L 2 P 35/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 1 P 64/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 35/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 22.06.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I.

Die gesetzlichen Vertreter der 1996 geborenen Klägerin beantragten am 28. Juni 2001 die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung. Im Gutachten vom 26. September 2001 führte die Pflegefachkraft R. aus, die Klägerin leide an einer Armplexusparese rechts, die zu einer Bewegungseinschränkung der Schulter und des Ellenbogengelenks führe. Der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege betrage 45 Minuten, im Bereich der Ernährung 33 Minuten und im Bereich der Mobilität 44 Minuten; insgesamt ergebe sich also ein Zeitbedarf für die Grundpflege von 122 Minuten pro Tag. Nach Abzug der Zeiten, die für die Versorgung eines gesunden Kindes erforderlich seien, bleibe aber lediglich ein Hilfebedarf von ca. 4 Minuten im Bereich der Mobilität durch vermehrte Fahrten zur Krankengymnastik und Ergotherapie. Damit liege ein Hilfebedarf, der Leistungen einer Pflegestufe begründen könnte, nicht vor. Mit Bescheid vom 28.09.2001 lehnte die Beklagte Leistungen der Pflegeversicherung ab.

Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme vom 25. Januar 2002 ein. Darin wurde ausgeführt, nach Abzug der Versorgungszeiten für ein normal entwickeltes fünfjähriges Kind verbleibe ein Hilfebedarf im Bereich der Mobilität von 4 Minuten, bezüglich eines sechsjährigen Kindes von 17 Minuten, der ebenfalls nicht zur Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung führe. Im Gutachten vom 27. Januar 2003 erklärte die Pflegefachkraft P. , die Klägerin fahre einmal wöchentlich zur Krankengymnastik und zur Ergotherapie. Der Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege betrage 63 Minuten, im Bereich der Ernährung 25 Minuten und im Bereich der Mobilität 26 Minuten, also insgesamt 114 Minuten täglich. Hiervon sei der Zeitbedarf, der für ein gesundes gleichaltriges Kind erforderlich sei, abzuziehen. Somit verbleibe ein Mehraufwand von 9 Minuten täglich, der einer Pflegestufe nicht zuzuordnen sei.

Der Bevollmächtigte der Klägerin wandte gegen diese Berechnung ein, die Klägerin werde im März 2003 sieben Jahre alt. Daher komme ein Abzug von 50 Minuten in Betracht, und die Voraussetzungen für die Einstufung in die Pflegestufe I lägen vor. Der Besuch der Krankengymnastik und der Ergotherapie müsse berücksichtigt werden.

Im Gutachten vom 5. März 2003 führte die Pflegefachkraft R. aus, im Grundpflegebereich sei ein Pflegebedarf von 114 Minuten ermittelt worden. 105 Minuten, der Zeitbedarf für die Versorgung eines sechsjährigen gesunden Kindes, seien abgezogen worden. Bei einem siebenjährigen Kind sei ein Abzug von 90 Minuten vorzunehmen; dies würde bedeuten, dass man bei der Klägerin mit sechs Jahren und 9 1/2 Monaten etwa 91 Minuten abziehen müsste. Somit verbleibe ein vermehrter Pflegebedarf von 21 Minuten. Ergotherapie und Krankengymnastik könnten nicht berücksichtigt werden, da sie als rehabilitative Maßnahmen, nämlich zur Verbesserung des Gesundheitszustandes und nicht zur Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause, zu sehen seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 2003 zurück.

Das Sozialgericht Bayreuth zog Berichte der behandelnden Ärzte bei. Die Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. H. führte aus, verordnet habe sie regelmäßige Krankengymnastik, Ergotherapie, manuelle Therapie, Bewegungsbäder und Übungsbehandlung im Wasser mit Begleitperson. Die Therapien seien regelmäßig wahrgenommen worden. Trotz intensiver Krankengymnastik und der anderen Therapieformen hätten sich der muskuläre Zustand sowie die Beweglichkeit deutlich verschlechtert. Hinzu kämen jetzt Schmerzangaben bei alltäglichen Verrichtungen und die immer stärker werdende Wachstumshemmung im Bereich des Armes. Die Physiotherapeutin K. bestätigte, die Klägerin sei seit März 2003 zweimal in der Woche in physiotherapeutischer Behandlung. Der Schülerbogen der Volksschule zeigte für das Schuljahr 2002/2003 keine Schulversäumnisse.

Im Gutachten vom 8. März 2004 führte der Internist Dr. G. aus, der Klägerin seien zweimal pro Woche Wassergymnastik und zweimal pro Woche heilpädagogisches Reiten verordnet. Der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege betrage 40 Minuten, im Bereich der Ernährung 4 Minuten, im Bereich der Mobilität 17 Minuten. Nach Abzug des Zeitbedarfs für ein gesundes Kind ergebe sich im Bereich der Körperpflege ein Mehrbedarf von 10 Minuten, im Bereich der Ernährung von 4 Minuten und im Bereich der Mobilität von 2 Minuten, insgesamt also 16 Minuten Zeitbedarf im Bereich der Grundpflege. Der Hilfebedarf habe gegenüber den Vorbegutachtungen deutlich abgenommen. Dies entspreche der normalen Entwicklung eines Kindes. Nach dem Gesamteindruck könne nicht angenommen werden, dass bei der Klägerin bereits eine Pflegestufe vorliege. Hiergegen spreche nicht nur die gesamte Motorik, sondern auch der weitgehend unbehinderte Schulbesuch und das soziale Verhalten. Auch bei Berücksichtigung der Zeiten für Krankengymnastik und Ergotherapie werde keine Pflegestufe erreicht.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 13. Juli 2004 erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin, die Therapiezeit für Krankengymnastik und Ergotherapie betrage 40 Minuten, die Fahrtzeit 30 Minuten, jeweils hin und zurück. Ab März 2003 sei zweimal pro Woche Wassergymnastik mit 40 Minuten Therapiezeit und zweimal 30 Minuten Fahrtzeit zu berücksichtigen. Ab Juni 2004 sei die Klägerin zweimal in der Woche zur Krankengymnastik nach E. gefahren, Dauer 40 Minuten, Fahrtzeit einfach 35 Minuten und zweimal in der Woche zur Krankengymnastik im Wasser. Außerdem sei ein hyperkinetisches Syndrom als pflegerelevant zu berücksichtigen. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität E. teilte im Schreiben vom 11. Mai 2004 mit, die Klägerin leide an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens.

Beigezogen wurden Aufstellungen über die ergotherapeutischen Behandlungen von Januar 1999 bis Juli 2002, physiotherapeutische Behandlungen von Januar 2001 bis Dezember 2002, März 2003 bis Juli 2004 mit der Bestätigung, die Klägerin komme in der Regel zweimal in der Woche regelmäßig, unter Berücksichtigung von Urlaub und Krankheit, zur Physiotherapie; die eigentliche Therapiezeit betrage 25 Minuten, die Unterstützung durch die Mutter sei sehr wichtig. Weiter liegt vor eine Aufstellung über die Behandlung im Therapiezentrum E. vom Juli 2004 bis August 2004.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 5. Dezember 2004 führte Dr. G. aus, im Juni 2001, im Alter von 5 1/4 Jahren, sei der Pflegebedarf im Bereich der Körperpflege mit 6 Minuten zu bewerten, im Bereich der Ernährung mit 5 Minuten und im Bereich der Mobilität mit 6 Minuten. Im März 2002, im Alter von sechs Jahren, sei der Pflegebedarf im Bereich der Körperpflege mit 23 Minuten, im Bereich der Ernährung mit 1 Minute und im Bereich der Mobilität mit 4 Minuten zu bewerten. Im März 2003, mit sieben Jahren, sei der Pflegebedarf im Bereich der Körperpflege mit 30 Minuten, im Bereich der Ernährung mit 3 Minuten und im Bereich der Mobilität mit 8 Minuten zu bewerten. Im März 2004, im Alter von acht Jahren, sei der Zeitbedarf im Bereich der Körperpflege mit 13 Minuten, im Bereich der Ernährung mit 4 Minuten und im Bereich der Mobilität mit 14 Minuten zu bewerten. Die geburtstraumatische Plexusschädigung sowie das zunehmende hyperkinetische Syndrom machten sich insbesondere bei den Verrichtungen der Körperpflege bemerkbar. Im Alter von 5 1/4 Jahren wirke sich der Mehraufwand noch relativ wenig aus, da hier auch bei einem gesunden Kind ein deutlicher Hilfeaufwand bestehe. Mit zunehmender Entwicklung mache sich dann die Behinderung mehr bemerkbar, was sich in einem Anstieg des Mehrbedarfs für die Grundpflege bis zum Alter von etwa sieben Jahren ausdrücke. Erst danach, d.h. ab dem Alter von acht Jahren, spiele das hyperkinetische Syndrom eine etwas geringere Rolle. Diese Ausführungen würden überwiegend für den Bereich der Körperpflege gelten, in geringerem Ausmaß auch für den Bereich der Mobilität. Hier könne nur die Physiotherapie berücksichtigt werden, nicht die Ergotherapie und auch nicht die Arztbesuche, da eine zu geringe Häufigkeit vorliege. Eine Pflegestufe sei jedenfalls zu keinem Zeitpunkt erreicht worden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin wies im Schreiben vom 21. Dezember 2004 darauf hin, Dr. G. habe offensichtlich die Fahrzeiten zur Therapie nicht berücksichtigt. Bescheinigt wurden der Klägerin Behandlungen vom August 2004 bis Dezember 2004 im Therapiezentrum und vom Juli 2004 bis November 2004 von der Physiotherapeutin der Klinik F ...

Dr. G. erklärte in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. Januar 2005, er habe die Wegezeit zur Physiotherapie bzw. Krankengymnastik mit 12 Minuten berücksichtigt. Es handle sich um Maßnahmen, die aufgrund ärztlicher Verordnung erfolgt, mindestens einmal pro Woche durchgeführt worden und auch notwendig gewesen seien. Die Verordnungen seien über mindestens sechs Monate erfolgt. Daher sei Berücksichtigungsfähigkeit gegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. Juni 2005 wies das Sozialgericht Bayreuth die Klage ab. Die Therapiebesuche genügten den vom Bundessozialgericht gestellten Anforderungen nicht. Die mitgeteilten Behandlungszeitpunkte zeigten, dass nie wenigstens sechs Monate mindestens einmal in der Woche therapeutische Maßnahmen stattgefunden hätten. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob Ergotherapie und Krankengymnastik getrennt zu beurteilen seien, wofür spreche, dass unterschiedliche Behandlungsziele bestünden. Denn auch zusammengerechnet fänden sich immer wieder Lücken einiger Wochen. Dies gelte selbst ab dem Zeitpunkt, ab dem während des Klageverfahrens die Behandlungdichte weiter zugenommen habe.

Zur Begründung der Berufung wandte der Bevollmächtigte der Klägerin im Schreiben vom 21. Juli 2005 ein, Ergotherapie und Krankengymnastik könnten nicht getrennt beurteilt werden. Die Maßnahmen seien für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause unumgänglich. Dr. G. habe die erforderliche Wartezeit für die Mutter, die diese Zeit nicht anderweitig nutzen könne, nicht berücksichtigt. Die Therapien fänden mindestens einmal in der Woche statt. Bei einer Therapie, die auf mehrere Jahre angelegt sei, könne der Versicherte einmal urlaubsbedingt abwesend sein, bzw. dürfe nicht aufgrund einer Krankheit des Therapeuten seine Leistungen verlieren. Lücken müssten unberücksichtigt bleiben, wenn sie nicht unangemessen lang seien. Zumindest für den Zeitraum ab März 2002 komme es für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit maßgeblich auf die Berücksichtigung der Therapiezeiten an.

Die Klägerin stellt den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 22. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. September 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2003 zu verurteilen, ihr Leistungen der Pflegestufe I ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass Besuche beim Krankengymnasten oder Physiotherapeuten und Ergotherapeuten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, wenn sie der Behandlung der Krankheit dienen bzw. zur Behebung oder Besserung der Krankheit führen sollen. Dies gilt aber nur dann, wenn die Verrichtungen regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen. Denn das Gesetz stellt in § 15 Abs. 3 SGB XI mit hinreichender Deutlichkeit klar, dass bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwands auf die Woche abzustellen ist: aus dem gesamten in einer Woche anfallenden Pflegeaufwand ist der Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Dies schließt es aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfallen (vgl. BSG vom 29. April 1999, Breithaupt 2000, 117). Die Besuche beim Ergotherapeuten und bei der Krankengymnastik sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie mindestens einmal pro Woche erforderlich sind (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2005, L 4 P 1937/01).

Wenn also derartige Maßnahmen bei der Klägerin wegen Urlaubs unterbrochen werden konnten oder bei Krankheit oder Urlaub des Therapeuten eine Vertretung durch einen Kollegen nicht erfolgte, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Behandlung tatsächlich regelmäßig wöchentlich erforderlich war, um zur Behebung oder Besserung der Krankheit der Klägerin zu führen. Verrichtungen, die seltener als zumindest einmal pro Woche anfallen, zählen nicht zum berücksichtigungsfähigen Pflegeaufwand.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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