L 11 B 1019/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 892/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 1019/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.11.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens allein, ob die Antragsgegnerin (Ag) aufgrund der von ihr erlassenen Bewilligungsbescheide noch Zahlungen zu erbringen hat.

Der Antragsteller (ASt) bildet zusammen mit seinen beiden Söhnen - nach kurzer Unterbrechung - eine Bedarfsgemeinschaft. Sie erhalten seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II (zuletzt Bewilligungsbescheid vom 29.09.2006 für die Zeit vom 01.09.2006 bis 28.02.2007 sowie die wegen Einkommens aus geringfügiger Tätigkeit jeweils erforderlichen Änderungsbescheide) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizungskosten, eines Einkommens aus geringfügiger Tätigkeit, einer Halbwaisenrente und des Kindergeldes.

Die Unterkunftskosten werden direkt an den Vermieter gezahlt, ein von der Ag gewährtes Darlehen für die Wohnungskaution wurde vereinbarungsgemäß mit laufenden monatlichen Leistungen aufgerechnet. Teilweise wurden laufende Leistungen in bar an den ASt ausbezahlt.

Mit Schreiben vom 10.08.2006 monierte der ASt die Auszahlung geringerer Beträge als in den jeweiligen Bewilligungsbescheiden angegeben und übersandte am 29.08.2006 eine entsprechende Gegenüberstellung bewilligter Leistungen für die Zeit von September 2005 bis Oktober 2006 und Zahlungseingänge auf dem Girokonto in diesem Zeitraum. Daraus errechne sich ein offener Anspruch in Höhe von 2.318,23 EUR.

Am 25.10.2006 hat der ASt einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Nürnberg (SG) begehrt. Er hat beantragt, die Ag zu verpflichten 2.318,23 EUR zu bezahlen. Die Verhaltensweise der Ag sei existenzgefährdend. Zudem seien 647,68 EUR zu bewilligen, denn der zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Sohn habe seit Januar 2006 keine Halbwaisenrente und seit Februar 2006 kein Kindergeld mehr bezogen. Dennoch seien diese als Einkommen berücksichtigt worden.

Die Ag hat ausgeführt, nach Durchsicht der tatsächlich erfolgten Auszahlungen ergebe sich für die Zeit ab 01.01.2005 bis 30.11.2006 ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1,03 EUR. Für den älteren Sohn des ASt werde - fiktiv gezahltes - Kindergeld als Einkommen angerechnet und der ASt habe Kindergeld nicht beantragt, obwohl es ihm zustehe.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen (Beschluss vom 21.11.2006). Es fehle, da es um Leistungen für die Vergangenheit gehe, an einem Anordnungsgrund. Anhaltspunkte dafür, in diesem Einzelfall Leistungen auch für bereits vergangene Zeiträume vorläufig zuzusprechen, lägen nicht vor. Der noch ausstehende Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1,03 EUR rechtfertige nicht die Annahme einer wirtschaftlichen Bedrängnis. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben, denn Unterkunfts- und Heizungskosten seien direkt an den Vermieter gezahlt worden. Das Einkommen aus geringfügiger Tätigkeit könne erst jeweils durch nachträgliche Änderungsbescheide konkret berücksichtigt werden. Auch seien Barauszahlungen erfolgt. Aus der lediglich groben Gegenüberstellung des ASt sei ein Anspruch nicht offensichtlich zu entnehmen.

Dagegen hat der ASt ohne nähere Begründung Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch nicht als begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86 b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 und vom 22.11.2002 aaO).

Der ASt hat das Vorliegen eines Anordnungsgrundes auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen des SG zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes in vollem Umfange Bezug (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG). Die hiergegen eingelegte Beschwerde ist vom ASt nicht begründet worden. Es fehlt somit an Anhaltspunkten dafür, dass es sich bei den hier allein streitigen Leistungen für bereits vergangene Zeiträume um existenzsichernde Leistungen handelt. Dem ASt, der auch derzeit Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bezieht, ist daher zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, wobei ein solches Hauptsacheverfahren - allgemeine Leistungsklage auf Zahlung - bisher - obwohl bereits mündlich - noch nicht vom Bevollmächtigten des ASt eingeleitet worden ist. Davor sollte allerdings vom ASt die tatsächlich geleisteten Zahlungen der Ag - auch die Barzahlungen, die Aufrechnungen und die Überweisungen an den Vermieter - berücksichtigt werden, um eine Anwendung des § 192 SGG im Rahmen des Hauptsacheverfahrens durch das SG gegebenenfalls zu vermeiden.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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