L 5 KR 72/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 122/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 72/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Bewilligung von Krankengeld über den 21.03.2003 hinaus.

Die 1950 geborene Klägerin ist seit 1995 arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Am 27.02.2003 bescheinigte ihr der Allgemeinmediziner Dr.M. wegen unklarer ubiquitärer Schmerzen Arbeitsunfähigkeit. Nach ambulanter Untersuchung und Einsichtnahme u.a. in Befundberichte der Schmerzambulanz des Krankenhauses Bamherzige Brüder in R. kam der MDK - Dr.S. - am 17.03.2003 zu dem Ergebnis, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung bedinge medizinische Rehamaßnahmen, hindere jedoch keinesfalls die Ausübung leichter Tätigkeiten ab 24.03.2003. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.03.2003 die Gewährung von Krankengeld über den 21.03.2003 hinaus ab. Den Widerspruch, begründet mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Allgemeinmediziners Dr.S. vom 24.03. bis 28.03.2003, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2003 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 03.07.2003 Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens bescheinigte Dr.S. am 17.11.2003 Arbeitsunfähigkeit bis 14.12.2003. Nach Anhörung des MDK stellte die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.2003 fest, die Arbeitsunfähigkeit habe am 22.12.2003 geendet. Den Widerspruch wies sie nach erneuter Einschaltung des MDK am 01.03.2004 u.a. mit der Begründung zurück, eine Krankschreibung über den 14.12.2003 hinaus sei nicht erfolgt.

Die dagegen am 02.04.2004 erhobene Klage ist vom Sozialgericht am 16.12.2005 mit der am 03.07.2003 eingegangenen Klage verbunden worden.

Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dr.M. und Dr.S. eingeholt. Dr.S. hat mitgeteilt, keine relevanten Befunde erhoben und vor dem 17.11.2003 lediglich in der Zeit vom 23.06. bis 27.06.2003 und vom 25.09. bis 18.10.2003 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt zu haben.

Das Sozialgericht hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Die Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung am 17.12.2004 eine somatoforme Schmerzstörung und histrionische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die weder aus somatisch-neurologischer noch aus psychiatrischer Sicht Arbeitsunfähigkeit begründen könnten. Die jetzigen Befunde bestünden seit Jahren, die aktuelle Behandlung belege kein schwerwiegendes Schmerzsyndrom und leichte bis vorübergehend mittelschwere Tätigkeiten, bevorzugt in wechselnder Körperhaltung, ohne ständige Zwangshaltung, ohne das ständige Heben und Tragen schwerer Lasten, mit durchschnittlichen Anforderungen an die psychische Belastbarkeit könnten seit 21.03.2003 verrichtet werden.

Der Klägerbevollmächtigte hat die Beurteilung Dr.K. nicht für überzeugend gehalten und ein nervenärztliches Gutachten des Dr.P. vom 07.02.2005 vorgelegt, das im Auftrag des Landessozialgerichts in einer Unfallstreitsache erstellt worden ist. Darin hat der Sachverständige eine chronifizierte neurotische Schmerzverarbeitung mit Fixierung und Einengung im Denken diagnostiziert und geschrieben, die Arbeitsunfähigkeit ab 08.02.1996 sei keine Unfallfolge. Dr.K. hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 18.10.2005 dazu ausgeführt, der Sachverständige Pillhatsch habe auf neurologisch-psychiatrischem und somatisch-neurologischem Fachgebiet einen identischen Befund erhoben. Er habe eine auffällige Persönlichkeitsstruktur bestätigt, so dass eine Änderung ihrer Arbeitsunfähigkeitsbeurteilung nicht geboten sei.

Das Sozialgericht Landshut hat die Klage mit Urteil vom 16.12.2005 abgewiesen. Es hat sich dabei auf das Gutachten der Dr.K. gestützt und ausgeführt, das nervenärztliche Gutachten des Dr.P. stehe dieser Einschätzung der Sachverständigen nicht entgegen. Die von Dr.K. und Dr.P. erhobenen Befunde stimmten im Wesentlichen überein und Dr.P. habe sich mit der Frage der Arbeitsunfähigkeit nicht befasst. Auch im Gutachten des Dr.P. seien somatisch-neurologische Ausfälle nicht beschrieben und auch keine schwerwiegende depressive Erkrankung festgestellt worden. Das von den Dres.B. und T. beschriebene Fibromyalgie-Syndrom könne der psychiatrischerseits festgestellten somatoformen Schmerzstörung untergeordnet werden.

Gegen das am 01.02.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.02.2006 Berufung eingelegt. Sie befinde sich in einem desolaten gesundheitlichen Zustand, der durch das Gutachten der Dr.K. nur ansatzweise wiedergespiegelt wurde. Die Fibromyalgie gehöre in den Bereich der orthopädischen Gesundheitsstörungen, so dass sich Aussagen hierzu seitens der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. verbieten würden.

Im Auftrag der Arbeitsagentur war die Klägerin am 20.07.2004 durch den Gutachter G.M. untersucht worden, der die Klägerin für in der Lage erachtet hatte, vollschichtig leichte Tätigkeiten als Reinigerin, Bürohilfe oder Kontrolleurin zu verrichten.

Auf Antrag der Klägerin hat der Orthopäde Dr.T. S. am 11.09.2006 nach ambulanter Untersuchung am selben Tag ein Gutachten erstellt. Dieser hat neben Gesundheitsstörungen an der Wirbelsäule und den Händen eine somatoforme Schmerzstörung bzw. ein Fibromyalgie-Syndrom diagnostiziert. Seines Erachtens könnten leichte körperliche Tätigkeiten unter qualitativen Einschränkungen aus orthopädischer und traumatologischer Sicht vollschichtig durchgeführt werden. Aus neurologisch-psychiatrischer oder psychosomatischer Sicht hingegen erscheine eine vollschichtige Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben. Gerade wegen der "heute sehr pathologischen Rülpssymptomatik" erscheine eine psychosomatische Konsiliaruntersuchung bzw. ein psychosomatisches Gutachten dringend erforderlich, um die wahre Beeinträchtigung der Klägerin zu beurteilen. Dieser Zustand der Minderbelastbarkeit bestehe durchgehend seit 21.03.2002.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.12.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2003 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 22.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2004 zu verurteilen, ihr über den 21.03.2003 hinaus bis zum Eintritt des Leistungsendes Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.12.2005 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akte des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegt Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.12.2005 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 20.03.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2003 und der Bescheid der Beklagten vom 22.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2004. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld über den 21.03.2003 hinaus. Es ist nicht nachgewiesen, dass sie ab 22.03.2003 arbeitsunfähig war.

Nach § 44 Abs.1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Versicherter arbeitsunfähig, wenn er durch Krankheit daran gehindert ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete, zuletzt ausgeübte Arbeit zu verrichten (vgl. zuletzt Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.12.2004 in BSGE 94, 19 ff.). Da die Klägerin vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 27.02.2003 nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, sondern aufgrund des Leistungsbezugs von Seiten der Bundesagentur für Arbeit bei der Beklagten pflichversichert war (§ 5 Abs.1 Nr.2 SGB V), ist das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht an einer Erwerbstätigkeit zu messen, sondern daran, für welche Arbeiten sie sich der Arbeitsverwaltung zuvor zur Verfügung gestellt hat. (BSG, Urteile vom 04.04.2006 in SozR 4-2500 § 44 Nr.9 und Urteil vom 07.12.2004 in NZS 2005, S.650 ff.). Aufgrund der bereits ab 1995 bestehenden Arbeitslosigkeit war es der Klägerin angesichts der Zumutbarkeitsregelungen des SGB III zumutbar, sich im strittigen Zeitraum für sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verfügbar zu halten, ohne sich insoweit auf einen besonderen Berufsschutz berufen zu können. Dass sie derartige Tätigkeiten über den 21.03.2003 hinaus nicht mehr ausüben konnte, ist nicht nachgewiesen.

Die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren haben vielmehr ergeben, dass die Klägerin unter qualitativen Einschränkungen noch in der Lage war, leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zu erbringen. Zutreffend hat das Sozialgericht dargestellt, aus welchen Gründen es das Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.K. für überzeugend und die dagegen erhobenen Einwende für unbegründet gehalten hat. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit gemäß § 153 Abs.2 SGG abgesehen.

Das im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin eingeholte Gutachten des Orthopäden Dr.S. ist nicht geeignet, den Beweiswert des von Dr.K. erstellten Gutachtens zu entkräften und einen Krankengeldanspruch zu begründen. Abgesehen davon, dass der behandelnde Allgemeinmediziner Dr.S. im strittigen Jahr 2003 lediglich kurzfristige Arbeitsunfähigkeitszeiten bescheinigt hat, die eine Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur gemäß § 126 SGB III zur Folge hatten, weist das Gutachten Dr.S. inhaltliche Mängel auf, die seine Überzeugungskraft mindern. So schreibt Dr.S. , aus orthopädischer Sicht könne die Klägerin mit Sicherheit seit dem 21.03.2002 Arbeiten acht Stunden am Tag verrichten. Die Hauptsymptomatik liege mit Sicherheit zu mindestens 80 bis 85 % auf neurologisch-psychosomatisch-psychiatrischem Gebiet, also nicht auf seinem Fachgebiet. Laut seinem Bekunden war ihm eine vernünftige Untersuchung kaum möglich und soweit Befunde erhoben werden konnten, stimmten diese mit denen von Dr.K. erhobenen überein. Ebenso wie Dr.K. hat er eine somatoforme Schmerzstörung als Diagnose genannt und wiederholt auf die Diskrepanz zwischen Beschwerden und gefundenen morphologischen Veränderungen hingewiesen. Er hat auch auf die Problematik bewusstseinsnaher, gezielter Darstellung von Krankheitssymptomen aufmerksam gemacht, ohne in Bezug auf die Klägerin eindeutig Stellung zu beziehen und ohne insbesondere sich mit der Zuordnung Dr.K. zur histrionischen Persönlichkeitsstörung zu befassen. Ausführlich stellt er theoretische Überlegungen an, ob das chronische Schmerzsyndrom rentenbegründend sei, ohne die im einzelnen genannten Indizien auf die Klägerin zu beziehen. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin viele Ärzte verschiedener Fachrichtungen konsultiert oder wiederkehrende Operationen in Kauf genommen hat. Seine Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit basiert auf den Einschränkungen der Freizeitaktivitäten und der dargestellten auffälligen Rülpssymptomatik. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die letztgenannte Symptomatik bei keiner der vorangegangenen Untersuchungen (MDK, Dr.K. , Dr.P.) auffällig war, so dass sie für den streitgegenständlichen Zeitraum unerheblich ist. Zudem waren auch die Einschränkungen im Tagesablauf bei der Begutachtung durch Dr.K. weit weniger ausgeprägt.

Dr.S. hat sein eigenes Gutachten insbesondere dadurch relativiert, dass er ein orthopädisches Gutachten für ungeeignet befunden hat, die gesamte Symptomatik zu erkennen und zu erfassen. Weshalb er die Beurteilung Dr.K. für nicht überzeugend hält, hat er nicht erläutert. Dr.K. weist hingegen die einschlägige Fachkompetenz auf, hat die Klägerin einer psychologischen Testung unterzogen, eine ausführliche Anamnese erhoben und sie zum Tagesablauf gehört und schließlich ebenso wie Dr.S. die Vorbefunde ausgewertet. Der Beweiswert dieses Gutachtens ist schließlich auch deshalb höher, weil es weit näher am streitgegenständlichen Zeitraum erstellt worden ist und die vom MDK erhobenen Befunde bestätigt.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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