L 19 R 526/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 743/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 526/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 25.04.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit/ Erwerbsminderung.

Der 1956 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seinem Heimatland. Am 20.05.1987 erlitt er einen privaten Verkehrsunfall, bei dem er sich erhebliche Körperverletzungen zuzog. Mit Bescheid vom 10.08.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1993 lehnte die Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Den Antrag des Klägers vom 22.03.1990 auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.10.1992 wegen fehlender Wartezeiterfüllung ab. Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls am 20.05.1987 (ein auf Dauer unter zweistündiges Leistungsvermögen) seien nur 38 Kalendermonate mit auf die Wartezeit anrechnungsfähigen Versicherungszeiten belegt. Die Wartezeit gelte auch nicht als erfüllt, da kein anerkannter Arbeits- oder Wegeunfall und auch kein sonstiger Unfall im vorstehend genannten Sinne vorliege. Dieser Bescheid wurde ebenfalls bestandskräftig.

Auf den Antrag des Klägers vom 01.12.1992 auf Beitragserstattung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 31.03.1993 einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.460,22 DM für die vom Kläger im Zeitraum vom 01.09.1987 bis 05.07.1988 entrichteten und weitere aus dem Versorgungsausgleich stammenden Beiträge fest. Im Erstattungsbescheid wies die Beklagte auf die auf Grund einer gewährten Sach- oder Geldleistung (hier: Rehabilitationsleistung) bedingte Erstattungsfähigkeit der Beiträge erst ab 01.09.1987 hin. Den Erstattungsbetrag in Höhe von 1.460,22 DM verrechnete die Beklagte gemäß § 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zugunsten des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg, so dass sich kein Zahlbetrag zugunsten des Klägers ergab. Der mit Einschreiben und Rückschein dem Kläger am 19.04.1993 zugestellte Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 24.03.2000 beantragte der Kläger erneut Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 08.11.2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren mit anrechenbaren Zeiten (Beitrags-, Ersatz- und Kindererziehungszeiten) sei nicht erfüllt (§ 50 Abs 1 SGB VI). Für die Wartezeit seien keine Kalendermonate mit anrechenbaren Zeiten (§ 51 SGB VI) zurückgelegt worden. Nach den getroffenen Feststellungen bestehe weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit. Die weitere Anspruchsvoraussetzung - drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren im Sinne des § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI bzw. Entrichtung von Beiträgen im Sinne des § 241 Abs 2 SGB VI - sei nicht erfüllt. Die vom Kläger in der Zeit vom 01.09.1987 bis 01.12.1992 zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge seien bereits mit Bescheid vom 25.05.1993 (gemeint ist wohl "31.03.1993") erstattet worden. Die Beiträge vom 18.10.1979 bis 31.08.1987 hätten dem Kläger zwar nicht erstattet werden können, da ihm aus diesen Beiträgen eine Maßnahme zur Rehabilitation gewährt werden sei, diese seien jedoch durch die Beitragserstattung erloschen. Weitere Beiträge habe der Kläger nicht gezahlt.

Hiergegen legte der Kläger am 24.04.2001 "Einspruch" ein. Es sei unverständlich, wie die Beklagte einem arbeitsunfähigen Menschen seine Rechte nicht gewähre. Die Beklagte möge Nachweise zeigen, dass er das Geld bekommen habe. Er habe das Geld aber nicht bekommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2001 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger habe die Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 SGB VI nicht erfüllt, da keine auf die Wartezeit anrechenbaren Zeiten vorhanden seien. Die Beiträge vom 18.10.1979 bis 31.08.1987 hätten nicht erstattet werden können, da dem Kläger aus diesen Beiträgen bereits eine Maßnahme zur Rehabilitation gewährt worden sei, § 210 Abs 5 SGB VI. Laut vorliegendem Rückschein habe der Kläger den Bescheid über die Beitragserstattung im April 1993 erhalten. Entgegen den Ausführungen im Ablehnungsbescheid vom 08.11.2000 bestehe Erwerbsunfähigkeit seit 22.05.1987.

Hiergegen hat der Kläger am 24.08.2001 Klage zum SG erhoben. Nach dem Bericht des Ärzteausschusses A. liege bei ihm weiterhin Gebrechlichkeit vor. Obwohl er einen privaten Unfall gehabt habe, habe er in Deutschland gearbeitet und Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 09.03.2006 hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Rechtsstreit nach Ablauf der 16. Kalenderwoche durch Gerichtsbescheid entschieden werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger erfülle die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente, da bei ihm eine unter halbschichtige Einsatzfähigkeit vorliege. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sei jedoch nicht erfüllt, § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI. Selbst unter Einbeziehung der durch den Versorgungsausgleich erlangten Beitragszeit habe der Kläger vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nur 38 Kalendermonate Beitragszeiten zurückgelegt. Es liege auch keine vorzeitige Wartezeiterfüllung vor, § 53 Abs 1 Nr 1 SGB VI, weil die Erwerbsminderung nicht durch einen Arbeitsunfall eingetreten sei, sondern durch einen privaten Unfall. Der Kläger sei auch nicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung erwerbsunfähig geworden, § 53 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Seit der Beitragserstattung verfüge der Kläger über keinerlei Pflichtbeitragszeiten mehr. Es sei zutreffend, dass der Kläger keine Zahlung aus der Beitragserstattung erhalten habe. Dies sei deshalb der Fall, weil wegen gewährter Rehabilitationsleistungen nur die danach geleisteten Beiträge erstattungsfähig seien und zusätzlich der Erstattungsbetrag zugunsten des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg verrechnet worden sei. Diese Fragen bräuchten indessen nicht weiter vertieft zu werden, weil auch ohne die Beitragserstattung die allgemeine Wartezeit mit damals 38 Kalendermonaten statt mit den notwendigen 60 Kalendermonaten nicht erfüllt gewesen sei. Auch nach dem seit dem 01.01.2001 gültigen Recht bestehe kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, § 43 SGB VI. Nach wie vor müsse vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt sein, § 43 Abs 1 Nr 3 SGB VI. Ebenso betrage die allgemeine Wartezeit weiterhin fünf Jahre, § 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI. Anrechnungsfähig auf die allgemeine Wartezeit seien immer noch nur Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten, § 51 Abs 1 SGB VI. Die allgemeine Wartezeit sei nicht vorzeitig erfüllt, weil der Kläger nicht durch einen Arbeitsunfall vermindert erwerbsfähig geworden sei, § 53 Abs 1 Nr 1 SGB VI und auch nicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden sei, § 53 Abs 2 SGB VI.

Hiergegen richtet sich die beim Bayer. Landessozialgericht - Zweigstelle Schweinfurt - am 01.08.2006 vom Kläger erhobene Berufung. Während er berufstätig gewesen sei, sei er auf Grund seiner Arbeit arbeitsunfähig geworden. Aus diesem Grund stünden ihm gemäß der Justiz und des Rechts Rentenansprüche zu. Auch wenn seit dem 01.01.2001 kein Rentenanspruch mehr wegen Arbeitsunfähigkeit bestehe, sei er 1987 arbeitsunfähig geworden. Aus diesem Grund seien die Gesetze anzuwenden, die damals gültig gewesen seien. Wenn ein Mensch, der nach Aufnahme seiner Arbeit und auf Grund seiner Arbeit behindert werde und von ihm verlangt werde, dass er für eine bestimmte Zeit Beiträge zu zahlen habe und er aus diesem Grund keine Rente bekomme, so werde der auf diese Weise der Gesellschaft überlassene Mensch auf Grund dieser Isolation benachteiligt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 25.04.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf Grund seines Antrags vom 24.03.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 25.04.2006 - Az: S 11 R 743/01 - zurückzuweisen.

Sie gehe in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, dass der Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bzw. wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nicht erfüllt habe.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, des SG und des Gerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Berufung erweist sich jedoch als unbegründet.

Zu Recht hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 25.04.2006 die Klage gegen den Bescheid vom 08.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2001 abgewiesen. Dem Kläger steht nämlich weder ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -SGB VI- (idF bis 31.12.2000) noch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs 2, 1 SGB VI (idF ab 01.01.2001) zu, denn er hat die allgemeine Wartezeit gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI nicht erfüllt.

Entgegen der Auffassung des Klägers in der Berufungsschrift vom 01.08.2006, es seien die Gesetze anzuwenden, die zum Zeitpunkt seiner Arbeitsunfähigkeit im Jahr 1987 gültig gewesen seien, ist gemäß § 300 Abs 1 SGB VI bei der Rentenantragstellung am 24.03.2000 die Vorschrift des § 44 SGB VI (aF) bzw. für einen Rentenbeginn ab 01.01.2001 die Vorschrift des § 43 SGB VI (nF) einschlägig. Nach § 300 Abs 1 SGB VI sind nämlich Vorschriften dieses Gesetzbuchs, d.h. des SGB VI, von dem Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens am 01.01.1992 an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat, § 300 Abs 1 SGB VI.

Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB VI (aF) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI (nF) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI (in der Fassung des Artikel 1 RRG 1992 vom 18.12.1989, BGBl I 2261, gültig ab 01.01.1992) ist die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte den Kläger auf dessen Antrag vom 07.12.1992 mit Bescheid vom 31.03.1993 die von diesem in der Zeit vom 01.09.1987 bis 05.07.1988 entrichteten Beiträge in Höhe des vom Versicherten getragenen Arbeitnehmeranteils erstattet hat. Der Erstattungsbescheid vom 31.03.1993 wurde dem Kläger am 19.04.1993 auch zugestellt und ist bestandskräftig. Damit wurde das Versicherungsverhältnis aufgelöst, § 210 Abs 6 Satz 2 SGB VI. Dass sich für den Kläger kein Zahlbetrag ergab, weil die Beklagte den Erstattungsbetrag in Höhe von 1.460,22 DM zu Gunsten des Landesarbeitsamtes Baden-Württemberg verrechnet hat, ändert nichts an der Wirksamkeit der Erstattung und der Rechtsfolge der Auflösung des Versicherungsverhältnisses.

Für den Kläger ergibt sich aber auch dann, wenn die durchgeführte Beitragserstattung unberücksichtigt bleibt, kein Anspruch auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Denn der Kläger hat nicht die allgemeine Wartezeit erfüllt, § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI. Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls am 20.05.1987 waren nämlich nur 38 Kalendermonate mit auf die Wartezeit anrechnungsfähigen Versicherungszeiten belegt. Die Wartezeit war auch nicht gemäß § 53 Abs 1 Nr 1 SGB VI vorzeitig erfüllt, denn der Kläger ist nicht wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsfähig geworden. Vielmehr hatte die Chemische Industrie die Anerkennung des Unfalls vom 20.05.1987 als Arbeitsunfall mit Bescheid vom 10.08.1992 abgelehnt. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Die Wartezeit war ferner nicht gemäß § 53 Abs 2 Satz 1 SGB VI vorzeitig erfüllt, denn der Kläger war nicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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