L 6 R 97/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 956/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 97/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.

Sie ist 1950 geboren, kroatische Staatsbürgerin und lebt in Kroatien. Von 1965 bis 1967 absolvierte sie eine zweijährige Berufsausbildung in Kroatien zur qualifizierten Arbeiterin für die Herstellung von Fertigkleidung. In der Bundesrepublik Deutschland war sie von 1970 bis Oktober 1983 in einem Fertigungsbetrieb für Bekleidung beschäftigt, der im März 1995 insolvent wurde und von dem im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren keinerlei Auskünfte über die Tätigkeit der Klägerin mehr zu erhalten waren. Die Klägerin selbst hat angegeben, dass sie als Schneiderin normale Näherinnenarbeit verrichtet habe.

In Kroatien arbeitete die Klägerin bis 27.02.1998, zuletzt als Schichtleiterin in einem Textilbetrieb. Am 07.03.2000 stellte sie Antrag auf Rente und erhält seit 01.01.1999 Pensionsleistungen des kroatischen Versicherungsträgers.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag vom 07.03.2000 mit Bescheid vom 06.07.2001 ab und wies den anschließenden Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2002 als unbegründet zurück. Sie stützte sich dabei auf die gutachterlichen Feststellungen des in Z. vom dortigen Versicherungsträger gehörten Sachverständigen und ihres eigenen Sozialärztlichen Dienstes. Der Sachverständige in Z. kam zu dem Ergebnis, die Klägerin könne als Schneiderin bzw. Näherin nur noch weniger als zwei Stunden täglich tätig sein. Der Sozialärztliche Dienst der Beklagten schloss sich dieser Einschätzung an, hielt die Klägerin aber auf dem Gebiet des allgemeinen Arbeitsmarktes für noch vollschichtig einsatzfähig.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie sei Textiltechnologin und Schichtleiterin gewesen und könne deshalb nicht auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden.

Das Sozialgericht hat Gutachten der Sozialmedizinerin Dr.T. vom 23.10.2003 und des Neurologen und Psychiaters Dr.Dr.W. vom 22.10.2003 eingeholt. Unter Berücksichtigung beider Gutachtensergebnisse kommt die Sachverständige Dr.T. zu dem Ergebnis, die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Arbeiten ohne Haltungskonstanz, zu ebener Erde, unter Schutz vor Nässe und Kälte, nicht an gefährdenden Maschinen und ohne Stressbelastung verrichten. Ihre Umstellungsfähigkeit sei alters- und ausbildungsentsprechend. Zusätzliche Arbeitspausen seien nicht erforderlich, die Gehstrecke für die Wege von und zur Arbeitsstätte lägen über 500 m. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne die Klägerin auch noch in ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Textiltechnologin, nicht mehr jedoch als Schneiderin tätig sein.

Mit Urteil vom 24.10.2003 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich dabei auf die von ihm eingeholten Gutachten gestützt.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt vor, für den Rentenanspruch sei sowohl die Qualität ihrer Beschäftigung in Kroatien als auch die Einschätzung des Leistungsvermögens durch den kroatischen Rentenversicherungsträger maßgeblich.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten des Orthopäden Dr.F. vom 14.07.2005, der Neurologin und Psychiaterin Dr.M. vom 28.07.2005 und des Internisten Dr.E. vom 28.08.2005. Letzterer Sachverständiger hat in seiner Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin alle Gutachtensergebnisse zusammengefasst. Danach kann die Klägerin ab März 2000 weiterhin unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses acht Stunden am Tag arbeiten. Sie kann nur mehr leichte körperliche Tätigkeiten ausüben ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, ohne Zeitdruck und ohne Nacht- und Wechselschicht. Tätigkeiten auf Leitern, Treppen und Gerüsten mit Absturzgefahr sowie Tätigkeiten an gefährdenden Maschinen seien zu vermeiden. Nicht mehr möglich seien Tätigkeiten dauerhaft im Freien mit Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft. Zu vermeiden seien ferner Tätigkeiten dauerhaft im Stehen oder Sitzen. Die Möglichkeit zu einem gelegentlichen Positionswechsel müsse gegeben sein. Es dürften keine besonderen Anforderungen an die manuelle Belastbarkeit gestellt werden. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit häufigem Bücken und Zwangshaltungen sowie Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten. Die Klägerin könne viermal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m in angemessener Geschwindigkeit zurücklegen.

Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, es könne ihr nicht zugemutet werden, einen Arbeitsplatz als Reinemachefrau oder als Küchenhilfe aufzunehmen. Die Gutachten enthielten keine Angabe hinsichtlich eines Arbeitsplatzes, einer Arbeitsstätte oder eines Betriebes, wo Arbeiten unter solchen Bedingungen und Beschränkungen ausgeführt werden könnten.

Der Senat hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass er nach § 153 Abs.4 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen könne, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Der Senat erwäge, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Die Klägerin hat Gelegenheit erhalten, ihr Zustellung zu nehmen.

Die Klägerin hat sich gegen eine Abweisung der Berufung durch Beschluss gewandt. Sie habe ihre Erwägungen zu den Gutachten vorgetragen und wolle, dass der Senat sie in Betracht ziehe und die Berufung nicht ohne jegliche Begründung wortlos abweise.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der Entscheidung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Rentenanspruch.

Auf den Anspruch der Klägerin, der sich auf Rente für eine Zeit bereits vor dem 01.01.2001 bezieht, sind zunächst die §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung anzuwenden (Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit). Für einen nach dem 31.12.2000 liegenden Leistungsfall sind bei der vor dem 02.01.1961 geborenen Klägerin auch § 240 SGB VI (Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit) und § 43 SGB VI (Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung) jeweils in der ab dem 01.01.2001 geltenden Fassung anzuwenden.

Nach § 43 Abs.1 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung hatten Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie unter anderem berufsunfähig waren. Nach Abs.2 der Vorschrift waren Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesundenden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen war, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Berufsunfähig war nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit war danach der bisherige Beruf. Das ist die zuletzt und auf Dauer ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung. Da die begehrten Leistungen aus der Rentenversicherung an die Pflichtversicherung in Deutschland anknüpfen, ist auch für die Bestimmung des bisherigen Berufes nur die in Deutschland zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung heranzuziehen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.64). Eine Ausnahme gilt dort, wo zwischen- oder überstaatliches Recht eine Gleichstellung der im Ausland ausgeübten Beschäftigung mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland gebieten. Für in Kroatien lebende Versicherte trifft dies im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht zu. Weder enthält das deutsch-kroatische Sozialversicherungsabkommen vom 24.11.1997 eine Regelung, die eine solche Gleichstellung gebieten würde, noch handelt es sich bei Kroatien um einen EU-Staat noch um einen durch das EWR-Abkommen gleichgestellten Staat (vgl. hierzu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr.15).

Den in Deutschland zuletzt ausgeübten Beruf einer Näherin konnte die Klägerin nach dem Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten nicht mehr vollschichtig ausüben. Sie war damit jedoch noch nicht berufsunfähig. Im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf durfte ein Versicherter grundsätzlich auf einen Beruf in der nach seiner Wertigkeit nächstniedrigeren Gruppe verwiesen werden. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Berufsunfähigkeit im Sinne von § 43 SGB VI alter Fassung hat die Berufe der Versicherten nach ihrer Wertigkeit in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die jeweilige Einstufung in dieses Prüfungsmuster bestimmte die Berufstätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden konnte. Die Zuweisung zu einer Berufsgruppe bestimmte sich von der Bedeutung, die die Ausbildung für die Qualität eines Berufes hatte sowie dessen tariflicher Eingruppierung und der konkreten Eingruppierung durch den Arbeitgeber (vgl. BSG Urteil vom 20.07.2005 Az.: B 13 RJ 19/04 R). Die beiden untersten Gruppen wurden hierbei von der des ungelernten Arbeiters und der des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) gebildet. Bei im Ausland erworbenen Qualifikationen war die qualitative Bewertung der im Inland ausgeübten Tätigkeit maßgeblich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr.102). Bei einer Verweisung auf die unterste Berufsgruppe bedurfte es nicht mehr der Benennung einer konkreten beruflichen Tätigkeit, die ein Versicherter mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch konkret ausüben konnte. Es genügte, wenn er noch vollschichtig einsatzfähig war, es sei denn, es hätte eine ungewöhnliche Summierung von Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bestanden. Letzteres liegt bei der Klägerin nicht vor. Sofern bei der Bewertung des bisherigen Berufes eine bessere Einschätzung erfolgen sollte als eine solche, die zu einer Verweisung auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes führte, müssen die entsprechenden Tatsachen bewiesen sein. In Falle der Klägerin waren keine Informationen mehr darüber erhältlich, welche Arbeiten von welcher Qualität sie verrichtet hat, wie sie tarifvertraglich einzustufen waren und wie sie vom Arbeitgeber tatsächlich eingestuft worden sind. Die Klägerin verweist insoweit lediglich auf ihre in Kroatien erworbene Qualifikation, die jedoch noch keinen Schluss darauf zulässt, welcher Berufsgruppe ihre Tätigkeit in Deutschland zuzuweisen war. Ihre eigene Angabe vor dem Sozialgericht, sie habe normale Näherinnenarbeit verrichtet, gibt noch keinen Hinweis darauf, dass es sich um mehr als einfache Anlerntätigkeiten gehandelt hat. Bei dieser Sachlage muss sich die Klägerin auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, ohne dass es des Nachweises bedürfte, dass solche, ihrem Leistungsvermögen angepassten Tätigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich verfügbar sind bzw. waren.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme konnte und kann die Klägerin solche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten. Nach § 43 SGB VI a.F. war sie damit nicht berufsunfähig. Sie war damit erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 SGB VI a.F.

Bei diesem durchgehend seit Rentenantragstellung bestehenden Leistungsvermögen hat die Klägerin auch keinen Anspruch nach § 240 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Anspruchsvoraussetzungen haben sich, soweit es im vorliegenden fall entscheidungserheblich ist, im Verhältnis zu § 43 SGB VI a.F. dadurch geändert, dass eine maßgebliche Leistungsminderung erst dann eintritt, wenn die bisherige sowie die zumutbare Tätigkeit nicht mehr wenigstens sechs Stunden täglich ausgeübt werden können und nicht wie bei der bis 31.12.2000 geltenden Rechtslage vollschichtig, das heißt acht Stunden täglich. Die entsprechende zeitliche Leistungseinschränkung gilt seit 01.01.2001 auch für Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs.1 SGB VI. Auch nach dem seit 01.01.2001 geltenden Recht hat die Klägerin damit keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Berufung ist deshalb nicht begründet.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Klägerin in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Der Senat konnte durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Besorgnis der Klägerin gegen ein solches Verfahren ist dadurch Rechnung getragen, dass der Beschluss mit Gründen versehen ist, die auf die Einwendungen der Klägerin im erforderlichen Umfang eingehen.
Rechtskraft
Aus
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