Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 R 5006/02 It
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 85/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.12.2005 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 20.02.2002 verurteilt, Witwenrente ab 01.11.1974 zu gewähren.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge sind von der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung ihres am 22.10.1974 verstorbenen Ehemanns G. Q. bereits auf den Antrag vom 24.12.1974 statt erst auf den Antrag vom 26.03.1999 hin.
Die am 1939 in Italien geborene und dort wohnhafte Klägerin, italienische Staatsangehörige, war mit dem Versicherten G. Q., italienischer Staatsangehöriger, bis zu dessen Tod am 22.10.1974 verheiratet. Der Versicherte hatte von August 1961 bis November 1966 an die Beklagte 51 Pflichtbeiträge entrichtet; bei dem italienischen Versicherungsträger waren insgesamt 151 Beitragszeiten gemeldet. Die Klägerin bezieht seit 01.11.1974 italienische Witwenrente.
Die Klägerin beantragte am 24.12.1974 über den italienischen Versicherungsträger I.N.P.S. Lecce die Gewährung von Witwenrente; dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 09.12.1975 unter dem Aktenzeichen 17606 an die Beklagte weitergeleitet. Das I.N.P.S. Lecce leitete mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag unter dem Aktenzeichen 17607 den Antrag des Versicherten auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 27.11.1971 weiter an die Beklagte. Diese lehnte mit Erben-Bescheid vom 30.08.1976 unter dem Aktenzeichen 17607 den Antrag auf Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit und mit weiterem Bescheid vom 30.08.1976 unter demselben Aktenzeichen 17607 den Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente ab, weil nach der E-2o5-Bescheinigung des Versicherungsverlaufes in Deutschland die deutschen Versicherungszeiten weniger als ein Jahr (11 Monate) betragen würden und daher die deutschen Zeiten vom italienischen Versicherungsträger zu entschädigen seien. Mit Anschreiben vom 25.01.1977, Aktenzeichen 17607, hatte das I.N.P.S. Lecce unter Angabe des Rentenantrags wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 27.11.1971 den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30.08.1976 an die Klägerin übersandt. Unstreitig wurde der Bescheid über die Ablehnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit übersandt; streitig ist jedoch, ob auch der Bescheid über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente an die Klägerin übersandt worden ist.
Am 26.03.1999 beantragte die Klägerin über den italienischen Versicherungsträger die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte gewährte ihr mit Bescheid vom 29.09.2000 ab 01.03.1998 (gem. § 99 Abs. 2 SGB VI) große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes (unter Zugrundelegung von 51 Kalendermonaten zurückgelegten deutschen Beitragszeiten).
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch begehrte die Klägerin die Gewährung der Witwenrente ab 01.11.1974 im Wege des § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X), weil sie bereits am 24.12.1974 die Hinterbliebenenrente beantragt habe, und das I.N.P.S. Lecce diesen Antrag mit Schreiben vom 09.12.1975 an die Beklagte weitergeleitet habe. Zur Begründung legte sie die beiden Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. vom 09.12.1975 hinsichtlich der Anträge auf Hinterbliebenenrente sowie auf Rente wegen ver-minderter Erwerbsfähigkeit und den Erben-Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 vor. Es sei anzunehmen, dass die Beklagte eine Entscheidung hinsichtlich der Hinterbliebenenrente als überflüssig betrachtet habe, weil nach der damals vorliegenden Bescheinigung E 205 nur 11 Monate Beitragszeiten vorhanden gewesen seien, und so die gleiche Voraussetzung wie bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gefehlt habe. Mit dem Erben-Bescheid über die Ablehnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seien praktisch alle Ansprüche aus der Ver-sicherung des verstorbenen Ehemannes wegen fehlender Wartezeit abgelehnt worden.
Nach Beiziehung von Unterlagen des INPS Brindisi, die identisch mit den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen waren, hob die Beklagte mit Bescheid vom 04.04.2001 den Bescheid vom 29.09.2000 auf und gewährte ab 01.01.1995 große Witwenrente, weil der Antrag vom 26.03.1999 als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X zu werten sei, und eine Korrektur des Erbenbescheides vom 30.08.1976 im Hinblick auf die Regelung des § 44 Abs.4 SGB X nicht mehr möglich sei.
Dagegen erhob die Klägerin erneut Widerspruch, weil mit dem Erbenbescheid vom 30.08.1976 nur der Antrag vom 27.11.1970 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden sei, und eine Entscheidung über den Antrag vom 24.12.1974 noch ausstehe. Mangels Bescheid könne daher keine Rücknahme erfolgen.
Der im April 2001 von der Beklagten ausgehobene Vernichtungsumschlag war nicht mehr auffindbar. Das I.N.P.S. Brindisi konnte auf Anfrage der Beklagten nicht mitteilen, wann der deutsche Rentenbescheid zugestellt worden sei. Neben bereits vorhandenen Unterlagen legte sie den Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Hinterbliebenenrente, Az. 17607 vor.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2002 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antrag vom 24.12.1974 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 30.08.1976 bindend abgelehnt worden sei. Denn auf Grund der Gesamtumstände sei zwingend von einer Bekanntgabe und damit dem Eintritt von Außenwirkung und so von der Wirksamkeit und folglich der Bestandskraft dieses Bescheides auszugehen. Die Behauptung der Klägerin, der Bescheid über die Ablehnung der Witwenrente sei ihr nicht zugegangen, sei nicht nachvollziehbar. Denn die beiden Bescheide vom 30.08.1976 seien vom I.N.P.S. mit derselben Nummer 17607 versehen worden und beide mit dem Anschreiben vom 25.01.1977 an die Klägerin übersandt worden. Da die Klägerin den Erbenbescheid erhalten habe und die Zustellung der beiden Bescheide zusammen erfolgt sei, habe die Klägerin folglich auch den Hinterbliebenenrentenbescheid erhalten müssen. Andernfalls hätte die Klägerin doch wohl zeitnah eine Entscheidung moniert. Auf Grund der Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X komme die Gewährung von Rentenleistungen vor dem 01.01.1995 nicht in Betracht.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg verfolgte die Klägerin ihr Ziel der Gewährung einer Witwenrente ab 01.11.1974 weiter. Zur Begründung verwies sie darauf, dass ihr der Bescheid vom 30.08.1976 über die Ablehnung des Antrags auf Hinterbliebenenrente nicht zugegangen sei. Die Beklagte, die die Beweislast für den behaupteten Zugang tragen müsse, habe den Zugang bislang nicht beweisen können. Denn aus den Akten lasse sich kein Hinweis finden, dass mit dem Anschreiben des I.N.P.S. vom 25.01.1977 beide Bescheide vom 30.08.1976 an die Klägerin abgesandt worden seien. Es sei vielmehr das Gegenteil der Fall. Denn das I.N.P.S. habe mit Schreiben vom 10.12.2001 an die Beklagte geantwortet, dass nicht mitgeteilt werden könne, wann der deutsche Bescheid zugestellt worden sei. Dem Anschreiben des I.N.P.S. vom 25.01.1977 sei vielmehr zu entnehmen, dass nur der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung des Antrags vom 27.11.1971 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit versandt worden sei. Denn in diesem Anschreiben sei nur der Begriff "Invalidita" verwendet und auch nur das Datum des Antrags vom 27.11.1971 genannt worden.
Die Beklagte brachte hiergegen vor, dass sie keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ausführungen im Widerspruchsbescheid habe. Beide Bescheide vom 30.08.1976 seien mit dem Anschreiben vom 25.01.1977 an die Klägerin übersandt worden. Der nunmehr vorgebrachte Einwand könne nur als Schutzbehauptung angesehen werden. Es widerspreche jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin dann in all den Jahren nie bezüglich ihres Hinterbliebenenantrages nachgefragt habe, zumal sie aus der italienischen Versicherung Witwenrente erhalten habe.
Mit Urteil vom 14.12.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Antrag auf Hinterbliebenenrente vom 24.12.1974 mit Bescheid vom 30.08.1976 bindend abgelehnt worden sei. Dieser Bescheid sei der Klägerin zugegangen und damit wirksam geworden. Da das Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. die Vorgangsnummer N.17607, unter der beide Anträge geführt und bearbeitet worden seien, habe, sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass beide Bescheide vom 30.08.1976 zusammen übermittelt worden seien. Dafür spreche auch, dass sich die Klägerin seither nicht mehr bei der Beklagten gemeldet habe, obwohl sich ein Nachfragen habe aufdrängen müssen. Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass der Hinterbliebenenrentenantrag nicht durch einen wirksamen und bestandskräftigen Bescheid abgelehnt worden sei, sei der Bescheid vom 30.08.1976 so zu behandeln, als wäre er wirksam zugegangen und enthalte eine Entscheidung über den Witwenrentenantrag. Denn der Klägerin sei es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die fehlende Wirksamkeit des Bescheides zu berufen. Die fehlende Verbescheidung hätte bei der Klägerin Nachfragen provozieren müssen. Das tatsächliche Ausbleiben von Rentenzahlungen habe der Klägerin in ihrer Lebensführung bewusst sein müssen und damit habe ihr die Ablehnung ihres Antrags auf Hinterbliebenenrente gegenwärtig sein müssen. Die Berufung auf eine fehlende Verbescheidung ihres Antrags fast 30 Jahre später erscheine rechtsmissbräuchlich. Das Untätigbleiben der Klägerin über diesen sehr langen Zeitraum habe die Beklagte dahingehend verstehen müssen, dass die Klägerin ihren Antrag auf Hinterbliebenenrente nicht weiter verfolge. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zahlung einer Hinterbliebenenrente gerade zur Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes erfolge.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, dass der Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente der Klägerin nicht zugegangen sei. Ergänzend wird ausgeführt, dass die Klägerin bei der Beklagten sich deshalb nicht gemeldet habe, weil sie in dieser Zeit rechtsirrtümlich davon ausgegangen sei, dass ihr aus dem Grund der Ablehnung der Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit auch keine Witwenrente zustehe. Dieser Rechtsirrtum dürfe der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen. Die bloße Untätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg genüge nicht für die Annahme einer Verwirkung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.12.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2002 zu verurteilen, ihr ab 01.11.1974 Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung im wesentlichen auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 20.02.2002.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.
Mit seinem Urteil vom 14.12.2005 hat das Sozialgericht zu Unrecht die Klage abgewiesen, weil der Klägerin auf der Grundlage einer Rentenantragstellung vom 24.12.1974 Hinterbliebenenrente ab 01.11.1974 zu zahlen ist. Denn der Rentenantrag vom 24.12.1974 ist noch offen, und der Anspruch ist weder verjährt noch verwirkt.
Der Bescheid vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente ist der Klägerin nicht bekannt gegeben worden und so nicht wirksam geworden, weil der Zugang dieses Bescheides in den Machtbereich der Klägerin nicht nachgewiesen ist, und die Unerweislichkeit des Zugangs nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten geht.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Der Zeitpunkt des Erlasses und damit des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes bestimmt sich mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Adressaten, also bei schriftlich erlassenem Verwaltungsakt regelmäßig mit dem Zeitpunkt des Zugangs (BSG, Urteil vom 14.03.1996, Az. 7 RA 84/95). Vollzogen ist die Bekanntgabe mit dem Zugang des Verwaltungsaktes in den Machtbereich des Empfängers (§ 130 BGB analog). Ein Schriftstück ist dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (s. statt vieler: von Wulffen/Engelmann, SGB X, § 37 Rdnr. 4 m.w.N.).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht aus den gleichen Vorgangsnummern (N. 17607) der Bescheide vom 30.08.1976 und dem Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. Lecce vom 25.01.1977 mit der gleichen VorgangsNr. 17607 die Schlussfolgerung gezogen, dass damit auch beide Bescheide übersandt worden seien. Denn sowohl die Bezeichnung "Invalidita" als auch die Angabe des Antrags vom 27.11.1971 (auf Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit) im Zuleitungsschreiben deuten auf Grund ihrer konkreten Benennung, jedoch der fehlenden, aber aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes der Vollständigkeit erforderlichen Bezeichnung der Witwenrentenangelegenheit darauf hin, dass diesem Schreiben nur der Bescheid über die Ablehnung der Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beilag. Auch das I.N.P.S. Brindisi konnte die Zustellung des Witwenrentenbescheides nicht bestätigen.
Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (so etwa BSGE 27, 40). Die Beklagte muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für den Zugang von Verwaltungsakten trägt die Beklagte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (vgl. von Wulffen, SGB X, § 20 Rdnr.9).
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente ist nicht verjährt, weil die Beklagte zum einen diese Einrede nicht erhoben hat, und die Verjährung zum anderen durch den schriftlichen, noch offenen Antrag vom 01.11.1974 unterbrochen worden ist im Sinn des § 45 Abs. 3 SGB I.
Die Klägerin hat ihren Anspruch auch nicht verwirkt. Das im bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelte Rechtsinstitut ist auch im Sozialrecht anerkannt. Danach darf sich der Berechtigte auf die Ausübung seines Rechts nicht (mehr) berufen, wenn er das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so grundlegend BSGE 47, 194, 196; BSG, Urteil vom 30.07.1997, Az. 5 RJ 64/95).
Auch wenn im Hinblick auf einen Zeitablauf von 25 Jahren die Voraussetzung des Zeitmomentes erfüllt ist, so liegen nicht die erforderlichen besonderen Umstände, die die verspätete Geltendmachung des Rechts auf Gewährung von Witwenrente mit Treu und Glauben nicht vereinbar und deswegen der Beklagten gegenüber als unzumutbar erscheinen lassen, (Umstandsmoment) vor. Es sind keine Umstände ersichtlich, die der Klägerin als treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden könnten. Dabei sind an das Verwirkungsverhalten grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Allein die Untätigkeit der Klägerin und die Nichtgeltendmachung ihres Anspruchs über einen langen Zeitraum genügen nicht. Sie hat darüber hinaus kein konkretes Verhalten gezeigt, aus dem geschlossen werden durfte, dass sie von ihrem Rentenrecht nicht mehr Gebrauch machen werde. Ihr Schweigen lässt nicht den Schluss zu, dass sie kein Interesse mehr an der Fortführung des Rentenverfahrens habe. Zu einem Nachfragen war sie nicht verpflichtet, zumal sie nach ihrem glaubhaften Vorbringen davon ausgegangen ist – und dies aufgrund der entsprechenden Mitteilung durch die Beklagte in dem Erbenbescheid auch durfte - , dass ihr aufgrund der 11 Kalendermonate deutscher Beitragszeiten keine Rente nach deutschem Recht zustehe. Auch die vom Sozialgericht zitierte Entscheidung des BVerwG vom 25.01.1974, Az. IV C 2.72 zur verspäteten Einlegung eines Widerspruchs eines Nachbarn als Drittbetroffenen gegen die ihm nicht amtlich bekanntgegebene Baugenehmigung setzt für eine Verwirkung die zuverlässige Kenntnis des Bescheides (der Bauerlaubnis), die hier nicht bejaht werden kann, voraus. Im übrigen lag dieser Entscheidung bereits eine Bekanntgabe und so ein wirksamer Erlass der Baugenehmigung – was in diesem Verfahren nicht nachgewiesen ist – als unerlässliche Voraussetzung zugrunde.
Darüber hinaus fehlt ein rechtserhebliches Bedürfnis der Beklagten, darauf vertrauen zu können, dass die Klägerin nicht mehr die Gewährung der Witwenrente begehrt. Denn die Zahlung der Witwenrente ist der Beklagten noch zumutbar.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung Erfolg hatte.
Gründe, gemäß § 160 Absatz 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin beider Rechtszüge sind von der Beklagten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung ihres am 22.10.1974 verstorbenen Ehemanns G. Q. bereits auf den Antrag vom 24.12.1974 statt erst auf den Antrag vom 26.03.1999 hin.
Die am 1939 in Italien geborene und dort wohnhafte Klägerin, italienische Staatsangehörige, war mit dem Versicherten G. Q., italienischer Staatsangehöriger, bis zu dessen Tod am 22.10.1974 verheiratet. Der Versicherte hatte von August 1961 bis November 1966 an die Beklagte 51 Pflichtbeiträge entrichtet; bei dem italienischen Versicherungsträger waren insgesamt 151 Beitragszeiten gemeldet. Die Klägerin bezieht seit 01.11.1974 italienische Witwenrente.
Die Klägerin beantragte am 24.12.1974 über den italienischen Versicherungsträger I.N.P.S. Lecce die Gewährung von Witwenrente; dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 09.12.1975 unter dem Aktenzeichen 17606 an die Beklagte weitergeleitet. Das I.N.P.S. Lecce leitete mit weiterem Schreiben vom gleichen Tag unter dem Aktenzeichen 17607 den Antrag des Versicherten auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 27.11.1971 weiter an die Beklagte. Diese lehnte mit Erben-Bescheid vom 30.08.1976 unter dem Aktenzeichen 17607 den Antrag auf Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit und mit weiterem Bescheid vom 30.08.1976 unter demselben Aktenzeichen 17607 den Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente ab, weil nach der E-2o5-Bescheinigung des Versicherungsverlaufes in Deutschland die deutschen Versicherungszeiten weniger als ein Jahr (11 Monate) betragen würden und daher die deutschen Zeiten vom italienischen Versicherungsträger zu entschädigen seien. Mit Anschreiben vom 25.01.1977, Aktenzeichen 17607, hatte das I.N.P.S. Lecce unter Angabe des Rentenantrags wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 27.11.1971 den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30.08.1976 an die Klägerin übersandt. Unstreitig wurde der Bescheid über die Ablehnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit übersandt; streitig ist jedoch, ob auch der Bescheid über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente an die Klägerin übersandt worden ist.
Am 26.03.1999 beantragte die Klägerin über den italienischen Versicherungsträger die Gewährung von Witwenrente. Die Beklagte gewährte ihr mit Bescheid vom 29.09.2000 ab 01.03.1998 (gem. § 99 Abs. 2 SGB VI) große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes (unter Zugrundelegung von 51 Kalendermonaten zurückgelegten deutschen Beitragszeiten).
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch begehrte die Klägerin die Gewährung der Witwenrente ab 01.11.1974 im Wege des § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X), weil sie bereits am 24.12.1974 die Hinterbliebenenrente beantragt habe, und das I.N.P.S. Lecce diesen Antrag mit Schreiben vom 09.12.1975 an die Beklagte weitergeleitet habe. Zur Begründung legte sie die beiden Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. vom 09.12.1975 hinsichtlich der Anträge auf Hinterbliebenenrente sowie auf Rente wegen ver-minderter Erwerbsfähigkeit und den Erben-Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 vor. Es sei anzunehmen, dass die Beklagte eine Entscheidung hinsichtlich der Hinterbliebenenrente als überflüssig betrachtet habe, weil nach der damals vorliegenden Bescheinigung E 205 nur 11 Monate Beitragszeiten vorhanden gewesen seien, und so die gleiche Voraussetzung wie bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gefehlt habe. Mit dem Erben-Bescheid über die Ablehnung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit seien praktisch alle Ansprüche aus der Ver-sicherung des verstorbenen Ehemannes wegen fehlender Wartezeit abgelehnt worden.
Nach Beiziehung von Unterlagen des INPS Brindisi, die identisch mit den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen waren, hob die Beklagte mit Bescheid vom 04.04.2001 den Bescheid vom 29.09.2000 auf und gewährte ab 01.01.1995 große Witwenrente, weil der Antrag vom 26.03.1999 als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X zu werten sei, und eine Korrektur des Erbenbescheides vom 30.08.1976 im Hinblick auf die Regelung des § 44 Abs.4 SGB X nicht mehr möglich sei.
Dagegen erhob die Klägerin erneut Widerspruch, weil mit dem Erbenbescheid vom 30.08.1976 nur der Antrag vom 27.11.1970 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden sei, und eine Entscheidung über den Antrag vom 24.12.1974 noch ausstehe. Mangels Bescheid könne daher keine Rücknahme erfolgen.
Der im April 2001 von der Beklagten ausgehobene Vernichtungsumschlag war nicht mehr auffindbar. Das I.N.P.S. Brindisi konnte auf Anfrage der Beklagten nicht mitteilen, wann der deutsche Rentenbescheid zugestellt worden sei. Neben bereits vorhandenen Unterlagen legte sie den Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Hinterbliebenenrente, Az. 17607 vor.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2002 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antrag vom 24.12.1974 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 30.08.1976 bindend abgelehnt worden sei. Denn auf Grund der Gesamtumstände sei zwingend von einer Bekanntgabe und damit dem Eintritt von Außenwirkung und so von der Wirksamkeit und folglich der Bestandskraft dieses Bescheides auszugehen. Die Behauptung der Klägerin, der Bescheid über die Ablehnung der Witwenrente sei ihr nicht zugegangen, sei nicht nachvollziehbar. Denn die beiden Bescheide vom 30.08.1976 seien vom I.N.P.S. mit derselben Nummer 17607 versehen worden und beide mit dem Anschreiben vom 25.01.1977 an die Klägerin übersandt worden. Da die Klägerin den Erbenbescheid erhalten habe und die Zustellung der beiden Bescheide zusammen erfolgt sei, habe die Klägerin folglich auch den Hinterbliebenenrentenbescheid erhalten müssen. Andernfalls hätte die Klägerin doch wohl zeitnah eine Entscheidung moniert. Auf Grund der Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X komme die Gewährung von Rentenleistungen vor dem 01.01.1995 nicht in Betracht.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg verfolgte die Klägerin ihr Ziel der Gewährung einer Witwenrente ab 01.11.1974 weiter. Zur Begründung verwies sie darauf, dass ihr der Bescheid vom 30.08.1976 über die Ablehnung des Antrags auf Hinterbliebenenrente nicht zugegangen sei. Die Beklagte, die die Beweislast für den behaupteten Zugang tragen müsse, habe den Zugang bislang nicht beweisen können. Denn aus den Akten lasse sich kein Hinweis finden, dass mit dem Anschreiben des I.N.P.S. vom 25.01.1977 beide Bescheide vom 30.08.1976 an die Klägerin abgesandt worden seien. Es sei vielmehr das Gegenteil der Fall. Denn das I.N.P.S. habe mit Schreiben vom 10.12.2001 an die Beklagte geantwortet, dass nicht mitgeteilt werden könne, wann der deutsche Bescheid zugestellt worden sei. Dem Anschreiben des I.N.P.S. vom 25.01.1977 sei vielmehr zu entnehmen, dass nur der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung des Antrags vom 27.11.1971 auf Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit versandt worden sei. Denn in diesem Anschreiben sei nur der Begriff "Invalidita" verwendet und auch nur das Datum des Antrags vom 27.11.1971 genannt worden.
Die Beklagte brachte hiergegen vor, dass sie keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ausführungen im Widerspruchsbescheid habe. Beide Bescheide vom 30.08.1976 seien mit dem Anschreiben vom 25.01.1977 an die Klägerin übersandt worden. Der nunmehr vorgebrachte Einwand könne nur als Schutzbehauptung angesehen werden. Es widerspreche jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin dann in all den Jahren nie bezüglich ihres Hinterbliebenenantrages nachgefragt habe, zumal sie aus der italienischen Versicherung Witwenrente erhalten habe.
Mit Urteil vom 14.12.2005 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Antrag auf Hinterbliebenenrente vom 24.12.1974 mit Bescheid vom 30.08.1976 bindend abgelehnt worden sei. Dieser Bescheid sei der Klägerin zugegangen und damit wirksam geworden. Da das Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. die Vorgangsnummer N.17607, unter der beide Anträge geführt und bearbeitet worden seien, habe, sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass beide Bescheide vom 30.08.1976 zusammen übermittelt worden seien. Dafür spreche auch, dass sich die Klägerin seither nicht mehr bei der Beklagten gemeldet habe, obwohl sich ein Nachfragen habe aufdrängen müssen. Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass der Hinterbliebenenrentenantrag nicht durch einen wirksamen und bestandskräftigen Bescheid abgelehnt worden sei, sei der Bescheid vom 30.08.1976 so zu behandeln, als wäre er wirksam zugegangen und enthalte eine Entscheidung über den Witwenrentenantrag. Denn der Klägerin sei es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die fehlende Wirksamkeit des Bescheides zu berufen. Die fehlende Verbescheidung hätte bei der Klägerin Nachfragen provozieren müssen. Das tatsächliche Ausbleiben von Rentenzahlungen habe der Klägerin in ihrer Lebensführung bewusst sein müssen und damit habe ihr die Ablehnung ihres Antrags auf Hinterbliebenenrente gegenwärtig sein müssen. Die Berufung auf eine fehlende Verbescheidung ihres Antrags fast 30 Jahre später erscheine rechtsmissbräuchlich. Das Untätigbleiben der Klägerin über diesen sehr langen Zeitraum habe die Beklagte dahingehend verstehen müssen, dass die Klägerin ihren Antrag auf Hinterbliebenenrente nicht weiter verfolge. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zahlung einer Hinterbliebenenrente gerade zur Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes erfolge.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, dass der Bescheid der Beklagten vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente der Klägerin nicht zugegangen sei. Ergänzend wird ausgeführt, dass die Klägerin bei der Beklagten sich deshalb nicht gemeldet habe, weil sie in dieser Zeit rechtsirrtümlich davon ausgegangen sei, dass ihr aus dem Grund der Ablehnung der Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit auch keine Witwenrente zustehe. Dieser Rechtsirrtum dürfe der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen. Die bloße Untätigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg genüge nicht für die Annahme einer Verwirkung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.12.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2002 zu verurteilen, ihr ab 01.11.1974 Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung im wesentlichen auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 20.02.2002.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 143, 151 SGG zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.
Mit seinem Urteil vom 14.12.2005 hat das Sozialgericht zu Unrecht die Klage abgewiesen, weil der Klägerin auf der Grundlage einer Rentenantragstellung vom 24.12.1974 Hinterbliebenenrente ab 01.11.1974 zu zahlen ist. Denn der Rentenantrag vom 24.12.1974 ist noch offen, und der Anspruch ist weder verjährt noch verwirkt.
Der Bescheid vom 30.08.1976 über die Ablehnung der Gewährung von Witwenrente ist der Klägerin nicht bekannt gegeben worden und so nicht wirksam geworden, weil der Zugang dieses Bescheides in den Machtbereich der Klägerin nicht nachgewiesen ist, und die Unerweislichkeit des Zugangs nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten geht.
Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist. Der Zeitpunkt des Erlasses und damit des Wirksamwerdens des Verwaltungsaktes bestimmt sich mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an den Adressaten, also bei schriftlich erlassenem Verwaltungsakt regelmäßig mit dem Zeitpunkt des Zugangs (BSG, Urteil vom 14.03.1996, Az. 7 RA 84/95). Vollzogen ist die Bekanntgabe mit dem Zugang des Verwaltungsaktes in den Machtbereich des Empfängers (§ 130 BGB analog). Ein Schriftstück ist dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (s. statt vieler: von Wulffen/Engelmann, SGB X, § 37 Rdnr. 4 m.w.N.).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht aus den gleichen Vorgangsnummern (N. 17607) der Bescheide vom 30.08.1976 und dem Zuleitungsschreiben des I.N.P.S. Lecce vom 25.01.1977 mit der gleichen VorgangsNr. 17607 die Schlussfolgerung gezogen, dass damit auch beide Bescheide übersandt worden seien. Denn sowohl die Bezeichnung "Invalidita" als auch die Angabe des Antrags vom 27.11.1971 (auf Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit) im Zuleitungsschreiben deuten auf Grund ihrer konkreten Benennung, jedoch der fehlenden, aber aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatzes der Vollständigkeit erforderlichen Bezeichnung der Witwenrentenangelegenheit darauf hin, dass diesem Schreiben nur der Bescheid über die Ablehnung der Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beilag. Auch das I.N.P.S. Brindisi konnte die Zustellung des Witwenrentenbescheides nicht bestätigen.
Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (so etwa BSGE 27, 40). Die Beklagte muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für den Zugang von Verwaltungsakten trägt die Beklagte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (vgl. von Wulffen, SGB X, § 20 Rdnr.9).
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente ist nicht verjährt, weil die Beklagte zum einen diese Einrede nicht erhoben hat, und die Verjährung zum anderen durch den schriftlichen, noch offenen Antrag vom 01.11.1974 unterbrochen worden ist im Sinn des § 45 Abs. 3 SGB I.
Die Klägerin hat ihren Anspruch auch nicht verwirkt. Das im bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelte Rechtsinstitut ist auch im Sozialrecht anerkannt. Danach darf sich der Berechtigte auf die Ausübung seines Rechts nicht (mehr) berufen, wenn er das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so grundlegend BSGE 47, 194, 196; BSG, Urteil vom 30.07.1997, Az. 5 RJ 64/95).
Auch wenn im Hinblick auf einen Zeitablauf von 25 Jahren die Voraussetzung des Zeitmomentes erfüllt ist, so liegen nicht die erforderlichen besonderen Umstände, die die verspätete Geltendmachung des Rechts auf Gewährung von Witwenrente mit Treu und Glauben nicht vereinbar und deswegen der Beklagten gegenüber als unzumutbar erscheinen lassen, (Umstandsmoment) vor. Es sind keine Umstände ersichtlich, die der Klägerin als treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden könnten. Dabei sind an das Verwirkungsverhalten grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen. Allein die Untätigkeit der Klägerin und die Nichtgeltendmachung ihres Anspruchs über einen langen Zeitraum genügen nicht. Sie hat darüber hinaus kein konkretes Verhalten gezeigt, aus dem geschlossen werden durfte, dass sie von ihrem Rentenrecht nicht mehr Gebrauch machen werde. Ihr Schweigen lässt nicht den Schluss zu, dass sie kein Interesse mehr an der Fortführung des Rentenverfahrens habe. Zu einem Nachfragen war sie nicht verpflichtet, zumal sie nach ihrem glaubhaften Vorbringen davon ausgegangen ist – und dies aufgrund der entsprechenden Mitteilung durch die Beklagte in dem Erbenbescheid auch durfte - , dass ihr aufgrund der 11 Kalendermonate deutscher Beitragszeiten keine Rente nach deutschem Recht zustehe. Auch die vom Sozialgericht zitierte Entscheidung des BVerwG vom 25.01.1974, Az. IV C 2.72 zur verspäteten Einlegung eines Widerspruchs eines Nachbarn als Drittbetroffenen gegen die ihm nicht amtlich bekanntgegebene Baugenehmigung setzt für eine Verwirkung die zuverlässige Kenntnis des Bescheides (der Bauerlaubnis), die hier nicht bejaht werden kann, voraus. Im übrigen lag dieser Entscheidung bereits eine Bekanntgabe und so ein wirksamer Erlass der Baugenehmigung – was in diesem Verfahren nicht nachgewiesen ist – als unerlässliche Voraussetzung zugrunde.
Darüber hinaus fehlt ein rechtserhebliches Bedürfnis der Beklagten, darauf vertrauen zu können, dass die Klägerin nicht mehr die Gewährung der Witwenrente begehrt. Denn die Zahlung der Witwenrente ist der Beklagten noch zumutbar.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung Erfolg hatte.
Gründe, gemäß § 160 Absatz 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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