L 11 B 973/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 834/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 973/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.10.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit des Aufenthaltes in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung.

Der 1968 geborene Antragsteller (ASt) war vom 17.08.2005 bis 31.08.2006 inhaftiert. Nach seiner Haftentlassung trat er nahtlos eine medizinische Rehabilitation in den Kliniken W. an. Von dort wurde ein voraussichtlicher stationärer Entwöhnungsaufenhalt vom 31.08.2006 bis voraussichtlich 01.03.2007 mit Schreiben vom 06.09.2006 angegeben (Kostenträger Deutsche Rentenversicherung Ober- und Mittelfranken).

Am 29.08.2006 beantragte der ASt Alg II für die Zeit des Aufenthaltes in der medizinischen Reha-Einrichtung. Dies lehnte die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheid vom 13.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2006 ab. Unter Berücksichtigung der Haftzeit sei der ASt länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht. Gegen die erlassenen Bescheide hat der Kläger mit Schreiben vom 09.10.2006 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Gleichzeitig hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, ihm Alg II zu bewilligen. Mit der medizinischen Reha werde ein anderes Ziel als mit der Inhaftierung verfolgt. Er benötige einen Krankenversicherungsschutz um entsprechende Facharztbesuche durchführen zu können. Mit Beschluss vom 27.10.2006 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Es fehle an einem Anordnungsgrund, denn der ASt habe keine konkreten Beschwerden angegeben, die es als nachvollziehbar erscheinen ließen, dass er sich zum Arzt begeben müsse. Zudem fehle es am Vorliegen eines Anordnungsanspruches, denn der ASt sei unter Berücksichtigung der Zeit der Inhaftierung länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht.

Zur Begründung der dagegen zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Beschwerde hat der ASt über sein bisheriges Vorbringen hinaus vorgetragen, er müsse sich wegen Erkrankungen der Haut und der Lunge bei Fachärzten vorstellen. Bezüglich der zu treffenden Prognoseentscheidung über die Zeit des Aufenthaltes in einer Einrichtung dürfe die Dauer des Aufenthaltes in der JVA nicht mit berücksichtigt werden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch nicht als begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86 b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 und vom 22.11.2002 aaO).

Unabhängig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes fehlt es hier an einem Anordnungsanspruch. Der ASt hat keinen Anspruch auf Alg II, denn er ist aufgrund einer ex ante zu treffenden Prognoseentscheidung nicht für weniger als sechs Monate in der Reha-Einrichtung stationär untergebracht. Dabei kann offengelassen werden, ob der Haftaufenthalt mit der anschließenden medzinischen Rehabilitation zusammengerechnet werden muss (vgl hierzu BayLSG, Urteil vom 29.09.2006 - L 7 AS 130/06). Nach Angabe der Rehabilitationseinrichtung ist der ASt dort vom 31.08.2006 bis voraussichtlich zum 01.03.2007 stationär untergebracht. Damit handelt es sich um einen voraussichtlichen Aufenthalt von sechs Monaten und mehr. Auf die Anzahl der Tage der voraussichtlichen Unterbringung dort (181 Tage) ist nicht abzustellen. Das Gesetz spricht nämlich ausdrücklich von Monaten. Dabei ist auf die konkreten Monate abzustellen, § 339 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist gemäß § 40 SGB II nicht anwendbar.

Auch wenn es sich bei dem Aufenthalt lediglich um genau sechs Monate handeln sollte - der Rentenversicherungsträger hat die medizinische Rehabilitation mit Schreiben vom 11.01.2006 für voraussichtlich sechs Monate bewilligt - besteht kein Leistungsanspruch des ASt, denn gemäß § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 1 SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung erhält der ASt nur dann Leistungen nach dem SGB II, wenn der Aufenthalt im Krankenhaus voraussichtlich weniger als sechs Monate dauert. Bei einer Dauer von sechs Monaten und länger stehen dem ASt jedoch keine Leistungen zu.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Prozesskostenhilfe ist für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) mangels hinreichender Erfolgsaussicht (vgl oben) nicht zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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