L 16 R 109/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 1326/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 109/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 136/07
Datum
Kategorie
Urteil
I. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch die Rücknahme der Berufung erledigt wurde.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Berufungsverfahren durch eine wirksame Berufungsrücknahme erledigt ist.

Die 1957 geborene Klägerin bezieht auf ihren Antrag vom 21.01.2004 aufgrund der Bescheide der Beklagten vom 29.04.2004, 26.11.2004 und 30.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 01.02.2004 sowie Rente wegen voller Erwerbsminderung, beginnend am 01.08.2004 und befristet bis 31.07.2007. Diese Befristung und der damit verbundene spätere Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung waren Gegenstand des Klageverfahrens S 15 R 1326/05 vor dem Sozialgericht München. Das Sozialgericht hatte mit Gerichtsbescheid vom 15.03.2006 die Klage abgewiesen und sich dabei auf das von ihm eingeholte Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. gestützt. Eine Untersuchung sowohl in der Praxis von Dr. K. als auch bei ihr zuhause hatte die Klägerin verweigert. Dr. K. hatte in seinem Gutachten vom 01.02.2006 nach Aktenlage bei der Klägerin diagnostiziert: 1. atypischer Gesichtsschmerz rechts, (möglicherweise im Rah men einer Somatisierung zu sehen, eine klassische Trigemi nusneuralgie erscheine wenig wahrscheinlich) 2. Ängstlich-depressive Entwicklung.

Da die therapeutische Beeinflussung des Krankheitsbildes noch möglich sei, handle es sich noch nicht um einen Dauerzustand. Durch die bisherigen psychiatrischen, aber nur alle vier Wochen stattfindenden Behandlungen seien die ambulanten Möglichkeiten bei weitem nicht ausgeschöpft. Auch medikamentöse Therapien ständen noch zur Verfügung.

In dem gegen den Gerichtsbescheid vom 15.3.2006 gerichteten Berufungsverfahren mit dem Az.: L 16 R 292/06 vor dem erkennenden Senat wurde die Klägerin durch Dr. K. in ihrer häuslichen Umgebung untersucht. Dr. K. kam im Gutachten vom 07.12.2006 zum Ergebnis, dass entweder eine rechtsseitige Trigeminusneuralgie oder ein atypischer Gesichtsschmerz bei der Klägerin bestehe, sowie eine mittlerweile deutlich gebesserte depressive Symptomatik vorliege. Nach den aus der Zeit der Rentenantragstellung 2004 vorliegenden und im Widerspruchsverfahren eingeholten Befunden sei von einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden auszugehen. Eine entsprechende Motivation vorausgesetzt, könne eine Besserung des Gesundheitszustandes in wenigen Monaten eintreten. Für die Trigeminusneuralgie ständen sowohl operative als auch konservative Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die von der Klägerin noch nicht ausgeschöpft worden seien. Die Klägerin teilte schriftsätzlich zum Gutachten mit, dass sie mehrmals pro Woche Trigeminusneuralgien habe, keine Tätigkeiten mehr verrichten könne und daher die Gewährung der Erwerbsminderungsrente auf Dauer beantrage. Die Berufung nehme sie nicht zurück und bitte um Beachtung ihres Briefes vom 28.12.2006.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2007 erschien für die Klägerin unter Vorlage einer von der Klägerin ausgestellten schriftlichen Vollmacht Herr R. und nahm, nach Belehrung durch den Senat über die Erfolglosigkeit der Berufung, diese zurück.

Zunächst telefonisch, dann mit Schreiben vom 08.02.2007 teilt die Klägerin mit, dass sie die Klage nicht zurückziehe. Sie verweist auf ihre Behinderungen und ihr Schreiben vom 28.12.2006. Das Gutachten von Dr. K. sei falsch bzw. gelogen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 15.03.2006 sowie die Bescheide der Beklagten vom 29.04.2004, 26.11.2004 und 30.11.2004, alle in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.2006, abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer über den 31.07.2007 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit durch die Erklärung des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2007 beendet worden ist.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut S 15 R 1326/05, des Bayerischen Landessozialgerichts L 16 R 292/06 und L 16 R 109/07 Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin fristgerecht eingelegte Berufung war zwar gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, der Rechtsstreit mit dem Az.: L 16 R 292/06 ist jedoch durch die Rücknahme der Berufung durch den Bevollmächtigten am 07.02.2007 beendet worden. Gemäß § 156 SGG kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils oder des nach § 153 Abs. 4 oder § 158 S. 2 SGG ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden (§ 156 Abs. 1 Satz 1). Die Zurücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 2 Satz 1 SGG). Diese Rücknahme der Berufung hat der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt. Diese Prozesshandlung des Bevollmächtigten, der eine schriftliche Vollmacht der Klägerin vorgelegt hatte, ist wirksam. Damit ist der Rechtsstreit gemäß § 156 SGG vollständig erledigt.

Wenn die Klägerin nun erklärt, sie habe die Rücknahme nicht erklären wollen, so ist dies unbeachtlich, denn der von ihr Bevollmächtigte hat, wie sich aus dem Protokoll ergibt, unmissverständlich die Rücknahme der Berufung erklärt. Diese Erklärung ist ihm ausweislich des Protokolls auch vorgelesen und von ihm genehmigt worden. Die von dem Bevollmächtigten der Kägerin vorgelegte Vollmacht vom 05.02.2007 umfasste jede Art von Erklärungen, denn sie war nach ihrem Wortlaut nicht beschränkt erteilt worden. Nach § 73 SGG können sich die Beteiligten in jeder Lage des Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen (Abs. 1). Die Vollmacht ist schriftlich bis zur Verkündung der Entscheidung einzureichen und zu den Akten zu nehmen (Abs. 2 S. 1). Diese Formalien wurden beachtet. Gemäß § 73 Abs. 3 S. 2 SGG muss der Beteiligte die Prozessführung des Bevollmächtigten gegen sich gelten lassen (§ 73 Abs. 3 S. 2 SGG, § 85 Abs. 1 ZPO). Nach den gemäß § 73 Abs. 4 SGG für den Umfang und die Wirkung der Vollmacht geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 81, 84 bis 86 ZPO) ermächtigt die Vollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen, einschließlich von Erklärungen zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich, oder andere Verfügungen über den Streitgegenstand (§ 81 ZPO).

Die Niederschrift wurde vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnet (§ 163 ZPO). Das Protokoll wurde unter Beachtung aller Vorschriften (§ 122 SGG i.V.m. §§ 160, 162, 163 ZPO) erstellt und beweist somit die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 165 ZPO). Der Vermerk im Protokoll "vorgelesen und genehmigt" beweist, dass die protokollierte Rücknahmeerklärung abgegeben wurde. Deshalb ist nach § 165 Abs. 2 ZPO gegen seinen die Förmlichkeit bereffenden Inhalt nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Die Beweiskraft des Protokolls als öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 ZPO kann somit nur durch den Nachweis der Fälschung (§ 165 S. 2 ZPO) beseitigt werden.

Das durch die Rücknahme rechtskräftig beendete Verfahren kann auch nicht entsprechend den Bestimmungen des 4. Buchs der ZPO (§ 179 SGG, §§ 578 bis 580 ZPO) wieder aufgenommen werden (vgl. BSG vom 24.04.1980, Az.: 9 RV 16/79). Hierunter fallen beispielsweise eine falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbevollmächtigten, eine Urkundenfälschung, ein falsches Zeugnis oder Gutachten von Zeugen oder Sachverständigen, die strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder das Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde. Dabei kommt eine Reihe der in §§ 579, 580 ZPO genannten Wiederaufnahmegründe schon deshalb nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch Rücknahme beendet wurde.

Als Prozesshandlung kann die Rücknahme auch weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) angefochten werden (BSG Urteil vom 24.04.1980, Az.: 9 RV 16/79 m.w.N.). Es lassen sich aus dem Vorbringen der Klägerin auch keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Bevollmächtigte bei der Abgabe der Erklärung sich in einem Irrtum im Sinne des § 119 BGB befunden hat oder gar zur Rücknahmeerklärung durch arglistige Täuschung oder Drohung im Sinne des § 123 BGB bestimmt worden ist.

Da die Zurücknahme der Berufung den endgültigen Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs. 2 S.1 SGG), ist eine Sachentscheidung nicht mehr zulässig.

Zur Erläuterung für die Klägerin sei nochmals darauf hingewiesen, dass die von ihr begehrte Dauerrente aufgrund der vorliegenden Gutachten und rechtlichen Voraussetzungen derzeit nicht zu realisieren ist und deshalb es ihrem wohlverstandenen Interesse dient, den Rechtsstreit zu dieser Zeit und bei dieser Beweislage nicht weiterzuführen. Nach Ablauf der befristet gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung ist es ihr dann unbenommen, einen Weitergewährungsantrag zu stellen, wobei ein ablehnender Bescheid in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegen wird.

Die Kostenentscheidung gemäß §§ 183, 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hatte.

Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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