Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 1665/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 680/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Geschiedenenwitwenrente.
Die 1940 geborene Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des 1937 geborenen und am 29.03.1996 verstorbenen Versicherten K. H ... Sie war mit diesem von 1961 bis 1976 verheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder I. und J. , geboren 1962 und 1963, hervorgegangen.
Die Ehe wurde aus beiderseitigem Verschulden geschieden; ein überwiegendes Verschulden wurde nicht festgestellt. Bei der Scheidung verzichteten die Eheleute gegenseitig auf Unterhalt, auch für den Fall des Notbedarfs. Gleichwohl hat der Kläger nach der Scheidung mit der Klägerin nicht nur persönlichen Umgang gepflegt (z.B. gemeinsames Mittagessen), sondern zunächst auch monatlich jeweils etwa 500,00 DM Unterhalt an die Klägerin sowie an die Kinder gezahlt. In diesem Sinne hat die Klägerin nach ihren Angaben mit dem Versicherten unmittelbar nach der Scheidung eine - auf unbegrenzte Zeit bestimmte - Abmachung getroffen. Ca. ein Jahr nach der Scheidung hat er einen schweren Unfall erlitten mit langandauernder Krankheit. Seit diesem Zeitpunkt erfolgten keine Unterhaltszahlungen mehr.
Von 1967 bis 1980 führte die Klägerin , ohne rentenversichert zu sein, als Selbständige ein Blumengeschäft. Die Einnahmen beliefen sich auf ca. 3.000,00 DM monatlich; dem standen sämtliche Betriebsausgaben gegenüber, wie insbesondere die Löhne für eine Halbtagskraft und einen Lehrling sowie die Ladenmiete etc. Der Versicherte war seinerzeit als Gärtner versicherungspflichtig beschäftigt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 1.450,00 DM. Nennenswerte Altersvorsorge hatten beide Ehegatten nicht betrieben.
Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten hat die Klägerin als angestellte Floristin ca. 1.800,00 DM monatlich verdient. Der Versicherte hat damals eine Rente in Höhe von 1.567,12 DM bezogen.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenwitwenrente lehnte die Beklagte mit - bestandskräftig - ab (Bescheid vom 17.10.1996).
Am 18.03.2002 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenen- rente. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 16.05.2002 von der Beklagten abgelehnt; diese ging dabei irrtümlich von einem Fall des § 59 des Ehegesetzes (EheG) - überwiegende Schuld des Versicherten an der Scheidung - aus.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2002 zurück. Die Klägerin habe umfassend auf den Unterhalt verzichtet. Der Verzicht sei auch nicht unbeachtlich als sog. "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Er habe vielmehr - angesichts des beiderseitigen Schuldausspruchs im Scheidungsurteil - auch rechtsgestaltende Wirkung entfaltet.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21.10.2002 Klage zum Sozialge- richt (SG) München. Das SG hörte die von der Klägerin benannte Zeugin L. schriftlich an; diese bestätigte eine Unterhaltszahlung im Frühjahr 1977.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14.10.2004 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Geschiedenenwitwenrente ab 01.03.2002 zu zahlen, da die Voraussetzungen des § 243 Abs.3 Nr.1 SGB VI erfüllt seien. Bei einer Scheidung ohne überwiegendes Verschulden richteten sich die Unterhaltsansprüche nach § 60 EheG. Im Hinblick auf die glaubwürdigen Angaben der Klägerin zu den Einkommensverhältnissen, die auch durch die vorliegenden Versicherungsverläufe bestätigt würden, habe die Klägerin gegen den Versicherten einkommensbedingt keine Unterhaltsansprüche gemäß § 60 EheG gehabt. Dies sei maßgeblich; der beiderseitige Unterhaltsverzicht sei demgegenüber nur eine sog. "leere Hülse". Auch ohne den Verzicht hätte die Klägerin keinen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag gemäß § 60 EheG gehabt. Die geschiedenen Ehegatten hätten bei Erklärung des Unterhaltsverzichts vernünftigerweise davon ausgehen können, dass sich die Einkommensverhältnisse nach der Scheidung nicht grundlegend ändern würden. Die Ehe sei davon geprägt gewesen, dass die Klägerin deutlich mehr zum Familieneinkommen beigetragen habe als der Versicherte. Hinzu komme, dass der Versicherte nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin vor der Scheidung noch eine Alkoholentziehungskur durchlaufen habe. Andererseits habe die Klägerin zum Zeitpunkt der Scheidung bereits erfolgreich über zehn Jahre lang selbständig ein Blumengeschäft mit einemmonatlichen Nettoeinkommen von 3.000,00 DM betrieben und gleichzeitig zwei Kinder betreut.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte am 07.12.2004 Berufung ein. Sie macht zum einen geltend, der Unterhaltsverzicht sei hier nicht nur eine "leere Hülse". Bei der Scheidung seien der Versicherte 39 Jahre, die Berufungsbeklagte 36 Jahre alt gewesen und hätten somit noch eine lange Zeit der Erwerbstätigkeit vor sich gehabt. Über einen so langen Zeitraum lasse sich jedoch in der Regel prognostisch eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse keineswegs ausschließen, etwa dahingehend, dass der Versicherte doch noch unterhaltspflichtig werde.
Zum anderen sei das Ersturteil aber auch aus einem weiteren Grund unrichtig: es verkenne, dass hier ein Unterhaltsanspruch nicht nur wegen eigener Arbeitseinkünfte nicht bestehe. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass hier allenfalls Billigkeitsunterhalt gem. § 60 EheG in Rede stehe. Ein Unterhaltsanspruch nach § 60 EheG habe hier aber mangels Billigkeit gerade nicht entstehen können. Damit seien jedoch andere als die in § 243 Abs.3 Nr.1 genannten Gründe maßgeblich.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin Angaben zu ihren Einkünften in dem Blumengeschäft gemacht.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Prozessakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG, der Rentenakte der Klägerin bei der DRV Bund und der Scheidungsakte des LG H. hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
Zu Unrecht hat das SG der Klägerin Geschiedenenwitwenrente gemäß § 243 Abs.3 SGB VI zugesprochen. Das Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Einem Rentenanspruch steht hier der Unterhaltsverzicht entgegen, der auch nicht als sog. "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des BSG (s. hierzu Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 Anm.66) unschädlich ist.
Ein Anspruch der Klägerin allein aus § 243 Abs.2 SGB VI scheitert an Nr.3 der Vorschrift: Im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten - hier also von März 1995 bis März 1996 - hat die Klägerin vom Versicherten weder Unterhalt tatsächlich erhalten noch hatte sie einen Anspruch hierauf.
Auch in Verbindung mit Abs.3 der Vorschrift liegen die Voraussetzungen nicht vor: Zwar liegt die Scheidung vor dem Stichtag 01.07.1977 (Abs.2 Nr.1), weiterhin wurde keine neue Ehe oder Lebenspartnerschaft begründet (Abs.2 Nr.2). Auch hat die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung zwei Kinder erzogen und bei Antragstellung bereits das 60. Lebensjahr vollendet (Abs.3 Nr.2 und Nr.3). Nicht erfüllt sind jedoch die Voraussetzungen des Abs.1 Nr.3. Denn im Gegensatz zur Meinung des SG hat ein Unterhaltsanspruch im Zeitraum 1995/1996 nicht nur wegen der beiderseitigen Einkommensverhältnisse nicht bestanden. Maßgeblich ist vielmehr der - hier substanzielle - Unterhaltsverzicht. Der Verzicht wäre nämlich nur dann als "leere Hülse" unschädlich, wenn die hieran geknüpften Voraussetzungen erfüllt wären, nämlich 1. ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt für die Klägerin weder im Zeitpunkt der Scheidung noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand bestand, 2. allein die Einkommensverhältnisse hierfür ursächlich waren und 3. die Klägerin im Zeitpunkt des Verzichts eine später eintretende Unterhaltspflicht auch in Anbetracht der schwer prognostizierbaren Wechselfälle des Lebens vernünftigerweise als ausgeschlossen betrachten konnte.
Zu 1) Sicherlich hat ein Unterhaltsanspruch im Jahr vor dem Tode des Versicherten nicht bestanden. Im Zeitpunkt der Scheidung ist dies hingegen durchaus zweifelhaft. Der Vergleich der beiderseitigen damaligen Einkünfte spricht nämlich keineswegs zu Gunsten der Klägerin. Nach deren eindeutigen Angaben im Berufungsverfahren lagen zwar die Erlöse aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Blumenhändlerin in der Tat bei ca. 3.000,00 DM im Monat. Hiervon waren jedoch noch sämtliche Betriebsausgaben, wie Löhne und Miete abzuziehen. Im Ergebnis blieben der Klägerin - ohne Berücksichtigung der Kinder - weniger freie Finanzmittel für den Lebensunterhalt als dem Versicherten. Damit hat die Klägerin auch die anfangs regelmäßige Unterhaltszahlung des Versicherten erklärt, deren Adressat ja nicht allein die Kinder waren. Es ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin einen entsprechenden Anspruch auch im Scheidungsverfahren hätte durchsetzen können. Ob damit die Mindesthöhe für die Anerkennung einer Unterhaltszahlung - 25 % des Mindestbedarfs nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - hätte erreicht werden können (s. Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 Anm.12), kann hier letztlich offen bleiben.
Zu 2) Unterstellt man, die Klägerin habe in der Tat keinen Unterhaltsanspruch gehabt, so wäre dies - sieht man vom Unterhaltsverzicht an dieser Stelle ab - allerdings allein den Einkommensverhältnissen geschuldet. Der hiergegen gerichtete Einwand der Berufungsbegründung greift nicht durch. Denn Unterhaltsanspruch im Sinne des § 243 SGB VI ist auch ein "Unterhaltsbetrag nach Grundsätzen der Billigkeit" gemäß § 60 EheG (s. hierzu Palandt, § 60 EheG, Anm.1 sowie BSG SozR 3-2200, § 1265 Nr.12 oder BSG vom 19.01.1989 Az.: 4 RA 16/88). Die Erwägung, vorliegend wäre ein Unterhaltsanspruch nicht wegen Arbeitsentgelts, sondern mangels Billigkeit von vorneherein nicht entstanden, findet in den genannten Entscheidungen ausdrücklich keine Stütze. Allerdings ist der Anspruch im Grunde nach wie der Höhe nach begrenzt: auf regelmäßig "die Hälfte des angemessenen Unterhalts" (s. BSG SozR, a.a.O.). Ob der Unterhaltsbeitrag die Mindesthöhe erreicht hat, kann, wie bereits ausgeführt, offen bleiben.
Zu 3) Denn der Anspruch der Klägerin scheitert an der Voraussetzung der sicheren Prognose. Ein Verzicht auf Unterhalt ist nur dann unschädlich, wenn seinerzeit "vernünftigerweise auch in Zukunft nicht mit dem Entstehen von ( ...) Unterhaltsansprüchen ( ...) gerechnet werden konnte", also "bei abgesicherten Verhältnissen", etwa auch dann, wenn die frühere Ehefrau entweder einen besonders sicheren Arbeitsplatz (öffentlicher Dienst) oder aber "ein im Vergleich zum Versicherten sehr hohes Einkommen" hat (s. BSG SozR 3-2200 § 1265 RVO Nr.12).
An diesen Voraussetzungen fehlt es hier: Zum einen fehlt einer selbständigen Tätigkeit, wie von der Klägerin zur Zeit der Scheidung betrieben, naturgemäß die geforderte Absicherungswirkung. Dies hier insbesondere deshalb, weil die Klägerin keine ausreichende Vorsorge für Alter, Erwerbsminderung usw. aufgebaut hatte. Zum anderen hatte die Klägerin nicht das vom SG angenommene relativ hohe Einkommen. Bei der von ihr genannten ungefähren Summe von 3.000,00 DM monatlich handelt es sich eben nicht um das Nettoeinkommen, sondern letztlich um den Bruttoumsatz des Geschäftes. Wie oben ausgeführt, lässt sich aus den vom Versicherten geleisteten Zahlungen schließen, dass, wenn überhaupt, Unterhaltsbedürftigkeit auf Seiten der Klägerin vorlag. Nicht anders stellt sich dies für die Zukunft dar. Die Klägerin hat entsprechende Erwartungen auch vorgetragen. Sie hat längerfristig - und nicht etwa befristet durch die in wenigen Jahren eintretende Volljährigkeit der Kinder - mit Zahlungen des Versicherten gerechnet. Diese Erwartung hatte auch, wie die Zahlungen zu Beginn gezeigt haben, eine objektive Grundlage. Die tatsächliche spätere Entwicklung, die durch den Unfall geprägt war, spielt im Rahmen der Prognose keine Rolle. Das Prognoserisiko war in der Tat auch deswegen hier besonders groß, weil die Geschiedenen noch einen langen Zeitraum bis zum Rentenalter vor sich hatten, so zu Recht die Beklagte.
Auch andere, gegenteilige, Szenarien waren hier nicht zu berücksichtigen. So konnte es auch schon damals als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass die Klägerin ihrerseits einmal für den Versicherten unterhaltspflichtig werden würde. Prognostisch stand somit einem durchaus realistischen eigenen Unterhaltsanspruch nur eine doch sehr unwahrscheinliche eigene Unterhaltsverpflichtung gegenüber. Eine quasi "saldierende" Bewertung der wechselseitigen Unterhaltserwartungen (s. hierzu auch BSG vom 19.01.1989 - siehe oben -) spricht daher dafür, dass der von den Geschiedenen förmlich vereinbarte Unterhaltsverzicht durchaus substanzieller Natur gewesen ist. Er hat seine Rechtsverbindlichkeit auch nachträglich nicht verloren, insbesondere nicht durch die vorgetragene spätere mündliche Abrede. Dass diese Abrede nach dem Willen der Geschiedenen den Unterhaltsverzicht hätte aufheben sollen, wurde von der Klägerin weder vorgetragen noch gar unter Beweis gestellt. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast ist der Unterhaltsverzicht demnach wesentliche Ursache dafür, dass die Klägerin ab dem Zeitpunkt der Scheidung keinen einklagbaren Anspruch auf Unterhalt mehr hatte und auch nicht mehr erwerben konnte.
Im Ergebnis sind die Voraussetzungen des § 243 Abs.3 i.V.m. Abs.2 somit nicht erfüllt. Das Urteil des SG konnte daher keinen Bestand haben. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Geschiedenenwitwenrente.
Die 1940 geborene Klägerin ist die geschiedene Ehefrau des 1937 geborenen und am 29.03.1996 verstorbenen Versicherten K. H ... Sie war mit diesem von 1961 bis 1976 verheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder I. und J. , geboren 1962 und 1963, hervorgegangen.
Die Ehe wurde aus beiderseitigem Verschulden geschieden; ein überwiegendes Verschulden wurde nicht festgestellt. Bei der Scheidung verzichteten die Eheleute gegenseitig auf Unterhalt, auch für den Fall des Notbedarfs. Gleichwohl hat der Kläger nach der Scheidung mit der Klägerin nicht nur persönlichen Umgang gepflegt (z.B. gemeinsames Mittagessen), sondern zunächst auch monatlich jeweils etwa 500,00 DM Unterhalt an die Klägerin sowie an die Kinder gezahlt. In diesem Sinne hat die Klägerin nach ihren Angaben mit dem Versicherten unmittelbar nach der Scheidung eine - auf unbegrenzte Zeit bestimmte - Abmachung getroffen. Ca. ein Jahr nach der Scheidung hat er einen schweren Unfall erlitten mit langandauernder Krankheit. Seit diesem Zeitpunkt erfolgten keine Unterhaltszahlungen mehr.
Von 1967 bis 1980 führte die Klägerin , ohne rentenversichert zu sein, als Selbständige ein Blumengeschäft. Die Einnahmen beliefen sich auf ca. 3.000,00 DM monatlich; dem standen sämtliche Betriebsausgaben gegenüber, wie insbesondere die Löhne für eine Halbtagskraft und einen Lehrling sowie die Ladenmiete etc. Der Versicherte war seinerzeit als Gärtner versicherungspflichtig beschäftigt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 1.450,00 DM. Nennenswerte Altersvorsorge hatten beide Ehegatten nicht betrieben.
Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten hat die Klägerin als angestellte Floristin ca. 1.800,00 DM monatlich verdient. Der Versicherte hat damals eine Rente in Höhe von 1.567,12 DM bezogen.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenwitwenrente lehnte die Beklagte mit - bestandskräftig - ab (Bescheid vom 17.10.1996).
Am 18.03.2002 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenen- rente. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 16.05.2002 von der Beklagten abgelehnt; diese ging dabei irrtümlich von einem Fall des § 59 des Ehegesetzes (EheG) - überwiegende Schuld des Versicherten an der Scheidung - aus.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2002 zurück. Die Klägerin habe umfassend auf den Unterhalt verzichtet. Der Verzicht sei auch nicht unbeachtlich als sog. "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Er habe vielmehr - angesichts des beiderseitigen Schuldausspruchs im Scheidungsurteil - auch rechtsgestaltende Wirkung entfaltet.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21.10.2002 Klage zum Sozialge- richt (SG) München. Das SG hörte die von der Klägerin benannte Zeugin L. schriftlich an; diese bestätigte eine Unterhaltszahlung im Frühjahr 1977.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14.10.2004 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Geschiedenenwitwenrente ab 01.03.2002 zu zahlen, da die Voraussetzungen des § 243 Abs.3 Nr.1 SGB VI erfüllt seien. Bei einer Scheidung ohne überwiegendes Verschulden richteten sich die Unterhaltsansprüche nach § 60 EheG. Im Hinblick auf die glaubwürdigen Angaben der Klägerin zu den Einkommensverhältnissen, die auch durch die vorliegenden Versicherungsverläufe bestätigt würden, habe die Klägerin gegen den Versicherten einkommensbedingt keine Unterhaltsansprüche gemäß § 60 EheG gehabt. Dies sei maßgeblich; der beiderseitige Unterhaltsverzicht sei demgegenüber nur eine sog. "leere Hülse". Auch ohne den Verzicht hätte die Klägerin keinen Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag gemäß § 60 EheG gehabt. Die geschiedenen Ehegatten hätten bei Erklärung des Unterhaltsverzichts vernünftigerweise davon ausgehen können, dass sich die Einkommensverhältnisse nach der Scheidung nicht grundlegend ändern würden. Die Ehe sei davon geprägt gewesen, dass die Klägerin deutlich mehr zum Familieneinkommen beigetragen habe als der Versicherte. Hinzu komme, dass der Versicherte nach den glaubwürdigen Angaben der Klägerin vor der Scheidung noch eine Alkoholentziehungskur durchlaufen habe. Andererseits habe die Klägerin zum Zeitpunkt der Scheidung bereits erfolgreich über zehn Jahre lang selbständig ein Blumengeschäft mit einemmonatlichen Nettoeinkommen von 3.000,00 DM betrieben und gleichzeitig zwei Kinder betreut.
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte am 07.12.2004 Berufung ein. Sie macht zum einen geltend, der Unterhaltsverzicht sei hier nicht nur eine "leere Hülse". Bei der Scheidung seien der Versicherte 39 Jahre, die Berufungsbeklagte 36 Jahre alt gewesen und hätten somit noch eine lange Zeit der Erwerbstätigkeit vor sich gehabt. Über einen so langen Zeitraum lasse sich jedoch in der Regel prognostisch eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse keineswegs ausschließen, etwa dahingehend, dass der Versicherte doch noch unterhaltspflichtig werde.
Zum anderen sei das Ersturteil aber auch aus einem weiteren Grund unrichtig: es verkenne, dass hier ein Unterhaltsanspruch nicht nur wegen eigener Arbeitseinkünfte nicht bestehe. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass hier allenfalls Billigkeitsunterhalt gem. § 60 EheG in Rede stehe. Ein Unterhaltsanspruch nach § 60 EheG habe hier aber mangels Billigkeit gerade nicht entstehen können. Damit seien jedoch andere als die in § 243 Abs.3 Nr.1 genannten Gründe maßgeblich.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin Angaben zu ihren Einkünften in dem Blumengeschäft gemacht.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Oktober 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Prozessakte sowie die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG, der Rentenakte der Klägerin bei der DRV Bund und der Scheidungsakte des LG H. hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
Zu Unrecht hat das SG der Klägerin Geschiedenenwitwenrente gemäß § 243 Abs.3 SGB VI zugesprochen. Das Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Einem Rentenanspruch steht hier der Unterhaltsverzicht entgegen, der auch nicht als sog. "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des BSG (s. hierzu Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 Anm.66) unschädlich ist.
Ein Anspruch der Klägerin allein aus § 243 Abs.2 SGB VI scheitert an Nr.3 der Vorschrift: Im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten - hier also von März 1995 bis März 1996 - hat die Klägerin vom Versicherten weder Unterhalt tatsächlich erhalten noch hatte sie einen Anspruch hierauf.
Auch in Verbindung mit Abs.3 der Vorschrift liegen die Voraussetzungen nicht vor: Zwar liegt die Scheidung vor dem Stichtag 01.07.1977 (Abs.2 Nr.1), weiterhin wurde keine neue Ehe oder Lebenspartnerschaft begründet (Abs.2 Nr.2). Auch hat die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung zwei Kinder erzogen und bei Antragstellung bereits das 60. Lebensjahr vollendet (Abs.3 Nr.2 und Nr.3). Nicht erfüllt sind jedoch die Voraussetzungen des Abs.1 Nr.3. Denn im Gegensatz zur Meinung des SG hat ein Unterhaltsanspruch im Zeitraum 1995/1996 nicht nur wegen der beiderseitigen Einkommensverhältnisse nicht bestanden. Maßgeblich ist vielmehr der - hier substanzielle - Unterhaltsverzicht. Der Verzicht wäre nämlich nur dann als "leere Hülse" unschädlich, wenn die hieran geknüpften Voraussetzungen erfüllt wären, nämlich 1. ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt für die Klägerin weder im Zeitpunkt der Scheidung noch im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand bestand, 2. allein die Einkommensverhältnisse hierfür ursächlich waren und 3. die Klägerin im Zeitpunkt des Verzichts eine später eintretende Unterhaltspflicht auch in Anbetracht der schwer prognostizierbaren Wechselfälle des Lebens vernünftigerweise als ausgeschlossen betrachten konnte.
Zu 1) Sicherlich hat ein Unterhaltsanspruch im Jahr vor dem Tode des Versicherten nicht bestanden. Im Zeitpunkt der Scheidung ist dies hingegen durchaus zweifelhaft. Der Vergleich der beiderseitigen damaligen Einkünfte spricht nämlich keineswegs zu Gunsten der Klägerin. Nach deren eindeutigen Angaben im Berufungsverfahren lagen zwar die Erlöse aus ihrer selbständigen Tätigkeit als Blumenhändlerin in der Tat bei ca. 3.000,00 DM im Monat. Hiervon waren jedoch noch sämtliche Betriebsausgaben, wie Löhne und Miete abzuziehen. Im Ergebnis blieben der Klägerin - ohne Berücksichtigung der Kinder - weniger freie Finanzmittel für den Lebensunterhalt als dem Versicherten. Damit hat die Klägerin auch die anfangs regelmäßige Unterhaltszahlung des Versicherten erklärt, deren Adressat ja nicht allein die Kinder waren. Es ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin einen entsprechenden Anspruch auch im Scheidungsverfahren hätte durchsetzen können. Ob damit die Mindesthöhe für die Anerkennung einer Unterhaltszahlung - 25 % des Mindestbedarfs nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - hätte erreicht werden können (s. Gürtner in Kasseler Kommentar, § 243 Anm.12), kann hier letztlich offen bleiben.
Zu 2) Unterstellt man, die Klägerin habe in der Tat keinen Unterhaltsanspruch gehabt, so wäre dies - sieht man vom Unterhaltsverzicht an dieser Stelle ab - allerdings allein den Einkommensverhältnissen geschuldet. Der hiergegen gerichtete Einwand der Berufungsbegründung greift nicht durch. Denn Unterhaltsanspruch im Sinne des § 243 SGB VI ist auch ein "Unterhaltsbetrag nach Grundsätzen der Billigkeit" gemäß § 60 EheG (s. hierzu Palandt, § 60 EheG, Anm.1 sowie BSG SozR 3-2200, § 1265 Nr.12 oder BSG vom 19.01.1989 Az.: 4 RA 16/88). Die Erwägung, vorliegend wäre ein Unterhaltsanspruch nicht wegen Arbeitsentgelts, sondern mangels Billigkeit von vorneherein nicht entstanden, findet in den genannten Entscheidungen ausdrücklich keine Stütze. Allerdings ist der Anspruch im Grunde nach wie der Höhe nach begrenzt: auf regelmäßig "die Hälfte des angemessenen Unterhalts" (s. BSG SozR, a.a.O.). Ob der Unterhaltsbeitrag die Mindesthöhe erreicht hat, kann, wie bereits ausgeführt, offen bleiben.
Zu 3) Denn der Anspruch der Klägerin scheitert an der Voraussetzung der sicheren Prognose. Ein Verzicht auf Unterhalt ist nur dann unschädlich, wenn seinerzeit "vernünftigerweise auch in Zukunft nicht mit dem Entstehen von ( ...) Unterhaltsansprüchen ( ...) gerechnet werden konnte", also "bei abgesicherten Verhältnissen", etwa auch dann, wenn die frühere Ehefrau entweder einen besonders sicheren Arbeitsplatz (öffentlicher Dienst) oder aber "ein im Vergleich zum Versicherten sehr hohes Einkommen" hat (s. BSG SozR 3-2200 § 1265 RVO Nr.12).
An diesen Voraussetzungen fehlt es hier: Zum einen fehlt einer selbständigen Tätigkeit, wie von der Klägerin zur Zeit der Scheidung betrieben, naturgemäß die geforderte Absicherungswirkung. Dies hier insbesondere deshalb, weil die Klägerin keine ausreichende Vorsorge für Alter, Erwerbsminderung usw. aufgebaut hatte. Zum anderen hatte die Klägerin nicht das vom SG angenommene relativ hohe Einkommen. Bei der von ihr genannten ungefähren Summe von 3.000,00 DM monatlich handelt es sich eben nicht um das Nettoeinkommen, sondern letztlich um den Bruttoumsatz des Geschäftes. Wie oben ausgeführt, lässt sich aus den vom Versicherten geleisteten Zahlungen schließen, dass, wenn überhaupt, Unterhaltsbedürftigkeit auf Seiten der Klägerin vorlag. Nicht anders stellt sich dies für die Zukunft dar. Die Klägerin hat entsprechende Erwartungen auch vorgetragen. Sie hat längerfristig - und nicht etwa befristet durch die in wenigen Jahren eintretende Volljährigkeit der Kinder - mit Zahlungen des Versicherten gerechnet. Diese Erwartung hatte auch, wie die Zahlungen zu Beginn gezeigt haben, eine objektive Grundlage. Die tatsächliche spätere Entwicklung, die durch den Unfall geprägt war, spielt im Rahmen der Prognose keine Rolle. Das Prognoserisiko war in der Tat auch deswegen hier besonders groß, weil die Geschiedenen noch einen langen Zeitraum bis zum Rentenalter vor sich hatten, so zu Recht die Beklagte.
Auch andere, gegenteilige, Szenarien waren hier nicht zu berücksichtigen. So konnte es auch schon damals als eher unwahrscheinlich angesehen werden, dass die Klägerin ihrerseits einmal für den Versicherten unterhaltspflichtig werden würde. Prognostisch stand somit einem durchaus realistischen eigenen Unterhaltsanspruch nur eine doch sehr unwahrscheinliche eigene Unterhaltsverpflichtung gegenüber. Eine quasi "saldierende" Bewertung der wechselseitigen Unterhaltserwartungen (s. hierzu auch BSG vom 19.01.1989 - siehe oben -) spricht daher dafür, dass der von den Geschiedenen förmlich vereinbarte Unterhaltsverzicht durchaus substanzieller Natur gewesen ist. Er hat seine Rechtsverbindlichkeit auch nachträglich nicht verloren, insbesondere nicht durch die vorgetragene spätere mündliche Abrede. Dass diese Abrede nach dem Willen der Geschiedenen den Unterhaltsverzicht hätte aufheben sollen, wurde von der Klägerin weder vorgetragen noch gar unter Beweis gestellt. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast ist der Unterhaltsverzicht demnach wesentliche Ursache dafür, dass die Klägerin ab dem Zeitpunkt der Scheidung keinen einklagbaren Anspruch auf Unterhalt mehr hatte und auch nicht mehr erwerben konnte.
Im Ergebnis sind die Voraussetzungen des § 243 Abs.3 i.V.m. Abs.2 somit nicht erfüllt. Das Urteil des SG konnte daher keinen Bestand haben. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 SGG).
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