L 3 U 343/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 U 5047/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 343/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 01.10.2003 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1928 geborene Klägerin stürzte am 16.01.1998 auf dem Weg zu Waldarbeiten auf der Haustreppe und erlitt eine Sprunggelenksluxationsfraktur links (Durchgangsarztbericht Dr.S. vom 19.01.1998). Stationäre Behandlung erfolgte vom 16.01.1998 bis 28.01.1998 und erneut wegen einer Wundheilungsstörung infolge eines Infekts am Außenknöchel vom 05.02.1998 bis 04.03.1998. Am 06.04.1998 erfolgte eine Wundrevision mit Plattenentfernung, am 27.05.1999 eine Materialentfernung am Innenknöchel.

Zur Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte ein Gutachten des Dr.S. vom 25.09.1998 ein, der die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. einschätzte. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 24.09.1998 als vorläufge Entschädigung ab 18.07.1998 bis auf weiteres Rente nach einer MdE von 20 v.H ... Im Rahmen einer Überprüfung für Rente auf unbestimmte Zeit lehnte die Beklagte nach Einholung von Gutachten des Dr.S. vom 24.07.1999 und 26.03.2000 mit Bescheid vom 20.04.2000 Rente auf unbestimmte Zeit ab und entzog die vorläufige Rente ab 01.05.2000. Als Unfallfolgen erkannte sie an: eine leichte Bewegungseinschränkung im linken oberen und unteren Sprunggelenk, eine Muskelminderung am linken Unterschenkel, reizlose und wenig verschiebliche Operationsnarben am linken Fußgelenk mit Gefühlsminderung am linken Fußrücken, eine geringe Geh- und Standbehinderung sowie eine leichte posttraumatische Arthrose im linken oberen Sprunggelenk mit geringer Kalksalzminderung. Den Widerspruch der Klägerin, den sie mit weiteren Beschwerden begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2000 zurück.

Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, die Bescheide aufzuheben und Rente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren. Das SG hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen beigezogen und Gutachten des Dr.S. vom 25.02.2002 und Dr.K. vom 09.12.2002 eingeholt. Beide haben eine MdE von 20 v.H. ab 01.05.2002 angenommen. Es sei durch den Unfall zu einer posttraumatischen Arthrose mit zunehmender Bewegungseinschränkung sowie Dysästhesien im Narbenbereich am linken oberen Sprunggelenk nach Spalthautdeccung gekommen. Es bestehe eine nachvollziehbare Schwellneigung sowie eine eingeschränkte Gehstrecke. Die Beklagte wandte sich hiergegen mit Stellungnahmen ihres beratenden Arztes Dr.D. vom 17.03.2002 und 17.01.2003, der eine noch bestehende Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk mit einer MdE von 10 v.H. einschätzte.

Daraufhin hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2003 die Klage abgewiesen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin Berufung eingelegt und einen Bericht des Dr.J. vom 11.03.2004 vorgelegt. Er hat dargelegt, es bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom. Die Klägerin sei durch Dauerfolgen des Unfalls in ganz erheblichem Ausmaße eingeschränkt, sowohl, was die Bewegungseinschränkung, die reduzierte Belastbarkeit als auch das beschriebene Schmerzsyndrom betreffe.

Der Senat hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen beigezogen und gemäß § 109 SGG Gutachten des Orthopäden Dr.E. und des Neurologen Dr.S. eingeholt. Dr.E. hat im Gutachten vom 22.02.2005/08.02.2006 ausgeführt, aus orthopädischer Sicht betrage die MdE 10 v.H., die Gesamt-MdE betrage unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dr.S. 30 v.H ... Dr.S. hat im Gutachten vom 23.01.2005 ausgeführt, es liege ein chronisches zentrales Schmerzsyndrom vor. Die angegebenen Sensibilitätsstörungen könnten in dieser Form nur bei Beteiligung zentraler Mechanismen der Schmerzentstehung gefunden werden. Auch die Ausbreitung der Schmerzen vom Sprunggelenk auf das gesamte linke Bein, die Schmerzqualität und die Schmerzintensität seien als typisch zu werten. Weiterhin müsse von einer partiellen Peronäusparese als Traumafolge ausgegangen werden. Die MdE betrage 30 v.H. ab 01.05.2000.

Der Senat hat sodann eine weitere Begutachtung nach § 106 SGG durchgeführt. Der Neurologe Dr.P. hat im Gutachten vom 14.07.2006 ausgeführt, bei Zustand nach trimmaliolärer Sprunggelenksluxationsfraktur links sei eine leichte, funktionell nicht bedeutsame Schädigung des Nervus peronäus profundus links möglich, es bestünden anhaltend Schmerzen, die sich auf den Bereich der stattgehabten Verletzung beziehen ließen, für eine Schmerzkrankheit im engeren Sinn ergäben sich keine Hinweise. Es bestehe eine erhebliche psychogene Überlagerung des Beschwerdebildes mit tendenzieller Auswirkung. Eine MdE in Höhe von 10 v.H. sei nur vertretbar, wenn geklagte Schmerzen hiermit erfasst würden, damit bestünden erhebliche Überschneidungen zum orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet. Der Orthopäde Dr.L. hat im Gutachten vom 06.06.2006 dargelegt, unter Einschluss der Gesundheitsstörungen des neurologisch-psychiatrischen Formenkreis könnte bei der Klägerin eine MdE von 15 v.H. angenommen werden. Es bestünden unspezifische Arthralgien des linken oberen Sprunggelenks bei glaubwürdigen subjektiven Beschwerden und leichtgradigem Funktionsdefizit.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Regensburg vom 01.10.2003 und des Bescheides vom 20.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2000 zu verurteilen, ihr aufgrund des Arbeitsunfalles vom 16.01.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. auf Dauer über den 01.05.2000 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 01.10.2003 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz sowie die Beklagtenakte hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente gemäß §§ 7 Abs.1, 56 Abs.1 Satz 2 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII), denn ihre MdE beträgt nach dem 01.05.2004 nicht mehr 20 v.H ... Die Beklagte hat zu Recht die gemäß § 62 Abs.1 SGB VII als vorläufige Entschädigung festgesetzte Rente mit Bescheid vom 20.04.2000 entzogen und damit konkludent die Rente auf unbestimmte Zeit gemäß § 62 Abs.2 SGB VII abgelehnt. Auch ohne Feststellung geänderter Verhältnisse kann die MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgesetzt werden. Entscheidend ist bei der erstmaligen Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit der Zustand der Folgen des Versicherungsfalles zum Zeitpunkt der Rentenfeststellung (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Kommentar, Gesetzliche Unfallversicherung § 62 Anm.12).

In Übereinstimmung mit dem SG ist auch der Senat der Auffassung, dass eine rentenberechtigende MdE von 20 v.H. von der Klägerin ab 01.05.2004 nicht erreicht wird.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang und der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs.2 Satz 1 SGB VII). Bei der Beurteilung der MdE haben die ärztlichen Sachverständigen die vom versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schriftum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten. Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet, die in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst sind und als Anhaltspunkte für die MdE-Schätzung im Einzelfall dienen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Kasseler Kommentar-Ricke § 56 SGB VII Rdnr.40; Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl.). Diese Richtwerte bilden die Basis für einen Vorschlag, den die medizinischen Sachverständigen zur Höhe der MdE unterbreiten. Diese abstrakte Bewertung der MdE soll gewährleisten, dass gleiche Unfallfolgen in gleichgelagerten Fällen auch gleich bewertet werden (BSGE 43, 54).

Der Senat folgt im vorliegenden Fall der Einschätzung der Sachverständigen Dr.E. und Dr.L. auf orthopädischem Fachgebiet und Dr.P. auf neurologischem Fachgebiet. Danach liegt bei der Klägerin nach trimaliollärer Fraktur bei weitgehend achsengerechter Stellung der Fraktur eine leichtgradige eingeschränkte Fußhebung links, leichtgradig eingeschränkte Beweglichkeit des linken unteren Sprunggelenks, Hautmissempfindung an der Vorder- und Außerseite des rechten Unterschenkels, mäßig ausgeprägte Arthrose im oberen Sprunggelenk, eingeschränkte Abrollfunktion des linken Fußes vor. Hinzu kommt eine mögliche Schädigung des Nervus peronäus profundus durch die im Zusammenhang mit der Fraktur durchgeführte Behandlungsmaßnahme, ohne funktionell bedeutsam zu sein. Wenn Dr.L. wegen des nur leichtgradigen Funktionsdefizit auf orthopädischem Gebiet nur eine MdE von 10 v.H. ansetzt, so ist dies überzeugend, insbesondere im Hinblick darauf, dass erst bei einer völligen Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks eine MdE von 20 v.H. infrage kommt (Mehrhoff/Muhr a.a.O. S.154).

Eine MdE von 20 v.H. wird auch nicht erreicht im Hinblick auf die von der Klägerin angegebenen Schmerzen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die üblicherweise vorhandenen Schmerzen in den Richtwerten mit eingeschlossen sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S.313). Das Vorhandensein von Schmerzen, die sich nachhaltig auf die Erwerbsfähigkeit der Klägerin auswirken, war nicht zu verifizieren. Dabei steht außer Frage, dass die Klägerin an Schmerzen in Form von Sensibilitätsstörungen im linken Bein leidet, wie von ihr ständig angegeben. Zu beachten ist jedoch, dass sie sich ohne erkennbare Schmerzreaktionen bewegen kann und eine erhebliche psychogene Überlagerung des Beschwerdebildes mit tendenzieller Ausrichtung sich bei Dr.P. zeigte. Der Auffassung des Dr.S. , es läge ein chronisch-zentrales Schmerzsyndrom vor, vermochte sich der Senat nicht anzuschließen, nach dem dieser auf mögliche psychozentrale Mechanismen nicht eingegangen ist. Da Dr.P. die Gesundheitsstörungen auf neurolgisch-psychiatrischem Fachgebiet mit einer MdE von 10 v.H. ansetzt im Hinblick auf die funktionell nicht bedeutsame Schädigung des Nervus peronäus profundus links und Dr.L. eine MdE von 10 v.H. auf orthopädischem Fachgebiet, so ist es überzeugend, wenn Dr.L. insgesamt von einer MdE von 15 v.H. ausgeht. Ein schematisches Zusammenrechnen verbietet sich, sondern entscheidend ist eine Gesamtschau der Gesamteinwirkung aller einzelnen Schäden auf die Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der verschiedenen Funktionsstörungen (BSGE 48, 82).

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Klägerin eine rentenberechtigende MdE von 20 v.H. nicht erreicht und daher Verletztenrente auf Dauer nicht zu gewähren ist.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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