Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 5039/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 222/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 499/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 23. Februar 2006 sowie des Bescheides vom 13. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2003 und des Bescheides vom 4. Oktober 2006 verpflichtet, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 1. September 2004 und ohne zeitliche Begrenzung zu leisten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu drei Vierteln zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung im März 2002.
Der 1952 geborene Kläger hat nach seinen Angaben im Jahre 1978 eine Programmierer-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und zwischen 1982 und 1984 eine Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt. Er hat sodann, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, als Programmierer gearbeitet, in den Jahren 1995 und 1996 sowie 2000 und 2001 war er selbständig. Seit 01.11.2001 ist der Kläger arbeitslos bzw. krank.
Am 18.03.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diese holte Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.D. vom 13.06.2002 sowie des Internisten Dr.R. vom 04.07.2002 ein. Die Sachverständigen hielten den Kläger noch für in der Lage, als Programmierer täglich sechs Stunden und mehr zu arbeiten. Zu vermeiden seien Überstunden und Stressbelastungen.
Mit Bescheid vom 19.08.2002 und Widerspruchsbescheid vom 24.06.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil der Kläger in seinem Beruf als Programmierer noch täglich sechs Stunden zu arbeiten in der Lage sein. Im Widerspruchsverfahren hatte die Beklagte ein Gutachten der Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Dr.S. vom 20.01.2003 eingeholt, die die Auffassung vertreten hatte, trotz Hörgeräteversorgung sei der Kläger nur bedingt in einem beruflichen Umfeld einsetzbar, das mit primärer akustischer Kommunikation einhergehe. Hierzu hat sich der beratende Arzt Dr.S. am 18.03.2003 geäußert.
Im anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht München Klage hat der Kläger den "Bericht des nachuntersuchenden Arztes" Dr.S. vom 01.10.2002 vorgelegt, wonach aus ärztlicher Sicht "Berufsunfähigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen" gegeben sei.
Das Sozialgericht hat zunächst ein Gutachten des Internisten und Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr.S. vom 28.05.2004 eingeholt, das dieser nach Aktenlage erstattete, nachdem der Kläger Vorladungen zur persönlichen Untersuchung nicht nachgekommen war. Der Sachverständige hielt den Kläger für leichte und mittelschwere Arbeiten in wechselnden Körperhaltung vorwiegend in geschlossenen Räumen sowie im Freien unter Vermeidung von ungünstigen klimatischen Umständen wie große Hitze oder Kälte, ausgeprägter Luftfeuchtigkeit oder Trocken-heit, Schadstoffbelastung, Staubbelastung, starkgradige Infektionsgefährdung bei Publikumsverkehr, vollschichtig einsatzfähig.
Der Kläger befand sich sodann vom 18.08.2004 bis 01.12.2004 und 01.12. bis 06.12.2004 in der Klinik des Bezirks Oberbayern am Krankenhaus A ... Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. führte im Gutachten vom 18.03.2005 aus, infolge der Angetrunkenheit des Klägers bei der stattgefundenen persönlichen Untersuchung sei eine Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers nervenärztlicherseits nicht möglich.
Das Sozialgericht holte sodann das von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie Dr.M. aufgrund stationärer Untersuchung des Klägers vom 21.09.2005 bis 23.09.2005 erstattete weitere Gutachten ein. Dieser erklärte, der Kläger sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen mindestens sechs Stunden täglich durchzuführen. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auf eine regelmäßige Frischluftzufuhr sei zu achten.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2006 hat das Sozialgericht daraufhin die Klage abgewiesen. Der Kläger sei sowohl im bisherigen Beruf als EDV-Berater/Programmierer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr arbeitsleistungsfähig, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung erneut auf die Beurteilung durch Dr.S. vom 01.10.2002 Bezug genommen.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat das von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.M. am 17.08.2006 auf Grund eines stationären Aufenthalts vom 24.07.2006 bis 26.07.2006 in der R.-Klinik, Bad D. , erstattete Gutachten eingeholt. Dieser stellte fest, auf Grund der vorliegenden bipolaren Störung könne der Kläger nur noch weniger als drei Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einer Tätigkeit nachgehen. Diese quantitative Leistungseinschränkung sei ab August 2004 festzustellen, da sich ab diesem Zeitpunkt eine ausgeprägte chronifizierte Störung mit Rapid-cycling-Phänomen abgezeichnet habe. Auf Grund der Chronifizierung und der Persönlichkeitsstörung erscheine die Prognose ungünstig, so dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Kläger innerhalb von zwei Jahren unter konsequenter psychiatrisch-psychotherapeutischer Therapie eine Besserung des beruflichen Leistungsvermögens erreiche. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass eine gutachtenrelevante Besserung unter konsequenter Therapie zu erreichen sei. Auf andere als die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit könne sich der Kläger nicht umstellen.
Die Beklagte hat daraufhin einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Grund einer im August 2004 eingetretenen Leistungsminderung für die Zeit vom 01.03.2005 bis 31.08.2008 anerkannt und einen entsprechenden Bescheid am 04.10.2006 erteilt.
Dieses Angebot hat der Kläger nicht angenommen, weil eine Leistungseinschränkung bereits ab August 2004 festgestellt worden sei und er beantrage weiterhin die Gewährung einer Rente bereits ab März 2002.
Auf Anregung der Beklagten hat der Senat von Dr.M. eine ergänzende Stellungnahme vom 03.12.2006 eingeholt. Danach sei ab Mai 2003, als der Kläger aus Kroatien nach Deutschland zurückgekehrt sei, davon auszugehen, dass er krankheitsbedingt die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit nicht mehr besessen habe, sich in eine neue Berufstätigkeit einarbeiten zu können. Die Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens sei jedoch erst ab August 2004 darstellbar.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.02.2006 sowie den Bescheid vom 13.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2003 aufzuheben sowie den Bescheid vom 04.10.2006 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm bereits ab März 2002 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, soweit dieser Rente über das von der Beklagten abgegebene Vergleichsangebot hinaus begehre.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen Bezug genommen auf den Inhalt der Akten des Gerichts und der Beklagten sowie der beigezogenen Klageakten des Sozialgerichts München, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch insoweit begründet, als der Kläger auf Grund eines im August 2004 eingetretenen Leistungsfalls ab 01.09.2004 Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung hat. Für die Zeit zwischen Rentenantrag und August 2004 besteht hingegen kein Rentenanspruch.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte, wenn sie u.a. voll erwerbsgemindert sind. Dies ist dann der Fall, wenn ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 SGB VI). Gemäß § 240 SGB VI besteht für vor dem 02.01.1961 geborene Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie berufsunfähig sind. Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken ist.
Mit der Beklagten geht der Senat zunächst davon aus, dass der Kläger seit August 2004 nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Darlegungen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr.M. vom 17.08.2006 mit Ergänzung vom 13.12.2006. Dr.M. führt aus, dass anlässlich der ersten nervenärztlichen Begutachtung im Auftrag der Beklagten vom 11.06.2002 der deutlich erhöhte Alkoholkonsum auffiel, weshalb der Alkoholmissbrauch in den Vordergrund gestellt wurde. Ansonsten erschien der Kläger nach den Darlegungen von Dr.D. psychisch unauffällig und er hielt ihn noch für vollschichtig einsatzfähig. Gleiches ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. R. , der eine Einschränkung des Alkoholkonsums empfahl. Im Sommer 2004 wurde der Kläger sodann von der Polizei aufgegriffen, wobei er lebensmüde Gedanken äußerte und versucht hatte, Selbstmord zu begehen. Es kann seinerzeit zur Zwangseinweisung in das Krankenhaus A. , wo der Kläger bis 01.12. bzw. 06.12.2004 verblieb. Als Ergebnis der von Dr.M. durchgeführten Begutachtung anlässlich der stationären Aufnahme im Juli 2006 steht fest, dass der Kläger an einer typischen bipolaren Störung mit depressiven, hypomanen, zum Teil auch manischen Episoden leidet. Dr.M. führt aus, dass der Kläger nach der schweren depressiven Episode im Jahr 2004 in eine hypomane Episode während seines anschließenden Aufenthalts in Kroatien umkippte. Anlässlich der Begutachtung durch Dr.B. im März 2005 bestand noch das Vollbild eines manischen Syndroms, das sich im September 2005 noch in abgemilderter Form einer ausklingenden hypomanen Episode zeigte. Seit April 2006 hat sich sodann wieder eine depressive Episode entwickelt. Ab August 2004 hat sich somit eine ausgeprägte chronifizierte Störung im Rapid-cycling-Phänomen abgezeichnet, was bedeutet, dass der Kläger ohne Phasen der Teilremmission zwischen den Phasen der Depression und Hypomanie wechselte. Während Dr.M. ab der Rückkehr des Klägers im Mai 2003 nach Deutschland von einer mangelnden Umstellungsfähigkeit ausgeht, wobei allerdings das Arbeitsleistungsvermögen noch für sechs Stunden täglich bestand, war ab August 2004 das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken.
Damit liegt beim Kläger ab August 2004 volle Erwerbsminderung vor. Ein früherer Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung, etwa ab dem vom Kläger begehrten Datum der Antragstellung im März 2002 kommt hingegen nicht in Betracht. Nach übereinstimmender Auffassung von Dr.M. , Dr.D. und Dr.M. muss bis einschließlich Juli 2004 von einem täglich sechsständigen Arbeitsleistungsvermögen ausgegangen werden, wobei Dr.M. auch die für den maßgebenden Beruf des EDV-Beraters bzw. Programmierers nötige Konzentrationsfähigkeit sowie Handlungs- und Planungsfähigkeit als noch gegeben angesehen hat. Dr.M. schließt dies insbesondere aus der Verhaltensbeobachtung über drei Tage im stationären Umfeld, als der Kläger über längere Zeit konzentriert an seinen Bauplänen arbeiten konnte und dass er auch in der Lage gewesen ist, ein eigenständiges Unternehmen zu gründen. Damit kommt für die Zeit bis Juli 2004 auch die Annahme von teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht. Die von Dr.S. vertretene Auffassung (offenbar für die Privatversicherung des Klägers) einer bereits 2002 bestehenden Berufsunfähigkeit kann somit für die gesetzliche Rentenversicherung nicht übernommen werden.
Nach der Auffassung des Senats kann der Beklagten aber insoweit nicht gefolgt werden, als diese lediglich eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung anzuerkennen in der Lage war. Zwar werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet (§ 102 Abs.2 Satz 1 SGB VI). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden hingegen unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI). Nachdem die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf täglich unter drei Stunden abgesunken ist, besteht sein Rentenanspruch unstreitig unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage aus reinen medizinischen Gründen. Die Rente ist auch unbefristet zu leisten, da es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr.M. , der ausführt, dass auf Grund der Chronifizierung und der Persönlichkeitsstörung die Prognose ungünstig erscheine, so dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Kläger (innerhalb von zwei Jahren) unter konsequenter psychiatrisch-psychotherapeutischer Therapie eine Besserung des beruflichen Leistungsvermögens erreicht. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass eine gutachtenrelevante Besserung unter konsequenter Therapie zu erreichen sei. Diese letzte Aussage reicht zur Überzeugung des Senats nicht aus, die Unwahrscheinlichkeit der Besserung zu verneinen. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn die Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach medizinischen Erkenntnissen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Rentenbeginn nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist (KassKomm-Niesel, § 102 SGB VI Rdnr.13). Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich. Die von Dr.M. genannte entfernte Möglichkeit reicht zur Überzeugung des Senats nicht aus, die Unwahrscheinlichkeit einer Besserung zu entkräften.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts München sowie die Entscheidung der Beklagten und der Bescheid vom 04.10.2006 waren deshalb entsprechend abzuändern unter Verurteilung der Beklagten zur Rentenleistung ab 01.09.2004.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu drei Vierteln zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung im März 2002.
Der 1952 geborene Kläger hat nach seinen Angaben im Jahre 1978 eine Programmierer-Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und zwischen 1982 und 1984 eine Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt. Er hat sodann, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, als Programmierer gearbeitet, in den Jahren 1995 und 1996 sowie 2000 und 2001 war er selbständig. Seit 01.11.2001 ist der Kläger arbeitslos bzw. krank.
Am 18.03.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diese holte Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.D. vom 13.06.2002 sowie des Internisten Dr.R. vom 04.07.2002 ein. Die Sachverständigen hielten den Kläger noch für in der Lage, als Programmierer täglich sechs Stunden und mehr zu arbeiten. Zu vermeiden seien Überstunden und Stressbelastungen.
Mit Bescheid vom 19.08.2002 und Widerspruchsbescheid vom 24.06.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil der Kläger in seinem Beruf als Programmierer noch täglich sechs Stunden zu arbeiten in der Lage sein. Im Widerspruchsverfahren hatte die Beklagte ein Gutachten der Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Dr.S. vom 20.01.2003 eingeholt, die die Auffassung vertreten hatte, trotz Hörgeräteversorgung sei der Kläger nur bedingt in einem beruflichen Umfeld einsetzbar, das mit primärer akustischer Kommunikation einhergehe. Hierzu hat sich der beratende Arzt Dr.S. am 18.03.2003 geäußert.
Im anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht München Klage hat der Kläger den "Bericht des nachuntersuchenden Arztes" Dr.S. vom 01.10.2002 vorgelegt, wonach aus ärztlicher Sicht "Berufsunfähigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen" gegeben sei.
Das Sozialgericht hat zunächst ein Gutachten des Internisten und Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr.S. vom 28.05.2004 eingeholt, das dieser nach Aktenlage erstattete, nachdem der Kläger Vorladungen zur persönlichen Untersuchung nicht nachgekommen war. Der Sachverständige hielt den Kläger für leichte und mittelschwere Arbeiten in wechselnden Körperhaltung vorwiegend in geschlossenen Räumen sowie im Freien unter Vermeidung von ungünstigen klimatischen Umständen wie große Hitze oder Kälte, ausgeprägter Luftfeuchtigkeit oder Trocken-heit, Schadstoffbelastung, Staubbelastung, starkgradige Infektionsgefährdung bei Publikumsverkehr, vollschichtig einsatzfähig.
Der Kläger befand sich sodann vom 18.08.2004 bis 01.12.2004 und 01.12. bis 06.12.2004 in der Klinik des Bezirks Oberbayern am Krankenhaus A ... Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. führte im Gutachten vom 18.03.2005 aus, infolge der Angetrunkenheit des Klägers bei der stattgefundenen persönlichen Untersuchung sei eine Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers nervenärztlicherseits nicht möglich.
Das Sozialgericht holte sodann das von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie Dr.M. aufgrund stationärer Untersuchung des Klägers vom 21.09.2005 bis 23.09.2005 erstattete weitere Gutachten ein. Dieser erklärte, der Kläger sei in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen mindestens sechs Stunden täglich durchzuführen. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auf eine regelmäßige Frischluftzufuhr sei zu achten.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2006 hat das Sozialgericht daraufhin die Klage abgewiesen. Der Kläger sei sowohl im bisherigen Beruf als EDV-Berater/Programmierer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr arbeitsleistungsfähig, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliege.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung erneut auf die Beurteilung durch Dr.S. vom 01.10.2002 Bezug genommen.
Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat das von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr.M. am 17.08.2006 auf Grund eines stationären Aufenthalts vom 24.07.2006 bis 26.07.2006 in der R.-Klinik, Bad D. , erstattete Gutachten eingeholt. Dieser stellte fest, auf Grund der vorliegenden bipolaren Störung könne der Kläger nur noch weniger als drei Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einer Tätigkeit nachgehen. Diese quantitative Leistungseinschränkung sei ab August 2004 festzustellen, da sich ab diesem Zeitpunkt eine ausgeprägte chronifizierte Störung mit Rapid-cycling-Phänomen abgezeichnet habe. Auf Grund der Chronifizierung und der Persönlichkeitsstörung erscheine die Prognose ungünstig, so dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Kläger innerhalb von zwei Jahren unter konsequenter psychiatrisch-psychotherapeutischer Therapie eine Besserung des beruflichen Leistungsvermögens erreiche. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass eine gutachtenrelevante Besserung unter konsequenter Therapie zu erreichen sei. Auf andere als die bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit könne sich der Kläger nicht umstellen.
Die Beklagte hat daraufhin einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Grund einer im August 2004 eingetretenen Leistungsminderung für die Zeit vom 01.03.2005 bis 31.08.2008 anerkannt und einen entsprechenden Bescheid am 04.10.2006 erteilt.
Dieses Angebot hat der Kläger nicht angenommen, weil eine Leistungseinschränkung bereits ab August 2004 festgestellt worden sei und er beantrage weiterhin die Gewährung einer Rente bereits ab März 2002.
Auf Anregung der Beklagten hat der Senat von Dr.M. eine ergänzende Stellungnahme vom 03.12.2006 eingeholt. Danach sei ab Mai 2003, als der Kläger aus Kroatien nach Deutschland zurückgekehrt sei, davon auszugehen, dass er krankheitsbedingt die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit nicht mehr besessen habe, sich in eine neue Berufstätigkeit einarbeiten zu können. Die Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens sei jedoch erst ab August 2004 darstellbar.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 23.02.2006 sowie den Bescheid vom 13.08.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2003 aufzuheben sowie den Bescheid vom 04.10.2006 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm bereits ab März 2002 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, soweit dieser Rente über das von der Beklagten abgegebene Vergleichsangebot hinaus begehre.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im Übrigen Bezug genommen auf den Inhalt der Akten des Gerichts und der Beklagten sowie der beigezogenen Klageakten des Sozialgerichts München, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist auch insoweit begründet, als der Kläger auf Grund eines im August 2004 eingetretenen Leistungsfalls ab 01.09.2004 Anspruch auf unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung hat. Für die Zeit zwischen Rentenantrag und August 2004 besteht hingegen kein Rentenanspruch.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Versicherte, wenn sie u.a. voll erwerbsgemindert sind. Dies ist dann der Fall, wenn ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 SGB VI). Gemäß § 240 SGB VI besteht für vor dem 02.01.1961 geborene Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie berufsunfähig sind. Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken ist.
Mit der Beklagten geht der Senat zunächst davon aus, dass der Kläger seit August 2004 nicht mehr in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Darlegungen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr.M. vom 17.08.2006 mit Ergänzung vom 13.12.2006. Dr.M. führt aus, dass anlässlich der ersten nervenärztlichen Begutachtung im Auftrag der Beklagten vom 11.06.2002 der deutlich erhöhte Alkoholkonsum auffiel, weshalb der Alkoholmissbrauch in den Vordergrund gestellt wurde. Ansonsten erschien der Kläger nach den Darlegungen von Dr.D. psychisch unauffällig und er hielt ihn noch für vollschichtig einsatzfähig. Gleiches ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. R. , der eine Einschränkung des Alkoholkonsums empfahl. Im Sommer 2004 wurde der Kläger sodann von der Polizei aufgegriffen, wobei er lebensmüde Gedanken äußerte und versucht hatte, Selbstmord zu begehen. Es kann seinerzeit zur Zwangseinweisung in das Krankenhaus A. , wo der Kläger bis 01.12. bzw. 06.12.2004 verblieb. Als Ergebnis der von Dr.M. durchgeführten Begutachtung anlässlich der stationären Aufnahme im Juli 2006 steht fest, dass der Kläger an einer typischen bipolaren Störung mit depressiven, hypomanen, zum Teil auch manischen Episoden leidet. Dr.M. führt aus, dass der Kläger nach der schweren depressiven Episode im Jahr 2004 in eine hypomane Episode während seines anschließenden Aufenthalts in Kroatien umkippte. Anlässlich der Begutachtung durch Dr.B. im März 2005 bestand noch das Vollbild eines manischen Syndroms, das sich im September 2005 noch in abgemilderter Form einer ausklingenden hypomanen Episode zeigte. Seit April 2006 hat sich sodann wieder eine depressive Episode entwickelt. Ab August 2004 hat sich somit eine ausgeprägte chronifizierte Störung im Rapid-cycling-Phänomen abgezeichnet, was bedeutet, dass der Kläger ohne Phasen der Teilremmission zwischen den Phasen der Depression und Hypomanie wechselte. Während Dr.M. ab der Rückkehr des Klägers im Mai 2003 nach Deutschland von einer mangelnden Umstellungsfähigkeit ausgeht, wobei allerdings das Arbeitsleistungsvermögen noch für sechs Stunden täglich bestand, war ab August 2004 das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich abgesunken.
Damit liegt beim Kläger ab August 2004 volle Erwerbsminderung vor. Ein früherer Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung, etwa ab dem vom Kläger begehrten Datum der Antragstellung im März 2002 kommt hingegen nicht in Betracht. Nach übereinstimmender Auffassung von Dr.M. , Dr.D. und Dr.M. muss bis einschließlich Juli 2004 von einem täglich sechsständigen Arbeitsleistungsvermögen ausgegangen werden, wobei Dr.M. auch die für den maßgebenden Beruf des EDV-Beraters bzw. Programmierers nötige Konzentrationsfähigkeit sowie Handlungs- und Planungsfähigkeit als noch gegeben angesehen hat. Dr.M. schließt dies insbesondere aus der Verhaltensbeobachtung über drei Tage im stationären Umfeld, als der Kläger über längere Zeit konzentriert an seinen Bauplänen arbeiten konnte und dass er auch in der Lage gewesen ist, ein eigenständiges Unternehmen zu gründen. Damit kommt für die Zeit bis Juli 2004 auch die Annahme von teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht. Die von Dr.S. vertretene Auffassung (offenbar für die Privatversicherung des Klägers) einer bereits 2002 bestehenden Berufsunfähigkeit kann somit für die gesetzliche Rentenversicherung nicht übernommen werden.
Nach der Auffassung des Senats kann der Beklagten aber insoweit nicht gefolgt werden, als diese lediglich eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung anzuerkennen in der Lage war. Zwar werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auf Zeit geleistet (§ 102 Abs.2 Satz 1 SGB VI). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden hingegen unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs.2 Satz 4 SGB VI). Nachdem die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf täglich unter drei Stunden abgesunken ist, besteht sein Rentenanspruch unstreitig unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage aus reinen medizinischen Gründen. Die Rente ist auch unbefristet zu leisten, da es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr.M. , der ausführt, dass auf Grund der Chronifizierung und der Persönlichkeitsstörung die Prognose ungünstig erscheine, so dass es eher unwahrscheinlich sei, dass der Kläger (innerhalb von zwei Jahren) unter konsequenter psychiatrisch-psychotherapeutischer Therapie eine Besserung des beruflichen Leistungsvermögens erreicht. Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass eine gutachtenrelevante Besserung unter konsequenter Therapie zu erreichen sei. Diese letzte Aussage reicht zur Überzeugung des Senats nicht aus, die Unwahrscheinlichkeit der Besserung zu verneinen. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn die Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach medizinischen Erkenntnissen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Rentenbeginn nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist (KassKomm-Niesel, § 102 SGB VI Rdnr.13). Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich. Die von Dr.M. genannte entfernte Möglichkeit reicht zur Überzeugung des Senats nicht aus, die Unwahrscheinlichkeit einer Besserung zu entkräften.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts München sowie die Entscheidung der Beklagten und der Bescheid vom 04.10.2006 waren deshalb entsprechend abzuändern unter Verurteilung der Beklagten zur Rentenleistung ab 01.09.2004.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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