L 2 U 338/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 435/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 338/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. September 2006 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2004 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Tinnitus als weitere Folge des Unfallereignisses vom 30. Oktober 2002 anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente zu gewähren ist.

Der 1951 geborene Kläger war Lkw-Fahrer. Beim Abladen war ihm am 30. Oktober 2002 ein ca. 9 kg schweres Kantholz auf den Kopf gefallen. Der Durchgangsarzt Dr. W. diagnostizierte eine Schädelprellung mit Verdacht auf Commotio cerebri sowie eine oberflächliche Schürfung. Eine stationäre Beobachtung blieb unauffällig. Am 5. November 2002 klagte der Kläger über zunehmende Schmerzen zwischen den Schulterblättern, ein Schwindelgefühl sowie über das Auftreten eines hellen Pfeiftons in beiden Ohren. Eine Kernspintomographie des Schädels und der Halswirbelsäule (HWS) vom 7. November 2002 ergaben einen Normbefund des Neurocraniums sowie eine Streckfehlhaltung mit osteodegenerativen Veränderungen bei C4 bis C7 mit mediolateral rechtsseitiger Retrospondylose C5 bis C7. Der HNO-Arzt Dr. H. stellte am 12. November 2002 einen Tinnitus aurium, eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits sowie einen Zustand nach traumatischem Anpralltrauma fest. Dr. W. bescheinigte am 17. Januar 2003 erneute Arbeitsunfähigkeit ab 16. Januar 2003 aufgrund eines verbliebenen Tinnitus mit erheblichen Durchschlafstörungen.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden Dr. G. vom 3. April 2003 ein, wonach es durch den Unfall zu einer Verstauchung der HWS gekommen sei. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis 8. Dezember 2002 bestanden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab 9. Dezember 2002 unter 10 v.H.

Der als Gutachter gehörte HNO-Arzt Dr. O. wies darauf hin, dass Traumen der HWS als mögliche Auslöser eines Tinnitus in Betracht kämen. Der vertebragene Tinnitus nach Verstauchung der HWS sei als Unfallfolge anzusehen. Die MdE betrage 10 v.H. Der beratende Arzt Dr. G. konnte sich in einer Stellungnahme nach Aktenlage vom 6. Juni 2003 für die Beklagte dieser Einschätzung nicht anschließen. Die seit fast 10 Jahren bestehenden, nachgewiesenen HWS-Veränderungen seien nicht berücksichtigt worden.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2003 lehnte die Beklagte daraufhin einen Anspruch auf Rente ab. Das Ereignis habe keine Folgen hinterlassen. Eine beginnende Innenohrschwerhörigkeit beidseits sei als unfallunabhängig zu werten. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte ein weiteres HNO-ärztliches Gutachten des Dr. K. vom 31. März 2004 ein. Unfallunabhängig sei ein beginnender Lärmschaden. Der Tinnitus sei möglicherweise durch eine leichte Verletzung der vorgeschädigten HWS ausgelöst worden. Er sei deshalb als unfallbedingt mit einer MdE um maximal 10 v.H. zu bewerten.

Die beratende HNO-Ärztin Dr. B. vertrat demgegenüber am 2. Mai 2004 die Ansicht, der Tinnitus sei überwiegend Folge degenerativer HWS-Veränderungen. Dr. K. führte ergänzend aus, der Zusammenhang mit dem Unfall müsse als sicher angesehen werden. Der beratende Arzt Dr. G. legte ergänzend dar, das verhältnismäßig geringe Trauma sei als untergeordnet zu bezeichnen; der Kläger habe unmittelbar nach dem Unfall keine subjektiven Ohrgeräusche bemerkt. Der Tinnitus sei nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall, sondern auf die erheblichen, unfallunabhängigen degenerativen HWS-Veränderungen zurückzuführen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2004 zurück.

Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Augsburg. Das Sozialgericht holte u.a. Befundberichte der behandelnden Ärzte ein und beauftragte Frau Prof. Dr. S. mit der Erstellung eines HNO-ärztlichen Gutachtens. Diese ging davon aus, dass es mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall zu einer nennenswerten Verschlechterung des Hörvermögens gekommen sei. Über das Ausmaß einer Schwerhörigkeit könne keine Aussage gemacht werden, da der dringende Verdacht auf eine Pseudohypakusis (Scheinschwerhörigkeit) bestehe. Da der Tinnitus in einem Frequenzbereich liege, der für ein stumpfes Schädeltrauma bzw. eine Contusio labyrinthi uncharakteristsich sei, müsse er im Zusammenhang mit einem HWS-Schleudertrauma oder einem degenerativen HWS-Syndrom gesehen werden. Es käme damit aufgrund des bestehenden Vorschadens nur eine Verschlimmerung in Betracht. Die abgrenzbare Verschlimmerung betreffe nicht den Tinnitus an sich, sondern nur den Entstehungsmechanismus. Da bereits ein Vorschaden der HWS vorgelegen habe, betrage die MdE unter 10 v.H.

Der Neurologe und Psychiater Dr. A. konnte in seinem Gutachten vom 27. April 2006 keine Unfallfolgen auf nervenärztlichem Fachgebiet feststellen. Eine depressive Anpassungsstörung sei als Reaktion auf Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, körperliche Beschwerden im Rahmen eines HWS-Syndroms sowie eines Tinnitus zu bewerten. Nur für den Fall, dass von einem unfallbedingten Tinnitus auszugehen sei, sei die Tinnitussymptomatik Mitursache einer begleitenden depressiven Reaktion. Die MdE sei dann auf 20 v.H. einzuschätzen.

Prof. Dr. S. führte ergänzend am 16. Juni 2006 aus, da der Tinnitus teilweise auf den Unfall zurückzuführen sei, sei auch die Anpassungsstörung teilweise als Unfallfolge anzusehen. Die unfallbedingte MdE werde unter Einbezug des Gutachtens des Dr. A. auf 10 v.H. eingeschätzt. Der Tinnitus wäre mit Wahrscheinlichkeit nicht in dem entsprechenden Ausmaß aufgetreten, wenn nicht ein Vorschaden vorgelegen hätte.

Mit Urteil vom 25. September 2006 hob das Sozialgericht den Bescheid teilweise auf und verurteilte die Beklagte, als Folge des Arbeitsunfalls einen Tinnitus beidseits anzuerkennen und mit einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu entschädigen. Sämtliche Gutachter, die den Kläger untersucht haben, seien davon ausgegangen, dass der Tinnitus auf die Verstauchung der HWS beim Unfall zurückzuführen sei. Nach der Einschätzung der Gutachter und der maßgeblichen Begutachtungsliteratur sei der Tinnitus mit einer MdE in Höhe von 10 v.H. zu bewerten. Diese erhöhe sich auf 20 v.H., wenn nicht unbedeutende psychische Folgeerscheinungen vorlägen, wie sie von Dr. A. dargelegt würden. Der Ansicht der Prof. Dr. S. , dass der Tinnitus nur als abgrenzbare Verschlimmerung auf den Unfall zurückzuführen sei, könne nicht gefolgt werden. Eine Verschlimmerung liege nicht vor, da der Tinnitus erstmals nach dem Unfall aufgetreten sei. Fragen der Vorschäden seien bei den Überlegungen zur Kausalität zu berücksichtigen, nicht im Rahmen einer Verschlimmerung.

Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgebracht, ein Tinnitus als alleiniges Symptom lasse sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen. Die Ohrgeräusche, die erst am 5. November 2002 aufgetreten seien, seien nicht charakteristisch für ein stumpfes Schädeltrauma. Es sei unwahrscheinlich, dass ein derart geringes Schädeltrauma zu dem Tinnitus geführt haben könne. Dem unfallbedingten Schädeltrauma komme allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zu. Im Übrigen sei die MdE-Bewertung zu beanstanden, da eine psychische Überlagerung der Ohrgeräusche durch die Persönlichkeit des Klägers gegeben sei. Bei einer depressiven Anpassungsstörung könne eine Bewertung der Ohrgeräusche mit einer MdE um 20 v.H. nicht nachvollzogen werden.

Der Kläger hat sich auf die Ausführungen des Sozialgerichts sowie die Gutachten des Dr. O. , Dr. K. , Prof. Dr. S. und Dr. A. bezogen.

Der Senat hat ein HNO-Gutachten des Prof. Dr. A. vom 28. März 2007 eingeholt. Aufgrund der erhobenen Befunde bestehe eine beidseitige, annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit, die als Ursache für den geklagten Tinnitus geeignet sei. Selbst bei Annahme einer Stauchungsverletzung der HWS führe dies aber nicht zur Entstehung eines Tinnitus. Der beim Kläger geklagte Tinnitus liege in einem Bereich, der in die beidseits vorhandene Hochtonsenke der Hörkurven falle. Die Hochtonsenken seien auf eine berufsbedingte, chronische Lärmbeeinflussung zurückzuführen. Der Tinnitus sei daher Folge der bereits schon vorher bestandenen Innenohrschwerhörigkeit. Der Tieftonanteil sei als schicksalsbedingt im Sinne einer primär degenerativen Innenohrschwerhörigkeit einzustufen. Die MdE sei auf HNO-ärztlichem Fachgebiet mit 0 v.H. zu bewerten.

Der Kläger hat Audiogramme vorgelegt. In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Gutachter ausgeführt, aus dem Verlauf der Tonschwellenkurve lasse sich zwischen 1997 und 2000 ein progredienter, letztlich primär degenerativer Hörschaden feststellen. Diese Progredienz habe sich unfallunabhängig fortgesetzt, so dass im März 2007 der weitere Verlust des Hörvermögens im Tieftonbereich eingetreten sei. Damit ändere sich nichts an dem Gutachtensergebnis und der -argumentation.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. September 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25. September 2006 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Klage-, Berufungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Der beidseitige Tinnitus ist nicht als Folge des Arbeitsunfalls vom 30. Oktober 2002 anzuerkennen, so dass sich auch kein Anspruch auf eine Rente ergibt.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente, § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, § 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSGE 21, 63, 66; v. 26.11.1987, SozR 2200 § 581 Nr. 27; v. 30.05.1988, a.a.O., Nr. 28).

Dabei muss die Gesundheitsbeeinträchtigung in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.

Aufgrund der aktuellen Untersuchungsbefunde sowie unter Berücksichtigung der vorgelegten Audiogramme seit 1992 bzw. 1997 führte der medizinische Sachverständige Prof. Dr. A. überzeugend aus, dass - was nicht bestritten war - die beidseitige, annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit nicht unfallbedingt ist. Diese ist als Ursache für den geklagten Tinnitus anzusehen. Ob die Schwerhörigkeit im Hochtonbereich auf chronische, eventuell berufsbedingte Lärmbelästigungen im Sinne der Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV zurückzuführen ist, kann der Senat dahingestellt lassen, da es sich hierbei um einen eigenständigen Versicherungsfall im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VII handelt, der nicht Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die vertikale Gewalteinwirkung auf den Schädel nicht derart stark war, dass sie zu einer Fraktur oder zu nachweisbaren morphologischen Veränderungen geführt hat. Nach dem Durchgangsarztbericht vom Tag nach dem Unfall war eine diskrete Schürfung festzustellen. Die Umgebung war gering geschwollen mit Druckschmerzhaftigkeit. Der Kläger war auch nach eigenen Angaben nicht bewusstlos. Bereits hieraus ergeben sich erhebliche Zweifel, dass unfallbedingt ein Tinnitus ausgelöst werden konnte. Aber auch bei Annahme einer ausreichend starken Gewalteinwirkung sind die Anzeichen für eine chronische Lärmbeeinflussung maßgeblich zu berücksichtigen. Beim Kläger besteht eine beidseitige, annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit, die den geklagten Tinnitus erklärt. Aus den vorgelegten Audiogrammen ergibt sich ferner, dass die Schwerhörigkeit seit 1997, also Jahre vor dem Unfall, progredient zugenommen hat. Diagnostisch konnte ein Innenohrhaarzellschaden nachgewiesen werden. Schließlich fällt der lokalisierte Frequenzbereich (3000 Hz) in die beidseits vorhandene Hochtonsenke der Hörkurven, die auf die chronische Lärmbeeinflussung zurückzuführen ist. Diese Faktoren sprechen dafür, dass der Tinnitus Folge der Innenohrschwerhörigkeit ist, die nicht als unfallbedingt anzusehen ist, sondern eventuell durch berufliche Lärmbeeinträchtigung verursacht wurde.

Auch die Vorgutachterin Prof. Dr. S. hat in ihrem Gutachten deutlich gemacht, dass der Tinnitus in einem Frequenzbereich liegt, der für ein stumpfes Schädeltrauma bzw. eine Contusio labyrinthi uncharakteristisch ist. Sie ging im Ergebnis allerdings, anders als Prof. Dr. A. , von einem Zusammenhang mit einer Schädigung der HWS aus. Nach dem orthopädischen Gutachten des Dr. G. , das der Senat im Rahmen des Urkundenbeweises in seine Beweiswürdigung einbezieht, kam es durch den Unfall zu einer - geringfügigen - Verstauchung der HWS. Jedoch bestehen auch erhebliche Vorschädigungen der HWS, wie sich aus den vorliegenden Unterlagen, u.a. den Meldungen der Krankenkasse und dem MRT vom 7. November 2002, ergibt. Prof. Dr. S. legt deshalb dar, dass sowohl die degenerative HWS-Schädigung als auch die Verstauchung der HWS mitursächlich für den Tinnitus seien. Selbst wenn der Senat seiner Entscheidung das Gutachten der Prof. Dr. S. zugrunde legt, kann nach seiner Überzeugung ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Tinnitus nicht abgeleitet werden. Insoweit verkennt die Gutachterin die Bedeutung des Vorschadens der HWS. Der Kläger beklagt Wirbelsäulenbeschwerden seit etwa 1990. Das MRT kurz nach dem Unfall ergab bereits degenerative Veränderungen bei C4 bis C7 mit einer mediolateralen rechtsseitigen Retrospondylose C5 bis C7. Dr. G. stellte dementsprechend ausgeprägte degenerative Veränderungen und eine chronische muskuläre Wirbelsäuleninsuffizienz fest. Zur Beurteilung des notwendigen Ursachenzusammenhangs für das Auftreten des Tinnitus ist darauf abzustellen, ob der Unfall gegenüber den Vorerkrankungen von überragender Bedeutung für die Entstehung des Tinnitus oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung war (wesentliche Mitursache). Eine Entstehung des Tinnitus durch den Unfall verneint jedoch auch die Gutachterin ausdrücklich. Eine Verschlimmerung der Ohrgeräusche scheidet aber aus, da diese unstreitig erst nach dem Unfall aufgetreten sind. Lässt man diese Ungenauigkeit unbeachtet, ist zu berücksichtigten, dass - wie auch Prof. Dr. S. an mehreren Stellen deutlich macht - der Tinnitus nicht durch das Stauchungstrauma entstanden wäre, wenn nicht ein Vorschaden der HWS vorgelegen hätte. Nach ihrer Ansicht wäre zwar der Tinnitus ohne den Unfall nicht in diesem Ausmaß aufgetreten. Der Senat konnte sich allerdings nicht davon überzeugen, dass bei Zugrundelegung der medizinischen Fachansicht der Prof. Dr. S. der Unfall, der wie dargelegt nicht zu gravierenden Schäden an dem Schädel und der HWS führte, gegenüber den degenerativen HWS-Schäden von überragender oder zumindest annähernd gleichwertiger Bedeutung war. Vielmehr waren, worauf Dr. G. zutreffend hinweist, umgekehrt bereits gravierende degenerative HWS-Schädigungen vorhanden, die von nicht nur annähernd gleichwertiger Bedeutung für die Entstehung des Tinnitus waren wie das Unfallereignis. Insbesondere ist im Zusammenhang mit dem Unfall kein primäres Verletzungsbild dokumentiert; typische objektivierbare Verletzungsmerkmale fehlen.

Der Senat vermochte auch nicht dem Gutachten des Dr. O. zu folgen, da sich dieser nicht mit den bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden und -erkrankungen auseinander gesetzt hat.

Die Annahme des Dr. K. , der Tinnitus sei möglicherweise durch eine leichte Verletzung der vorgeschädigten HWS ausgelöst worden, erfüllt nicht das notwendige Maß der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden. Es ist im Weiteren nicht nachvollziehbar, weshalb der Gutachter das Vorliegen einer Vorschädigung der HWS für unerheblich erachtet und deshalb zu dem Schluss gelangt, der Zusammenhang mit dem Unfall müsse als sicher angesehen werden. Jedenfalls ist allein ein zeitliches Auftreten des Tinnitus nach dem Unfall nicht ausreichend, um eine Kausalität im unfallversicherungsrechtlichen Sinn zu begründen.

Zum anderen weist Prof. Dr. A. darauf hin, dass die strukturellen organischen Voraussetzungen für das Auftreten eines Tinnitus bereits vor dem Unfall bestanden haben. Die von Dr. A. beschriebene depressive Reaktion hat dem Kläger den Tinnitus erst nach dem Unfallereignis bewusst werden lassen.

Schließlich kann auch aus dem Gutachten des Dr. A. nicht abgeleitet werden, dass der Tinnitus Unfallfolge ist. Dieser lässt diese Frage ausdrücklich offen und stellt lediglich für den Fall, dass von einem unfallbedingten Tinnitus auszugehen sei, fest, dass die Tinnitussymptomatik Mitursache einer begleitenden depressiven Reaktion ist. Eine derartige Feststellung kann jedoch nach Ansicht des Senats aus den dargelegten Gründen nicht getroffen werden.

Der Senat kommt daher zum Ergebnis, dass der bestehende Tinnitus nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden kann. Es verbleibt damit bei der von Dr. G. festgestellten Verstauchung der HWS als Unfallfolge, die folgenlos ausgeheilt ist.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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