L 2 B 944/06 P PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 1 P 60/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 944/06 P PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 15. November 2006 aufgehoben.
II. Der Beschwerdeführerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth Prozesskostenhilfe bewilligt und Herr Rechtsanwalt P. , K. , beigeordnet.

Gründe:

I.

Streitig ist die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe in dem Verfahren vor dem Sozialgericht.

Die 1941 geborene Beschwerdeführerin wendet sich im Klageverfahren gegen den Bescheid der Beschwerdegegnerin vom 4. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2006, mit dem diese Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III abgelehnt hatte.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer Leberzirrhose bei Zustand nach Alkoholabusus mit dementiellem Syndrom und Harn- und Stuhlinkontinenz. Sie bezog seit 1. November 2002 Leistungen nach der Pflegestufe II. Am 14. November 2005 beantragte sie die Höherstufung wegen Verschlechterung. Die Beschwerdegegnerin holte hierzu eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 28. Dezember 2005 nach Hausbesuch ein, der den Zeitbedarf für die Grundpflege mit 202 Minuten pro Tag und für die hauswirtschaftliche Versorgung mit 60 Minuten pro Tag einschätzte und die Pflegestufe II befürwortete. Mit Bescheid vom 4. Januar 2006 lehnte sie die Höherstufung ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bestätigte der MDK in einem Gutachten vom 31. Januar 2006 nach Aktenlage die Einstufung in die Pflegestufe II. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2006 wies die Beschwerdegegnerin den Widerspruch zurück.

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth beantragte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 13. Juni 2006 die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung des Rechtsanwalts P ... Das Sozialgericht holte einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. S. ein und beauftragte den Sozialmediziner Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. In seinem Gutachten vom 13. Oktober 2006 gelangte Dr. H. zu einem Gesamtzeitbedarf von 238 Minuten (Grundpflege: 178 Minuten, hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten). Der nunmehr ermittelte Hilfebedarf bestätige im Wesentlichen das MDK-Gutachten vom 28. Dezember 2005. Obwohl der Hilfebedarf nach einer stationären Behandlung der Beschwerdeführerin im Oktober 2005 zweifellos zugenommen habe, erfülle er noch nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe III.

Mit Beschluss vom 15. November 2006 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage nicht gegeben sei. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens und andere Beweiserhebungen von Amts wegen bedeuteten noch nicht, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen sei. In Anbetracht des Sachvortrages, der vorliegenden Diagnosen und der Gutachten des MDK sei es nicht naheliegend, dass sich die Pflegebedürftigkeit in dem erforderlichen Maße erhöht habe.

Der hiergegen eingelegten Beschwerde half das Sozialgericht nicht ab.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Nach § 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Voraussetzungen ist dabei neben einem Antrag, der Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit und dem Ausschluss der Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung, § 73 a Abs. 1 S. 1 SGG, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag bzw. bei rückwirkender Bewilligung auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 73 a Rdnr. 13 d). Hat das Gericht erst nach Beweiserhebung bzw. verspätet über den Antrag entschieden, ist der Erkenntnisstand bei Entscheidungsreife zugrunde zu legen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O. m.w.N.). Zutreffend stellte das Sozialgericht deshalb auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab.

Zu Unrecht lehnte das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Erfolgsaussicht der Klage kann im Rahmen des § 73 a SGG regelmäßig dann nicht verneint werden, wenn das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder eine andere Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig hält (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdnr. 7 a). Dies gilt nur dann nicht, wenn ein günstiges Ergebnis unwahrscheinlich oder die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BSG SozR 3-1750 § 62 Nr. 19). Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit ausreichend ist (Bayer. Landessozialgericht Breith. 1999, 807).

Vor diesem Hintergrund ist der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Selbst die Beschwerdegegnerin wies unter Bezugnahme auf die sozialgerichtliche Untersuchungsmaxime in ihrer Klageerwiderung darauf hin, dass medizinische Fragestellungen und Beurteilungen im Vordergrund stehen, die unter Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin oder deren Betreuerin und eventuell beizuziehender ärztlicher Unterlagen durch einen vom Sozialgericht zu bestellenden ärztlichen Sachverständigen nochmals abzuklären seien. Das Sozialgericht sah sich ebenfalls veranlasst, von Amts wegen einen aktuellen Befundbericht des behandelnden Arztes und ein Gutachten nach Hausbesuch einzuholen. Schließlich setzte sich die Beschwerdeführerin zur Begründung der Klage mit den Stellungnahmen des MDK auseinander und zeigte einen zeitlichen Mehrbedarf auf. Sie gelangte zu einem Zeitbedarf für die Grundpflege in Höhe von 288 Minuten pro Tag, so dass unter Einbezug des Hilfebedarfs für die hauswirtschaftliche Versorgung die Voraussetzungen für das Vorliegen der Pflegestufe III gemäß §§ 14, 15 SGB XI erreicht wären. Vor Einholung des Gutachtens des Dr. H. war deshalb ein für die Beschwerdeführerin günstiges Gutachtensergebnis nicht unwahrscheinlich bzw. die Erfolgschance nicht nur sehr gering.

Insgesamt ist damit zum Zeitpunkt der Antragstellung von einer gewissen Erfolgsaussicht der Klage auszugehen. Auch die sonstigen Voraussetzungen einer Prozesskostenhilfegewährung sind aufgrund der finanziellen Situation der Beschwerdeführerin und der Schwierigkeit des Prozessstoffes erfüllt, so dass auch die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts als gegeben angesehen wird. Dabei ist in Rahmen der Prüfung der finanziellen Situation auch zumindest ein Teil des "Kostgeldes" als Wohnkosten zu berücksichtigen (so auch LAG Hamm, Beschluss vom 30.01.2002 unter Zugrundelegung von § 3 SachbezVO in Höhe von 158,65 Euro).

Der Beschwerde war deshalb statt zu geben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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