L 6 R 626/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 1487/98 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 626/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a/5 R 2/07 BH
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15. Mai 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit, insbesondere das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Die 1948 geborene Klägerin stammt aus Bosnien-Herzegowina, wo sie auch heute wieder wohnt. In Deutschland war sie von September 1966 bis Dezember 1969 versicherungspflichtig beschäftigt. In Bosnien-Herzegowina hat sie Versicherungszeiten von Dezember 1979 bis April 1992 sowie von Januar 1994 bis Juli 1996.

Den hier streitigen Rentenantrag stellte die Klägerin offenbar am 05.07.1996 über den kroatischen Versicherungsträger Z. , der im Juni 1997 eine Untersuchung durch seine Invalidenkommission veranlasste, wie sich aus der Klageakte des Sozialgerichts (SG) Landshut ergibt. Antrag und Gutachten selbst sind in der Beklagtenakte nicht mehr vorhanden.

Den Antrag des Klägers hat die Beklagte mit Bescheid vom 26.02.1998 abgelehnt. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin werde zwar beeinträchtigt durch Herzleistungsminderung bei Herzmuskelschwäche, Bluthochdruck bei Übergewicht, Funktionsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen ohne Wurzelreizung, Fettleber und Gastritis. Die Klägerin könne damit aber noch vollschichtig leichte Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck (Akkord, Fließband), ohne Schicht- bzw. Nachtdienst in trockener, normal temperierter Umgebung verrichten. Sie sei daher nicht berufs- oder erwerbsunfähig.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.1998 zurück. Die Klägerin sei insbesondere auch nicht berufsunfähig. Aufgrund der zuletzt ausgeübten ungelernten Tätigkeit könne sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden, ohne dass eine Verweisungstätigkeit konkret benannt werden müsse.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28.10.1998 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG).

Das SG erhob Beweis durch Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage des Allgemeinmediziners Dr.Z. zum gesundheitlichen Leistungsvermögen der Klägerin vor dem 01.01.1997. Nach dessen Auffassung (Gutachten vom 19.02.2002) konnte die Klägerin damals mit den im Wesentlichen auch von der Beklagten festgestellten Gesundheitsstörungen vollschichtig arbeiten.

Die Klägerin machte gegenüber dem Gutachten eine zwischenzeitliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend und legte gynäkologische Arzberichte aus den Jahren 2001 und 2002 vor.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 15.05.2002 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht erfüllt seien. Wegen der nicht belegten Zeiträume vom 04.04.1992 bis 31.12.1993 sowie ab 25.07.1996 bestehe nach der Regelung der §§ 43, 44 Abs.1 Satz 1 Ziffer 2 a.F. ein Rentenanspruch nur, wenn die Klägerin vor dem 01.01.1997 bereits erwerbsunfähig geworden wäre. Dies sei jedoch nach dem überzeugenden Gutachten Dr.Z. nicht der Fall.

Hiergegen richtet sich die Berufung vom 09.12.2002. Die Klägerin macht geltend, sie erfülle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sehr wohl. Sie legte hierzu eine Bestätigung ihres Arbeitgebers aus L. vor, wonach sie "in der Zeit vom 01.01.1991 bis 24.07.1996 in der Fabrik gearbeitet" und dann das Recht auf Invalidenrente erworben habe.

Auf Anfrage übersandte der Versicherungsträger M. ein neues Formblatt über die nach dem bilateralen Abkommen über soziale Sicherheit anzuerkennenden Versicherungszeiten. Auch dieser Versicherungsverlauf enthält eine Lücke vom 04.04.1992 bis 31.12.1993.

Auf Anfrage des Senats erklärte die Wohnortdienststelle des bosnisch-herzegowinischen Rentenversicherungsträgers in L. , die Klägerin habe im fraglichen Zeitraum "keine Versichertenzeit zurückgelegt" Auch medizinische Unterlagen aus Z. lägen nicht vor. Desgleichen sind auch nach Mitteilung der kroatischen Rentenversicherungsanstalt Z. dort keinerlei Angaben über die Klägerin vorhanden.

Zur Lücke im Versicherungsverlauf trug die Klägerin vor, sie sei niemals sachgerecht beraten worden, sonst hätte sie die erforderlichen Beiträge gezahlt. Die Klägerin legte des Weiteren medizinische Unterlagen aus den Jahren 1995/96 sowie 2001 bis 2004 vor. Hierzu holte der Senat eine gutachterliche Äußerung des Sachverständigen Dr.Z. ein. Dieser sieht in seiner Stellungnahme vom 04.10.2006 keine neuen Erkenntnisse. Das Bestehen einer Herzminderleistung bei Verdacht auf Durchblutungs- und Rhythmusstörungen sei schon bekannt gewesen. Im Februar 1996 elektrokardiographisch festgestellte Extrasystolen seien bei Folgeuntersuchungen nicht mehr aufgetreten. 1997 seien EKG-Veränderungen bei 128 Watt gefunden worden, also erst weit oberhalb leichter Belastung. Am Bewegungsapparat bestehe keine wesentliche Einschränkung.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 15. Mai 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 50.08.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, wiederum hilfsweise wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut sowie die Prozessakte hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach den Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) noch nach den ab 01.01.2001 geltenden Vorschriften (SGB VI n.F.).

1.

Für einen Anspruch auf Rente nach dem SGB VI n.F. - ab 01.01.2001 - fehlt es an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Nach der einschlägigen gesetzlichen Regelung ("Drei in Fünf-Jahren" - § 43 Absätze 1 und 2, jeweils Satz 1 Nr.2 i.V.m. Abs.4) ist bis zum Eintritt des Versicherungsfalls lediglich eine Lücke von 24 Kalendermonaten unschädlich. Maßgeblicher Kalendermonat für die letztmalige Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ist im Falle der Klägerin somit November 1996: Wäre die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit in diesem Monat eingetreten, so wären mit den Kalendermonaten Mai 1992 bis Dezember 1993 sowie August bis Oktober 1996 genau 24 Monate - und somit die maximal "unschädliche" Zahl - unbelegt. Dies zu Gunsten der Klägerin zumindest dann, wenn man nach wie vor auch im Verhältnis zur Teilrepublik Bosnien-Herzegowina noch das deutsch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12. Oktober 1968 zur Anwendung bringt mit der Folge der Gleichstellung der bilateralen Beitragszeiten. Bereits ein eventueller Eintritt verminderter Erwerbsfähigkeit im Dezember 1996 oder später würde der Klägerin jedoch nicht mehr zu einem Rentenanspruch verhelfen, da dann die Lücke 25 Kalendermonate bzw. mehr zählen würde. Hierbei kommt es auf die seit Juli 1996 in der Heimat gezahlte Invalidenpension nicht an. Denn Rentenbezugszeiten sind weder abkommensrechtlich noch gesetzlich gleichgestellt: Die Formulierung "Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" in § 43 Abs.4 Nr.1 bezieht sich lediglich auf Renten nach deutschem Recht. Bezüglich der Lücke von 21 Monaten in den Jahren 1992/1993 hat die Klägerin zwar eine Beschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber vorgetragen. Dies reicht jedoch nicht aus. "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung" im Sinne von § 43 verlangen abkommensrechtlich eine Bestätigung des dortigen Rentenversicherungsträgers als anrechnungsfähige Versicherungszeit im Sinne von Art.25 Abs.1 Satz 1 des Abkommens. Daran fehlt es; im Gegenteil hat die Rentenversicherung in Bosnien-Herzegowina ausdrücklich das Fehlen einer solchen Versicherungszeit mitgeteilt.

Die Lücken im Versicherungsverlauf lassen sich auch über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht ausgleichen. Soweit die Klägerin vorträgt, nicht ausreichend beraten worden zu sein, so reicht dies nicht aus. Zu ungefragter Beratung ist der Rentenversicherungsträger nicht verpflichtet. Fehlende Beratung ist nur dann rechtswidrig und somit ausgleichspflichtig, wenn für den Rentenversicherungsträger eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit des Versicherten erkennbar ist und sich somit eine "Beratung quasi aufdrängt". Hierfür ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Maßgeblicher Zeitpunkt für eine eventuelle Minderung des gesundheitlichen Leistungsvermögens der Klägerin ist daher November 1996, was gegebenenfalls einen Rentenanspruch nach SGB VI a.F. begründen würde. Ein Anspruch gemäß SGB VI n.F. kommt demgegenüber aus versicherungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht.

2.

Auch ein Anspruch nach SGB VI a.F. besteht nicht. Die Klägerin war nämlich bis November 1996 nicht berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne von §§ 43, 44 SGB VI a.F. Für Berufsunfähigkeit gilt dies schon deshalb, weil hinsichtlich eines qualifizierten Berufsschutzes nichts vorgetragen oder ersichtlich ist. Die Frage, ob die Klägerin bereits im November 1996 erwerbsunfähig war, bemisst sich im Wesentlich danach, ob sie damals noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein konnte. Diese Frage hat der erstinstanzliche Sachverständige Dr.Z. entsprechend der grundsätzlich zutreffenden Fragestellung des SG auch bejaht. Diese Beurteilung hält auch der Senat für überzeugend, wenn- gleich sie nur nach Aktenlage erfolgt ist. Eine persönliche Untersuchung, durchgeführt circa fünf Jahre nach dem rechtlich entscheidenden Zeitpunkt, hätte wohl kaum nähere Erkenntnisse zur entscheidungserheblichen Frage erbracht. Umso weniger würde dies für eine persönliche Untersuchung im Berufungsverfahren gelten. Dr.Z. referiert in seinem Gutachten die ihm vorliegenden jugoslawischen Befunde aus dem Gutachtensheft der Beklagten. Seine Schlussfolgerungen hieraus sind schlüssig. Dies gilt auch hinsichtlich der ergänzenden Stellungnahme im Berufungsverfahren. Weder die kardiologische Hauptgesundheitsstörung der Klägerin noch die übrigen Gesundheitsstörungen übersteigen nach den Unterlagen ein leicht- bis mittelgradiges Ausmaß. Im Vordergrund stehen bei der Klägerin die schon 1995 diagnostizierte kompensierte Herzleistungsschwäche mit Ischämie und auch in der Folge immer wieder - insbesondere bei mehr als mittelschwerer Belastung - auftretenden ventrikulären Extrasystolen. In Anbetracht des 1996 im Wesentlichen unauffälligen Langzeit-EKG s sowie der - laut Herzechokardiographie - normalen Pumpfunktion geht der Senat mit Dr.Z. davon aus, dass es sich damals nur um leichtere Herzdurchblutungsstörungen gehandelt hat.

Die weiteren internistischen Befunde waren nicht gravierend, wie z.B. die Refluxosophagitis. Auch die Lunge funktionierte normal. Von Seiten der Wirbelsäule war die Klägerin ebenso allenfalls leichtgradig eingeschränkt. In psychischer Hinsicht wurde die Klägerin zwar als "verlangsamt, schlecht gelaunt und ängstlich" beschrieben; eine wesentliche psychische Erkrankung wurde gleichwohl nicht diagnostiziert. Auch in der Summe ergaben diese Erkrankungen keine gravierende Leistungsbeeinträchtigung im Jahr 1996. Der Senat geht daher von einem vollschichtigen Leistungsvermögen aus.

Die Einwendungen der Klägerin greifen demgegenüber nicht durch. Zumindest im Klageverfahren hatte der gerichtliche Sachverständige alle maßgeblichen Unterlagen zur Verfügung und hat sie auch tatsächlich ausgewertet. Zu Recht moniert die Klägerin zwar den Zeitpunkt der "Aktenausdünnung" durch die Beklagte. Sie kann daraus aber keine eigenständige rechtliche Konsequenz herleiten. Vielmehr bleibt der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nach wie vor anhand seiner gesetzlichen Voraussetzungen und grundsätzlich am Maßstab der objektiven Beweislast zu prüfen. Im Ergebnis ist von Beweislosigkeit hier aber nicht auszugehen. Vielmehr erlaubt das Gutachten Dr.Z. hinreichende Rückschlüsse auf das - noch nicht gravierende - Ausmaß der Gesundheitsstörungen der Klägerin im Jahr 1996 mit der Folge, dass ein vollschichtiges Leistungsvermögen zum damaligen Zeitpunkt als nachgewiesen gelten kann. Dies umso mehr, als auch die Invalidenkommission Z. nach den dortigen sozialmedizinischen Maßstäben offenbar ebenfalls keine zeitliche Einschränkung für den zumutbaren Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesehen hat.

Nachdem die Klägerin somit bis November 1996 nicht berufs- oder erwerbsunfähig war, hat sie auch keinen entsprechenden Rentenanspruch nach SGB VI a.F. Die Berufung musste daher ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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