L 11 B 988/06 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 500/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 988/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 13.11.2006 Az: S 9 AS 500/06 ER aufgehoben.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind für das Verfahren vor dem Sozialgericht zu einem Drittel zu erstatten. Für das Beschwerdeverfahren sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (ASt) begehrt die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 08.06.2006 bis 31.12.2006.

Mit Bescheid vom 05.07.2006 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) für den Zeitraum vom 08.06.2006 bis 31.12.2006 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), wobei die monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung mit 250,50 EUR monatlich angesetzt wurden. Gegen diesen Bescheid legte die ASt mit Schreiben vom 21.07.2006, eingegangen bei der Ag am 24.07.2006, Widerspruch ein, über den - soweit aus den Akten ersichtlich - bislang noch nicht entschieden wurde. Mit dem Widerspruch begehrt die ASt anstelle der bewilligten 250,50 EUR Kosten in Höhe von insgesamt 350,00 EUR monatlich für Unterkunft und Heizung.

Nachdem die ASt die von der Ag angeforderten Unterlagen über die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zeitgerecht vorgelegt hatte, stellte die Ag die Leistungen für Unterkunft und Heizung zum 30.09.2006 ein. Auf Antrag der ASt vom 11.10.2006 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und richterlichen Hinweis teilte die Ag mit Schreiben vom 27.10.2006 der ASt mit, dass die Leistungen für Unterkunft und Heizung im bewilligten Umfang ab Oktober wieder ausgezahlt werden.

Mit Beschluss vom 13.11.2006 verpflichtete das Sozialgericht Würzburg (SG) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Ag, der ASt für November und Dezember 2006 jeweils pauschal 55,20 EUR monatlich zusätzlich an Unterkunftskosten zu zahlen und wies im Übrigen den Antrag ab. Der Antrag sei erledigt, soweit sich die ASt hiermit gegen die Einstellung der Zahlungen ab Oktober gewendet hatte. Für abgelaufene Zeiträume bestehe kein Anordnungsgrund mehr, so dass nur noch über November und Dezember 2006 zu entscheiden sei. Bezüglich dieser beiden Monate sei zu berücksichtigen, dass die 350,00 EUR laut Untermietvertrag neben der Kaltmiete und Heizkosten noch die Stromkosten, die Kosten für Warmwasser sowie die Möblierung der Zimmer enthalte, die herausgerechnet werden müssten; hierfür seien insgesamt 55,20 EUR anzusetzen, so dass die Ag insgesamt 294,80 EUR monatlich anstatt des bewilligten Betrags von 250,50 EUR zu leisten habe. Da laut der von der Ag mit Schreiben vom 02.11.2006 übersandten Übersicht über die geltenden Mietobergrenzen bei einem Gesamtbetrag von 294,80 EUR der danach zulässige Höchstbetrag von 297,00 EUR (Obergrenze Grundmiete 265,00 EUR + Obergrenze "kalte" Nebenkosten 32,00 EUR) nicht überschritten werde, sei der Betrag von 55,20 EUR monatlich der ASt zuzusprechen.

Hiergegen hat die Ag mit Schreiben vom 11.12.2006 Beschwerde eingelegt. In der Wohngemeinschaft lebten "zwei Personen". Es würden für die Berechnung die angemessenen Unterkunftskosten für "drei Personen" zugrunde gelegt, also 375,00 EUR für Grundmiete, 65,00 EUR für kalte Nebenkosten und 59,00 EUR für Heizung ohne Warmwasser. Der sich daraus ergebende Gesamtbetrag von 501,00 EUR sei zu halbieren, so dass der Anteil der ASt mit 250,50 EUR anzusetzen sei. Die tatsächliche Höhe der Kosten für die gesamte Wohnung habe bisher nicht festgestellt werden können, da entsprechende Unterlagen nicht vorgelegt worden seien.

Die ASt hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Ermittlungsmethode der Ag sei unzutreffend.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig; das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Das Rechtsmittel erweist sich im Ergebnis auch im vollen Umfang als begründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998, BVerfGE 79, 69 [74]; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166 [179] und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Auflage RdNr 643). Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung -ZPO-; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 8.Auflage § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch steht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und an den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist gegenbenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2005 aaO).

Zutreffend hat das SG unter Beachtung dieser Grundsätze für die Zeit bis einschließlich Oktober 2006 das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint, nachdem es sich hierbei um zurückliegende Bewilligungszeiträume handelt, und dem Antrag insoweit nicht stattgegeben.

Jedoch war auch für November und Dezember 2006 dem Antrag nicht stattzugeben, da es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für die verbleibenden zwei Monate des Bewilligungszeitraums (Ende 31.12.2006) fehlte. Die ASt hat es versäumt glaubhaft zu machen, dass ihr wegen des Unterschiedsbetrages zwischen den von ihr begehrten Unterkunftskosten und den von der Ag bewilligten und für die Monate November und Dezember 2006 ohne weiteres ausbezahlten Unterkunftskosten eine existenzielle Notlage gedroht hätte (vgl dazu Beschluss des BayLSG vom 26.02.2007 Az: L 11 B 978/06 AS ER). Die ASt hat nicht vorgetragen, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, bisher die volle Miete zu bezahlen oder sie mit den Mietzahlungen so in Rückstand gekommen wäre, dass das Mietverhältnis gekündigt wurde. Wenn im November keine Kündigung erfolgt war, konnte eine Kündigung erst mit Wirkung nach Beendigung des Bewilligungszeitraumes am 31.12.2006 erfolgen, so dass die Wohnung für die ASt im streitgegenständlichen Zeitraum nicht gefährdet war. Damit fehlte es bezüglich November und Dezember für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung auch am Vorliegen eines Anordnungsgrundes; denn der ASt ist es zumutbar, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Der Antrag war auch im Hinblick auf die Nichtzulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache abzulehnen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Breithaupt 2005, 803) ist regelmäßig ein Abschlag bei der begehrten Leistung vorzunehmen. Nachdem - wie das SG zutreffend festgesellt hat - tatsächliche Unterkunftskosten nur in Höhe von 294,80 EUR monatlich glaubhaft gemacht sind, die ASt 250,50 EUR erhalten hat, ist der Unterschiedsbetrag so gering, dass er niederiger ist als der Abschlag, der vorzunehmen wäre.

Nach alledem kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist anhand der von der Ag angeführten Rechtsprechung des Senates sowie der Rechtsprechung des BSG zu beurteilen, insbesondere auch im Hinblick auf die konkrete Wohnung und die Aufwendungen hierfür; außerdem ist der Nachweis erforderlich, dass Zahlungen in dieser Höhe tatsächlich erfolgt sind - nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dabei war nach dem Veranlassungsprinzip zu berücksichtigen, dass die Ag sich erst nach richterlichem Hinweis nach Antragstellung bei Gericht bereit erklärt hatte, die Leistungen für Unterkunft und Heizung im bewilligten Umfang weiterzugewähren ohne vorher den Bewilligungsbescheid aufgehoben zu haben oder dargelegt zu haben, inwieweit eine Entscheidung über eine vorläufige Einstellung erfolgt ist. Nachdem jedoch die Auszahlung tatsächlich nur im Oktober 2006 verspätet war, die ASt aber weitere Zahlungen für November und Dezember 2006 in höherem Maße begehrte, erscheint die Erstattung von einem Drittel der Kosten für das Verfahren in erster Instanz angemessen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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