L 11 B 926/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AS 873/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 926/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.11.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1969 geborene Antragsteller (ASt) begehrt die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Zeit ab dem 01.10.2006.

Die Antragsgegnerin (Ag) bewilligte dem ASt zuletzt mit Bescheid vom 24.02.2006 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 760,05 EUR monatlich. Hiervon entfielen 415,05 EUR auf die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Nach dem Fortzahlungsantrag vom 01.08.2006 berücksichtigte die Ag lediglich Kosten der Unterkunft in Höhe der für einen Ein-Personen-Haushalt als angemessen angesehenen Mietobergrenze von 300,00 EUR (einschl. aller kalten Nebenkosten). Gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.08.2006 (Bewilligungszeitraum 01.10.2006 bis 31.03.2007; bewilligte Leistungen: 685,83 EUR monatlich; Kosten der Unterkunft und Heizung: 340,83 EUR) erhob der Betreuer und Bevollmächtigte des ASt am 04.09.2006 Widerspruch, über den bisher noch nicht entschieden wurde.

Er brachte vor, dass weder er - noch der ASt selbst - Schreiben der Ag erhalten habe, die eine Kürzung der Kosten der Unterkunft erläutert hätten. Auch sei dem ASt aus gesundheitlichen Gründen der Umzug in eine andere Wohnung nicht möglich.

Am 23.10.2006 beantragte der ASt beim Sozialgericht Nürnberg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, dass die Ag verpflichtet werde, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 06.11.2006 hob die Ag den Bewilligungsbescheid vom 21.06.2006 mit Wirkung für die Zeit ab 01.12.2006 auf, weil der ASt nach einem (Aktenlage-)Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Nürnberg vom 05.10.2006 aktuell als erwerbsunfähig anzusehen sei. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch des ASt vom 07.12.2006 wurde bisher nicht entschieden.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 10.11.2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, weil für die Zeit vor der gerichtlichen Entscheidung, d.h. bis Anfang November 2006, ein Anordnungsgrund nicht bestehe, da lediglich Ansprüche für die Vergangenheit im Streit stünden und die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht vorlägen. Für die Leistungszeiträume ab Bekanntgabe der gerichtlichen Entscheidung sei ein Anordnungsanspruch nicht ersichtlich, weil der ASt - nach eigenem Vortrag - unter erheblichen psychischen Gesundheitsstörungen leide, die erhebliche Zweifel aufwerfen würden, ob beim ASt noch ein hinreichendes Leistungsvermögen iSd § 8 SGB II vorhanden sei, so dass allenfalls ein Leistungsanspruch nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Raum stünde, jedoch keine weiteren Leistungen nach dem SGB II.

Hiergegen hat der ASt am 17.11.2006 Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der ASt sei mit Schreiben des Vermieters vom 17.11.2006 aufgefordert worden die rückständige Miete zu entrichten, da anderenfalls eine Räumungsklage erfolgen werde. Es bestehe daher ein Anordnungsgrund, da der ASt Gefahr laufe seine Wohnung zu verlieren. Auch sei ein Anordnungsgrund gegeben, da für die von der Ag festgesetzte Pauschale in F. keine Wohnung angemietet werden könne.

Dem hielt die Ag mit Schriftsatz vom 18.12.2006 entgegen, dass der ASt seit dem 01.12.2006 Leistungen nach dem SGB XII beziehe und dass die Mietrückstände für die Monate Oktober und November 2006 - nach Rückfrage beim Vermieter am 15.12.2006 - am 11.12.2006 getilgt worden seien. Die laufende Miete für Dezember 2006 sei am 08.12.2006 vollständig bezahlt worden. Die Mahnung vom 17.11.2006 sei daher gegenstandslos.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als nicht begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Auflage RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).

Vorliegend ist für die Vergangenheit ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Ist die Sache zu diesem Zeitpunkt nicht im o.g. Sinne dringlich, so kann eine einstweilige Anordnung nicht ergehen.

Es ist ständige Rechtsprechung des Senates, dass vorläufige Regelungen von Leistungsansprüchen, die abgelaufene Zeiträume betreffen, regelmäßig nicht mehr nötig sind, um wesentliche Nachteile abzuwenden (BayLSG Beschluss vom 02.03.2005 - L 11 B 51/05 SO ER), und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die vorliegend ein Abweichen hiervon geboten erscheinen lassen. Für die die Vergangenheit liegt ein Anordnungsgrund schon deshalb nicht vor, weil dem ASt keine wesentlichen Nachteile durch das Abwarten des Hauptsacheverfahrens mehr drohen, zumal er - nach den unwidersprochenen Ermittlungen der Ag - die Mietrückstände für die Monate Oktober und November 2006 getilgt hat und nach Angaben des Vermieters die entsprechende Mahnung vom 17.11.2006 damit gegenstandslos ist.

Für die folgende Zeit, d.h. für die Zeit ab der gerichtlichen Entscheidung im Beschwerdeverfahren, ist ein Anordnungsgrund ebenfalls nicht glaubhaft gemacht, da der ASt weder dargelegt hat, dass ihm die Kündigung der Wohnung drohe, noch dass der derzeit leistende Sozialhilfeträger die Wohnungskosten nicht in der von ihm beantragten Höhe übernimmt.

Die Ag hat durch Nachfrage beim Vermieter ermittelt, dass der ASt sowohl die Mietrückstände für die Monate Oktober und November 2006, als auch die Miete für Dezember 2006 vollständig ausgeglichen hat, und dass sich damit die Abmahnung vom 17.11.2006 erledigt hat.

Darüber hinausgehend hat der ASt nichts vorgetragen, dass eine Kündigung der Mietwohnung derzeit drohen würde. Es wurde weder vorgetragen, dass die Folgemieten (ab Januar 2007) nicht gezahlt wurden (bzw. gezahlt werden konnten), noch dass eine erneute Abmahnung oder Kündigungsandrohung seitens des Vermieters erfolgt wäre.

Darüber hinaus bezieht der ASt seit dem 01.12.2006 Leistungen nach dem SGB XII, so dass als anderer Leistungsträger derzeit die Stadt F. die Kosten der Unterkunft des ASt trägt. Ob diese Leistungen die aufzubringenden Mietkosten abdecken oder ob eine (ungedeckte) Differenz verbleibt, wurde seitens des ASt nicht geltend gemacht oder gar dargelegt.

Allein der vom Kläger vorgebrachte Grund, ein Hauptsacheverfahren würde zu lange dauern, genügt in keiner Weise um einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen, der eine Entscheidung für den bis 31.03.2007 laufenden und noch nicht bestandskräftig verbeschiedenen Zeitraum rechtfertigen könnte.

Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, dass die Beklagte bisher noch nicht nachgewiesen hat, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung ab dem 01.12.2006 vorliegen und der ASt ab diesem Zeitpunkt nur Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII hat.

Die Ag hat zwar ein Gutachten veranlasst, dem zu entnehmen ist, dass der ASt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 8 SGB II nicht mehr erfüllen würde, so dass für die Zeit ab dem 01.12.2006 auch kein Anordnungsanspruch, d.h. keine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für das Begehren des ASt mehr vorläge. Allerdings reicht allein das Gutachten vom 05.10.2006 nicht aus um diesen Nachweis zu führen. Hierzu wäre - um das Gutachten überprüfen zu können - auch die Voralge der zugrundeliegenden ärztlichen Befundberichte erforderlich, die die Ag - als nachweisbelastete Beteiligte - beizubringen hat.

Auch wenn - ohne den Nachweis der Ag in Bezug auf den Wegfall der Erwerbsfähigkeit des ASt - der Ausgang des dortigen Hauptsacheverfahrens noch offen ist, macht dies noch keine Folgeabwägung erforderlich, da der ASt keinerlei Angaben gamacht hat, die einen Anordnungsgrund derzeit auch nur ansatzweise glaubhaft machen könnten.

Nachdem die Beschwerde zurückzuweissen ist, hat der ASt keinen Anspruch auf die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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