L 3 U 25/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 360/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 25/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 27.12.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v.H. hat.

Der 1943 geborene Kläger war von 1957 bis 2002 als Kupferschmied und Schweißer beschäftigt. Am 06.03.2002 erlitt er einen Arbeitsunfall, nahm jedoch am 29.07.2002 die Tätigkeit bis 04.11.2002 wieder auf. Auf Grund der ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit des Dr.K. vom 30.01.2002 erkannte die Beklagte nach der Einholung Hals-Nasen-Ohren-ärztlicher Gutachten der Dr.S. vom 17.06.2002 und des Dr.G. vom 23.09.2002 mit Bescheid vom 11.10.2002 eine beruflich verursachte Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit (BK) nach Nr.2301 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) an und stellte als Folge fest: "Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich bds., Ohrgeräusche". Eine rentenberechtigende MdE liege nicht vor. Dem Gutachten von Dr.S. habe nicht gefolgt werden können, da die Untersuchungsergebnisse nicht schlüssig waren. Außerdem könne eine Verschlechterung sei innerhalb von ca. vier Monaten für eine Lärmschwerhörigkeit nicht typisch.

Am 17.03.2004 stellte der Kläger einen Neuantrag auf Verletzterente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. Auf Grund der beratungsärztlichen Stellungnahme des Prof. Dr.T. vom 24.06.2004 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 01.12.2004 die Gewährung einer Verletztenrente ab. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 26.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2004 aufzuheben und auf Grund der Lärmschwerhörigkeit eine MdE in rentenberechtigendem Garde festzustellen und entsprechende Leistungen zu gewähren. Das SG hat ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr.B. auf Hals-Nasen-Ohrenärztlichem Gebiet gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Der Sachverständige hat auf Grund der ambulanten Untersuchung des Klägers am 07.04.2005 festgestellt, dass ein Ohrgeräusch vom Kläger erst auf Befragen angegeben werde. Am Untersuchungstag sei kein Ohrgeräusch vorhanden gewesen. Einschlafstörungen oder eine Schlafmitteleinnahme wegen des Ohrgeräusches seien vom Kläger verneint worden. Das am 07.04.2005 angefertigte Tonschwellen- und das Sprachaudiogramm widersprächen sich. Es müsse Zweifel an der korrekten Mitarbeit des Probanden geäußert werden. Eine Bewertung der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit sei nur anhand der Audiogramme vom 25.01.2002 aus der Praxis Dr.K. möglich, da jegliches Fortschreiten der Schwerhörigkeit nach der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht dem berufsbedingtem Lärm angelastet werden könne. Aus den Audiogrammen, die am 25.01.2002 in der Praxis Dr.K. angefertigt wurden, ergebe sich bei Anwendung der Tabelle von Rösner (1980) ein prozentualer Hörverlust von 15 % bds., so dass sich unter Einbeziehung des gelegentliche Tinnitus lediglich eine MdE von 10 v.H. ergebe. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.12.2005 abgewiesen und zur Begründung auf das Gutachten des Prof.Dr.B. verwiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Beklagte hat den Bescheid vom 12.10.2006 vorgelegt, mit dem wegen einer MdE von 10 v.H. ab dem 07.03.2002 eine Rente auf unbestimmte Zeit gewährt worden ist, weil auf Grund des Versicherungsfalles am 06.03.2002 ebenfalls eine Rente nach einer MdE von 10 v.H. gewährt werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 27.12.2005 sowie den Bescheid vom 26.08.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2004 sowie den Bescheid vom 12.10.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 27.12.2005 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer höheren MdE als 10 v.H. Auf Grund des Bescheides vom 12.10.2006, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens wurde, wird dem Kläger eine Rente nach einer MdE von 10 v.H. als Stützrente gemäß § 56 Abs.1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) gewährt. Insoweit ist die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Regensburg vom 27.12.2005 erledigt. Soweit der Kläger darüber hinaus die Gewährung einer höheren Rente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. begehrt, ist die Berufung unbegründet.

Die Bemessung des Grades der MdE, also die auf Grund von § 56 Abs.2 SGB VII durch Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs.1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (BSGE SozR 3-2200 § 581 Nr.8 m.w.N.). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzen durch die Folgen des Unfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind aber auch die zumeist in Jahrzehnte langer Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (BSG SozR 2200 § 581 Nrn.23 und 27, SozR 3-2200 § 581 Nrn.5 und 8; BSG-Urteil vom 18.03.2003, B 2 U 31/02 R). Die Feststellung der Höhe der MdE erfordert als tatsächliche Feststellung stets eine Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs.1 Satz 1 SGG. In der gesetzlichen Unfallversicherung haben sich im Laufe der Zeit bei einer Vielzahl von Berufskrankheiten für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet, die in Form von sogenannten Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst sind und als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im Einzelfall dienen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kommt der Senat zu der Überzeugung, dass der Kläger keine MdE von 20 oder höher auf Grund der als Berufskrankheit anerkannten Lärmschwerhörigkeit hat. Auf Grund der von Dr.K. am 25.01.2002 angefertigten Tonschwellen- und Sprachaudiogramme steht fest, dass der Kläger lediglich eine MdE von 10 v.H. hat. Die vom meldenden Arzt Dr.K. festgestellten Werte entsprechen einer beginnenden Schwerhörigkeit rechts und einer annähernd geringgradigen Schwerhörigkeit links. Ton- und Sprachaudiogramm entsprechen sich. Aus diesen Audiogrammen errechnet sich bei der Anwendung des gewichteten Gesamtwortverstehens aus dem Sprachaudiogramm ein prozentualer Hörverlust von 10 % rechts und 20 % links. Bei der hier gebotenen Mitbewertung des Tonschwellenaudiogramms errechnet sich bei der Anwendung der Tabelle von Rösner (1980) ein prozentualer Hörverlust von 15 % bds. (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S.432). Daraus ergibt sich unter Einbeziehung eines gelegentlichen Tinnitus lediglich eine MdE von 10 v.H. Im Hinblick auf die insoweit übereinstimmenden Feststellungen des von der Beklagten gehörten Sachverständigen Dr.G. und des vom Sozialgericht gehörten Prof.Dr.B. hat der Senat keinen Zweifel daran, dass beim Kläger lediglich eine lärmbedingte MdE von 10 v.H. unter Einschluss des gelegentlichen Tinnitus vorliegt. Das Sachverständigengutachten der Dr.S. vom 17.06.2002, auf das der Kläger seinen Anspruch auf eine MdE von mindestens 20 stützt, ist demgegenüber für den Senat in keiner Weise überzeugend. So fällt auf, dass bei der Untersuchung durch Dr.K. am 25.01.2002 der sogenannte "Weber-Test" bei 500 Hz median positiv war, während er bei der Untersuchung durch Frau Dr.S. negativ war und bei Dr.G. bei der Untersuchung am 23.09.2002 wiederum median positiv angegeben ist. Prof.Dr.T. hat insoweit darauf hingewiesen, dass diese Abweichung nicht sein könne, sondern als Hinweis auf eine Angabeungenauigkeit bzw. Leidensbetonungstendenz zu werten sei. Dasselbe gilt für den Rinneschen Versuch, der bei der Untersuchung durch Frau Dr.S. nicht gehört wurde, bei der Untersuchung durch Dr.G. jedoch links und rechts positiv war. Im Übrigen weisen die Sachverständigen darauf hin, dass bei der Untersuchung durch Frau Dr.S. das Ton- und das Sprachaudiogramm nicht übereinstimmen und auch die Gutachterin auf gewisse Angabeschwankungen unter Verweis auf die Voraudiogramme hingewiesen hat. Insgesamt bestehen also gegen die von Frau Dr.S. erhobenen Befunde große Bedenken, die der Feststellung einer höheren MdE als 10 v.H. entgegenstehen. Die Feststellung im Schwerbehindertenverfahren durch den Chirurgen Dr.S. sind für den Senat nicht überprüfbar und in Anbetracht der vorliegenden HNO-ärztlichen Sachverständigengutachten nicht nachvollziehbar. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er seine lärmbelastete Tätigkeit erst am 04.11.2002 beendet hat und damit die Feststellungen auf Grund früherer Untersuchungen glaubt entkräften zu können, ist dem entgegenzuhalten, dass auch Dr.G. bei seiner Untersuchung am 23.09.2002 lediglich einen lärmbedingten Anteil von 10 v.H. festgestellt hat. Dass in dem kurzen Zeitraum von ca. sechs Wochen bis zur Aufgabe der Tätigkeit eine drastische Verschlechterung eingetreten sein soll, hält der Senat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof.Dr.B. für ausgeschlossen.

Im Ergebnis geht der Senat davon aus, dass beim Kläger lediglich eine MdE von 10 v.H. nachgewiesen ist. Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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