L 5 KR 24/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 KR 27/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 24/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Kostenerstattung für eine radiologische Entfernung von Hirnmetastasen im Cybernkife-Zentrum M ...

Die 1950 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin erkrankte 1993 an einem Mammakarzinom und war in der Folgezeit wegen Rezidiven einer kontinuierlichen Kontrolle unterzogen. Nach Auftreten von Schwindel, Übelkeit und Doppelbildersehen stellte das Klinikum K. am 26.10.2005 zwei neu ausgebildete Absiedelungen im Gehirn der Klägerin fest. In Auswertung dieses Befundes teilte die Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universitätsklinik B. am 07.11.2005 die Operabilität dieser Metastasen mit. Dort stellte sich die Klägerin am Montag 14.11.2005 vor und erhielt den Hinweis, dass durch das Cyberknife-Zentrum in M. , betrieben von den Neurochirurgen Dres. W. und M. , welches am 01.07.2005 in Betrieb genommen worden war, anstelle eines operativen Eingriffs eine ambulante Strahlenbehandlung möglich sei. Nach dortiger Untersuchung am 17.11.2005 beantragten die Dres. W. und M. mit Telefax vom Freitag 18.11.2005, 11.29 Uhr bei der Beklagten, die ambulante Strahlenbehandlung der beiden Hirnmetastasen zu bewilligen. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des MDK, welche noch am gleichen Tag erfolgte. Danach sei die begehrte radiochirurgische Behandlung mit einem Linearbeschleuniger in den Universitätsklinika E. , M. o.a. möglich. Allerdings sei die ambulante Radiochirurgie derzeit keine Kassenleistung, eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses hierzu fehle. Eine Vorstellung im Universitätsklinikum E. zur Strahlenbehandlung werde empfohlen.

Telefonisch teilte die Beklagte dieses Ergebnis der Klägerin noch am Montag den 21.11.2005 mit. Am gleichen Tag nahmen die Neurochirurgen Dres. W. und M. die Behandlung im Cyberknife-Zentrum vor. Hierfür stellten sie mit Privatabrechnung vom 13.12.2005 7.513,18 Euro in Rechnung.

Mit schriftlichem Bescheid vom 22.11.2005/Widerspruchsbescheid vom 12.01.2006 lehnte die Beklagte die von der Klägerin begehrte Leistung bzw. Kostenerstattung ab. Bei der Behandlung im Cyberknife-Zentrum handele es sich um eine neue ambulante Methode, die nicht zu den zugelassenen Methoden zähle. Sie dürfe nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, weil Qualität und Wirksamkeit nicht dem allgemein anerkannten gesicherten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe sich zu dieser Methode noch nicht geäußert, so dass ein gesetzliches Verbot bestehe, diese neue Methode zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung anzuwenden. Alternativ wäre es möglich gewesen, anstelle einer chirurgischen Entfernung der Metastasen eine Strahlenbehandlung in Universitätsklinika inbesondere in E. vorzunehmen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth hat die Klägerin Erstattung der entstandenen Kosten begehrt. Sie habe sich in der Universitätsklinik B. ursprünglich wegen eines Operationstermins vorgestellt, habe jedoch von dort die Hinweise auf die enormen Risiken eines solchen Eingriffs erhalten und als Alternative das Cyberknife-Zentrum in M. benannt bekommen. Die dort angewandte Methode sei weniger belastend und risikoreich gewesen, die Radiochirurgie sei eine seit langem anerkannte Methode, die ohne Nebenwirkung zum Behandlungserfolg geführt habe. Die Beklagte sei nicht berechtigt, die Kostenerstattung für eine weniger belastende Therapie zu verweigern.

Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass die Klägerin den ordnungsgemäßen Beschaffungsweg nicht eingehalten habe und zur Behandlung im Cyberknife-Zentrum ohnehin entschlossen gewesen sei. Deshalb sei die Mitteilung über die Entscheidung am Montag den 21.11.2005 trotz größtmöglicher Beschleunigung zu spät gekommen. Die ambulante radiochirurgische Behandlung im Cyberknife-Zentrum sei eine neue, außervertragliche Behandlungsmethode, für die eine Erstattung nicht begehrt werde könne, worauf auch die behandelnden Ärzte hingewiesen hätten. Zudem habe man alternative Strahlenbehandlungsmethoden im stationären Bereich angeboten.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 09.11.2006 einen Kostenerstattungsanspruch verneint, denn die Klägerin habe bereits die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet. Somit fehle es an der Kausalität der Ablehnungsentscheidung für die Entstehung der streitigen Kosten. Eine unaufschiebbare Leistung habe nicht vorgelegen, welche ein Abwarten der Klägerin bis zum Erlass der schriftlichen Entscheidung am Dienstag, den 23.11.2005 gehindert hätte. Die ambulante Radiochirurgie sei eine neue Behandlungsmethode, die nicht der Leistungspflicht der Krankenkassen unterfalle, insbesondere weil eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege. Eine Ausnahmefall im Sinne eines Systemversagens liege nicht vor, weil Wirksamkeitsstudien für die Cyberknife-Methode nicht vorlägen und somit eine rechtswidrige Untätigkeit des Bundesausschusses nicht begründbar sei. Zudem habe die Beklagte stationäre Alternativen angeboten, wo die Klägerin die begehrte Strahlenbehandlung hätte erhalten können.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und eine verfassungswidrige Auslegung der Rechtsvorschriften zum Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht. Die Klägerin habe an einer lebensbedrohlichen Krankheit gelitten, so dass die Beklagte zur Erstattung der erfolgreichen, im Vergleich zur chirurgischen Behandlung weniger belastenden Methode des Cyberknife-Zentrums verpflichtet sei. Im Übrigen sei auch der Bundesausschuss rechtswidrig nicht tätig geworden, denn die bestehenden Erkenntnisse hätten Veranlassung dafür gegeben, die minimal-invasive ambulante Strahlenbehandlung als Kassenleistung anzubieten.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 13.12.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der ambulanten radiochirurgischen Behandlung vom 21.11.2005 in Höhe von 7.513,18 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch unbegründet.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 22.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2006. Dort hat die Beklagte es abgelehnt, die Kosten der Cyberknife-Behandlung vom 21.11.2005 zu erstatten. Diese Entscheidung ist rechtmäßig, was auch das Sozialgericht Bayreuth im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 09.11.2006 zutreffend festgestellt hat. Die Klägerin kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Kostenerstattung der Cyberknife-Behandlung verlangen.

Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin lässt sich gemäß § 13 Abs.3 Satz 1 1. Alternative SGB V nicht begründen. Bei der Behandlung im Cyberknife-Zentrum handelte es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne einer Notfallbehandlung, bei welcher die Berechtigung bestünde, den üblichen Beschaffungsweg zu verlassen. Medizinische Risiken, die den Gesundheitszustand im Fall der nicht unverzüglichen Behandlung hätten gefährden können (vgl. BSGE 77, 227) hatten nicht vorgelegen. Zwar bedurften die bei der Klägerin am 26.10.2005 im Klinikum K. diagnostizierten zwei Metastasen im Gehirn einer zeitnahen Behandlung. Diese waren jedoch in ihrer Ausbreitung und Gefährlichkeit noch nicht soweit fortgeschritten, dass der Klägerin das weitere Zuwarten von einem oder zwei Tagen bis zum Erlass der schriftlichen Entscheidung am Dienstag den 22.11.2005 unzumutbar gewesen wäre. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem zeitlichen Ablauf. Zwischen der Übersendung der Unterlagen an das Universitätsklinikum B. , der dortigen Vorstellung, dem Aufsuchen des Cyberknife-Zentrums und dem Eingriff durfte ein vierwöchiger Zeitraum verstreichen. Zudem ist dem Bericht der Universitätsklinik B. vom 07.11.2005 zu entnehmen, dass die beiden Metastasen nicht zwingend in einem Eingriff hätten entfernt werden müssen, sondern dass die Möglichkeit bestanden hatte, zuerst die eine Absiedlung zu operieren und in einem zweiten Operationstermin die andere.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die notwendige medizinische Sachaufklärung noch am Nachmittag des 18.11.2005 durchgeführt und dieses Ergebnis der Klägerin telefonisch am Montag den 21.11.2005 mitgeteilt hatte. Eine inadäquate zeitliche Verzögerung ist somit nicht zu erkennen.

Auch aus § 13 Abs.3 Satz 1 2. Alternative SGB V lässt sich ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nicht begründen. Dieser Kostenerstattungsanspruch geht nämlich nicht weiter, als ein entsprechender Sachleistungsanspruch gehen könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des BSG vom 22.03.2005 - B 1 KR 3/04 R). Der Senat kann es daher offen lassen, ob es bereits an der Kausalität der Ablehnungsentscheidung der Beklagten fehlt, weil die Klägerin nach ihren eigenen Angaben insbesondere im Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht sich ohnehin für die Behandlung im Cyberknife-Zentrum entschieden hatte, unabhängig davon, welche Entscheidung die Beklagte treffen würde. Denn die ambulante Strahlenbehandlung im Cyberknife-Zentrum zählte nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen.

Die radiochirurgische Behandlung im Cyberknife-Zentrum, welches erst am 01.07.2005 seinen Betrieb aufgenommen hatte, war im Zeitpunkt der Behandlung eine neue Behandlungsmethode, weil diese in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (noch) nicht aufgenommen war. Für diese Behandlungsmethoden besteht im ambulanten Bereich gemäß § 135 Abs.1 Satz 1 SGB V somit ein grundsätzliches Erbringungsverbot. Als Ausnahme hiervon ist lediglich vorgesehen, dass nach Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses eine solche Methode anzuwenden wäre. Eine solche Empfehlung bestand jedoch im Zeitpunkt der Behandlung nicht, sie ist auch bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht ausgesprochen worden.

Die Voraussetzung für eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nicht erfüllt, denn ein Fall des sogenannten Systemversagens liegt nicht vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss war im Zeitpunkt der Behandlung nicht veranlasst gewesen, in Bezug auf die ambulante radiochirurgische Methode des Cyberknife-Zentrums tätig zu werden. Es fehlte insoweit an Hinweisen, insbesondere ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie Veröffentlichungen, die ein pflichtwidriges Nichttätigwerden des Bundesausschusses begründen könnten.

Die Beklagte ist auch nicht wegen eines unterlassenen Hinweises darauf, dass die begehrte radiochirurgische Methode im stationären Bereich angeboten würde, zur Erstattung der angefallenen Kosten verpflichtet (vgl. BSG Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 5/05 R). Denn sie hat zeitgerecht ausgehend von den zutreffenden Ausführungen des MDK vom 18.11.2005 darauf hingewiesen, dass die begehrte Alternative zum chirurgischen Eingriff, die Strahlenbehandlung der Hirnmetastasen, im stationären Bereich insbesondere im wohnortnahen Universitätsklinikum E. angeboten werden.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der verfassungsrechtlichen Auslegung der Leistungsansprüche nach § 2 Abs.1 SGB V, § 12 Abs.1 SGB V im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot i.V.m. Art.2 Abs.1 Grundgesetz sowie auf die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Lebens gemäß Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz. Denn für die lebensbedrohliche Erkrankung der Klägerin, die Absiedelung von Metastasen im Gehirn, standen wie in der Stellungnahme des MDK vom 18.11.2005 nachgewiesen und von der Beklagten auch mitgeteilt, mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Hierzu zählt auch die chirurgisch-operative Behandlung der Hirnmetastasen durch einen Eingriff, welchen das Universitätsklinikum B. durchgeführt hätte und zu welchem die Klägerin auch zunächst bereit gewesen war. Als weitere Alternative standen die radiochirurgischen Behandlungen in mehreren Universitätsklinika in Deutschland zur Verfügung, insbesondere in der Universitätsklinik E ... Dort hätte die Klägerin auch eine nicht invasive Strahlenbehandlung erhalten, welche zum chirurgischen Eingriff die weniger aufwändige und belastungsintensive Methode aus Sicht des Patienten darstellen kann. Dass die angebotenen stationären Behandlungsmethoden aus Sicht der Klägerin eventuell nicht optimal sein könnten, bleibt ohne Belang. Denn die gesetzlichen Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zunächst auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie auf ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkasse auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 Orientierungssätze 2a und 2b).

Insoweit ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sich ihre Situation von derjenigen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, auf welche sie sich beruft, deutlich unterscheidet. Dort war für die Erkrankung des Versicherten eine Methode, die unmittelbar auf die Krankheit und ihren Verlauf einwirkt, nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vorhanden. Demgegenüber bestanden aber hier entsprechende Möglichkeiten, so dass sich auch aus Verfassungsrecht ein Kostenerstattungsanspruch nicht begründen lässt.

Die Berufung bleibt somit in vollem Umfange ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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