L 4 KR 105/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 275/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 105/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. März 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Rückforderung von Krankengeld für die Zeit vom 21.07.2001 bis 23.07.2002 in Höhe von 14.719,65 Euro

Der 1940 geborene und bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld freiwillig versicherte Kläger war im streitigen Zeitraum Inhaber eines Geschäfts in M. ("W."). Nach den Einkommenssteuerbescheiden des Finanzamtes F. über Einkommensteuer für 1998,1999 und 2000 hatte der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 60.072,00 DM bis 65.600,00 DM versteuert.

Er erhielt aufgrund der vom 24.01.2001 beginnenden und bis 23.07.2002 andauernden Arbeitsunfähigkeit von der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel vom 24.01.2001 bis 20.07.2001 Verletztengeld und von der Beklagten für die Zeit vom 21.07.2001 bis 23.07.2002 Krankengeld. Der Kläger hatte auf den Auszahlscheinen für Krankengeld vom 19.11.2001 und 22.03.2002 den Erhalt von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit verneint. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 27.12. 2002 ab 01.08.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Nach Vorlage eines Finanzberichts des Steuerberaters (Stand 31.07.2002), aus dem sich das Einkommen für das aktuelle Jahr und das Vorjahr sowie ein Gesamtbetrag der Einkünfte für das Jahr 2001 in Höhe von 36.900.00 DM und ein Gewinn von Januar bis Mai 2002 in Höhe von 8.574,00 Euro ergaben, bat die Beklagte am 25.09.2002 den Kläger um Stellungnahme zu seinen früheren Angaben, dass er während der Arbeitsunfähigkeit kein Einkommen aus selbständiger Tätigkeit gehabt habe. Im Antwortschreiben vom 10.10.2002 gab der Prozessbevollmächtigte an, der Kläger habe während der Arbeitsunfähigkeit kein persönliches Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Das Geschäft sei montags geschlossen und von Dienstag bis Samstag nur von 14:00 bis 18:00 Uhr geöffnet gewesen. Sämtliche anfallenden Arbeiten seien von der Ehefrau und den beiden Kindern in familienhafter Zusammenarbeit erledigt worden. Dem Kläger stehe ein höheres Krankengeld (150,00 DM täglich) zu.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 21.11.2002 unter Bezugnahme auf den Finanzbericht des Steuerberaters für das Jahr 2002 ein weiteres Mal an. Der Klägerbevollmächtigte gab mit Schreiben vom 11.12.2002 wieder an, das Geschäft des Klägers sei in der Zeit, als der Kläger kein persönliches Einkommen erzielt hat, von der Ehefrau und den Kindern weitergeführt worden. Dieses Einkommen dürfe dem Kläger nicht angelastet werden.

Mit Bescheid vom 12.12.2002 stellte die Beklagte fest, dass die familienhafte Mithilfe der Ehefrau des Klägers zum 01.01.2002 bis 23.07.2002 ein sozialversicherungpflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht begründet habe. Mit dem weiteren Bescheid vom 16.12.2002 nahm sie die Krankengeldbewilligung für die Zeit vom 21.07.2001 bis 23.07.2002 in voller Höhe zurück und fordert die Erstattung des gezahlten Krankengelds in Höhe von 14.719,65 Euro. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe, soweit und solange Versicherte u.a. Arbeitseinkommen erhalten. Arbeitseinkommen sei der nach dem Einkommensteuerrecht ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Nach den Angaben des Steuerberaters habe das Arbeitseinkommen vom 21.07.2001 bis 31.12.2001 8.385,60 Euro und in der Zeit vom 01.01.2002 bis 31.07.2002 10.935,74 Euro betragen. Ein Einkommensverlust sei damit nicht entstanden. Der Kläger könne sich gegenüber der Rücknahme der Bewilligung des Krankengelds nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die zu Unrecht erfolgten Krankengeldzahlungen seien ausschließlich auf die unrichtigen Angaben des Klägers zurückzuführen. Nach Ausübung des Ermessens sei die Rücknahme der Krankengeldbewilligung zwingend geboten.

Der Kläger habe hiergegen am 18.12.2002 Widerspruch ein. Mit dem Teilabhilfebescheid vom 22.01.2003 erstattete die Beklagte dem Kläger zu Unrecht abgeführte Beiträge in Höhe von 1.000,00 Euro. Sie wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 20.02.2003 den Widerspruch mit der gleichen Begründung wie im Ausgangsbescheid zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 17.03.2003 beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben. Er habe das Ladengeschäft in M. nur deshalb weiterführen können, weil seine Ehefrau und seine beiden Kinder die anfallenden Arbeiten ausgeübt haben. Er habe auf den Bestand der Leistungsgewährung vertraut und das Krankengeld zum Lebensunterhalt verbraucht. Wäre er von der Beklagten rechtzeitig auf diesen, für die Krankengeldzahlung ungünstigen Umstand hingewiesen worden, hätte er das Geschäft auf den Namen der Ehefrau übertragen.

Die Beklagte hat demgegenüber daran festgehalten, dass nach ihrer Satzung auch im Falle einer Übertragung des Geschäfts auf die Ehefrau ein Anspruch auf Krankengeld nicht entstanden wäre. Das SG hat, nachdem die Beklagte einen Vergleichsvorschlag seines Bevollmächtigten abgelehnt hatte, mit Urteil vom 22 ...03.2004 die Klage abgewiesen. Die Rücknahme der Krankengeldleistung und die Rückforderung der Leistung seien rechtmäßig. Aufgrund unzutreffender Angaben des Klägers auf den Auszahlscheinen für das Krankengeld sei die Leistung zu Unrecht gewährt worden; der Krankengeldanspruch habe wegen des Arbeitseinkommens geruht. Den Kläger stehe Vertrauensschutz nicht zu.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 05.05.2004. Der Senat hat die Beteiligten zur Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss gehört.

Der Klägerbevollmächtige beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.04.2004 und der Bescheid der Beklagten vom 16.12.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2003 werden aufgehoben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143,144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger ist zur Rückzahlung des unrechtmäßig erhalten Krankengelds in Höhe von 14.719,65 Euro an die Beklagte verpflichtet.

Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 50 Abs. 2 Sozialgesetzbuch X (SGB X) i.V.m. § 45 SGB X. Soweit danach Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. § 45 Abs. 3 SGB X enthält Regelungen über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Er kann grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 4 SGB X wird bei fehlendem Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

Diese Voraussetzungen für die Rückabwicklung der Krankengeldzahlung und die Erstattung der Leistung sind gegeben. Der freiwillig, mit Anspruch auf Krankengeld versicherte Kläger hat in der Zeit vom 21.07.2001 bis 23.07.2002 von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 14.719,65 Euro erhalten. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41 SGB V) behandelt werden. Nach § 44 Abs. 2 SGB V kann die Satzung für freiwillig Versicherte den Anspruch auf Krankengeld ausschließen oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen. Die Satzung der Beklagten regelt in § 15 Abs. 2, dass freiwillige Mitglieder, die nicht in einem Arbeitsverhältnis oder Berufsausbildungsverhältnis stehen oder hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, kein Krankengeld erhalten. Hauptberuflich selbständig Erwerbstätige, die im Falle der Arbeitsunfähigkeit ihr Arbeitseinkommen ganz oder überwiegend verlieren, können bis zur Vollendung des 45. Lebensjahres beantragen, dass a) das Krankengeld vom Beginn der 3. Woche der Arbeitsunfähigkeit an, b) vom Beginn des 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit an gezahlt wird, soweit dieses eine Arbeitseinkommensausfallfunktion darstellt. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Krankengeldanspruch auch dann, soweit und solange Versicherte Arbeitseinkommen erhalten.

Es ist nicht streitig, dass der Kläger im genannten Zeitraum arbeitsunfähig gewesen ist. Während dieser Zeit hat er jedoch nicht sein Arbeitseinkommen ganz oder überwiegend verloren. Nach den Angaben seines Bevollmächtigten und seines Steuerberaters wurde sein Geschäft von seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern fortgeführt. Dies ist offensichtlich in familienhafter Mithilfe geschehen, wie die Beklagte mit dem Bescheid vom 12.12.2002 festgestellt hat. Die Aufzeichnungen des Steuerberaters (Finanzbericht vom 31.07.2002) lassen erkennen, dass der Kläger keine Personalkosten gehabt hat. Diese Unterlagen belegen im Vergleich zum Gewinn aus Gewerbebetrieb im Jahr 2000 gleichfalls, dass der Kläger durch die Arbeitsunfähigkeit sein Arbeitseinkommen zumindest nicht überwiegend verloren hat. Das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit lag außerdem über dem Gesamtbetrag des erhaltenen Krankengelds. Daraus ergibt sich, dass der Kläger durch die Mithilfe seiner Familie im streitigen Zeitraum einen überwiegenden Ausfall seines Arbeitseinkommens nicht hatte. Die betriebliche Tätigkeit der Familie im Geschäft des Klägers wird diesem zugerechnet. Denn Ansatzpunkt für die Prüfung der Einbuße des Arbeitseinkommens ist gemäß § 15 Sozialgesetzbuch IV der Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit. Der Gewinn ist im vorliegenden Fall von der Mithilfe der Familie erzielt worden, zumal nach dem Finanzbericht Personalkosten nicht entstanden sind.

Der Kläger kann sich gegenüber der Rückforderung des Krankengelds gemäß § 45 Abs. 2 SGB X auch nicht zu Recht auf Vertrauensschutz berufen. Denn die Auszahlung des Krankengelds ist aufgrund seiner nicht zutreffenden Angaben erfolgt, dass er Einkommen aus dem Geschäft nicht erhält. Diese Angaben sind zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht worden, da dem Kläger als Geschäftsmann aus den Steuerbescheiden und den betriebswirtschaftlichen Auswertungen des Steuerberaters bekannt war, dass das wirtschaftliche Ergebnis seines Geschäfts ihm als Einzelunternehmer zugerechnet wird. Der Kläger hat damit die in seiner Berufsgruppe übliche Sorgfaltspflicht in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt. Damit ist es irrelevant, dass er die erbrachte Leistung verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 S. 2 SGB X).

Die Beklagte hat auch die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Fristen eingehalten und ist bei der Ermessensabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass das öffentliche Interesse, d.h. das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Rückzahlung des zu Unrecht bezogenen Krankengelds dem Einzelinteresse am Behalt der Leistung vorrangig ist.

Der Senat weist darauf hin, dass die Beteiligten über die Rückzahlung des Krankengelds eine Ratenzahlungsvereinbarung treffen können.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved