L 14 R 68/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 25 R 1599/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 68/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1956 in B. geborene Klägerin lebt seit 1974 in Deutschland. Sie war zwischen 1974 und 1981 als Bedienung und Verkäuferin und nach verschiedenen freiberuflichen Tätigkeiten erneut zwischen 1992 und 1994 als Pförtnerin im öffentlichen Dienst versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem besteht Arbeitslosigkeit.

Für den Zeitraum vom 01.11.2000 bis 31.08.2001 bezog die Klägerin befristet Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 14.12.2000). Grundlage war ein nervenärztliches Gutachten des Dr. B. vom 27.07.2000, der eine Dysthymie, eine Somatisierungsstörung, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie fragliche cerebrale Krampfanfälle diagnostiziert und die Klägerin für die Dauer eines Jahres als unter halbschichtig einsatzfähig und dringend behandlungsbedürftig angesehen hatte. Ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 05.08.2003 blieb nach vorangegangener Begutachtung auf internistischem Gebiet durch den Arbeitsamtsarzt Dr. L. im August 2002 und nach Untersuchung durch den Nervenarzt Dr. S. im Oktober 2003 erfolglos. Beide Ärzte hielten leichte und mittelschwere Arbeiten ohne besondere nervlichen Belastungen für vollschichtig möglich; die Erwerbsfähigkeit war laut Dr. S. nicht gefährdet.

Den am 08.03.2004 o.a. wegen Depressionen und Angstzuständen gestellten weiteren Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2004 nach internistischer Begutachtung durch Dr. G. mit der Begründung ab, die Klägerin könne trotz Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit durch "Aufwachepilepsie, metabolisches Syndrom, Lumbalgien rechts ohne Wurzelsymptomatik, Angst mit Depression gemischt" auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin auf erneute Erkrankung mit Dauerschmerzzuständen und noch vorzulegende ärztliche Unterlagen hinwies, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2004 unter Bezugnahme auf das Ergebnis der bisherigen ärztlichen Begutachtungen und Stellungnahmen zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) brachte die Klägerin im wesentlichen vor, sie leide an Fibromyalgie, Bronchitis, Hausstaubmilbenallergie, Angstzuständen und Panikattacken, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie lebe von Arbeitslosenhilfe bzw. Leistungen nach dem SGB II, ihr Ehemann beziehe Sozialhilfe, daher könne sie sich keinen Anwalt leisten.

Das SG zog Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. R. vom 28.02.2005 ("posttraumatische Belastungsstörung, Panikstörung, somatoforme Schmerzstörung") und Dr. L. vom 20.03.2005 ("Angst- und Panikattacken, Ein- und Durchschlafstörungen, Schmerzsymptomatik im ganzen Körperbereich") bei und beauftragte die Sachverständige Dr. M. mit der Erstellung eines psychiatrischen Fachgutachtens nach persönlicher Untersuchung der Klägerin. Zu einer Untersuchung kam es jedoch nicht, weil die Klägerin die anberaumten Untersuchungstermine wegen Erkrankung zweimal absagte. Mit Schreiben vom 19.09.2005 forderte das SG die Klägerin auf, den nächsten Untersuchungstermin am 05.10.2005 unbedingt einzuhalten; es wies auf die ihr obliegenden Mitwirkungspflichten und auf die Möglichkeit der Entscheidung nach Lage der Akten im Falle der weiteren Nichtwahrnehmung des Untersuchungstermins hin.

Nachdem die Klägerin auch diesen Termin absagte, wies das SG die Klage mit Urteil vom 06.12.2005 aus den im angefochtenen Bescheid/zurückweisenden Widerspruchsbescheid enthaltenen Gründen ab. Die Gewährung von Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei zu Recht abgelehnt worden. Dr. G. habe in seinem Gutachten vom 02.04.2004, das im Wege des Urkundsbeweises zu würdigen sei, überzeugend festgestellt, dass die Klägerin mit den von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten könne. Eine konsequente psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung finde, wie sich aus den beigezogenen Befundberichten des Dr. R. und der Ärztin für Psychotherapie L. ergebe, nicht statt. Eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts sei nicht möglich gewesen, da die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trotz Hinweises des Gerichts nicht nachgekommen sei und drei Untersuchungstermine abgesagt habe.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil und bringt vor, sie habe wegen ihrer verschiedenen chronischen Erkrankungen nicht zu ihrem Rentenantrag angehört werden können. Es hätten ihr rechtliche Hilfe sowie fachärztliche Untersuchungen gefehlt.

Der Senat wies die Klägerin mit Schreiben vom 11.04.2006 und erneut vom 12.07.2006 auf ihre Mitwirkungspflichten gemäß § 103 SGG und auf die Folgen einer unterbliebenen Mitwirkung (Nicht- erweislichkeit der Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs) hin. Die Klägerin wurde um Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht per Formblatt als Voraussetzung für die Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens zur Sachverhaltsermittlung gebeten. Die Entbindungserklärung ging in der Folgezeit ebensowenig ein wie eine Stellungnahme zu der Mitteilung der beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 06.12.2005 sowie des Bescheides vom 19.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2004 zu verurteilen, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Zu Recht hat das Erstgericht die auf Rente wegen Erwerbsminderung gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hat nach derzeitiger Rechts- und Sachlage keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente nach §§ 43 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB VI bzw. § 43 Abs. 1 i.V.m. § 240 SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht gegeben bzw. nicht nachgewiesen.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Berufsunfähig sind nach der für vor dem 02.01.1961 geborene Versicherte geltenden Vorschrift des § 240 SGB VI Abs. 2 Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist; dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem einzigen, für den hier streitigen Zeitraum ab Antragstellung im März 2004 vorliegenden Gutachten des Dr. G. , das auf Veranlassung der Beklagten erstellt wurde, liegen bei der Klägerin zwar gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, dennoch kann sie nach dem Votum des Sachverständigen noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten erbringen. Das Gutachten ist für den Senat bei kritischer Würdigung schlüssig und nachvollziehbar, es setzt sich mit der Vorgeschichte auseinander und steht in Einklang mit den zuvor im August 2002 erstellten arbeitsamtsärztlichen Gutachten des Dr. L. bzw. der 2003 im Rahmen eines Antrags auf Leistungen zur beruflichen Rehabilitation bzw. zur Teilhabe erfolgten Begutachtung für die Beklagte durch den Neurologen und Psychiater Dr. S ... Die Untersucher waren ebenso wie Dr. G. der Auffassung, dass der Klägerin die letzte berufliche Tätigkeit bzw. leichte und mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch täglich sechs Stunden und mehr zumutbar seien.

Das Gutachten des Dr. G. kann - wie das Erstgericht dargelegt hat - im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundsbeweises herangezogen und gewertet werden. Es kann, ebenso wie etwa ein Privatgutachten einer Partei, Entscheidungsgrundlage sein (Meyer-Ladewig, SGG, § 118 Anm. 12b, c; 128, 8a). Das Ergebnis des Gutachtens wird vorliegend durch das Vorbringen der Klägerin, die sich als nicht ausreichend leistungsfähig betrachtet, nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allerdings ergibt sich allein durch den inzwischen eingetretenen Zeitablauf die Möglichkeit einer Änderung im Gesundheitszustand und der Erwerbsfähigkeit der Klägerin. Diese konnte bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht abgeklärt werden, so dass das Erstgericht zutreffend mangels anderweitigem Nachweis von einem weiter anzunehmenden vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin ausging. Auch im Berufungsverfahren setzte sich die mangelnde Mitwirkung der Klägerin bei der Ermittlung des Sachverhalts insoweit fort, als bereits die geforderte Erklärung zur Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht nicht erteilt wurde und darüberhinaus auch sonstiger Schriftverkehr mit ihr nicht möglich war. Sie wurde vom Senat vergeblich darauf hingewiesen, dass die Berufung bei mangelnder Mitwirkung wegen der Nichterweislichkeit des geltend gemachten Anspruchs aussichtslos sei. Eine Reaktion aus der ein Interesse an der weiteren Durchführung des Berufungsverfahrens und Mitwirkung an aktuellen Ermittlungen des Senats ersichtlich gewesen wäre, erfolgte nicht. Da auch ein Gutachten nach Aktenlage mangels hinreichender aktueller Befunde nicht sinnvoll erscheint, ist mit dem Erstgericht weiterhin von dem zuletzt von Dr. G. festgestellten Gesundheitszustand und seiner Leistungsbeurteilung auszugehen. Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Die Entscheidung darüber konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG ergehen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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