L 11 B 1024/06 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 SO 118/06 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 1024/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 30.10.2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Bewilligung ergänzender Leistungen zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Am 14.05.2005 beantragte der Antragsteller (Ast), vertreten durch seine Betreuerin, erstmals die Gewährung von Hilfen in besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Der Ast bewohnte zu dieser Zeit ein Ein-Zimmer-Apartment in einem Seniorenwohnheim. Die Kosten der Unterkunft von 623,78 EUR monatlich umfassten neben der Miete sowie den kalten und warmen Nebenkosten auch hauswirtschaftliche Arbeiten. Des Weiteren hatte der Ast für seine Verpflegung ein sog. Essensgeld in Höhe von 312,63 EUR zu entrichten. Darüber hinaus bestand zwischen dem Ast und der Fa. G. GmbH (G.) ein Pflegevertrag. Hiernach seien Zusatzleistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz, die durch die Pflegeversicherung nicht gedeckt würden, privat zu entrichten. Diese veranschlagte die G. mit 45,- EUR täglich (= 1.372,50 EUR monatlich).

Der Ast bezog neben seinen Renteneinkünften von 1.415,85 EUR (gesetzliche Altersrente: 675,22 EUR, betriebliche Altersversorgung: 740,63 EUR) auch Pflegesachleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung (Pflegestufe II) in Höhe von 921,- EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 23.07.2004 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) dem Ast eine monatliche Zuzahlung zu den Pflegesachleistungen in Höhe von maximal 521,- EUR. Sie ging dabei davon aus, dass der monatliche Zusatzaufwand nicht höher sein könne, als die Differenz zwischen den Pflegestufen II und III. In der Folgezeit übernahm die Ag von den durch die G. in Rechnung gestellten Kosten der Pflegeleistungen, die zwischen 1.411,12 EUR und 1.518,07 EUR monatlich betrugen, einen monatlichen Anteil von 521,- EUR.

Nach dem Inkrafttreten des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zum 01.01.2005 erbrachte die Ag - ohne die Erteilung eines neuen Bescheides - weiterhin die bis dahin gezahlten Leistungen in Höhe von 521,- EUR monatlich auf Grundlage der §§ 61 ff SGB XII.

Am 16.05.2006 erhob der Ast - vertreten durch seine Bevollmächtigten - Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.07.2004. Der tatsächliche zusätzliche Pflegeaufwand habe monatlich zwischen 1.411,12 und 1.518,07 EUR betragen. Die Ag habe zu Unrecht lediglich einen Betrag von 521,- EUR übernommen. Die Leistungen seien umgehend - zumindest vorschussweise - zu erbringen, da die Ag nach § 42 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hierzu verpflichtet sei.

Am 20.09.2006 beantragte der Ast beim Sozialgericht Nürnberg (SG), die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab sofort die beantragte Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch bestehe, da die Ag verpflichtet sei, die Leistungen der Hilfe zur Pflege (Zusatzpflegesachleistungen) zu erbringen. Die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit sei offenkundig, da der Ast nicht in der Lage sei, die ungedeckten Kosten weiterhin aus eigenen Mitteln zu tragen und er damit Gefahr liefe, dass die ambulante pflegerische Betreuung eingestellt würde, soweit er keine Kostendeckungszusage vorweisen könnte.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 30.10.2006 abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht, da es keinen Beleg gebe, dass der ambulante Pflegedienst die Beendigung des Pflegevertrages in Aussicht gestellt hätte.

Einen Anordnungsanspruch habe der Ast ebenfalls nicht glaubhaft gemacht, da zum einen die pflegerische Situation des Ast einer Heimunterbringung gleichstehe. Zum anderen seien die geltend gemachten Kosten der Pflege nicht im Ansatz nachvollziehbar. Im Weiteren sei auch die Angemessenheit der pflegerischen Versorgung zu beachten, die im Falle des Ast nicht gegeben erscheine, da die geltend gemachten Kosten weit über den Kosten einer vollstationären Pflege liegen würden.

Gegen diesen Beschluss hat der Ast am 04.12.2006 Beschwerde zum Bayer.Landessozialgericht erhoben. Unter Vorlage der am 06.12.2006 neugefassten Rechnungen für den Zeitraum 5/03 bis 11/06 machte der Ast geltend, dass seine Einkünfte und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht reichen würden, um die Kosten seiner Pflege zu decken. Da er den Differenzbetrag nicht aus eigenen Mitteln aufbringen könne, sei seine Bedürftigkeit und damit ein Anordnungsgrund offenkundig.

Ein Anordnungsanspruch bestehe, da zum einen die Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII nicht im Ermessen des Ag stehe und er wegen seines Gesundheitszustandes auf die Erbringung der Zusatzpflegesachleistungen angewiesen sei. Zum anderen habe er die Kosten für die von ihm in Anspruch genommenen Pflegezusatzleistungen zu tragen, die er aus eigenen Mitteln nicht aufbringen könne.

Die Ag hielt dem entgegen, dass der Ast aufgrund seiner Einkommensverhältnisse nicht als bedürftig anzusehen sei. Auch sei die Rechnungslegung der G. gegenüber dem Ast nicht nachvollziehbar und die zuletzt geltend gemachten Kosten seien in keiner Weise angemessen und könnten von der Ag nicht übernommen werden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 SGG. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, § 174 SGG. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel jedoch als nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist allein der ab 20.09.2006 geltend gemachte Anspruch im Wege der einstweiligen Anordnung, die beantragten Leistungen zu erhalten.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit daher § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).

Die hier in Frage stehenden Leistungen der Sozialhilfe sind, der Konzeption der Regelungen folgend, existenzsichernder Natur und auch für den vorliegenden Fall ist durch den erheblichen Umfang des geltend gemachten Anspruches deren konkret existenzsichernde Bedeutung belegt. In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Unter Beachtung dieser Überlegungen können dem Ast jedoch keine Leistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung zugesprochen werden.

Einen Anordnungsgrund hat der Ast zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens glaubhaft gemacht, da eine Kündigung des Pflegevertrages durch den Pflegedienst von diesem - nach Lage der Akten - nicht in Aussicht gestellt worden ist. Hierzu finden sich keine konkreten Hinweise über entsprechende Äußerungen. Im Übrigen ist selbst bei Kündigung des Pflegevertrages dem Ast ein Wechsel des Pflegedienstes möglich, wobei gegebenenfalls die bisher hohen Zuzahlungen wegfallen könnten.

Auch gibt es keinen Anhaltspunkt, dass dem Ast ein Wechsel des Pflegedienstes nicht zumutbar wäre, nachdem auch bei einem professionellen Pflegedienst mit einem Wechsel des Personals gerechnet werden muss.

Im Weiteren ist auch kein Anordnungsanspruch, d.h. die materielle Berechtigung des Leistungsanspruches, hinreichend glaubhaft gemacht.

Bereits das SG hatte zu Recht darauf bestanden, dass die Rechnungslegung des Pflegedienstes G. in keiner Weise nachvollziehbar ist, und sich allein aufgrund dieser durch G. erstellten Rechnungen ein entsprechender Bedarf nicht belegen lässt.

Der Ag geht zwar rechtsirrig davon aus, dass ohne konkrete Prüfung der Bedarf des Ast in der Weise beschränkt werden kann, dass keine höheren Leistungen zu zahlen sind, als nach Pflegestsufe III zustehen können, wenn durch den Träger der Pflegeversicherung lediglich die Pflegestufe II für den Ast festgestellt ist. § 62 SGB XII bindet die Träger der Sozialhilfe lediglich hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen soweit sie den Entscheidungen beider Träger zugrunde zu legen sind. Wird ein weitergehender Bedarf - insbesondere hinsichtlich "anderer Verrichtungen iSd § 61 Abs 1 Satz 2 SGB XII - geltend gemacht, ist es Aufgabe des Sozialhilfeträgers diesen - gegebenenfalls durch eigene Sachverständige - selbst festzustellen (vgl. Klie in Hauck/Noftz SGB XII - Stand 4/07 zu § 62 RdNr 5).

Gleichwohl können dem Ast keine weitergehenden Leistungen der Hilfe zur Pflege im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zugesprochen werden, da nicht belegt ist, dass der Ast einen wesentlich höheren Bedarf hat, als die Ag diese ihrer bisherigen Bewilligung zugrunde gelegt hat.

Nach den vorliegenden Leistungsnachweisen - und allein diese sind für die Belegbarkeit der erbrachten Pflegeleistungen maßgeblich - hat der Ast bis weit in das Jahr 2006 hinein (letzter Leistungsnachweis 9/2006) regelmäßig pflegerische Leistungen in Höhe von nicht mehr als 1.420,- EUR in Anspruch genommen. Anders ist nach Lage der Akten nicht belegt.

Eine weitergehende Inanspruchnahme von pflegerischen Leistungen ist auch nicht durch die nachträgliche Rechnungsstellung seitens der G. glaubhaft gemacht.

Den Leistungsnachweisen zufolge ist an den Ast zwar nicht jeden Monat das gleiche Leistungsspektrum an pflegerischen Leistungen erbracht und in Rechnung gestellt worden, so dass die Vollständigkeit der alten Rechnungen - unter Berücksichtigung des Pflegebedarfs des Ast - durchaus in Zweifel gezogen werden können. Jedoch ist durch die völlig intransparente Rechnungsstellung der G. bis Oktober 2006 nicht nachzuvollziehen, ob dieser pflegerische Aufwand im Rahmen der übrigen Verträge - wie dem Mietvertrag oder dem Essensvertrag - abgegolten, nicht erbracht oder nur nicht dokumentiert worden ist.

Zudem steht der nunmehr - mit den neuen Rechnungen - geltend gemachte pflegerische Aufwand mit den bestehenden Verträgen ohnehin nicht in Einklang, da insbesondere mit dem Essensvertrag (Pauschalbetrag von 312,63 EUR monatlich) neben der Beschaffung auch die Zubereitung der Speisen abgegolten sein soll (auf Wunsch Zubereitung des Essens im Appartement nach SGB XI; Gesamtpreis für die komplette Nahrung beträgt täglich 10,25 EUR); auch der Aufwand für die hauswirtschaftlichen Arbeiten/Versorgung (Einkaufen/Einräumen) ist nach dem Mietvertrag mit den dort erhobenen Nebenkosten abgegolten. Darüber hinaus enthalten die neuen Rechnungen Positionen (Umlagern/Lagern), die nach dem Pflegegutachten des MDK nicht für erforderlich gehalten wurden, und in einem Umfang (3 x täglich), die durch die vorhergehenden Leistungsnachweise (nie öfter als 2 x täglich) nicht zu belegen sind. Auch werden mit den neuen Rechnungen 5 x täglich die Hilfe bei der Aufnahme der Nahrung geltend gemacht, wobei dies durch die vorhergehende Dokumentation allenfalls in einem Umfang von 3 x täglich belegt ist. In diesem Zusammenhang erscheinen die neuen Rechnungen auch unschlüssig, nachdem dem Ast zwar 1 x täglich eine warme und 5 x täglich eine sonstige Mahlzeit zubereitet worden sein soll, jedoch die Hilfe zur Nahrungsaufnahme nur 5 x täglich erforderlich gewesen sei. Im Ergebnis erscheint die erneute Rechnungsstellung daher völlig unglaubhaft und stellenweise überhöht, so dass sie einer Einschätzung des pflegerischen Aufwandes nicht zugrunde gelegt werden kann.

Der Senat sieht sich auch nicht gedrängt, weitergehende Sachaufklärung von Amts wegen zu betreiben, da der Ast durch einen im Sozialrecht versierten Bevollmächtigten vertreten war, dem bekannt ist, dass zum Beleg der erbrachten Leistungen die entsprechenden Leistungsnachweise zu führen und der Rechnungslegung zugrunde zu legen sind. Soweit der Bevollmächtigte des Ast auf eine entsprechende Vorlage - auch für ihn erkennbar - notwendiger Unterlagen im gerichtlichen Verfahren verzichtet hat, besteht für den Senat kein Anlass, den Gründen für dieses Verhalten weiter nachzugehen und dies zu hinterfragen. Allein durch die Vorlage der Leistungsnachweise wäre überprüfbar gewesen, ob die geltend gemachten Aufwendungen des Pflegedienstes auch tatsächlich erbracht worden sind.

Es kann in diesem Zusammenhang daher auch dahinstehen, dass ebenfalls erhebliche Bedenken gegen die Erforderlichkeit und Angemessenheit des geltend gemachten Bedarfes bstehen, und daher auch in diesem Zusammenhang ein Anordnungsanspruch in keiner Weise zu erkennen ist.

Der Ast ist daher auf die Überprüfung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des Ast.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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