Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 SB 820/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 142/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgericht Regensburg vom 12. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1970 geborene Klägerin ist schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs.2 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Sie begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Die Klägerin hat sich vom 23.09.1998 bis 18.11.1998 zu einer Rehabilitationsmaßnahme in der W.-Klinik Bad W. aufgehalten. Anamnestisch hat sie angegeben als unerwünschtes Einzelkind nach einer Vergewaltigung aufgewachsen zu sein. Sie habe in ihrer frühen Jugend erhebliche sexuelle Traumatisierungen von nächsten Angehörigen hinnehmen müssen.
Auf den Erstantrag vom 13.11.1998 hat das Amt für Versorgung und Familienförderung R. mit Bescheid vom 06.09.1999 in Gestalt des Abhilfe-Bescheides vom 01.12.1999 die bei der Klägerin bestehende Behinderung "seelische Krankheit" mit einem GdB von 80 bewertet.
Auf Initiative des Bezirksklinikums R. hat die Klägerin am 25.06.2001 einen Antrag auf Eintragung des Merkzeichens "RF" eingereicht. Das Bezirksklinikum R. hat mit Arztbrief von Prof. Dr. med. G. H. vom 26.06.2002 eine schwere komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit sehr ausgeprägter dissoziativer Symptomatik beschrieben. Aufgrund der Schwere und Komplexität des Krankheitsbildes und der damit einhergehenden sozialen sowie kommunikativen Einschränkungen seien nach Auffassung des Bezirksklinikums R. ein GdB von 100 vorliegend, außerdem die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". - Beigefügt gewesen ist der Entlassungsbericht der Fachklinik am H. vom 25.08.1999. Danach hat die Klägerin nach anfänglich großen Schwierigkeiten in bemerkenswerter Weise konstruktiv und erfolgreich das therapeutische Angebot genutzt und die von ihr genannten Ziele, Zugang zu den eigenen Fähigkeiten zu finden, Aufbau eines Schutzsystems bei ständig einbrechenden Überflutungsgefühlen, dem Aufbau von Ich-Grenzen und einer stärkeren Ausgeglichenheit im Sinne eines "sowohl als auch" in wichtigen Etappen unter den gegebenen stationären Bedingungen erreicht.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.07.2002 hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 den Neufeststellungsantrag vom 21.06.2001 abgelehnt: Der GdB betrage unverändert 80; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" seien nicht vorliegend.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Regensburg nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen P. R. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser bestätigte mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 24.08.2003 das Vorliegen eines GdB von 80. Das Merkzeichen "RF" stehe nicht zu: Die Klägerin sei trotz der vorliegenden Erkrankungen auch unter Berücksichtigung des sozialen Rückzuges noch in der Lage, ein eigenständiges Leben in der eigenen Wohnung zu führen, sodass eine Höherbewertung des GdB entsprechend Seite 61 der "Anhaltspunkte" derzeit nicht zu rechtfertigen sei. Hierbei habe der gerichtlich bestellte Sachverständige berücksichtigt, dass die Klägerin nach eigenen Angaben Konzentrationsstörungen habe und nicht mehr aus dem Haus gehe. Ein Bekannter gehe mit ihr Einkaufen. Einmal pro sechs Wochen würde ein Großeinkauf durchgeführt werden. Wenn sie Sahne holen müsse, müsse sie sich ab Montag darauf vorbereiten, damit sie am Freitag außer Haus gehen könne. Einmal pro Woche suche sie ihre behandelnde Ärztin im Bezirksklinikum R. auf. Wenn es Pflichttermine seien, dann ginge es schon. Sie sei nicht arbeitsfähig; das belaste sie zusätzlich. Sie mache einmal pro Woche eine Therapie bei Dr. med. G. Q. im Bezirksklinikum R ...
Dementsprechend hat das Sozialgericht Regensburg die Klage mit Urteil vom 12.10.2004 - S 2 SB 820/02 - abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung ging mit Telefax vom 29.11.2004 am selben Tag im Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats wurden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Akten beigezogen.
Die Bevollmächtigte der Klägerin rügte mit Berufungsbegründung vom 11.03.2005, dass sich das erstinstanzliche Gericht ausschließlich auf das Gutachten von P. R. vom 24.08.2003 gestützt habe. Entgegen den dortigen Ausführungen leide die Klägerin nicht unter einem einseitigen Tinnitus, sondern neben einem beidseitigen Tinnitus unter einer sog. Meniére-Krankheit. Dieses Krankheitsbild habe in die Entscheidung des Sozialgerichts Regensburg keinen Eingang gefunden.
Prof. Dr. med. J. U. legte mit ärztlichem Befundbericht vom 15.04.2005 dar, bezüglich der Schwindelsymptomatik, die von der Genese her sicherlich in enger Beziehung zu der Vorgeschichte mit erheblicher Depression zu sehen sei, scheine eine gewisse Besserung stattzufinden: Die von der Klägerin geäußerten rezidivierenden Schwindelbeschwerden sind in erster Linie auf die Vorgeschichte der Patientin mit erheblicher Depression zurückzuführen. Von HNO-ärztlicher Seite kann ein vestibulärer Schwindel ausgeschlossen werden. Diagnose: Rezidivierender Schwindel, bekannte Depression sowie Tinnitus aurium.
Dr. med. B. übermittelte den vorläufigen Entlassungsbericht des Bezirksklinikums R. vom 21.02.2004: Die Klägerin berichtet von seit zehn Tagen bestehenden Schwindelerscheinungen, Kopfschmerzen sowie zwei Episoden mit kurzfristiger Bewusstlosigkeitkeit; Ereignisse ggf. auf Medikamentenüberdosierung zurückzuführen; kein Hinweis auf neurologisches Defizit.
Dr. med. G. Q. (Bezirksklinikum R.) berichtete dem Senat mit Schreiben vom 21.06.2005, dass die Klägerin während des gesamten Beobachtungszeitraumes seit 2001 nie soweit psychisch und physisch stabil gewesen sei, dass eine Arbeitsfähigkeit bestanden hätte. Leider sei insgesamt keine nennenswerte Besserung der komplexen Symptomatik eingetreten. Die Beschwerden im somatischen Bereich sind fluktuierend und zwischen den jeweiligen Organsystemen wechselnd.
Das BayLSG machte die Bevollmächtigte der Klägerin mit Nachricht vom 30.06.2005 darauf aufmerksam, dass die beigezogenen Befundberichte keine wesentliche Änderung des Leidenszustandes im Sinne einer Verschlechterung seit dem in sich schlüssigen Gutachten von P. R. vom 24.08.2003 ergeben hätten. Prof. Dr. med. J. U. vermute eher eine Besserung der Schwindelsymptomatik. Dr. med. G. Q. bestätige die Angaben im Gutachten von P. R. , wonach die Klägerin mehrmals im Monat zur ambulanten Behandlung in das Bezirksklinikum R. komme. Es werde daher um Stellungnahme bis 12.08.2005 gebeten, ob und ggf. mit welcher Begründung die Berufung aufrechterhalten werde.
Die Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18.09.2005 zwischennachrichtlich mitgeteilt, dass eine Bandscheibenentzündung behandlungsbedürftig sei. Die Untersuchungsergebnisse sollen abgewartet werden.
Der Senat gab der Bevollmächtigten der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis 17.10.2005. - Die Bevollmächtigte der Klägerin äußerte sich bislang nicht mehr.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2006 stellt die Bevollmächtigte der Klägerin die Anträge aus dem Schriftsatz vom 11.03.2005. Es wird beantragt, den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer.Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 abzuändern sowie das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit Wirkung ab 25.06.2001 mit 100 zu bewerten sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" festzustellen.
Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet: Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 12.10.2004 - S 2 SB 820/02 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Amts für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 ist zutreffend ergangen. Der Grad der Behinderung (GdB) im Sinne von § 2 Abs.2 und § 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) beträgt unverändert 80; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sind nicht gegeben.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt. Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl. Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialge-richtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu "Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994 S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. - Die "Anhaltspunte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. - Hinsichtlich der richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der "Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049, 3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen "Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw. nunmehr die "Anhaltspunkte 2004 und 2005".
Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Gemäß Randziffer 26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 und 2005" sind schwere Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Liegen wie hier schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, beträgt der Bewertungsrahmen 80 bis 100.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige P. R. hat mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 24.08.2003 zutreffend den nach Randziffer 26.3 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005" vorgegebenen Bewertungsrahmen beachtet, wenn er die bei der Klägerin bestehenden schweren Persönlichkeitsstörungen wegen der aktenkundigen sozialen schweren Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 80 bestätigt. Hierbei hat P. R. auch den vorgetragenen Tinnitus rechts mitberücksichtigt.
Soweit darüber hinaus ein Tinnitus beidseits bzw. ein Tinnitus aurium besteht, ändert dies nichts an der Gesamtbewertung. Denn entsprechend Rz.26.5 der "Anhaltspunkte 2005" sind Ohrgeräusche im Hinblick auf das Ausmaß der hieraus resultierenden psychischen Störungen samt ggf. sozialer Anpassungsschwierigkeiten zu bewerten. Insoweit und auch bezüglich der Schwindelsymptomatik, die von der Genese her sicherlich in enger Beziehung zu der Vorgeschichte mit erheblichen Depression zu sehen ist, scheint entsprechend dem Votum von Prof. Dr. med. J. U. vom 15.04.2005 eine gewisse Besserung stattzufinden. Dieser Gesichtspunkt ist in Berücksichtigung des umfassenden Befundberichtes von Dr. med. G. Q. jedoch von untergeordneter Bedeutung. Danach leidet die Klägerin unverändert unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Die Belastbarkeit der Klägerin bezüglich Veränderungen ihres Umfeldes bezüglich den alltäglichen Problemen insbesondere im interpersonellen Kontakt ist ausgesprochen gering.
Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Klägerin zumindest in der Lage ist, trotz des sozialen Rückzugs ein eigenständiges Leben in der eigenen Wohnung zu führen (vgl. Seite 16 des Gutachtens P. R. vom 24.08.2003).
Mangels einer wesentlichen Sachverhaltsänderung im Sinne von § 48 Abs.1 SGB X ist der Einzel- und damit auch der Gesamt-GdB von 80 unverändert angemessen und ausreichend.
Wenn die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 16.09.2005 unter anderem auf eine Bandscheibenentzündung hingewiesen hat, handelt es sich hierbei um eine behandlungsfähige Erkrankung, die einer dauernden Funktionseinbuße im Sinne von § 2 Abs.1 SGB IX nicht gleichsteht.
Das Hauptbegehren der Klägerin ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ist in Länderverordnungen geregelt. Als Anspruchsberechtigte (vgl. Rz.27 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005") werden in allen Verordnungen folgende behinderte Menschen genannt: Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich Sehbehinderte mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung; Hörgeschädigte, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist; behinderte Menschen mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
An Regelbeispielen nennen Rz.33 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005":
- Behinderte Menschen, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können,
- behinderte Menschen, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbaren Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können),
- behinderte Menschen mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose,
- behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden.
- Geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Die behinderten Menschen müssen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen bestimmter Art verbietet. Behinderte Menschen, die noch in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfüllen die Voraussetzungen nicht. Die Berufstätigkeit eines behinderten Menschen ist in der Regel ein Indiz dafür, dass öffentliche Veranstaltungen - zumindest gelegentlich - besucht werden können, es sei denn, dass eine der vorgenannten Behinderungen vorliegt, die bei Menschenansammlungen zu unzumutbaren Belastungen für die Umgebung oder für den Betroffenen führt.
Hiervon ausgehend hat P. R. auf Seite 17 unten seines Gutachtens vom 24.08.2003 bestätigt, dass die Klägerin nach eigenen Angaben öffentliche Zusammenkünfte aufsuchen kann, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten. Sie ist zum Beispiel in der Lage nach eigenen Angaben einmal pro Woche eine Psychotherapiesitzung im Bezirksklinikum R. durchzuführen. Auch zu der gerichtsärztlichen Untersuchung ist sie selbständig erschienen. Dies korrespondiert mit den Arztbesuchen, die zuletzt Dr. med. G. Q. mit Befundbericht vom 21.06.2005 gegenüber dem BayLSG beschrieben hat.
Nachdem die Klägerin darüber hinaus in der Lage ist, mit einer Begleitperson einzukaufen, ist sie nicht an das Haus gebunden. Vielmehr ist sie (mit Begleitperson) in der Lage von Zeit zu Zeit auch regelmäßig Großeinkäufe zu tätigen. Dies beinhaltet die Fähigkeit, Orte aufzusuchen, an denen regelmäßig vermehrt Menschen anzutreffen sind (z.B.: Einkaufsmärkte o.ä.). Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" liegen folglich nicht vor.
Vielmehr ergibt sich aus dem Bericht von Dr. med. G. Q. vom 21.06.2005, dass das Ziel der Therapie eine Wiedereingliederung der Klägerin in das gesellschaftliche Leben ist, auch wenn in den nächsten Jahren nicht damit zu rechnen ist, dass die Klägerin eine Stabilität des Ausmaßes erreicht, die den Minimalanforderungen einer Berufs- oder Erwerbsfähigkeit entsprechen.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2004 zurückzuweisen gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1970 geborene Klägerin ist schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs.2 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Sie begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Die Klägerin hat sich vom 23.09.1998 bis 18.11.1998 zu einer Rehabilitationsmaßnahme in der W.-Klinik Bad W. aufgehalten. Anamnestisch hat sie angegeben als unerwünschtes Einzelkind nach einer Vergewaltigung aufgewachsen zu sein. Sie habe in ihrer frühen Jugend erhebliche sexuelle Traumatisierungen von nächsten Angehörigen hinnehmen müssen.
Auf den Erstantrag vom 13.11.1998 hat das Amt für Versorgung und Familienförderung R. mit Bescheid vom 06.09.1999 in Gestalt des Abhilfe-Bescheides vom 01.12.1999 die bei der Klägerin bestehende Behinderung "seelische Krankheit" mit einem GdB von 80 bewertet.
Auf Initiative des Bezirksklinikums R. hat die Klägerin am 25.06.2001 einen Antrag auf Eintragung des Merkzeichens "RF" eingereicht. Das Bezirksklinikum R. hat mit Arztbrief von Prof. Dr. med. G. H. vom 26.06.2002 eine schwere komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit sehr ausgeprägter dissoziativer Symptomatik beschrieben. Aufgrund der Schwere und Komplexität des Krankheitsbildes und der damit einhergehenden sozialen sowie kommunikativen Einschränkungen seien nach Auffassung des Bezirksklinikums R. ein GdB von 100 vorliegend, außerdem die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". - Beigefügt gewesen ist der Entlassungsbericht der Fachklinik am H. vom 25.08.1999. Danach hat die Klägerin nach anfänglich großen Schwierigkeiten in bemerkenswerter Weise konstruktiv und erfolgreich das therapeutische Angebot genutzt und die von ihr genannten Ziele, Zugang zu den eigenen Fähigkeiten zu finden, Aufbau eines Schutzsystems bei ständig einbrechenden Überflutungsgefühlen, dem Aufbau von Ich-Grenzen und einer stärkeren Ausgeglichenheit im Sinne eines "sowohl als auch" in wichtigen Etappen unter den gegebenen stationären Bedingungen erreicht.
Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.07.2002 hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 den Neufeststellungsantrag vom 21.06.2001 abgelehnt: Der GdB betrage unverändert 80; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" seien nicht vorliegend.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht Regensburg nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen P. R. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser bestätigte mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 24.08.2003 das Vorliegen eines GdB von 80. Das Merkzeichen "RF" stehe nicht zu: Die Klägerin sei trotz der vorliegenden Erkrankungen auch unter Berücksichtigung des sozialen Rückzuges noch in der Lage, ein eigenständiges Leben in der eigenen Wohnung zu führen, sodass eine Höherbewertung des GdB entsprechend Seite 61 der "Anhaltspunkte" derzeit nicht zu rechtfertigen sei. Hierbei habe der gerichtlich bestellte Sachverständige berücksichtigt, dass die Klägerin nach eigenen Angaben Konzentrationsstörungen habe und nicht mehr aus dem Haus gehe. Ein Bekannter gehe mit ihr Einkaufen. Einmal pro sechs Wochen würde ein Großeinkauf durchgeführt werden. Wenn sie Sahne holen müsse, müsse sie sich ab Montag darauf vorbereiten, damit sie am Freitag außer Haus gehen könne. Einmal pro Woche suche sie ihre behandelnde Ärztin im Bezirksklinikum R. auf. Wenn es Pflichttermine seien, dann ginge es schon. Sie sei nicht arbeitsfähig; das belaste sie zusätzlich. Sie mache einmal pro Woche eine Therapie bei Dr. med. G. Q. im Bezirksklinikum R ...
Dementsprechend hat das Sozialgericht Regensburg die Klage mit Urteil vom 12.10.2004 - S 2 SB 820/02 - abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Berufung ging mit Telefax vom 29.11.2004 am selben Tag im Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats wurden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Akten beigezogen.
Die Bevollmächtigte der Klägerin rügte mit Berufungsbegründung vom 11.03.2005, dass sich das erstinstanzliche Gericht ausschließlich auf das Gutachten von P. R. vom 24.08.2003 gestützt habe. Entgegen den dortigen Ausführungen leide die Klägerin nicht unter einem einseitigen Tinnitus, sondern neben einem beidseitigen Tinnitus unter einer sog. Meniére-Krankheit. Dieses Krankheitsbild habe in die Entscheidung des Sozialgerichts Regensburg keinen Eingang gefunden.
Prof. Dr. med. J. U. legte mit ärztlichem Befundbericht vom 15.04.2005 dar, bezüglich der Schwindelsymptomatik, die von der Genese her sicherlich in enger Beziehung zu der Vorgeschichte mit erheblicher Depression zu sehen sei, scheine eine gewisse Besserung stattzufinden: Die von der Klägerin geäußerten rezidivierenden Schwindelbeschwerden sind in erster Linie auf die Vorgeschichte der Patientin mit erheblicher Depression zurückzuführen. Von HNO-ärztlicher Seite kann ein vestibulärer Schwindel ausgeschlossen werden. Diagnose: Rezidivierender Schwindel, bekannte Depression sowie Tinnitus aurium.
Dr. med. B. übermittelte den vorläufigen Entlassungsbericht des Bezirksklinikums R. vom 21.02.2004: Die Klägerin berichtet von seit zehn Tagen bestehenden Schwindelerscheinungen, Kopfschmerzen sowie zwei Episoden mit kurzfristiger Bewusstlosigkeitkeit; Ereignisse ggf. auf Medikamentenüberdosierung zurückzuführen; kein Hinweis auf neurologisches Defizit.
Dr. med. G. Q. (Bezirksklinikum R.) berichtete dem Senat mit Schreiben vom 21.06.2005, dass die Klägerin während des gesamten Beobachtungszeitraumes seit 2001 nie soweit psychisch und physisch stabil gewesen sei, dass eine Arbeitsfähigkeit bestanden hätte. Leider sei insgesamt keine nennenswerte Besserung der komplexen Symptomatik eingetreten. Die Beschwerden im somatischen Bereich sind fluktuierend und zwischen den jeweiligen Organsystemen wechselnd.
Das BayLSG machte die Bevollmächtigte der Klägerin mit Nachricht vom 30.06.2005 darauf aufmerksam, dass die beigezogenen Befundberichte keine wesentliche Änderung des Leidenszustandes im Sinne einer Verschlechterung seit dem in sich schlüssigen Gutachten von P. R. vom 24.08.2003 ergeben hätten. Prof. Dr. med. J. U. vermute eher eine Besserung der Schwindelsymptomatik. Dr. med. G. Q. bestätige die Angaben im Gutachten von P. R. , wonach die Klägerin mehrmals im Monat zur ambulanten Behandlung in das Bezirksklinikum R. komme. Es werde daher um Stellungnahme bis 12.08.2005 gebeten, ob und ggf. mit welcher Begründung die Berufung aufrechterhalten werde.
Die Bevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18.09.2005 zwischennachrichtlich mitgeteilt, dass eine Bandscheibenentzündung behandlungsbedürftig sei. Die Untersuchungsergebnisse sollen abgewartet werden.
Der Senat gab der Bevollmächtigten der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis 17.10.2005. - Die Bevollmächtigte der Klägerin äußerte sich bislang nicht mehr.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2006 stellt die Bevollmächtigte der Klägerin die Anträge aus dem Schriftsatz vom 11.03.2005. Es wird beantragt, den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer.Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 abzuändern sowie das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB mit Wirkung ab 25.06.2001 mit 100 zu bewerten sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" festzustellen.
Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet: Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage mit Urteil vom 12.10.2004 - S 2 SB 820/02 - zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Amts für Versorgung und Familienförderung R. vom 12.07.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 03.09.2002 ist zutreffend ergangen. Der Grad der Behinderung (GdB) im Sinne von § 2 Abs.2 und § 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) beträgt unverändert 80; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" sind nicht gegeben.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs.2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs.1 BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs.1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004 und 2005" ausgefüllt. Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl. Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialge-richtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu "Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994 S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. - Die "Anhaltspunte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. - Hinsichtlich der richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der "Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049, 3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art.3 des Grundgesetzes (GG) normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen "Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw. nunmehr die "Anhaltspunkte 2004 und 2005".
Ergänzend ist auf § 48 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) hinzuweisen: Soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Gemäß Randziffer 26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 und 2005" sind schwere Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Liegen wie hier schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, beträgt der Bewertungsrahmen 80 bis 100.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige P. R. hat mit neurologisch-psychiatrischem Fachgutachten vom 24.08.2003 zutreffend den nach Randziffer 26.3 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005" vorgegebenen Bewertungsrahmen beachtet, wenn er die bei der Klägerin bestehenden schweren Persönlichkeitsstörungen wegen der aktenkundigen sozialen schweren Anpassungsschwierigkeiten mit einem GdB von 80 bestätigt. Hierbei hat P. R. auch den vorgetragenen Tinnitus rechts mitberücksichtigt.
Soweit darüber hinaus ein Tinnitus beidseits bzw. ein Tinnitus aurium besteht, ändert dies nichts an der Gesamtbewertung. Denn entsprechend Rz.26.5 der "Anhaltspunkte 2005" sind Ohrgeräusche im Hinblick auf das Ausmaß der hieraus resultierenden psychischen Störungen samt ggf. sozialer Anpassungsschwierigkeiten zu bewerten. Insoweit und auch bezüglich der Schwindelsymptomatik, die von der Genese her sicherlich in enger Beziehung zu der Vorgeschichte mit erheblichen Depression zu sehen ist, scheint entsprechend dem Votum von Prof. Dr. med. J. U. vom 15.04.2005 eine gewisse Besserung stattzufinden. Dieser Gesichtspunkt ist in Berücksichtigung des umfassenden Befundberichtes von Dr. med. G. Q. jedoch von untergeordneter Bedeutung. Danach leidet die Klägerin unverändert unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Die Belastbarkeit der Klägerin bezüglich Veränderungen ihres Umfeldes bezüglich den alltäglichen Problemen insbesondere im interpersonellen Kontakt ist ausgesprochen gering.
Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Klägerin zumindest in der Lage ist, trotz des sozialen Rückzugs ein eigenständiges Leben in der eigenen Wohnung zu führen (vgl. Seite 16 des Gutachtens P. R. vom 24.08.2003).
Mangels einer wesentlichen Sachverhaltsänderung im Sinne von § 48 Abs.1 SGB X ist der Einzel- und damit auch der Gesamt-GdB von 80 unverändert angemessen und ausreichend.
Wenn die Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 16.09.2005 unter anderem auf eine Bandscheibenentzündung hingewiesen hat, handelt es sich hierbei um eine behandlungsfähige Erkrankung, die einer dauernden Funktionseinbuße im Sinne von § 2 Abs.1 SGB IX nicht gleichsteht.
Das Hauptbegehren der Klägerin ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF". Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ist in Länderverordnungen geregelt. Als Anspruchsberechtigte (vgl. Rz.27 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005") werden in allen Verordnungen folgende behinderte Menschen genannt: Blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich Sehbehinderte mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung; Hörgeschädigte, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist; behinderte Menschen mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
An Regelbeispielen nennen Rz.33 der "Anhaltspunkte 1996 und 2005":
- Behinderte Menschen, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können,
- behinderte Menschen, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbaren Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können),
- behinderte Menschen mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose,
- behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden.
- Geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Die behinderten Menschen müssen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen bestimmter Art verbietet. Behinderte Menschen, die noch in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfüllen die Voraussetzungen nicht. Die Berufstätigkeit eines behinderten Menschen ist in der Regel ein Indiz dafür, dass öffentliche Veranstaltungen - zumindest gelegentlich - besucht werden können, es sei denn, dass eine der vorgenannten Behinderungen vorliegt, die bei Menschenansammlungen zu unzumutbaren Belastungen für die Umgebung oder für den Betroffenen führt.
Hiervon ausgehend hat P. R. auf Seite 17 unten seines Gutachtens vom 24.08.2003 bestätigt, dass die Klägerin nach eigenen Angaben öffentliche Zusammenkünfte aufsuchen kann, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten. Sie ist zum Beispiel in der Lage nach eigenen Angaben einmal pro Woche eine Psychotherapiesitzung im Bezirksklinikum R. durchzuführen. Auch zu der gerichtsärztlichen Untersuchung ist sie selbständig erschienen. Dies korrespondiert mit den Arztbesuchen, die zuletzt Dr. med. G. Q. mit Befundbericht vom 21.06.2005 gegenüber dem BayLSG beschrieben hat.
Nachdem die Klägerin darüber hinaus in der Lage ist, mit einer Begleitperson einzukaufen, ist sie nicht an das Haus gebunden. Vielmehr ist sie (mit Begleitperson) in der Lage von Zeit zu Zeit auch regelmäßig Großeinkäufe zu tätigen. Dies beinhaltet die Fähigkeit, Orte aufzusuchen, an denen regelmäßig vermehrt Menschen anzutreffen sind (z.B.: Einkaufsmärkte o.ä.). Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" liegen folglich nicht vor.
Vielmehr ergibt sich aus dem Bericht von Dr. med. G. Q. vom 21.06.2005, dass das Ziel der Therapie eine Wiedereingliederung der Klägerin in das gesellschaftliche Leben ist, auch wenn in den nächsten Jahren nicht damit zu rechnen ist, dass die Klägerin eine Stabilität des Ausmaßes erreicht, die den Minimalanforderungen einer Berufs- oder Erwerbsfähigkeit entsprechen.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.10.2004 zurückzuweisen gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
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