997 geborene Tochter G. für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 hat, obwohl sie diese Leistung erst am 18.02.2002 beantragt hat und Art.3 Abs.2 BayLErzGG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 16.11.1995, BayGVBl.1995, 818; Art.9 Abs.1 BayLErzGG in der Fassung vom 26.03.2001, BayGVBl.2001 76) die rückwirkende Gewährung höchstens für sechs Monate vor Antragstellung zulässt. Der Klägerin ist für die streitige Zeit Landeserziehungsgeld im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu gewähren.
Ein Anspruch für die Zeit vom 24.04.1999 bis 03.05.1999 wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 17.01.2006 ist insofern rechtskräftig. Eine Berufung wurde nicht eingelegt; auch eine Anschlussberufung liegt nicht vor.
Anspruch auf LErzg hat nach Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 bis 5 BayLErzGG, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate, in Bayern hat (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr.2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr.4) und die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) besitzt (Nr.5).
Die Voraussetzungen der Nr.1 bis 4 liegen bei der Klägerin vor. Sie hatte ihre Hauptwohnung mindestens seit 24.09.1996 (mit Aufenthaltserlaubnis) in Bayern. Sie lebte seit der Geburt des Kindes, für das ihr die Personensorge zustand, in einem Haushalt, betreute und erzog das Kind selbst und übte keine Erwerbstätigkeit aus. Auch die Voraussetzung nach Nr.5 ist als erfüllt anzusehen. Die türkische Staatsangehörigkeit der Klägerin steht dem streitigen Anspruch trotz der Bestimmung des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 BayLErzGG nicht entgegen. Der generelle Ausschluss in Bayern wohnender türkischer Staatsangehöriger vom LErzg verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Europäischen Assoziationsrechts (BSGE 89, 129). Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 haben nämlich türkische Staatsangehörige, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats wohnen und für die der ARB gilt, auf Grund des Art.3 Abs.1 ARB im Wohnsitzstaat Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit nach den Rechtsvorschriften dieses Staates unter den gleichen Voraussetzungen wie dessen eigene Staatsangehörige. Zwar betraf dieses Urteil ein Verfahren über die Gewährung von bundesdeutschen Kindergeld, es gilt jedoch nach seinem Ausspruch für alle Leistungen der sozialen Sicherheit, auf die sich der ARB bezieht(vgl. BSG SozR 4-6940 Art.3 Nr.1, Nr.2).
Der Fall der Klägerin wird vom ARB erfasst. Das Bayerische LErzg ist eine Familienleistung im Sinne des Art.4 Abs.1 Buchstabe h ARB (BSG in SozR 3-6940 Art.3 Nr.2 S.17). Nach seinem Art.2 findet der ARB auch Anwendung auf die Klägerin, da diese gesetzlich krankenversichert war. Insoweit genügt für die Begründung der Arbeitnehmerschaft, dass der Betreffende mindestens gegen ein Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, ohne dass es darauf ankommt, ob er in einem Arbeitsverhältnis steht (EuGH SozR 3-6935 Allg Nr.4 S.47).
Die zeitliche Beschränkung im maßgebenden Urteil des EuGH vom 04.05.1999, wonach aus der Entscheidung für Leistungen vor 04.05.1999 grundsätzlich keine Rechte hergeleitet werden können, kommt bei der Klägerin nicht zum Tragen, weil allein Leistungen für die Zeiten nach Erlass des Urteils im Streit sind.
Der Anspruch der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Beklagten durch das Verbot rückwirkender Gewährung für länger als sechs Monate nicht ausgeschlossen. Bei der Rückwirkungsfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG handelt es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist, die an die in Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG geforderte, nicht fristgebundene Antragstellung anknüpft. Als Frist des materiellen Sozialrechts ist die Ausschlussfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG "gesetzliche Frist" im Sinne des nach Art.8 Nr.1 Buchstabe d BayLErzGG i.V.m. § 10 Abs.2 BErzGG in der Fassung vom 31.01.1994 anwendbaren § 27 Abs.1 Satz 1 SGB X. Unverschuldetes Säumnis kann grundsätzlich durch eine hier nicht nach § 27 Abs.5 SGB X ausgeschlossene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden (vgl. unter anderem Urteil des Bundessozialgerichts vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R).
Nach § 27 Abs.1 SGB X gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. § 27 Abs.3 SGB X bestimmt, dass die Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, es sei denn, dies war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Die Jahresfrist schließt an die sechsmonatige Ausschlussfrist an und gleitet wie diese. Sie war für den gesamten Leistungszeitraum vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 abgelaufen, als die Klägerin am 18.02.2002 ihren Antrag gestellt hat.
Der Klägerin könnte demnach Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn sie durch höhere Gewalt verhindert war, den Antrag zu stellen. Dies wäre grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die Klägerin auch durch größtmögliche von ihr unter Berücksichtigung ihrer Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt den Anspruchsverlust nicht hätte abwenden können. Ob dies bei der Klägerin der Fall war, steht nicht eindeutig fest, da aus den Unterlagen nicht ersichtlich ist, ob über die Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 zum bundesdeutschen Kindergeld und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19.12.2000 (Übertragung des zum Kindergeld aufgestellten Grundsatzes auf das LErzg) in der Öffentlichkeit - für die Klägerin wahrnehmbar - berichtet und darauf hingewiesen worden ist, der Ausschluss türkischer Staatsangehöriger vom LErzg sei mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht unvereinbar.
Diese Problematik kann aber dahingestellt bleiben, da selbst dann, wenn höhere Gewalt nicht zum Tragen käme, der Klägerin der Anspruch auf Landeserziehungsgeld für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zuzubilligen ist. Sie ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie LErzg rechtzeitig nach Auslaufen des BErzg beantragt.
Wie das Bundessozialgericht mit Urteilen vom 02.02.2006 (unter anderem Az.: B 10 EG 7/05 R) festgehalten hat, stellen die Wiedereinsetzungsregeln des § 27 SGB X keine abschließende Entscheidung des Gesetzgebers über die in einer verspäteten Antragstellung liegenden Folgen von Pflichtverletzungen der Verwaltung dar. Die Wiedereinsetzungsvorschriften und das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind danach nebeneinander anwendbar. Das BSG führt dazu aus (a.a.O.): Nach § 2 Abs.2 SGB I ist das Sozialgesetzbuch so auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Eben diesem Ziel dient auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Mangels einer deutlichen Regelung durch das Gesetz lässt sich deshalb nicht annehmen, die mit § 27 SGB X eingeführte Wiedereinsetzungsregelung habe den die Bürger begünstigenden, auf Realisierung sozialer Rechte zielenden Herstellungsanspruch auch insoweit verdrängt, als ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Jedenfalls wäre zu erwarten, dass eine den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch treffende Ausschlusswirkung des § 27 SGB X im Gesetz deutlich zum Ausdruck kommt.
Der Gesetzgeber hat die Wiedereinsetzungsvorschriften für das sozialgerichtliche Vor- und Klageverfahren (§§ 67 und 84 Abs.2 Satz 3 SGG) nicht als abschließende Entscheidung über die Folgen von Pflichtverletzungen der Verwaltung angesehen, sondern - zeitgleich mit § 27 SGB X - durch § 44 SGB X eine weitgehende Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten des Bürgers und auf Kosten der Bindungswirkung von diesen belastenden rechtswidrigen Verwaltungsakten gesorgt. Bei durch Verwaltungsakt abgeschlossenen Verfahren ist der Bürger gegen Rechtsverluste deshalb nahezu umfassend geschützt. Ist schon ein rechtswidriger bindender Verwaltungsakt zurückzunehmen und die verweigerte Sozialleistung nachträglich zu erbringen, so liegt es nahe, dies erst recht anzunehmen, wenn es durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln zu einem Verwaltungsverfahren und einem ablehnenden Verwaltungsakt gar nicht erst gekommen ist. Die durch § 67 SGG i.V.m. § 44 SGB X gewährleistete Realisierungsdichte sozialer Rechte wird bei unterbliebenem Verwaltungsverfahren erreicht, indem § 27 SGB X und das sozialrechtliche Herstellungsanspruch nebeneinander angewendet werden (Urteil des BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R)
Die Voraussetzungen, unter denen der Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs LErzg für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zu gewähren ist, liegen vor. Grundsätzlich gefordert wird für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch: - eine Pflichtverletzung, die dem Beklagten zuzurechnen ist, - ein dadurch bei der Klägerin eingetretene sozialrechtlicher Nachteil sowie - die Befugnis des Beklagten, durch eine Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (vgl. BSGE 92, 182, 190 = SozR 4-6940 Art.3 Nr.1).
Eine Pflichtverletzung setzt grundsätzlich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (u.a. SozR 3-1200 § 14 Nr.31) einen konkreten Anlass für eine Beratung oder Auskunft voraus, sei es eine Nachfrage der Berechtigten, sei es aus der akuten konkreten Bearbeitung des Falls. Im Falle der Klägerin geht der Senat davon aus, dass sie bzw. ihr Ehemann am 16.03.1998 bei der Antragstellung auf BErzg für das zweite Lebensjahr beim Beklagten vorgesprochen hat (siehe Vermerk auf dem Antragsformular). Zweifel hat der Senat allerdings an der Behauptung der Klägerin, sie habe im Juni 1999 einen Antrag auf LErzg abgeben wollen, der nicht angenommen worden sei. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es insofern dennoch nicht, da es auf diese Tatsache nicht entscheidend ankommt. Denn unterstellt, der Vorgang war, wie von der Klägerin behauptet, so steht ihr, da dann ein konkreter Anlass zur Beratung nach dem 04.05.1999 bestanden hat, auch nach der Rechtansicht des Beklagten im Rahmen eines Herstellungsanspruchs das LErzg zu; wird zu Gunsten des Beklagten unterstellt, ein solcher Vorgang im Juni 1999 sei nicht bewiesen, so kann die Klägerin aber, unabhängig von einer Vorsprache im Juni 1999, ihren Anspruch dennoch auf einen Herstellungsanspruch stützen.
Der Senat sieht auch als bewiesen an, dass die Klägerin bei der Antragstellung im März 1998 die Auskunft erhalten hat, türkischen Staatsangehörigen stehe kein Anspruch auf LErzg zu. Zu dieser Ansicht kommt der Senat aus folgendem Grund: Der Beklagte ist bis zur Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 davon ausgegangen, dass türkischen Staatsangehörigen kein Anspruch auf LErzg zustehe. Entsprechend gefasst waren seine Merkblätter und Informationsbroschüren, die den Antragsformularen auf BErzg und LErzg beigefügt waren. Auch die Klägerin hat solche Merkblätter erhalten und wurde entsprechend informiert. Dass der Beklagte durchgängig diese Rechtsansicht vertreten hat, zeigt sich auch daran, dass selbst in der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 26.10.2000, Drucksache 14/4679, S.13 noch die Ansicht vertreten wird, grundsätzlich komme LErzg nur für EU/EWR-Bürger in Betracht. Die Angabe der Klägerin, bei der Antragstellung auf BErzg für das zweite Lebensjahr (der Antrag wurde laut Vermerk nach persönlicher Vorsprache gestellt) im März 1998 sei mitgeteilt worden, ein Anspruch auf LErzg bestehe für sie als türkische Staatsangehörige nicht, ist deswegen glaubhaft. Auch vom Erhalt des entsprechenden Merkblatts ist auszugehen.
Diese Information war im Lichte der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (SozR 3-6940 Art.3 Nr.2) objektiv falsch, auch wenn sie der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG SozR 3-6935 Allg Nr.1) entsprach. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liegt auch dann vor, wenn der Leistungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte (BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R m.w.N.). Entscheidend ist insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht ("geläuterte Rechtsauffassung").
An diesem Ergebnis ändert die im Wesentlichen auf die Zukunft begrenzte Wirkung nichts, die der EuGH seiner am 04.05.1999 getroffenen Entscheidung beigelegt hat. Dazu hat das BSG zwar ausgesprochen, zur Begründung der Fehlerhaftigkeit ihr erteilter Informationen für einen Zeitraum vor dem 04.05.1999 könne eine Leistungsberechtigte sich nicht auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB berufen (BSGE 92, 182 = SozR 4-6940 Art.3 Nr.1 Rdnr.23). Diese Aussage ist aber, wie das BSG im Urteil vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R, darlegt, nach der Zielrichtung der EuGH-Entscheidung auf Fälle begrenzt, in denen Leistungen für die Zeit vor dem 04.05.1999 geltend gemacht werden. Der EuGH hat die Mitgliedsstaaten vor unkalkulierbaren finanziellen Belastungen für die Vergangenheit schützen wollen. Die Tatsache, dass in der Entscheidung vom 04.05.1999 für den Leistungsanspruch eine zeitliche Grenze festgehalten war, besagt nicht, dass die Verweigerung der Leistungen vorher rechtmäßig gewesen wäre; sie stellt nur fest, dass die Rechtsverletzung, die vorgelegen hat, für Zeiten vor 04.05.1999 nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die vom EuGH angenommene Ausnahme vom Rückwirkungsverbot (am 04.05.1999 eine noch anhängige Klage oder ein vergleichbarer Rechtsbehelf) zeigt auf, dass grundsätzlich auch vor 04.05.1999 die Ansprüche gegeben waren, da sonst auch bei offenem Verfahren eine Leistung vor dem 04.05.1999 nicht in Betracht käme. Die Rechtsansicht des Beklagten und die von ihm erteilten Auskünfte und Informationen waren sowohl vor dem 04.05.1999 als auch danach bis Februar 2002 falsch. Der EuGH hat keine neue Gesetzeslage geschaffen, er hat Art.3 des ARB ausgelegt. Dass er vor 04.05.1999 dazu noch keine Gelegenheit hatte, ändert nichts an der durchgehend bestehenden Rechtslage; es begründete nur einen Schutz der Staaten vor finanziellen Forderungen für die Vergangenheit. Um solche handelt es sich aber im Falle der Klägerin nicht.
Eine Argumentation, die Entscheidung des BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R, beträfe eine andere Fallgestaltung als die der Klägerin, greift nicht. Zwar bezog die Klägerin in dem vom BSG entschiedenen Fall vom Oktober 1998 bis Oktober 1999 Bundeserziehungsgeld für das zweite Lebensjahr ihres Kindes. Die Tatsache, an die das BSG anknüpft (Merkblatt im Zusammenhang mit dem Bezug des BErzg), tritt aber regelmäßig bei Antragstellung und Beginn des BErzg auf, das heißt spätestens im Oktober 1998, so dass auch bei dieser Fallgestaltung die fehlerhafte Information vor 04.05.1999 erfolgte. Dies ergibt sich im Übrigen aus der weiteren Begründung des BSG (S.9 unten, 10 oben, Rdnr.30), "wonach der Beklagte seine Pflicht verletzt habe, die damals im laufenden Bezug von BErzg gestehende, zuvor über ihren Anspruch auf LErzg falsch beratene Klägerin nach der Entscheidung des EuGH" "nachzuberaten". Die Frage einer "Nachberatung" nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 stellt sich aber nur, wenn die erste Beratung vor der Entscheidung des EuGH war. Denn wäre die erste Beratung nach dem 04.05.1999 dahin erfolgt, es bestehe kein Anspruch, würde - auch nach Ansicht des Beklagten - allein dies für einen Herstellungsanspruch ausreichen.
Aus dem im Zusammenhang mit der Nachberatung erfolgten Hinweis des BSG auf das Urteil vom 25.01.1996 (SozR 3-3200 § 86a Nr.2 S.8) kann für den Anspruch der Klägerin nichts Nachteiliges hergeleitet werden. Das BSG hatte in dieser Entscheidung zwar im Ergebnis einen Herstellungsanspruch verneint; diese Entscheidung betraf eine Beratungspflicht für den Fall, dass sich nach Abschluss des Leistungsverfahrens eine Gesetzesänderung ergab. Eine solche Fallgestaltung liegt bei der Klägerin aber nicht vor, da nach der "geläuterten Rechtsauffassung" bereits vor 04.05.1999 und 29.01.2002 die Sach- und Rechtslage objektiv so gestaltet war, dass auch türkische Staatsangehörige Anspruch auf LErzg hatten. Für eine derartige Fallgestaltung prüft aber das BSG in der Entscheidung vom 25.01.1996 in SozR 3-3200 § 86 auf dem im Urteil vom 02.02.2006 zitierten Blatt 8 gerade einen "Nachberatungsanspruch". Es führt dazu aus: Ohne konkretes Beratungsersuchen wäre eine Beratungspflicht der Beklagten allenfalls in Betracht gekommen, wenn ihr in einem früheren Verfahren oder in anderem Zusammenhang (zum Beispiel in Informationsmitteilungen) ein Fehler unterlaufen wäre und dieser sich nachteilig auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ausgewirkt hätte". Diesen Sachverhalt hat der 10. Senat des BSG im Urteil vom 02.02.2006 S.9 angenommen und einen Herstellungsanspruch bejaht. Er hat wie der 7. Senat im Urteil vom 25.01.1996 unter Bezugnahme auf die grundsätzliche Rechtsprechung (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr.6 S.13) eine "Nachberatung" bei falscher Beratung in früheren Verfahren oder in anderem Zusammenhang angenommen. Der Beklagte hätte die Klägerin auf die Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 hinweisen müssen.
Unabhängig davon sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs auch deswegen zu bejahen, weil der Beklagte durch das Unterlassen einer Beratung nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 den Gleichheitssatz des Art.3 GG verletzt hat. Das BSG hat im Urteil vom 14.02.2001 (SozR 3-1200 § 14 Nr.31) entschieden, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch auf Grund einer gegen Art.3 GG verstoßenden Ungleichbehandlung beratungsbedürftiger Personen durch einen Leistungsträger begründet sein kann. Die unterschiedliche Behandlung, die der Beklagte Antragstellern mit laufendem BErzg-Bezug oder mit Folgekind zukommen lässt, entspricht nicht dem Art.3 GG, da es sich um kein die unterschiedliche Behandlung rechtfertigendes Merkmal handelt. Auch bei laufendem Bezug ist der Beklagte verwaltungstechnisch nach Bewilligung des BErzg für das zweite Lebensjahr häufig konkret nicht mehr mit der Bearbeitung befasst, was sich auch daran zeigt, dass der letzte Bearbeitungsvermerk bei der Klägerin von März 1998 datiert, während BErzg bis 23.04.1999 bezogen wurde. Soweit Erziehungsgeld für ein "Folgekind" beantragt wird, muss das abgeschlossene Verfahren betreffend das ältere Kind unabhängig vom Folgekindverfahren wieder aufgenommen werden. Im Hinblick darauf, dass es für den Beklagten, wie er im Verfahren, das dem Urteil vom 02.02.2006 zu Grunde lag, bekundet hat, ohne größere Schwierigkeiten möglich gewesen wäre, türkischen BErzg-Beziehern entsprechende Informationen zukommen zu lassen, wäre dies auch bezüglich der BErzg-Bezieher für Kinder, die nach dem 03.05.1996 geboren waren, durchzuführen gewesen.
Soweit der Beklagte nach dem Urteil vom 29.01.2002 Berechtigte zur Antragstellung aufgefordert hat (Geburten zwischen 8/98 und 9/99), ergibt sich auch daraus ein Verstoß gegen Art.3 Grundgesetz, weil er dies nach der Entscheidung des EuGH, nach der ebenfalls Veranlassung zu einem Hinweis bestanden hat, unterlassen hat. Nach der Entscheidung des EuGH bestand jedenfalls Veranlassung, türkische Staatsangehörige, die Bundeserziehungsgeld bezogen oder bezogen hatten, über die Rechtslage zu informieren und zur vorsorglichen Antragstellung aufzufordern. Entscheidend für den Herstellungsanspruch ist nicht, ob die Berechtigte nach dem 04.05.1999 noch BErzg bezogen hat; sondern, dass der Beklagte bis Februar 2002 falsch beraten und informiert hat und zwar sowohl bei konkreten Vorsprachen und Anlässen als auch durch die von ihm verteilten Merkblätter und Informationsbroschüren. Soweit es um Leistungen nach dem 04.05.1999 geht, wie im Falle der Klägerin, kann sich die Leistungsberechtigte zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der ihr erteilten Information auch auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB berufen, wie das BSG im Urteil vom 02.02.2006 unter Rdnr.30 eindeutig feststellt. Dabei setzt sich das BSG mit der Entscheidung vom 18.02.2004 (SozR 4-6940 Art.3 Nr.1) auseinander und stellt klar, dass die Berufung auf Art.3 ARB nur dann nicht zum Tragen kommen kann, wenn Leistungen vor 04.05.1999 im Streit stehen. Seine weitere Formulierung "abgesehen davon, hat der Beklagte seine Pflicht verletzt, die damals im laufenden Bezug vom BErzg stehende, zuvor über ihren Anspruch auf LErzg falsch beratene Klägerin" besagt nicht, nur im laufenden Bezug stehende Berechtigte seien nach zuberaten gewesen. Wie sich aus der Wortwahl "abgesehen davon" ergibt, legt das BSG zwei selbständige Tatbestände der Fehlberatung und damit des Herstellunganspruchs dar: zum einen die unrichtige Rechtsauskunft durch ein Merkblatt und die Zulässigkeit, sich auf diese Unrichtigkeit aus der Zeit vor 04.05.1999 zu berufen (Rdnrn.29, 30) und zum anderen die fehlende Nachberatung bei im laufenden Bezug stehenden Leistungsberechtigten (Rdnr.30 a.E.). Dass nur letztes einen Herstellungsanspruch auslösen sollten, kann dem Urteil im Hinblick auf Rdnrn.29, 30 nicht entnommen werden.
Die Klägerin hat durch die falsche und in der Folge fehlende Information den Anspruch auf LErzg ab 04.05.1999 verloren. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei richtiger Information einen rechtzeitigen Antrag gestellt hätte. Sie hat vorgetragen, sie habe den Antrag auf Grund der Information, als türkische Staatsangehörige stehe ihr LErzg nicht zu, nicht gestellt. Sie gab an, "sie folge dem, was ihr offiziell gesagt werde". Es ist die persönliche Formulierung der Klägerin dafür, dass sie bei richtiger Information den Antrag gestellt hätte. Die äußeren Umstände lassen im Übrigen auch keinen anderen Schluss zu als den, dass Grund für die - zunächst - unterlassene Antragstellung die falsche Information seitens des Beklagten war. Die Klägerin hat ihre Ansprüche auf BErzg für das erste und anschließend für das zweite Lebensjahr ihrer Tochter rechtzeitig geltend gemacht und - sobald sie über die Anspruchsberechtigung türkischer Staatsangehöriger auf LErzg und über die Aufgabe der rechtswidrigen Ablehnungspraxis der Beklagten informiert war - auch umgehend LErzg beantragt.
Der Beklagte kann die Klägerin durch die nachträgliche Zahlung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 auch so stellen, wie sie bei rechtzeitiger Antragstellung auf Grund richtiger Information gestanden hätte. Dem steht nicht entgegen, dass LErzg - ebenso wie BErzg - zweckbezogen gewährt wird. Der Leistungszweck (verstärkte elterliche Zuwendung in der frühkindlichen Lebensphase) wird auch bei nachträglicher Zahlung nicht verfehlt, weil die Klägerin ihre Tochter G. während dieser Zeit unter Verzicht auf Erwerbstätigkeit betreut und erzogen hat.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Lan- deserziehungsgeld (LErzg) für ihre 1997 geborene Tochter G. streitig.
Die 1975 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit mindestens 24.09.1996 mit Aufenthaltserlaubnis in Bayern lebte, ist die Mutter des 1997 geborenen Kindes, für das ihr Personensorge zustand. Sie lebte mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreute und erzog es und übte daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie war bei der IKK Bayern krankenversichert.
Am 30.05.1997 beantragte sie die Gewährung von Bundeserzie- hungsgeld (BErzg) für das erste Lebensjahr des Kindes und am 16.03.1998 stellte sie nach Vorsprache Antrag für das zweite Lebensjahr. Der Beklagte bewilligte ihr ( Bescheide vom 3.6.1997 und 19.3.1998) die begehrte Leistung für die Zeit vom 24.04.1997 bis 23.04.1999. Der letzte in der Akte festgehaltene Bearbeitungsvorgang datiert vom 23.04.1998.
Der am 18.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg, wurde durch Bescheid vom 24.10.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, ein Antrag auf LErzg wirke nach Art.3 Abs.2 LErzGG höchstens sechs Monate zurück. Der Anspruchszeitraum hätte spätestens am 23.04.2000 geendet. Der Antrag vom 18.02.2002 sei nicht innerhalb der sechs Folgemonate gestellt. Die Klägerin habe nach dem sog. Sürül-Urteil des EuGH vom 04.05.1999 erst am 09.03.2001 Kontakt mit dem Beklagten gehabt; dies werde als fiktiver Antrag gewertet. Die Rückwirkung betrage sechs Monate (d.h. bis 09.09.2000). Der Anspruch auf LErzg habe bereits am 23.04.2000 geendet, so dass der Klägerin kein LErzg zustehe.
Mit dem hiergegen erhobenen Rechtsbehelf wurde geltend gemacht, die verspätete Einreichung des Antrags sei nicht von der Klägerin verschuldet. Bei einer Vorsprache des Ehemannes der Klägerin im Zusammenhang mit dem Antrag auf BErg sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Anspruch auf LErzg nicht zustehe. Daraufhin sei die Antragstellung unterblieben. Die Klägerin folge dem, was ihr offiziell gesagt werde. Es müsse von einem Beratungsfehler ausgegangen werden, der durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder durch die nunmehr geänderte Verwaltungspraxis korrigiert werden müsse. In einem Flugblatt des Amtes für Versorgung und Familienförderung sei empfohlen worden, für Kinder, welche zwischen August 1998 und September 1999 geboren seien, den Antrag umgehend einzureichen. Zusätzlich sei erklärt worden, für andere Kinder gäbe es keine allgemeine Ausschlussfrist. Im übrigen sei beim Kontakt vom 09.01.2001 der Anspruch immer noch verneint worden. Der Kontakt zeige aber, dass die Klägerin darum bemüht gewesen sei, den Anspruch geltend zu machen.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10.01.2003). Der Beklagte hielt sein Vorbringen aufrecht und führte ergänzend aus, erst nach dem Sürül-Urteil sei die Verwaltung in der Lage gewesen, den betroffenen Personenkreis zu informieren. Erst seit diesem Zeitpunkt hätten beachtliche Aussichten auf einen entsprechenden Leistungsanspruch bestanden. Es müsse jedoch ein konkreter Anlass für eine dahingehende Beratung vorgelegen haben. Falsche Informationen über Merkblätter und Info-Broschüren würden für sich allein nicht ausreichen. Nach den Aktenunterlagen habe es nach dem 04.05.1999 keine diesbezüglichen Anfragen seitens der Klägerin bzw. konkreten Anlass für eine entsprechende Beratung gegeben. Letztmalig sei die Akte am 24.03.1998 in Bearbeitung gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die neue richtungsweisende Rechtsprechung des EuGH noch nicht absehbar gewesen; es habe daher auch keine entsprechende Beratung erfolgen können.
Mit der am 10.02.2003 beim Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wies erneut darauf hin, dass ihr Ehemann bei der Antragstellung für das zweite Lebensjahr die Auskunft erhalten habe, es bestehe für türkische Staatsangehörige kein Anspruch auf Landeserziehungsgeld, was auch der damaligen Praxis des Beklagten bis 29.01.2002 entsprochen habe. Er sei darauf hingewiesen worden, dass ein trotzdem gestellter Antrag abzulehnen sei. Erst aufgrund des Urteils des EuGH vom 04.05.1999 und dem des BSG vom 29.01.2002 (Az.: B 10 EG 2/01 R), von dem sie Anfang Februar 2002 Kenntnis erhalten habe, habe sie die Gewährung von LErzg beantragt. Vorher habe sie im Hinblick auf die Rechtsansicht des Beklagten von einer Antragstellung abgesehen. Dass sie gleichwohl einen Anspruch auf LErzg habe geltend machen wollen, zeige sich daran, dass sie ihre Ansprüche auf BErzg verfolgt habe. Es liege eine fehlerhafte Beratung bzw ein fehlerhafter Hinweis seitens des Beklagten vor. Im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei die Klägerin so zu stellen, als ob sie rechtzeitig einen Antrag auf LErz gestellt habe. Aber selbst wenn die Ansicht des Beklagten durchgreife, dass Art.3 Abs.2 LErzGG dem Anspruch entgegen stehe, sei der Klägerin wegen der versäumten Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie sei durch die ihr zur Verfügung gestellten Informationen und die Verwaltungspraxis an der Antragstellung verhindert gewesen. Nach Wegfall des Hindernisses Anfang Februar habe sie die Antragstellung binnen zwei Wochen nachgeholt. Auch unter dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs sei ihr Wiedereinsetzung zu gewähren.
Der Beklagte bezog sich hinsichtlich eines Leistungsanspruchs für die Zeit vom 24.04.1999 bis 03.05.1999 auf die Sürül-Entscheidung des EuGH; für die Zeit ab 04.05.1999 nahm er auf den Widerspruchsbescheid Bezug und verneinte einen Herstellungsanspruch. Ein objektiv pflichtwidriges Handeln der Verwaltung sei nicht gegeben.
Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem SG gab die Klägerin an, sie habe im Juni 1999 Antrag auf LErzg gestellt; dieser Antrag sei nicht angenommen worden. Ihr Ehemann habe den Antrag an der Information abzugeben versucht. Sie habe den Vorgang anschließend ihrem Bruder C. E. erzählt. Das Gericht kündigte an, den Bruder schriftlich zu befragen.
Es hörte die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid an; der Beklagte erklärte sein Einverständnis, der Bevollmächtigte der Klägerin äußerte sich nicht.
Der Bruder der Klägerin wurde vom Gericht schriftlich zu seinen Kenntnissen bezüglich einer Antragstellung im Juni 1999 befragt. Seine Antwort wurde vom Bevollmächtigten der Klägerin übersandt. Er gab an, seine Schwester und ihr Ehemann hätten ihn besucht und hätten damals ca. Juni 1999 erzählt, dass sie Antrag auf Landeserziehungsgeld gestellt hätten und dass der Antrag "zurückgelehnt" worden sei, da türkische Staatsangehörige kein Recht auf LErzg hätten.
Das Sozialgericht hob mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2006 den Bescheid vom 24.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2003 auf und verpflichtete den Beklagten der Klägerin LErzg für ihr 1997 geborenes Kind G. für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Klägerin gehöre zum Personenkreis des Art.1 Abs.1 Satz 1 LErzGG, da sie gemäß Art.3 des Beschlusses des Assoziationsrats vom 19.09.1980 (ARB) den Staatsangehörigen der EU gleichgestellt sei, wie sich aus dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 ergebe. Ein Anspruch auf LErzg für die Zeit vor 04.05.1999 scheitere daran, dass die Klägerin daraus keine Rechte herleiten könne. Denn der EuGH habe aus Gründen der Rechtssicherheit im Rahmen seiner Kompetenzen verbindlich für die nationalen Gerichte Ansprüche auf Leistungen auf die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor.
Ein Anspruch auf LErzg für die Zeit ab 04.05.1999 bis 23.04.2000 sei jedoch begründet. Die Vorschrift des Art.3 Abs.2 LErzGG stehe nicht entgegen, da der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Antragsfrist zu gewähren sei. Nach einem Jahr seit dem Ende der Frist könne die versäumte Handlung zwar nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen sei. Als höhere Gewalt stelle sich auch dar, wenn die Fristversäumnis durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Belehrung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht worden sei. Entscheidend sei die Beratungspraxis des Beklagten, die sowohl bei der Wiedereinsetzung als auch im Rahmen des Herstellungsanspruchs eine Rolle spiele. Eine Aufklärungs- und Beratungspflicht setze grundsätzlich ein konkretes Beratungs- und Auskunftsersuchen voraus. Ausnahmsweise bestehe aber auch dann eine Hinweis- und Beratungspflicht, wenn dem jeweiligen Sachbearbeiter bei der Bearbeitung eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich sei, die ein verständiger Antragsteller wahrnehmen würde. Generell sei Voraussetzung, dass zum Antragsteller wenigstens Kontakt bestehe und der Informationsbedarf offen zutage trete. Eine ähnliche Situation ergebe sich bei laufendem Bezug von BErzg nach dem 04.05.1999.
Im Falle der Klägerin habe das BErzg aber vor 04.05.1999 geendet. Dieses Datum stelle die Grenze für die Beratungsverpflichtung des Beklagten dar, da vor diesem Datum eine Beratung durch den Beklagten nicht habe verlangt werden können. Selbst der EuGH habe betont, dass er sich im Urteil vom 04.05.1999 zum ersten mal veranlasst gesehen habe, Art.3 ARB auszulegen und dass davor Ungewissheit bestehen konnte, ob der Einzelne vor einem nationalen Gericht sich auf diesen Beschluss habe berufen können.
Anders ist nach Ansicht des SG allerdings die Rechtslage nach dem 04.05.1999. Insofern treffe den Beklagten die volle Beratungspflicht. Dies gelte nicht nur bei konkretem Kontakt mit der Leistungsempfängerin, sondern auch dann, wenn kein konkreter Anlass zur Beratung mehr bestanden habe. Es seien nachwirkende Beratungspflichten gegeben, wenn der Beklagte ohne unzumutbaren Aufwand eine derartige Beratung hätte durchführen können. Davon sei jedenfalls dann auszugehen, wenn der Bezug von BErzg in einem derartigen zeitlichen Anstand vor dem 04.05.1999 geendet habe, dass auch unter Zuhilfenahme der elektronischen Datenverarbeitung eine Ermittlung der betroffenen früheren BErzg-Bezieher noch zumutbar gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass elektronisch gespeicherte Daten regelmäßig noch längere Zeit leicht erreichbar seien und dass sich vorliegend die Suchkriterien in aller Regel durch das Geburtsdatum der Kinder (nach dem 03.05.1996) und die Staatsangehörigkeit des Antragsteller (türkisch), die sich praktisch in allen Fällen von den Namen ablesen lasse, eingrenzen lasse. Da der relevante Zeitraum bei der Klägerin ca. zehn Tage betragen habe, habe sich für den Beklagten noch eine Beratungsverpflichtung ergeben. Der Beklagte hätte die Klägerin so beraten müssen, dass sie durch rechtzeitige Antragstellung ihre Rechte auf LErzg wahre. Dass der Beklagte eine andere - falsche - Rechtsauffassung vertreten habe, stelle keinen Grund dar, die Belehrung der Klägerin zu unterlassen. Der Klägerin sei durch die fehlende Auskunft ein Nachteil entstanden. Durch eine Neuprüfung des Antrags könne der Zustand wiederhergestellt werden, der vor der fehlenden Beratung durch den Beklagten bestanden habe. Es liege ein Fall höherer Gewalt vor.
Für ein Verschulden der Klägerin lägen keine Anhaltspunkte vor. Es sei nicht ersichtlich, dass ihr vor der Entscheidung des BSG vom 29.01.02 bekannt gewesen oder infolge von Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sei, dass eine Geltendmachung des Anspruchs auf LErzg auch für sie als türkische Staatsangehörige erfolgen könne. Daneben lägen die Vorausssetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor. Demnach sei die Klägerin so zu stellen, wie sie ohne die Falschberatung durch den Beklagten gestanden hätte.
Der Beklagte legte am 08.02.06 Berufung ein und beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 17. Januar 2006 (in Ziffer I., II. und IV.) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akte L 9 EG 56/04, Merkblätter des Beklagten Stand 01/96, 03/97, 02/98 sowie das Hinweisblatt betreffend Geburten von August 1998 bis September 1999 beigezogen. Der Beklagte teilte mit, die Merkblätter bzw. Informationsblätter zum BErzGG und LErzGG seien in der Regel als "Antragspaket" ausgehändigt worden.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie des SG München und auf die Akte des Bayer.Landessozialgerichts verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die mangels einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Berufung des Beklagten (§§ 143 f. SGG) erweist sich als in der Sache unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin Anspruch auf BErzg für ihre 1997 geborene Tochter G. für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 hat, obwohl sie diese Leistung erst am 18.02.2002 beantragt hat und Art.3 Abs.2 BayLErzGG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 16.11.1995, BayGVBl.1995, 818; Art.9 Abs.1 BayLErzGG in der Fassung vom 26.03.2001, BayGVBl.2001 76) die rückwirkende Gewährung höchstens für sechs Monate vor Antragstellung zulässt. Der Klägerin ist für die streitige Zeit Landeserziehungsgeld im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu gewähren.
Ein Anspruch für die Zeit vom 24.04.1999 bis 03.05.1999 wird von der Klägerin nicht geltend gemacht. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 17.01.2006 ist insofern rechtskräftig. Eine Berufung wurde nicht eingelegt; auch eine Anschlussberufung liegt nicht vor.
Anspruch auf LErzg hat nach Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.1 bis 5 BayLErzGG, wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate, in Bayern hat (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr.2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr.4) und die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) besitzt (Nr.5).
Die Voraussetzungen der Nr.1 bis 4 liegen bei der Klägerin vor. Sie hatte ihre Hauptwohnung mindestens seit 24.09.1996 (mit Aufenthaltserlaubnis) in Bayern. Sie lebte seit der Geburt des Kindes, für das ihr die Personensorge zustand, in einem Haushalt, betreute und erzog das Kind selbst und übte keine Erwerbstätigkeit aus. Auch die Voraussetzung nach Nr.5 ist als erfüllt anzusehen. Die türkische Staatsangehörigkeit der Klägerin steht dem streitigen Anspruch trotz der Bestimmung des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 BayLErzGG nicht entgegen. Der generelle Ausschluss in Bayern wohnender türkischer Staatsangehöriger vom LErzg verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Europäischen Assoziationsrechts (BSGE 89, 129). Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 haben nämlich türkische Staatsangehörige, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats wohnen und für die der ARB gilt, auf Grund des Art.3 Abs.1 ARB im Wohnsitzstaat Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit nach den Rechtsvorschriften dieses Staates unter den gleichen Voraussetzungen wie dessen eigene Staatsangehörige. Zwar betraf dieses Urteil ein Verfahren über die Gewährung von bundesdeutschen Kindergeld, es gilt jedoch nach seinem Ausspruch für alle Leistungen der sozialen Sicherheit, auf die sich der ARB bezieht(vgl. BSG SozR 4-6940 Art.3 Nr.1, Nr.2).
Der Fall der Klägerin wird vom ARB erfasst. Das Bayerische LErzg ist eine Familienleistung im Sinne des Art.4 Abs.1 Buchstabe h ARB (BSG in SozR 3-6940 Art.3 Nr.2 S.17). Nach seinem Art.2 findet der ARB auch Anwendung auf die Klägerin, da diese gesetzlich krankenversichert war. Insoweit genügt für die Begründung der Arbeitnehmerschaft, dass der Betreffende mindestens gegen ein Risiko in einem allgemeinen oder besonderen System der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, ohne dass es darauf ankommt, ob er in einem Arbeitsverhältnis steht (EuGH SozR 3-6935 Allg Nr.4 S.47).
Die zeitliche Beschränkung im maßgebenden Urteil des EuGH vom 04.05.1999, wonach aus der Entscheidung für Leistungen vor 04.05.1999 grundsätzlich keine Rechte hergeleitet werden können, kommt bei der Klägerin nicht zum Tragen, weil allein Leistungen für die Zeiten nach Erlass des Urteils im Streit sind.
Der Anspruch der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Beklagten durch das Verbot rückwirkender Gewährung für länger als sechs Monate nicht ausgeschlossen. Bei der Rückwirkungsfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG handelt es sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist, die an die in Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG geforderte, nicht fristgebundene Antragstellung anknüpft. Als Frist des materiellen Sozialrechts ist die Ausschlussfrist des Art.3 Abs.2 Satz 1 BayLErzGG "gesetzliche Frist" im Sinne des nach Art.8 Nr.1 Buchstabe d BayLErzGG i.V.m. § 10 Abs.2 BErzGG in der Fassung vom 31.01.1994 anwendbaren § 27 Abs.1 Satz 1 SGB X. Unverschuldetes Säumnis kann grundsätzlich durch eine hier nicht nach § 27 Abs.5 SGB X ausgeschlossene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden (vgl. unter anderem Urteil des Bundessozialgerichts vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R).
Nach § 27 Abs.1 SGB X gilt: War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. § 27 Abs.3 SGB X bestimmt, dass die Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, es sei denn, dies war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Die Jahresfrist schließt an die sechsmonatige Ausschlussfrist an und gleitet wie diese. Sie war für den gesamten Leistungszeitraum vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 abgelaufen, als die Klägerin am 18.02.2002 ihren Antrag gestellt hat.
Der Klägerin könnte demnach Wiedereinsetzung nur gewährt werden, wenn sie durch höhere Gewalt verhindert war, den Antrag zu stellen. Dies wäre grundsätzlich dann anzunehmen, wenn die Klägerin auch durch größtmögliche von ihr unter Berücksichtigung ihrer Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt den Anspruchsverlust nicht hätte abwenden können. Ob dies bei der Klägerin der Fall war, steht nicht eindeutig fest, da aus den Unterlagen nicht ersichtlich ist, ob über die Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 zum bundesdeutschen Kindergeld und das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19.12.2000 (Übertragung des zum Kindergeld aufgestellten Grundsatzes auf das LErzg) in der Öffentlichkeit - für die Klägerin wahrnehmbar - berichtet und darauf hingewiesen worden ist, der Ausschluss türkischer Staatsangehöriger vom LErzg sei mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht unvereinbar.
Diese Problematik kann aber dahingestellt bleiben, da selbst dann, wenn höhere Gewalt nicht zum Tragen käme, der Klägerin der Anspruch auf Landeserziehungsgeld für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zuzubilligen ist. Sie ist im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie LErzg rechtzeitig nach Auslaufen des BErzg beantragt.
Wie das Bundessozialgericht mit Urteilen vom 02.02.2006 (unter anderem Az.: B 10 EG 7/05 R) festgehalten hat, stellen die Wiedereinsetzungsregeln des § 27 SGB X keine abschließende Entscheidung des Gesetzgebers über die in einer verspäteten Antragstellung liegenden Folgen von Pflichtverletzungen der Verwaltung dar. Die Wiedereinsetzungsvorschriften und das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind danach nebeneinander anwendbar. Das BSG führt dazu aus (a.a.O.): Nach § 2 Abs.2 SGB I ist das Sozialgesetzbuch so auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Eben diesem Ziel dient auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch. Mangels einer deutlichen Regelung durch das Gesetz lässt sich deshalb nicht annehmen, die mit § 27 SGB X eingeführte Wiedereinsetzungsregelung habe den die Bürger begünstigenden, auf Realisierung sozialer Rechte zielenden Herstellungsanspruch auch insoweit verdrängt, als ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Jedenfalls wäre zu erwarten, dass eine den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch treffende Ausschlusswirkung des § 27 SGB X im Gesetz deutlich zum Ausdruck kommt.
Der Gesetzgeber hat die Wiedereinsetzungsvorschriften für das sozialgerichtliche Vor- und Klageverfahren (§§ 67 und 84 Abs.2 Satz 3 SGG) nicht als abschließende Entscheidung über die Folgen von Pflichtverletzungen der Verwaltung angesehen, sondern - zeitgleich mit § 27 SGB X - durch § 44 SGB X eine weitgehende Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten des Bürgers und auf Kosten der Bindungswirkung von diesen belastenden rechtswidrigen Verwaltungsakten gesorgt. Bei durch Verwaltungsakt abgeschlossenen Verfahren ist der Bürger gegen Rechtsverluste deshalb nahezu umfassend geschützt. Ist schon ein rechtswidriger bindender Verwaltungsakt zurückzunehmen und die verweigerte Sozialleistung nachträglich zu erbringen, so liegt es nahe, dies erst recht anzunehmen, wenn es durch fehlerhaftes Verwaltungshandeln zu einem Verwaltungsverfahren und einem ablehnenden Verwaltungsakt gar nicht erst gekommen ist. Die durch § 67 SGG i.V.m. § 44 SGB X gewährleistete Realisierungsdichte sozialer Rechte wird bei unterbliebenem Verwaltungsverfahren erreicht, indem § 27 SGB X und das sozialrechtliche Herstellungsanspruch nebeneinander angewendet werden (Urteil des BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R)
Die Voraussetzungen, unter denen der Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs LErzg für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 zu gewähren ist, liegen vor. Grundsätzlich gefordert wird für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch: - eine Pflichtverletzung, die dem Beklagten zuzurechnen ist, - ein dadurch bei der Klägerin eingetretene sozialrechtlicher Nachteil sowie - die Befugnis des Beklagten, durch eine Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (vgl. BSGE 92, 182, 190 = SozR 4-6940 Art.3 Nr.1).
Eine Pflichtverletzung setzt grundsätzlich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (u.a. SozR 3-1200 § 14 Nr.31) einen konkreten Anlass für eine Beratung oder Auskunft voraus, sei es eine Nachfrage der Berechtigten, sei es aus der akuten konkreten Bearbeitung des Falls. Im Falle der Klägerin geht der Senat davon aus, dass sie bzw. ihr Ehemann am 16.03.1998 bei der Antragstellung auf BErzg für das zweite Lebensjahr beim Beklagten vorgesprochen hat (siehe Vermerk auf dem Antragsformular). Zweifel hat der Senat allerdings an der Behauptung der Klägerin, sie habe im Juni 1999 einen Antrag auf LErzg abgeben wollen, der nicht angenommen worden sei. Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es insofern dennoch nicht, da es auf diese Tatsache nicht entscheidend ankommt. Denn unterstellt, der Vorgang war, wie von der Klägerin behauptet, so steht ihr, da dann ein konkreter Anlass zur Beratung nach dem 04.05.1999 bestanden hat, auch nach der Rechtansicht des Beklagten im Rahmen eines Herstellungsanspruchs das LErzg zu; wird zu Gunsten des Beklagten unterstellt, ein solcher Vorgang im Juni 1999 sei nicht bewiesen, so kann die Klägerin aber, unabhängig von einer Vorsprache im Juni 1999, ihren Anspruch dennoch auf einen Herstellungsanspruch stützen.
Der Senat sieht auch als bewiesen an, dass die Klägerin bei der Antragstellung im März 1998 die Auskunft erhalten hat, türkischen Staatsangehörigen stehe kein Anspruch auf LErzg zu. Zu dieser Ansicht kommt der Senat aus folgendem Grund: Der Beklagte ist bis zur Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 davon ausgegangen, dass türkischen Staatsangehörigen kein Anspruch auf LErzg zustehe. Entsprechend gefasst waren seine Merkblätter und Informationsbroschüren, die den Antragsformularen auf BErzg und LErzg beigefügt waren. Auch die Klägerin hat solche Merkblätter erhalten und wurde entsprechend informiert. Dass der Beklagte durchgängig diese Rechtsansicht vertreten hat, zeigt sich auch daran, dass selbst in der Begründung des Gesetzesentwurfs vom 26.10.2000, Drucksache 14/4679, S.13 noch die Ansicht vertreten wird, grundsätzlich komme LErzg nur für EU/EWR-Bürger in Betracht. Die Angabe der Klägerin, bei der Antragstellung auf BErzg für das zweite Lebensjahr (der Antrag wurde laut Vermerk nach persönlicher Vorsprache gestellt) im März 1998 sei mitgeteilt worden, ein Anspruch auf LErzg bestehe für sie als türkische Staatsangehörige nicht, ist deswegen glaubhaft. Auch vom Erhalt des entsprechenden Merkblatts ist auszugehen.
Diese Information war im Lichte der Entscheidung des BSG vom 29.01.2002 (SozR 3-6940 Art.3 Nr.2) objektiv falsch, auch wenn sie der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG SozR 3-6935 Allg Nr.1) entsprach. Denn eine unrichtige Rechtsauskunft liegt auch dann vor, wenn der Leistungsträger ohne Verschulden von der Richtigkeit seiner Rechtsansicht ausgehen durfte (BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R m.w.N.). Entscheidend ist insoweit die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht ("geläuterte Rechtsauffassung").
An diesem Ergebnis ändert die im Wesentlichen auf die Zukunft begrenzte Wirkung nichts, die der EuGH seiner am 04.05.1999 getroffenen Entscheidung beigelegt hat. Dazu hat das BSG zwar ausgesprochen, zur Begründung der Fehlerhaftigkeit ihr erteilter Informationen für einen Zeitraum vor dem 04.05.1999 könne eine Leistungsberechtigte sich nicht auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB berufen (BSGE 92, 182 = SozR 4-6940 Art.3 Nr.1 Rdnr.23). Diese Aussage ist aber, wie das BSG im Urteil vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R, darlegt, nach der Zielrichtung der EuGH-Entscheidung auf Fälle begrenzt, in denen Leistungen für die Zeit vor dem 04.05.1999 geltend gemacht werden. Der EuGH hat die Mitgliedsstaaten vor unkalkulierbaren finanziellen Belastungen für die Vergangenheit schützen wollen. Die Tatsache, dass in der Entscheidung vom 04.05.1999 für den Leistungsanspruch eine zeitliche Grenze festgehalten war, besagt nicht, dass die Verweigerung der Leistungen vorher rechtmäßig gewesen wäre; sie stellt nur fest, dass die Rechtsverletzung, die vorgelegen hat, für Zeiten vor 04.05.1999 nicht mehr geltend gemacht werden kann. Die vom EuGH angenommene Ausnahme vom Rückwirkungsverbot (am 04.05.1999 eine noch anhängige Klage oder ein vergleichbarer Rechtsbehelf) zeigt auf, dass grundsätzlich auch vor 04.05.1999 die Ansprüche gegeben waren, da sonst auch bei offenem Verfahren eine Leistung vor dem 04.05.1999 nicht in Betracht käme. Die Rechtsansicht des Beklagten und die von ihm erteilten Auskünfte und Informationen waren sowohl vor dem 04.05.1999 als auch danach bis Februar 2002 falsch. Der EuGH hat keine neue Gesetzeslage geschaffen, er hat Art.3 des ARB ausgelegt. Dass er vor 04.05.1999 dazu noch keine Gelegenheit hatte, ändert nichts an der durchgehend bestehenden Rechtslage; es begründete nur einen Schutz der Staaten vor finanziellen Forderungen für die Vergangenheit. Um solche handelt es sich aber im Falle der Klägerin nicht.
Eine Argumentation, die Entscheidung des BSG vom 02.02.2006, Az.: B 10 EG 7/05 R, beträfe eine andere Fallgestaltung als die der Klägerin, greift nicht. Zwar bezog die Klägerin in dem vom BSG entschiedenen Fall vom Oktober 1998 bis Oktober 1999 Bundeserziehungsgeld für das zweite Lebensjahr ihres Kindes. Die Tatsache, an die das BSG anknüpft (Merkblatt im Zusammenhang mit dem Bezug des BErzg), tritt aber regelmäßig bei Antragstellung und Beginn des BErzg auf, das heißt spätestens im Oktober 1998, so dass auch bei dieser Fallgestaltung die fehlerhafte Information vor 04.05.1999 erfolgte. Dies ergibt sich im Übrigen aus der weiteren Begründung des BSG (S.9 unten, 10 oben, Rdnr.30), "wonach der Beklagte seine Pflicht verletzt habe, die damals im laufenden Bezug von BErzg gestehende, zuvor über ihren Anspruch auf LErzg falsch beratene Klägerin nach der Entscheidung des EuGH" "nachzuberaten". Die Frage einer "Nachberatung" nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 stellt sich aber nur, wenn die erste Beratung vor der Entscheidung des EuGH war. Denn wäre die erste Beratung nach dem 04.05.1999 dahin erfolgt, es bestehe kein Anspruch, würde - auch nach Ansicht des Beklagten - allein dies für einen Herstellungsanspruch ausreichen.
Aus dem im Zusammenhang mit der Nachberatung erfolgten Hinweis des BSG auf das Urteil vom 25.01.1996 (SozR 3-3200 § 86a Nr.2 S.8) kann für den Anspruch der Klägerin nichts Nachteiliges hergeleitet werden. Das BSG hatte in dieser Entscheidung zwar im Ergebnis einen Herstellungsanspruch verneint; diese Entscheidung betraf eine Beratungspflicht für den Fall, dass sich nach Abschluss des Leistungsverfahrens eine Gesetzesänderung ergab. Eine solche Fallgestaltung liegt bei der Klägerin aber nicht vor, da nach der "geläuterten Rechtsauffassung" bereits vor 04.05.1999 und 29.01.2002 die Sach- und Rechtslage objektiv so gestaltet war, dass auch türkische Staatsangehörige Anspruch auf LErzg hatten. Für eine derartige Fallgestaltung prüft aber das BSG in der Entscheidung vom 25.01.1996 in SozR 3-3200 § 86 auf dem im Urteil vom 02.02.2006 zitierten Blatt 8 gerade einen "Nachberatungsanspruch". Es führt dazu aus: Ohne konkretes Beratungsersuchen wäre eine Beratungspflicht der Beklagten allenfalls in Betracht gekommen, wenn ihr in einem früheren Verfahren oder in anderem Zusammenhang (zum Beispiel in Informationsmitteilungen) ein Fehler unterlaufen wäre und dieser sich nachteilig auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ausgewirkt hätte". Diesen Sachverhalt hat der 10. Senat des BSG im Urteil vom 02.02.2006 S.9 angenommen und einen Herstellungsanspruch bejaht. Er hat wie der 7. Senat im Urteil vom 25.01.1996 unter Bezugnahme auf die grundsätzliche Rechtsprechung (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr.6 S.13) eine "Nachberatung" bei falscher Beratung in früheren Verfahren oder in anderem Zusammenhang angenommen. Der Beklagte hätte die Klägerin auf die Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 hinweisen müssen.
Unabhängig davon sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs auch deswegen zu bejahen, weil der Beklagte durch das Unterlassen einer Beratung nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 den Gleichheitssatz des Art.3 GG verletzt hat. Das BSG hat im Urteil vom 14.02.2001 (SozR 3-1200 § 14 Nr.31) entschieden, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch auf Grund einer gegen Art.3 GG verstoßenden Ungleichbehandlung beratungsbedürftiger Personen durch einen Leistungsträger begründet sein kann. Die unterschiedliche Behandlung, die der Beklagte Antragstellern mit laufendem BErzg-Bezug oder mit Folgekind zukommen lässt, entspricht nicht dem Art.3 GG, da es sich um kein die unterschiedliche Behandlung rechtfertigendes Merkmal handelt. Auch bei laufendem Bezug ist der Beklagte verwaltungstechnisch nach Bewilligung des BErzg für das zweite Lebensjahr häufig konkret nicht mehr mit der Bearbeitung befasst, was sich auch daran zeigt, dass der letzte Bearbeitungsvermerk bei der Klägerin von März 1998 datiert, während BErzg bis 23.04.1999 bezogen wurde. Soweit Erziehungsgeld für ein "Folgekind" beantragt wird, muss das abgeschlossene Verfahren betreffend das ältere Kind unabhängig vom Folgekindverfahren wieder aufgenommen werden. Im Hinblick darauf, dass es für den Beklagten, wie er im Verfahren, das dem Urteil vom 02.02.2006 zu Grunde lag, bekundet hat, ohne größere Schwierigkeiten möglich gewesen wäre, türkischen BErzg-Beziehern entsprechende Informationen zukommen zu lassen, wäre dies auch bezüglich der BErzg-Bezieher für Kinder, die nach dem 03.05.1996 geboren waren, durchzuführen gewesen.
Soweit der Beklagte nach dem Urteil vom 29.01.2002 Berechtigte zur Antragstellung aufgefordert hat (Geburten zwischen 8/98 und 9/99), ergibt sich auch daraus ein Verstoß gegen Art.3 Grundgesetz, weil er dies nach der Entscheidung des EuGH, nach der ebenfalls Veranlassung zu einem Hinweis bestanden hat, unterlassen hat. Nach der Entscheidung des EuGH bestand jedenfalls Veranlassung, türkische Staatsangehörige, die Bundeserziehungsgeld bezogen oder bezogen hatten, über die Rechtslage zu informieren und zur vorsorglichen Antragstellung aufzufordern. Entscheidend für den Herstellungsanspruch ist nicht, ob die Berechtigte nach dem 04.05.1999 noch BErzg bezogen hat; sondern, dass der Beklagte bis Februar 2002 falsch beraten und informiert hat und zwar sowohl bei konkreten Vorsprachen und Anlässen als auch durch die von ihm verteilten Merkblätter und Informationsbroschüren. Soweit es um Leistungen nach dem 04.05.1999 geht, wie im Falle der Klägerin, kann sich die Leistungsberechtigte zur Begründung der Fehlerhaftigkeit der ihr erteilten Information auch auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 ARB berufen, wie das BSG im Urteil vom 02.02.2006 unter Rdnr.30 eindeutig feststellt. Dabei setzt sich das BSG mit der Entscheidung vom 18.02.2004 (SozR 4-6940 Art.3 Nr.1) auseinander und stellt klar, dass die Berufung auf Art.3 ARB nur dann nicht zum Tragen kommen kann, wenn Leistungen vor 04.05.1999 im Streit stehen. Seine weitere Formulierung "abgesehen davon, hat der Beklagte seine Pflicht verletzt, die damals im laufenden Bezug vom BErzg stehende, zuvor über ihren Anspruch auf LErzg falsch beratene Klägerin" besagt nicht, nur im laufenden Bezug stehende Berechtigte seien nach zuberaten gewesen. Wie sich aus der Wortwahl "abgesehen davon" ergibt, legt das BSG zwei selbständige Tatbestände der Fehlberatung und damit des Herstellunganspruchs dar: zum einen die unrichtige Rechtsauskunft durch ein Merkblatt und die Zulässigkeit, sich auf diese Unrichtigkeit aus der Zeit vor 04.05.1999 zu berufen (Rdnrn.29, 30) und zum anderen die fehlende Nachberatung bei im laufenden Bezug stehenden Leistungsberechtigten (Rdnr.30 a.E.). Dass nur letztes einen Herstellungsanspruch auslösen sollten, kann dem Urteil im Hinblick auf Rdnrn.29, 30 nicht entnommen werden.
Die Klägerin hat durch die falsche und in der Folge fehlende Information den Anspruch auf LErzg ab 04.05.1999 verloren. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei richtiger Information einen rechtzeitigen Antrag gestellt hätte. Sie hat vorgetragen, sie habe den Antrag auf Grund der Information, als türkische Staatsangehörige stehe ihr LErzg nicht zu, nicht gestellt. Sie gab an, "sie folge dem, was ihr offiziell gesagt werde". Es ist die persönliche Formulierung der Klägerin dafür, dass sie bei richtiger Information den Antrag gestellt hätte. Die äußeren Umstände lassen im Übrigen auch keinen anderen Schluss zu als den, dass Grund für die - zunächst - unterlassene Antragstellung die falsche Information seitens des Beklagten war. Die Klägerin hat ihre Ansprüche auf BErzg für das erste und anschließend für das zweite Lebensjahr ihrer Tochter rechtzeitig geltend gemacht und - sobald sie über die Anspruchsberechtigung türkischer Staatsangehöriger auf LErzg und über die Aufgabe der rechtswidrigen Ablehnungspraxis der Beklagten informiert war - auch umgehend LErzg beantragt.
Der Beklagte kann die Klägerin durch die nachträgliche Zahlung von Erziehungsgeld für die Zeit vom 04.05.1999 bis 23.04.2000 auch so stellen, wie sie bei rechtzeitiger Antragstellung auf Grund richtiger Information gestanden hätte. Dem steht nicht entgegen, dass LErzg - ebenso wie BErzg - zweckbezogen gewährt wird. Der Leistungszweck (verstärkte elterliche Zuwendung in der frühkindlichen Lebensphase) wird auch bei nachträglicher Zahlung nicht verfehlt, weil die Klägerin ihre Tochter G. während dieser Zeit unter Verzicht auf Erwerbstätigkeit betreut und erzogen hat.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG sind nicht ersichtlich.
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