L 20 R 469/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 873/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 R 469/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.08.2003 und der Bescheid der Beklagten vom 25.07.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 31.07.2001 hinaus bis 30.04.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Berufs- (BU) bzw. Erwerbsunfähigkeit (EU) über den Juli 2001 hinaus.

Der 1956 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Drehers erlernt (Prüfung 1974 in der DDR) und war in der Folgezeit bei verschiedenen Betrieben als Gütekontrolleur, LKW-Fahrer, Schlosser, Kesselwärter und Traktorist beschäftigt bis 1990. Nach der Übersiedlung in das Bundesgebiet war er überwiegend als LKW-Fahrer - unterbrochen durch kurze Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Selbstständigkeit - bei verschiedenen Arbeitgebern versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 14.08.2000 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen BU bzw. EU wegen Herzerkrankung. Beim Kläger war im September 1999 ein Aortenklappenersatz und Myektomie der linksventrikulären Ausflussbahn vorgenommen worden. Vom 26.10. bis 07.12.1999 befand sich der Kläger in einer Anschlussheilbehandlung in der H.klinik in B ... Nach Auswertung der Befunde bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.08.2000 Rente wegen EU auf Zeit vom 01.01.2000 bis 31.07.2001 (in Höhe von 1.382,51 DM monatlich).

Am 07.03.2001 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Rente über den 31.07.2001 hinaus. Die Beklagte ließ ihn untersuchen durch den Chirurgen Dr.L. und den Internisten Dr.S. , die im Gutachten vom 11.07.2001 zu dem Ergebnis kamen, dass der Kläger noch bzw. wieder leichte Arbeiten im Wechselrhythmus in Vollschicht leisten könne. Die Beklagte lehnte den Weitergewährungsantrag mit Bescheid vom 25.07.2001 ab, weil beim Kläger BU oder EU nicht mehr vorliege.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2001 zurück. Der Kläger sei in der Lage, leichte Arbeiten im Wechselrhythmus, ohne Schichtbetrieb, vollschichtig zu verrichten. Er könne zwar als Kraftfahrer nicht mehr arbeiten. Es könne jedoch dahinstehen, ob der Kläger als Facharbeiter anzusehen sei, denn auch als Facharbeiter sei er verweisbar auf sonstige Ausbildungsberufe (Anlernberufe) und auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die sich durch besondere Merkmale (z.B. erhöhte Verantwortung) aus dem Kreis der ungelernten Arbeiten hervorheben und tariflich Anlerntätigkeiten gleich stehen. Als zumutbare Berufe dieser Art kämen in Betracht: Werkzeug-, Waren- oder Materialausgeber in der Metall- oder Kunststoffverarbeitung, Kontrolleur, Warenprüfer, Endproduktprüfer in der Metallwaren- oder Elektrogeräteindustrie.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 15.10.2001 Klage beim Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Er verwies auf seine Erkrankungen des Skelettsystems und vor allem des Herzens, die es ihm unmöglich machten, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das SG hat Befundgerichte des Allgemeinarztes Dr.S. , des Internisten Dr.K. , des Nervenarztes Dr.M. , des Augenarztes Dr.K. und des Orthopäden Dr.P. zum Verfahren beigenommen. Auf Veranlassung des Gerichts hat der Internist Dr.R. das Gutachten vom 25.04.2003 erstattet. Er hat den Kläger noch bzw. wieder für fähig erachtet, körperlich leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen am Bewegungsapparat, vorwiegend in geschlossenen Räumen, vollschichtig zu verrichten. Dem Kläger seien auch die im Widerspruchsbescheid genannten Verweisungstätigkeiten vermittelbar bzw. zumutbar. Vom letzten Arbeitgeber des Klägers, Spedition H. in L. , wurde eine Auskunft eingeholt. Der Kläger war dort vom 01.12.1998 bis 15.05.1999 als Kraftfahrer ohne tarifliche Bindung beschäftigt. Mit Gerichtsbescheid vom 15.08.2003 hat das SG die Klage - gerichtet auf Gewährung von Rente wegen EU über den 31.07.2001 hinaus - abgewiesen. Der Kläger sei weder berufs- noch erwerbsunfähig, da er zumindest leichte Arbeiten in Vollschicht verrichten könne. Der Kläger könne nicht als Facharbeiter angesehen werden, da er in den letzten Jahren überwiegend als Kraftfahrer (ohne gesonderte Ausbildung) eingesetzt gewesen sei. Er könne daher allenfalls als angelernter Arbeiter beurteilt werden und sei auf andere angelernte wie auch ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Als zumutbare Tätigkeiten benannte das SG beispielhaft die eines Werkzeug- oder Warenausgebers in der Metallverarbeitung oder auch Tätigkeiten als Kontrolleur oder Produktprüfer in der Metallwaren- oder Elektroindustrie.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.09.2003 Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er hat weiterhin die Gewährung von Rente wegen EU über den Juli 2001 hinaus verlangt und die Auffassung vertreten, dass die bestehende Herzerkrankung nicht hinreichend gewürdigt worden sei und dass auch die Beschwerden nach Bandscheibenoperation weiter bestünden. Der Kläger hat Arztberichte des Kardiologen Dr.L. vom 02.08.2004, der Ärztin für Reha-Medizin Dr.B. vom 24.09.2004, der Ärztin und Lungenfachärztin Dr.S. vom 06.09.2004, des Nervenarztes Dr.H. vom 26.11.2004, des Radiologen Dr.R. vom 16.12.2004 und erneut des Kardiologen Dr.L. vom 10.01.2005 vorgelegt. Von dem Allgemeinarzt Dr.S. wurde der Befundbericht vom 27.07.2005 beigezogen. Auf Veranlassung des Senats hat der Internist und Arzt für Arbeitsmedizin Dr.S. das Gutachten vom 19.01.2006 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er hat folgende Diagnosen genannt: 1. Zustand nach Aortenklappenersatz und Myektomie der Ausfluss- bahn der linken Herzkammer im September 1999 mit regelrechter Funktion der Klappenprothese und geringgradigem paraprothetischem Leck; ausreichende Pumpfunktion der linken Herzkammer, 2. Zustand nach kurzfristiger zerebraler Durchblutungsstörung 2000 ohne bleibende neurologische Ausfälle, 3. hyperreagibles Bronchialsystem mit leichter bronchialer Obstruktion, 4. Zustand nach Bandscheibenoperation L4/L5 links mit erweiterter interlaminärer Fensterung, mikrochirurgischer Foraminotomie und Sequesterentfernung 2/98 - bleibendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit sensiblem L5-Syndrom links ohne Paresen, ohne Rezidivprolaps.

Beim Kläger sei unter Berücksichtigung aller Befunde ab 13.04.2002 wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten unter qualitativen Einschränkungen gegeben. Nicht mehr zumutbar sei das schwere Heben und Tragen von Lasten, häufige Überkopfarbeiten und Tätigkeiten im Bücken und unter Zwangshaltungen; vermieden werden sollten auch überwiegendes Gehen und überwiegendes Stehen. Die leistungseinschränkende Gesundheitsstörung des Bewegungsapparates, die zur zeitlich befristeten Rente wegen EU geführt habe, sei im Jahre 2001 noch nicht soweit stabilisiert gewesen, dass wieder eine vollschichtige Tätigkeit zumutbar gewesen wäre. Das jetzt wieder vorhandene vollschichtige Leistungsbild bestehe erst nach der Entlassung aus der Neurochirurgischen Klinik M. , d.h. ab 13.04.2002 (dort stationärer Aufenthalt vom 03.04. bis 12.04.2002). Bezüglich der aktuellen beruflichen Leistungsfähigkeit stimme er mit der Beurteilung im Gutachten von Dr.R. überein. Von Juli 2001 bis zum 12.04.2002 sei die Arbeitstätigkeit nur in einem Umfang von zwei Stunden bis unterhalbschichtig möglich gewesen. Als Kraftfahrer könne der Kläger auch weiterhin nicht eingesetzt werden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien noch verschiedene Tätigkeiten möglich, wie z.B. als Sortierer, Qualitätskontrolleur, Etikettierer, Stanzer, Pförtner. In Kenntnis dieses Gutachtens geht die Beklagte weiterhin davon aus, dass beim Kläger über den Juli 2001 hinaus BU und auch EU nicht vorliegt. Sie verweist auf Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes, Dr.P. vom 13.02.2006 und Dr.S. vom 07.03.2006. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass ihm über den von Dr.S. genannten Zeitpunkt (13.04.2002) hinaus zumindest Rente wegen BU gewährt werden müsse. Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 15.08.2003 und den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen EU, hilfsweise BU, über Juni 2001 hinaus zu gewähren. Hilfsweise beantragt der Kläger, ein berufskundliches Gutachten zur Verweisbarkeit einzuholen. Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des SG Bayreuth vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als teilweise begründet.

Der Kläger war über den Juli 2001 hinaus bis April 2002 erwerbsunfähig i.S. des § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI - in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung). Dies folgt für den Senat aus dem Gutachten des Dr.S. vom 19.01.2006. Der Sachverständige ist in Auswertung der vorliegenden Befunde, hier vor allem Berichte des Landesfachkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in H. vom 12.04.2002 und der Neurochirurgischen Klinik in M. vom 08.05.2002, zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger in der Zeit nach Rentenwegfall (ab August 2001) noch ein rückläufiges residuales sensomotorisches L5-Syndrom nach operiertem Bandscheibenvorfall und Rezidivbandscheibenvorfall auf Höhe L5/L4 vorlag. Dieses hatte das Leistungsvermögen des Klägers - für Arbeiten allgemeiner Art - noch bis zum April 2002 auf unterhalbschichtig limitiert. Für den Senat nachvollziehbar und überzeugend hat Dr.S. ausgeführt, dass in der Zeit unmittelbar nach Rentenwegfall die leistungseinschränkende Gesundheitsstörung des Bewegungsapparates noch nicht so weit stabilisiert war, dass dem Kläger eine vollschichtige Arbeit zumutbar gewesen wäre. Der Sachverständige konnte sich dabei auch auf die Untersuchungsbefunde aus dem chirurgischen Gutachten der Beklagten vom 11.07.2001 stützen. Bei dieser Untersuchung waren zwar die gegen Jahresende wieder zunehmenden Beschwerden und Befunde, die dann die Indikation einer erneuten (allerdings nicht durchgeführten) Operation bedingten, noch nicht bekannt; im Gutachten werden aber bereits die in Häufigkeit und Stärke wechselnden Beschwerden angegeben. Bei rückschauender Gesamtbetrachtung wies die Gesundheitsstörung der Wirbelsäule über Juli 2001 hinaus einen wechselhaften Verlauf auf, mit Lähmungserscheinungen, Sensiblilitätsstörungen, Schmerzen und stärkeren Funktionseinschränkungen. Eine wesentliche und anhaltende Besserung dieser Störung ist dann erst mit der Therapie in der Klinik in M. im April 2002 eingetreten. Dies bedeutet, dass beim Kläger nicht bereits ab August 2001 wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen für Arbeiten allgemeiner Art vorgelegen hat (das dann später in eine Zeit der Arbeitsunfähigkeit übergegangen wäre), sondern dass über Juli 2001 hinaus die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers auf unterhalbschichtig beschränkt war. Die Wiederherstellung der vollen Erwerbsfähigkeit beim Kläger für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes war erst, wie ausgeführt, nach den Klinikaufenthalten in H. und M. festzustellen und zu begründen. Bis zum Ablauf des Monats April 2002 war dem Kläger daher die Rente wegen EU weiter zu gewähren.

Dagegen hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen EU oder auch nur wegen BU gemäß § 43 SGB VI (in der bis Dezember 2000 geltenden Fassung) über diesen Monat hinaus. Wie vorstehend unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr.S. ausgeführt, besteht beim Kläger wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, die im Wechsel von Stehen und Sitzen oder im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen ausgeführt werden können. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit, wenn auch nur für körperlich leichte Arbeiten allgemeiner Art, ist die Annahme von EU nicht zu begründen. Der Kläger ist aber auch nicht berufsunfähig i.S. des § 43 SGB VI a.F. Bisheriger Beruf i.S. des Abs 2 dieser Vorschrift ist der des LWK-Fahrers, den der Kläger seit seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet ganz überwiegend (unterbrochen nur durch kurze Tätigkeiten als Metallarbeiter und als selbstständiger Transportunternehmer) ausgeübt hat. Für diese Berufstätigkeit hat er keine Ausbildung nach den gesetzlichen Regelungen der Bundesrepublik durchlaufen und hat eine solche auch nicht benötigt (vgl. Auskunft des letzten Arbeitgebers des Klägers, Fa.H., vom 22.04.2003). Dem SG ist darin zuzustimmen, dass die Berufstätigkeit des LKW-Fahrers allenfalls dem Bereich der angelernten Tätigkeiten nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema zur Einteilung der Arbeiterberufe zuzuordnen ist. Innerhalb der Gruppe der angelernten Arbeiter ist der Kläger nach der Überzeugung des Senats jedoch nicht als angelernter Arbeiter im oberen Bereich, sondern als einfach Angelernter einzustufen (keine näher bezeichnete Ausbildung für den Fahrerberuf). Als einfach angelernter Arbeiter ist der Kläger auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, sofern diese nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sind. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es hierbei nicht. Da eine Verweisungstätigkeit nicht zu benennen ist, war auch dem Hilfsantrag des Klägers nicht zu entsprechen, ein berufskundliches Gutachten zur Verweisbarkeit einzuholen.

Die Berufung des Klägers war demnach zurückzuweisen, soweit Leistungen über den April 2002 hinaus beantragt waren. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf der Erwägung, dass die Berufung des Klägers nur zum (geringeren) Teil begründet ist.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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