L 11 B 580/07 AS ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 431/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 580/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 11.06.2007 abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wegen Anrechnung des Einkommens des Partners im Rahmen einer eheähnlichen Gemeinschaft.

Die 1960 geborene Antragstellerin wohnt zusammen mit dem 1955 geborenen R. G. (im Folgenden G) in dessen Dreizimmerwohnung. Sie ist seit 01.04.2002 dort gemeldet. Einen Untermietvertrag gibt es nicht, da G als Mieter der Wohnung die Untervermietung nicht gestattet ist. Der Antragstellerin steht ein eigenes, 10 qm großes Zimmer zur Verfügung, Wohnzimmer, Küche und Bad werden von ihr mitbenutzt. G hat regelmäßige Einkünfte, die Antragstellerin hat keine Einkünfte. Miete zahlt sie nicht.

Bis 31.10.2006 bezog die Antragstellerin Alg II in Höhe von 345,00 EUR. Den Fortzahlungsantrag lehnte die Antragsgegnerin wegen der Vermutung des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft ab (Bescheid vom 17.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006). Klage hiergegen hat die Antragstellerin nicht erhoben, im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist die Antragsgegnerin jedoch verpflichtet worden, bis 31.03.2007 Alg II ohne Zugrundelegung einer Bedarfsgemeinschaft zu erbringen. Zwar liege eine eheähnliche Gemeinschaft vor, jedoch habe die Antragsgegnerin die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des G nicht in ausreichendem Umfang zu ermitteln versucht (Beschluss des Sozialgerichts Würzburg - SG - vom 21.12.2006, S 9 AS 676/06 ER).

Im Rahmen eines erneuten Antrages vom 21.03.2007 hat G sein Einkommen dargelegt und die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 03.05.2007 sowie nach Widerspruch vom 03.05.2007 mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2007 den Antrag abgelehnt. Es bestehe nach wie vor die Vermutung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft. Damit sei das Einkommen des G anzurechnen und eine Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht mehr gegeben. Hiergegen hat diese Klage zum SG Würzburg - S 15 AS 386/07 - erhoben und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend gestellt, Alg II weiter zu gewähren. Über die gleichzeitig beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das SG bislang noch nicht entschieden.

Mit Beschluss vom 11.06.2007 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin ab sofort vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 30.09.2007, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ohne Zugrundelegung einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn G mit einem Abschlag von 20 vH zu bewilligen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Unter Wiederholung der vom 11. Senat des Bayer. Landessozialgerichts zusammengefassten Grundsätze bezüglich der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das SG unter Bezugnahme auf den Beschluss des SG im Verfahren S 9 AS 676/06 ER von offenen Erfolgsaussichten wegen bestehender Zweifel am Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgegangen. Weitere Ermittlungen diesbezüglich seien von der Antragsgegnerin bisher nicht vorgenommen worden. Ein Anordnungsgrund bestehe. Vorläufige Leistungen seien jedoch nur unter Berücksichtigung eines Abschlages und nur für die Zukunft bis längstens 30.09.2007 zu erbringen, denn die Antragsgegnerin habe im Bescheid vom 03.05.2007 auch nur eine Berechnung der Leistung bis 30.09.2007 vorgenommen.

Dagegen hat die Antragsgegnerin Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die gesetzliche Vermutung bestehe weiterhin, sie sei nicht widerlegt. Für weitere Ermittlungen der Antragsgegnerin diesbezüglich habe kein Anlass bestanden.

Die Antragstellerin hat ausgeführt, den Nachweis der Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung habe die Antragsgegnerin zu führen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Antragsgegnerin, die Akten des SG S 9 AS 676/06 ER, S 9 AS 651/06 ER, S 15 AS 386/07 und S 15 AS 431/07 ER sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Der Beschluss des SG ist abzuändern. Die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung ist aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist insgesamt abzulehnen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86b RdNr 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; zuletzt BVerfG vom 15.01.2007 - 1 BvR 2971/06 -).

In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an die Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist, denn soweit schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden können, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO).

Vorliegend ist das Bestehen eines Anordnungsanspruches von der Antragstellerin nicht nachgewiesen. Gemäß § 7 Abs 2, Abs 3 Nr 3c SGB II in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung erhalten Leistungen auch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Gemäß § 7 Abs 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner u.a. länger als 1 Jahr zusammenleben. Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin ist seit 01.04.2002 unter der Adresse des G gemeldet und wohnt mit diesem zusammen. Dabei wird ein Teil der Wohnung gemeinsam benutzt und die Antragstellerin zahlt keine Miete. Es ist daher von einem Zusammenleben iS dieser Regelung auszugehen, sodass die Vermutung für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II spricht. Die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung sind damit gegeben. Damit aber ist das Einkommen des G anzurechnen.

Diese Vermutung ist auch von der Antragstellerin nicht widerlegt worden. Ausreichend dafür ist nicht die Behauptung, dass der Vermutungstatbestand nicht erfüllt sei; erforderlich ist, dass der Betroffene darlegt und nachweist, dass alle Kriterien des § 7 Abs 3a SGB II nicht erfüllt werden bzw die Vermutung durch andere Umstände entkräftet wird (vgl BT-Drs 16/1410 S 49). Bislang beschränkt sich die Antragstellerin wie auch G auf die bloße Behauptung, eine Bedarfsgemeinschaft liege nicht vor. Dies genügt den Anforderungen an eine Widerlegung der Vermutungsregelung nicht.

Vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw einer Bedarfsgemeinschaft in diesem Sinne ist auch das SG im Beschluss vom 21.12.2006 - S 9 AS 676/06 ER - (vgl dort S 8 erster Absatz) ausgegangen, nur hielt es weitere Ermittlungen der Antragsgegnerin zum Einkommen des G für erforderlich. Von daher sind auch keine weiteren Ermittlungen der Antragsgegnerin zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft erforderlich geworden, denn von der Antragstellerin sind keine Anhaltspunkte dargelegt worden, die weitere Ermittlungen zur Widerlegung der Vermutungsregelung erforderlich machen würden. Zum Einkommen des G sind keine weiteren Ermittlungen erforderlich.

Aufgrund des Eingreifens der Vermutungsregelung sind die Erfolgsaussichten damit abschließend iS der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes geklärt.

Nach alledem war der Beschluss des SG abzuändern und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abzulehnen. Offen gelassen werden kann, ob die Antragsgegnerin durch die Angabe eines Zeitraumes in den Berechnungen zur Ablehnung der Leistung eine zeitliche Begrenzung der Ablehnung vorgenommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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