L 18 B 671/06 U PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 43/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 B 671/06 U PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 10.07.2006 aufgehoben.
II. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsanwältin A. K. , beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer (Bf) begehrt die Aufhebung des ablehnenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses vom 10.07.2006, die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung der Rechtsanwältin A. K ...

In der Hauptsache war streitig, ob bei dem Bf aufgrund eines Arbeitsunfalles vom 13.12.2002 weitere Unfallfolgen anzuerkennen sind und ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen (ablehnender Bescheid vom 16.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005).

Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage vom 11.02.2005 ein chirurgisches Gutachten von Amts wegen vom 09.11.2005 und ein internistisches Gutachten vom 24.01.2006 eingeholt. Abschriften dieses Gutachtens hat das SG dem vormaligen Bevollmächtigten des Klägers am 07.02.2006 zur Stellungnahme bis 21.03.2006 übersandt und angefragt, ob Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestellt werde. Mit Schreiben vom 09.01.2006 - beim SG eingegangen am 09.02.2006 - hat der vormalige Bevollmächtigte sein Mandat niedergelegt. Mit Schreiben vom 24.02.2006 hat die Beschwerdegegnerin (Bg) einen Vergleich folgenden Inhalts vorgeschlagen: 1. Der Bescheid vom 16.06.2004 wird zurückgenommen. 2. Rückblickend bestand bei dem Kläger in dem Zeitraum vom 03.08.2003 bis 18.09.2003 unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit. Dies mit der Folge, dass dieser Zeitraum als missglückter Arbeitsversuch gewertet wird und die Beklagte vom 13.12.2002 bis 31.05.2004 durchgehend unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit anerkennt. 3. Die Beklagte gewährt dem Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2004 bis 31.07.2004 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vH. 4. Als Folge des Versicherungsfalles werden anerkannt: Geringe Bewegungseinschränkung im linken Ellenbogen nach Prellung des linken Ellenbogens mit nachfolgender operativer Schleimbeutelentfernung, folgenlos abgeklungene Gehirnerschütterung. 5. Die Beklagte übernimmt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers. 6. Der Kläger erklärt die Streitsache in der Hauptsache für erledigt.

Das SG hat das Vergleichsangebot mit Schreiben vom 01.03.2006 an den Bf zur Stellungnahme übersandt.

Der Bf hat das Vergleichsangebot mit Schreiben vom 10.03.2006 - beim SG eingegangen am 21.03.2006 - nicht angenommen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Mit Schreiben vom 20.03.2006 hat die nunmehrige Bevollmächtigte des Bf ihre Vertretung angezeigt und beantragt, dem Bf PKH zu gewähren und ihm Rechtsanwältin A. K. beizuordnen. Der Bf sei aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse werde nachgereicht. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei nicht mutwillig. Aufgrund der sich nun ergebenden juristischen und medizinischen Problemgestaltungen während des Klageverfahrens sei der Bf nicht mehr fähig, das Verfahren selbst zu betreiben. Näherer Sachvortrag und die weitere Begründung der Klage könnten erst nach Einsichtnahme in alle relevanten Unterlagen erfolgen. Die Bevollmächtigte hat deshalb die Gewährung von Akteneinsicht beantragt.

Das SG hat der Bevollmächtigten des Bf die Gerichts- und Beklagtenakten zur Einsichtnahme am 21.03.2006 übersandt. Die Rücksendung durch die Bevollmächtigte erfolgte am 18.04.2006 mit dem Bemerken, dass nach Rücksprache mit dem Bf gegebenenfalls noch vorgetragen werde.

Am 10.05.2006 hat der Vorsitzende der 11. Kammer des SG in der Gerichtsakte "zToA" (zum Termin ohne Arzt) verfügt und den Aktenvermerk angebracht: "PKH wird im T erledigt". Der Vorsitzende hat am 01.06.2006 zur mündlichen Verhandlung am 19.07.2006 geladen.

Am 05.07.2006 hat die Bevollmächtigte des Bf die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf beim SG eingereicht und gebeten, über die PKH vor dem Gerichtstermin am 19.07.2006 zu entscheiden.

Das SG hat mit Beschluss vom 10.07.2006 den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt und dies damit begründet, dass zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrages auf PKH am 21.03.2006 beim SG die Beweiserhebung durch Einholung eines chirurgischen und fachinternistischen Gutachtens bereits abgeschlossen gewesen sei. Die Klage habe, soweit sie über das Vergleichsangebot der Bg hinausgehe, keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Das Vergleichsangebot habe bereits vor dem Antrag auf PKH bestanden.

Die Bevollmächtigte des Bf hat den Beschluss des SG am 17.07.2006 erhalten.

Mit Schreiben vom 18.07.2006 - beim SG am 18.07.2006 per Fax eingegangen - hat die Bevollmächtigte des Bf die Verlegung des Termins vom 19.07.2006 beantragt. Desweiteren hat sie gegen den Beschluss des SG vom 10.07.2006 Beschwerde erhoben und beantragt, im Falle der neuen Terminsanberaumung der Entscheidung über die Beschwerde abzuwarten. Die Bevollmächtigte des Bf hat die Beschwerde im Wesentlichen wie folgt begründet: Dem Bf werde durch die Ablehnung der PKH die Möglichkeit genommen, sich bei der mündlichen Verhandlung eines rechtlichen Beistands zu bedienen, obwohl ihm möglicherweise aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein solcher zustehen müsste. Weiter erscheine es mit dem Grundsatz des fairen Prozesses unvereinbar, wenn nach der umfangreichen selbst angefertigten Stellungnahme des Bf vom 10.03.2006 keine weitere Auseinandersetzung seitens des Gerichts bzw. der Beklagten erfolge und aus diesem Grund die Amtsermittlung zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen gelte.

Der Vorsitzende der 11. Kammer des SG ließ der Bevollmächtigten des Bf am 18.07.2006 telefonisch mitteilen, dass der Termin bestehen bleibe. Der Beschwerde hat der Vorsitzende mit Verfügung vom 19.07.2006 nicht abgeholfen.

Das SG hat am 19.07.2006 mündlich mit dem Bf verhandelt und durch Urteil den Bescheid vom 16.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verpflichtet wird, unter Anrechnung der bereits geleisteten Rente bis 31.05.2004 Verletztengeld und vom 01.06.2004 bis 31.07.2004 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Nach dem Auslaufen des Urteils am 04.08.2006 hat das SG die Beschwerde dem Bayer. Landessozialgericht (LSG) am 24.08.2006 vorgelegt.

Die Bg hält des Beschluss des SG für rechtens (Schreiben vom 15.09.2006).

Am 11.09.2006 hat der Bf gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Unfallakten der Bg, die Akten des SG Würzburg S 11 U 43/05 und die Berufungsakte L 18 U 296/06 sowie die Akte im vorliegenden Beschwerdeverfahren Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Bf ist gemäß § 172 Abs 1 SGG statthaft und, da sie form- und fristgerecht eingelegt worden ist (§ 173 SGG), im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.

Nach § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (= persönliche Voraussetzungen) auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (= sachliche Voraussetzung). Ist eine Vertretung durch Anwälte - wie hier - nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag (§ 121 Abs 2 Satz 1 ZPO) ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn u.a. die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Diese Voraussetzungen zur Gewährung von PKH sind hier erfüllt.

Das SG hat die Beschwerde gegen den ablehnenden PKH-Beschluss nicht, wie das Gesetz in § 174 2 HS SGG vorschreibt, unverzüglich, sondern erst nach Zustellung des Urteils in der Hauptsache, dem LSG vorgelegt. Auch in einem solchen Fall ist noch eine positive Entscheidung über die Beschwerde möglich. Maßgeblich ist nämlich bei der Bewilligung der Zeitpunkt der Entscheidungsreife im sozialgerichtlichen Verfahren.

Die Entscheidung des SG ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

Die Ablehnung der Gewährung von PKH beruht auf einer Verletzung des Verfassungsgrundsatzes des rechtlichen Gehörs. Das SG hat diesen Grundsatz dadurch verletzt, dass es über die Hauptsache entschieden hat, ohne dem Bf zu ermöglichen, gegen die Ablehnung der Gewährung von PKH den Beschwerdeweg zu beschreiten. Es stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Mangel im Verfahren dar, wenn ein Gericht einem Rechtsuchenden die Möglichkeit abschneidet, seine Entscheidung, wie es vom Gesetzgeber vorgesehen ist, durch das Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen, bevor über die Sache, für deren Durchführung die Entscheidung begehrt worden ist, entschieden ist (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 05.01.1983 in "Die Sozialversicherung" August 1983, S 216). Sinn und Zweck des PKH-Verfahrens sind nur dann erfüllt, wenn über dieses vorrangig rechtzeitig vor dem Verfahren in der Hauptsache entschieden wird. Nur so ist gewährleistet, dass es den Rechtsuchenden noch möglich ist, das Verfahren durch weiteren Sachvortrag zu seinen Gunsten vorzubereiten (aaO und BayLSG Urteile vom 17.10.2001 Az: L 18 U 121/01 Juris Nr: BYRE 030213172 und vom 25.06.2004 Az: L 18 V 8/04 Juris Nr: BYRE 040953377). Vorliegend hat die Bevollmächtigte den ablehnenden Beschluss am 17.07.2006 erhalten. Somit war erkennbar, dass für ein Beschwerdeverfahren vor der mündlichen Verhandlung kein Raum besteht. Der Verletzung rechtlichen Gehörs hätte daher nur durch eine Terminsverlegung begegnet werden können.

Die Ablehnung des Antrags der Bevollmächtigten des Bf auf Terminsverlegung widerspricht zugleich einer am Rechtsstaatprinzip orientierten fairen Verfahrensführung und stellt auch aus diesem Grund einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl BVerfGE 46, 325 - 337; 49, 220 - 243; 51, 150, 156) gehört der Anspruch auf eine "faire" Verfahrensführung zu den wesentlichen Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips, wie es in Art 20 Abs 3 Grundgesetz verankert ist. Das Prozessrecht der Sozialgerichtsbarkeit sieht in § 73a SGG iVm §§ 114 ff ZPO die Möglichkeit der PKH vor, um jedem Bürger ein gewisses Maß an Chancengleichheit bei der Wahrnehmung seiner Interessen vor Gericht zu gewährleisten. Zu den Pflichten des Gerichts gehört es aber nicht nur über den Antrag auf Bewilligung von PKH (§ 117 ZPO) zu entscheiden (§ 127 ZPO), sondern auch dem Antragsteller die Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung mit dem Ziel zu ermöglichen, diese durch das Berufungsgericht korrigieren zu lassen. Nur auf diese Weise kann eine durch das Beschwerdegericht erfolgte Aufhebung des Ablehnungsbeschlusses und Bewilligung von PKH ihre Wirkung im Prozess vor dem SG entfalten. Bei der vom SG praktizierten Verfahrensweise kann eine Beschwerde die ihr zugedachten Funktion, nämlich eine mögliche Korrektur der Ablehnungsentscheidung vor der Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr erfüllen. Der Rechtsbehelf eines Bf würde daher ins Leere laufen. Eine solche Vorgehensweise des SG ist mit einer fairen Prozessführung nicht vereinbar (ebenso OLG des Landes Sachsen-Anhalt FamRZ 2000, 106). Die Bevollmächtigte des Bf war in der mündlichen Verhandlung auch nicht säumig, da Sinn und Zweck des PKH-Verfahrens auch ist, dem Antragsteller Klarheit darüber zu verschaffen, ob er zunächst Kostenfreiheit im Hinblick auf die anwaltliche Vertretung genießt oder nicht (ebenso aaO).

Bei der gebotenen summarischen Prüfung des PKH-Antrags war der Rechtsverfolgung durch den Bf die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abzusprechen. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht dürfen nicht überzogen werden; ein günstiges Beweisergebnis darf lediglich nicht unwahrscheinlich sein. Eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit genügt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, Kommentar, 8.Aufl § 73a RdNr 7 unter Verweisung auf BayLSG Breithaupt 99, 807). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist regelmäßig erfüllt, wenn vor der Entscheidung des Rechtsstreits noch eine Beweisaufnahme oder weitere Ermittlungen durchgeführt werden müssen, z.B. Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens von Amts wegen (aaO; Beschluss des BayLSG vom 02.07.2002 - L 18 B 281/02 U.PKH Juris Nr: BYRE 030212950). Das SG hat sich - wie die Bevollmächtigte des Bf zu Recht rügt - vor der Entscheidung ersichtlich nicht mit dem ausführlichen Schreiben des Bf vom 10.03.2006 auseinandergesetzt. Nachdem der Bf in diesem Schreiben umfangreiche Einwendungen gegen die von Amts wegen eingeholten Gutachten vorgebracht hatte, hätte dem Bf rechtliches Gehör z.B. dadurch gewährt werden müssen, dass das SG die von ihm gehörten Sachverständigen zu den vom Bf erhobenen Vorwürfen zur Stellungnahme aufgefordert hätte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das SG nach Einholung solcher Stellungnahmen Veranlassung gehabt hätte, weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auch erforderlich (§ 121 Abs 2 Satz 2 ZPO). Sie entspricht der Absicht des Gesetzgebers (vgl § 73a SGG), kann also nicht unter Bezugnahme auf den in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Amtsermittlungsgrundsatz verneint werden. Der vorliegende Rechtsstreit ist materiell-rechtlich und prozessual nicht so einfach gelagert, dass eine anwaltliche Unterstützung entbehrlich gewesen wäre. Bei der Frage nach der Schwierigkeit einer Streitsache spielen nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Fragen (z.B. medizinischer Art) eine erhebliche Rolle (Jansen Sozialgerichtsbarkeit 5/1982 S 186). Die Sach- und Rechtslage war für den Bf vorliegend schwer zu übersehen. Er bedurfte anwaltlicher Hilfe, um sachgerechte prozessuale Anträge zu stellen.

Die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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