Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 646/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 393/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 09.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Unfall vom 16.02.2001 ein Arbeitsunfall ist.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeits-unfall/Wegeunfall.
Die 1967 geborene Klägerin, von Beruf Laborantin bei der Laborpraxis Dr. M. , Prof. Dr. R. , Dr. R. in R. , H.straße, fuhr am 16.02.2001, 12.15 Uhr von R. kommend zu ihrem Wohnort in A. , als sie auf der S.straße in Richtung R. bei einem Verkehrsunfall eine Sprunggelenksfraktur links sowie eine Thorax-prellung erlitt (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. R. vom 06.03.2001). Sie gab gegenüber der Beklagten an, der Unfall habe sich auf dem Weg zwischen ihrem Arbeitgeber und ihrer Wohnung ereignet. Die Klägerin hatte sich am Morgen des 16.02.2001 krankgemeldet und war anschließend zu Frau Dr. M. , Ärztin für Allgemeinmedizin in R. , H.straße gefahren, wo sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten hatte. Sie gab an, die Bescheinigung direkt von der Ärztin aus zum Arbeitgeber gebracht zu haben und anschließend den Heimweg angetreten zu haben.
Zur Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte unter anderem eine Arbeitgeberauskunft vom 29.06.2001 ein. Danach hatte sich die Klägerin nach einer Abmahnung am Vortag am 16.02.2001 morgens telefonisch krank gemeldet, die Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei aber nicht am selben Tag erfolgt.
Mit Bescheid vom 09.08.2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 16.02.2001 als Arbeitsunfall ab. Der Unfall habe sich nicht auf dem Weg zwischen der Arbeitsstelle und dem Wohnort der Klägerin ereignet, sondern auf dem Weg zwischen der Arztpraxis Dr. M. und dem Wohnort der Klägerin. Es bestehe daher kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren räumte die Arbeitgeberin der Klägerin, Frau Dr. M. ein, dass eine Krankmeldung der Klägerin vom 16.02.2001 vorlag, jedoch nicht mehr feststellbar sei, wann und wie sie eingetroffen sei. Die Klägerin trägt vor, sie habe Frau K. am Empfang der Laborpraxis die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übergeben. Nach Einholung einer Auskunft der Frau Dr. M. vom 30.01.2002 (die Klägerin verließ die Praxis um circa 11.30 Uhr, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung persönlich beim Arbeitgeber abzugeben) und Prof. Dr. R. vom 18.06.2002 (Frau H. hat keine Angaben über einen Wegeunfall gemacht, so dass wir vom Vorliegen eines privaten Unfalls ausgingen) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2002 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, es fehle der Nachweis, dass die Klägerin am 16.02.2001 ihre Krankmeldung beim Arbeitgeber persönlich abgegeben habe.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen aufgrund des Unfalls vom 16.02.2001 zu erbringen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie erinnere sich ganz genau, dass die als Zeugin benannte Frau K. die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entgegengenommen habe. Sie sei nicht auf ihre Vorgesetzte, Frau Dr. M. , getroffen, und dies sei ihr angesichts der Auseinandersetzung am Vortag sehr gelegengekommen sei. Sie habe nach dem Unfall ihrem Ehemann per Mobiltelefon gesagt, sie komme direkt vom Arbeitgeber, wo sie zum Glück ihrer Chefin nicht begegnet sei. Auch im Krankenhaus habe sie dies berichtet, sei aber selbst nicht von einem Arbeitsunfall ausgegangen, da sie nicht gearbeitet habe. Sie legte eine schriftliche Erklärung ihres Ehemannes G. H. vom 24.02.2003 vor.
Das SG hat die Laborangestellte S. K. einvernommen, die weder bestätigen noch ausschließen konnte, dass die Klägerin am 16.02.2001 persönlich die AU-Bescheinigung übergeben hatte.
Mit Urteil vom 19.08.2004 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Eine versicherte Tätigkeit sei nicht nachgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie macht geltend, aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere der schriftlichen Aussage ihres Ehemannes sowie aus der Tatsache, dass die AU-Bescheinigung unstreitig bei der Arbeitgeberin aufgefunden worden sei, hätte das Gericht davon ausgehen müssen, dass sie unmittelbar vor dem Unfall die AU-Bescheinigung im Betrieb abgegeben hatte. Es sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht nachvollziehbar, wie ansonsten die AU-Bescheinigung in den Betrieb der Arbeitgeberin hätte gelangen können. Sie selbst habe massive Verletzungen bei dem Unfall erlitten und sei sofort in das Klinikum verbracht worden. Hätte sie die AU-Bescheinigung bei sich gehabt, hätte keine hinreichende Möglichkeit bestanden, diese nachträglich der Arbeitgeberin zukommen zu lassen.
Der Senat hat den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30.05.2007 wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 zu verurteilen, das Ereignis vom 16.02.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft T. , der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 ist aufzuheben, weil die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung hat, dass das Geschehen vom 16.02.2001 ein Arbeitsunfall ist. Der Bescheid vom 09.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 ist aufzuheben.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Geht es in einem gerichtlichen Verfahren nicht um konkrete Ansprüche auf bestimmte Leistungen, sondern zunächst nur um die Frage, ob ein bestimmter Unfall Arbeitsunfall ist, kann der Antrag auf "Gewährung der gesetzlichen Leistungen" bzw. "Entschädigung" nicht als Leistungsklage angesehen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte in dieser Situation die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen (BSG, Urteil vom 15.02.2005, B 2 U 1/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; BSG, Urteile vom 07.09.2004, B 2 U 46/03, SozR 4-2700 § 2 Nr. 3, B 2 U 45/03, SozR 4-2700 § 2 Nr. 2; BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 21/03 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr. 5101 Nr.2).
Die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist auch begründet. Die Klägerin hat am 16.02.2001 einen Arbeitsunfall erlitten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII).
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSGE 58, 76, 77; BSG, Urteil vom 09.12.2003, SozR 4-2700 § 8 Nr.2).
Bei einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Beschäftigten sind Verrichtungen im Rahmen des dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses Teil der versicherten Tätigkeit und stehen mit ihr im erforderlichen Zusammenhang. Auch die Krankmeldung im Betrieb ist versichert, da es sich insoweit um eine arbeitsvertragliche Verpflichtung handelt (BSG, BG 1971, 354; vgl. Bereiter/Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Anm.7.27).
Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit mit Gewissheit bewiesen ist. Die maßgebenden tatsächlichen Grundlagen wie Ort, Art, Zeitpunkt und Zweckbestimmung der zum Unfall führenden Verrichtung müssen mit Gewissheit nachgewiesen sein (Bereiter/Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 8 Anm.10 m.w.N.). Gewissheit bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat (BSGE 32, 203, 207). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Tatsache zu begründen (BSGE 8, 59, 61; 48, 285).
Im vorliegenden Fall hält es der Senat aufgrund der bekannt gewordenen Umstände für erwiesen, dass sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf dem Heimweg vom Arbeitgeber - Laborpraxis Dr. M. , Prof. Dr. R. , Dr. R. in R. , H.straße -, wo sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag abgegeben hatte, befunden hat. Zwar konnte sich die als Zeugin gehörte Frau S. K. nicht an eine persönlich übergebene Arbeitsunfähigkeitsbescheinung erinnern, sie konnte jedoch auch nicht ausschließen, dass die Kläger sie ihr am 16.02.2001 morgens gegeben hatte. Dies ist verständlich aufgrund der Hektik in einer Laborpraxis am Vormittag und der inzwischen abgelaufenen Zeit. Der Senat hält jedoch die Aussage des Ehemanns der Klägerin, G. H. , für glaubhaft. Zum einen ist es ganz selbstverständlich, dass eine Ehefrau in einem Telefonat am Unfallort ihrem Ehemann erzählt, auf welchem Weg (Heimweg vom Arbeitgeber) sie sich im Unfallzeitpunkt befunden hat. Zum anderen ist es in diesem besonderen Fall naheliegend, dass die Klägerin auch gleichzeitig ihre Erleichterung mitteilte, dass sie die Arbeitgeberin, mit der sie am Vortag einen Disput hatte, anlässlich ihres Auftretens in der Laborpraxis nicht gesehen hat. Aber auch die Angabe des Zeugen, es sei im Krankenhaus R. diskutiert worden, ob ein Arbeitsunfall vorlag bei einem Unfall auf dem Heimweg von einem Arbeitgeber, bei dem nur eine AU-Bescheinigung abgegeben worden war ohne dort gearbeitet zu haben, ist durchaus nachvollziehbar und macht es glaubhaft, dass die Klägerin schon im Krankenhaus angegeben hat, vom Arbeitgeber gekommen zu sein. Die Angaben des Zeugen sprechen somit insgesamt für die Richtigkeit des Vorbringens der Klägerin. Die Annahme des Prof. Dr. R. , es habe sich um einen Privatunfall gehandelt (Schreiben vom 18.08.2002), bestätigt nur die Unwissenheit des Klinikpersonals um die Reichweite des Versicherungsschutzes, hat jedoch - entgegen der Meinung des SG - keinen weiteren Beweiswert.
Im Übrigen ist es Tatsache, dass die AU-Bescheinigung in der Laborpraxis nach dem 16.02.2001 vorlag. Da dort nicht angegeben werden konnte, wie sie dorthin gekommen war, postalisch oder durch Einwurf in den Briefkasten, ist es naheliegend, dass die Klägerin sie selbst abgegeben hat. Die Klägerin hätte im Übrigen nicht guten Gewissens Frau S. K. als Zeugin benennen können, wenn sie hätte gegenwärtigen müssen, dass sich in der Laborpraxis ein Briefumschlag befand, der eine postalische Zusendung hätte nachweisen können oder sich jemand gemeldet hatte, der eine eingeworfene AU-Bescheinigung aus dem Briefkasten genommen hatte und die Zeugin hierüber dem Gericht Auskunft erteilt. Wenngleich die Zeugin sich nicht positiv an eine persönliche Übergabe erinnern konnte, so ergibt sich aus ihrer Ladung, dass die Angabe der Klägerin richtig ist.
Hinzu kommt, dass die Klägerin offenbar ein erhebliches Interesse daran hatte, die telefonische Krankmeldung vom Morgen des 16.02.2001, die für einen Tag genügt hätte, durch eine AU-Bescheinigung zu bestätigen. Sonst hätte sie sich nicht morgens zu ihrer Ärztin Frau Dr. M. begeben. Es ist nur folgerichtig und nachvollziehbar, wenn sie sie anschließend beim Arbeitgeber, der leicht auf dem Weg nach Hause erreichbar war, abgegeben hat.
Aufgrund der bekanntgewordenen Umstände hält es der Senat somit für erwiesen, dass die Klägerin am Unfalltag die AU-Bescheinigung der Dr. M. bei dem Arbeitgeber abgegeben hat und sich von dort auch auf dem Heimweg befunden hat, so dass Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.
Das Ereignis vom 16.02.2001 ist als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Verkehrsunfalls als Arbeits-unfall/Wegeunfall.
Die 1967 geborene Klägerin, von Beruf Laborantin bei der Laborpraxis Dr. M. , Prof. Dr. R. , Dr. R. in R. , H.straße, fuhr am 16.02.2001, 12.15 Uhr von R. kommend zu ihrem Wohnort in A. , als sie auf der S.straße in Richtung R. bei einem Verkehrsunfall eine Sprunggelenksfraktur links sowie eine Thorax-prellung erlitt (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. R. vom 06.03.2001). Sie gab gegenüber der Beklagten an, der Unfall habe sich auf dem Weg zwischen ihrem Arbeitgeber und ihrer Wohnung ereignet. Die Klägerin hatte sich am Morgen des 16.02.2001 krankgemeldet und war anschließend zu Frau Dr. M. , Ärztin für Allgemeinmedizin in R. , H.straße gefahren, wo sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten hatte. Sie gab an, die Bescheinigung direkt von der Ärztin aus zum Arbeitgeber gebracht zu haben und anschließend den Heimweg angetreten zu haben.
Zur Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte unter anderem eine Arbeitgeberauskunft vom 29.06.2001 ein. Danach hatte sich die Klägerin nach einer Abmahnung am Vortag am 16.02.2001 morgens telefonisch krank gemeldet, die Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei aber nicht am selben Tag erfolgt.
Mit Bescheid vom 09.08.2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 16.02.2001 als Arbeitsunfall ab. Der Unfall habe sich nicht auf dem Weg zwischen der Arbeitsstelle und dem Wohnort der Klägerin ereignet, sondern auf dem Weg zwischen der Arztpraxis Dr. M. und dem Wohnort der Klägerin. Es bestehe daher kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren räumte die Arbeitgeberin der Klägerin, Frau Dr. M. ein, dass eine Krankmeldung der Klägerin vom 16.02.2001 vorlag, jedoch nicht mehr feststellbar sei, wann und wie sie eingetroffen sei. Die Klägerin trägt vor, sie habe Frau K. am Empfang der Laborpraxis die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übergeben. Nach Einholung einer Auskunft der Frau Dr. M. vom 30.01.2002 (die Klägerin verließ die Praxis um circa 11.30 Uhr, um die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung persönlich beim Arbeitgeber abzugeben) und Prof. Dr. R. vom 18.06.2002 (Frau H. hat keine Angaben über einen Wegeunfall gemacht, so dass wir vom Vorliegen eines privaten Unfalls ausgingen) wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2002 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, es fehle der Nachweis, dass die Klägerin am 16.02.2001 ihre Krankmeldung beim Arbeitgeber persönlich abgegeben habe.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Leistungen aufgrund des Unfalls vom 16.02.2001 zu erbringen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie erinnere sich ganz genau, dass die als Zeugin benannte Frau K. die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entgegengenommen habe. Sie sei nicht auf ihre Vorgesetzte, Frau Dr. M. , getroffen, und dies sei ihr angesichts der Auseinandersetzung am Vortag sehr gelegengekommen sei. Sie habe nach dem Unfall ihrem Ehemann per Mobiltelefon gesagt, sie komme direkt vom Arbeitgeber, wo sie zum Glück ihrer Chefin nicht begegnet sei. Auch im Krankenhaus habe sie dies berichtet, sei aber selbst nicht von einem Arbeitsunfall ausgegangen, da sie nicht gearbeitet habe. Sie legte eine schriftliche Erklärung ihres Ehemannes G. H. vom 24.02.2003 vor.
Das SG hat die Laborangestellte S. K. einvernommen, die weder bestätigen noch ausschließen konnte, dass die Klägerin am 16.02.2001 persönlich die AU-Bescheinigung übergeben hatte.
Mit Urteil vom 19.08.2004 hat das SG die Klage abgewiesen, da die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Eine versicherte Tätigkeit sei nicht nachgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie macht geltend, aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere der schriftlichen Aussage ihres Ehemannes sowie aus der Tatsache, dass die AU-Bescheinigung unstreitig bei der Arbeitgeberin aufgefunden worden sei, hätte das Gericht davon ausgehen müssen, dass sie unmittelbar vor dem Unfall die AU-Bescheinigung im Betrieb abgegeben hatte. Es sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht nachvollziehbar, wie ansonsten die AU-Bescheinigung in den Betrieb der Arbeitgeberin hätte gelangen können. Sie selbst habe massive Verletzungen bei dem Unfall erlitten und sei sofort in das Klinikum verbracht worden. Hätte sie die AU-Bescheinigung bei sich gehabt, hätte keine hinreichende Möglichkeit bestanden, diese nachträglich der Arbeitgeberin zukommen zu lassen.
Der Senat hat den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30.05.2007 wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 zu verurteilen, das Ereignis vom 16.02.2001 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft T. , der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.08.2004 ist aufzuheben, weil die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung hat, dass das Geschehen vom 16.02.2001 ein Arbeitsunfall ist. Der Bescheid vom 09.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2002 ist aufzuheben.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Geht es in einem gerichtlichen Verfahren nicht um konkrete Ansprüche auf bestimmte Leistungen, sondern zunächst nur um die Frage, ob ein bestimmter Unfall Arbeitsunfall ist, kann der Antrag auf "Gewährung der gesetzlichen Leistungen" bzw. "Entschädigung" nicht als Leistungsklage angesehen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte in dieser Situation die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen (BSG, Urteil vom 15.02.2005, B 2 U 1/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; BSG, Urteile vom 07.09.2004, B 2 U 46/03, SozR 4-2700 § 2 Nr. 3, B 2 U 45/03, SozR 4-2700 § 2 Nr. 2; BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 21/03 R, SozR 4-5671 Anl 1 Nr. 5101 Nr.2).
Die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist auch begründet. Die Klägerin hat am 16.02.2001 einen Arbeitsunfall erlitten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII).
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSGE 58, 76, 77; BSG, Urteil vom 09.12.2003, SozR 4-2700 § 8 Nr.2).
Bei einem nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Beschäftigten sind Verrichtungen im Rahmen des dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses Teil der versicherten Tätigkeit und stehen mit ihr im erforderlichen Zusammenhang. Auch die Krankmeldung im Betrieb ist versichert, da es sich insoweit um eine arbeitsvertragliche Verpflichtung handelt (BSG, BG 1971, 354; vgl. Bereiter/Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Anm.7.27).
Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt voraus, dass die versicherte Tätigkeit mit Gewissheit bewiesen ist. Die maßgebenden tatsächlichen Grundlagen wie Ort, Art, Zeitpunkt und Zweckbestimmung der zum Unfall führenden Verrichtung müssen mit Gewissheit nachgewiesen sein (Bereiter/Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 8 Anm.10 m.w.N.). Gewissheit bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat (BSGE 32, 203, 207). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Tatsache zu begründen (BSGE 8, 59, 61; 48, 285).
Im vorliegenden Fall hält es der Senat aufgrund der bekannt gewordenen Umstände für erwiesen, dass sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt auf dem Heimweg vom Arbeitgeber - Laborpraxis Dr. M. , Prof. Dr. R. , Dr. R. in R. , H.straße -, wo sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag abgegeben hatte, befunden hat. Zwar konnte sich die als Zeugin gehörte Frau S. K. nicht an eine persönlich übergebene Arbeitsunfähigkeitsbescheinung erinnern, sie konnte jedoch auch nicht ausschließen, dass die Kläger sie ihr am 16.02.2001 morgens gegeben hatte. Dies ist verständlich aufgrund der Hektik in einer Laborpraxis am Vormittag und der inzwischen abgelaufenen Zeit. Der Senat hält jedoch die Aussage des Ehemanns der Klägerin, G. H. , für glaubhaft. Zum einen ist es ganz selbstverständlich, dass eine Ehefrau in einem Telefonat am Unfallort ihrem Ehemann erzählt, auf welchem Weg (Heimweg vom Arbeitgeber) sie sich im Unfallzeitpunkt befunden hat. Zum anderen ist es in diesem besonderen Fall naheliegend, dass die Klägerin auch gleichzeitig ihre Erleichterung mitteilte, dass sie die Arbeitgeberin, mit der sie am Vortag einen Disput hatte, anlässlich ihres Auftretens in der Laborpraxis nicht gesehen hat. Aber auch die Angabe des Zeugen, es sei im Krankenhaus R. diskutiert worden, ob ein Arbeitsunfall vorlag bei einem Unfall auf dem Heimweg von einem Arbeitgeber, bei dem nur eine AU-Bescheinigung abgegeben worden war ohne dort gearbeitet zu haben, ist durchaus nachvollziehbar und macht es glaubhaft, dass die Klägerin schon im Krankenhaus angegeben hat, vom Arbeitgeber gekommen zu sein. Die Angaben des Zeugen sprechen somit insgesamt für die Richtigkeit des Vorbringens der Klägerin. Die Annahme des Prof. Dr. R. , es habe sich um einen Privatunfall gehandelt (Schreiben vom 18.08.2002), bestätigt nur die Unwissenheit des Klinikpersonals um die Reichweite des Versicherungsschutzes, hat jedoch - entgegen der Meinung des SG - keinen weiteren Beweiswert.
Im Übrigen ist es Tatsache, dass die AU-Bescheinigung in der Laborpraxis nach dem 16.02.2001 vorlag. Da dort nicht angegeben werden konnte, wie sie dorthin gekommen war, postalisch oder durch Einwurf in den Briefkasten, ist es naheliegend, dass die Klägerin sie selbst abgegeben hat. Die Klägerin hätte im Übrigen nicht guten Gewissens Frau S. K. als Zeugin benennen können, wenn sie hätte gegenwärtigen müssen, dass sich in der Laborpraxis ein Briefumschlag befand, der eine postalische Zusendung hätte nachweisen können oder sich jemand gemeldet hatte, der eine eingeworfene AU-Bescheinigung aus dem Briefkasten genommen hatte und die Zeugin hierüber dem Gericht Auskunft erteilt. Wenngleich die Zeugin sich nicht positiv an eine persönliche Übergabe erinnern konnte, so ergibt sich aus ihrer Ladung, dass die Angabe der Klägerin richtig ist.
Hinzu kommt, dass die Klägerin offenbar ein erhebliches Interesse daran hatte, die telefonische Krankmeldung vom Morgen des 16.02.2001, die für einen Tag genügt hätte, durch eine AU-Bescheinigung zu bestätigen. Sonst hätte sie sich nicht morgens zu ihrer Ärztin Frau Dr. M. begeben. Es ist nur folgerichtig und nachvollziehbar, wenn sie sie anschließend beim Arbeitgeber, der leicht auf dem Weg nach Hause erreichbar war, abgegeben hat.
Aufgrund der bekanntgewordenen Umstände hält es der Senat somit für erwiesen, dass die Klägerin am Unfalltag die AU-Bescheinigung der Dr. M. bei dem Arbeitgeber abgegeben hat und sich von dort auch auf dem Heimweg befunden hat, so dass Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.
Das Ereignis vom 16.02.2001 ist als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
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