Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 225/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 247/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 5. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen (monatlich 236,40 Euro) vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 sowie die anteilige Übernahme der Fahrkosten der Sozialstation.
Die 1923 geborene Versicherte, die Mitglied der Beklagten war, verstarb am 4. Mai 2005. Sie hatte Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe II bezogen. Der behandelnde praktische Arzt H. (M.) hat bei ihr folgende Diagnosen gestellt: Multiple Sklerose, Zustand nach Endgliedampuation rechts, Morbus Parkinson, Zustand nach Lendenwirbelkörper 1/2 Fraktur, Katarakt, Ulcusprophylaxe, ausgeprägte Gonarthrose beidseits, venöse Insuffizienz. Sie war mit einem suprapubischen Katheter versorgt.
Der praktische Arzt H. erstellte am 17. Juni 2002 für die Versicherte eine Folgeverordnung über häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2002. Darin verordnete er u.a. als sonstige Maßnahme der Behandlungspflege Kompressionsstrümpfe beidseits zweimal täglich/siebenmal wöchentlich (An- und Ausziehen). Zuständig für die Leistungsdurchführung war die Sozialstation St. K. e.V. (M.). Die Versicherte lebte (nach dem Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach SGB XI vom 01.09.2000) ab Ende Februar 2000 bei ihrer Tochter (Klägerin). Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) gelangte in der Stellungnahme vom 8. August 2002 zu dem Ergebnis, das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe sei bei dem Hilfebedarf An- und Auskleiden zu berücksichtigen; dies begründe nicht eine höhere Pflegestufe.
Mit Bescheid vom 12. August 2002 lehnte daraufhin die Beklagte eine weitere Kostenübernahme dieser Leistung aus den Mitteln der Krankenversicherung ab. Die Leistung sei bei der Ermittlung des für die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen in der Pflegeversicherung maßgebenden Zeitaufwandes zu berücksichtigen.
Der dagegen eingelegte Widerspruch der Versicherten vom 10. September 2002 - bei anderen Personen erfolge keine Anrechnung auf die Leistungen der Pflegeversicherung, und die monatlichen Kosten von 236,40 Euro seien eine unzumutbare Belastung - wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2003 zurückgewiesen. Die Behandlungspflege gehöre nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) immer dann zu den Leistungen der Pflegeversicherung, wenn sie entweder untrennbar mit einer Verrichtung der Grundpflege zusammenhängt oder objektiv mit einer solchen Verrichtung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Dies sei bei dem An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Fall.
Die Versicherte hat hiergegen am 25. August 2003 beim Sozialgericht Würzburg (SG) Klage erhoben. Die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe seien krankheitsbedingt und daher von der Beklagten zu tragen. Wenn diese Maßnahme nicht in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden stehe, würden die Kosten von der Krankenversicherung getragen, dies verstoße gegen den Gleichheitssatz. Sie habe monatlich für die morgendliche und abendliche Maßnahme 236,40 Euro und zusätzlich 49,80 Euro Anfahrtpauschale zu tragen. Da der Betrag der Pflegeversicherung hierfür nicht mehr ausreicht, habe sie aus ihrem eigenen Einkommen monatlich 200,00 Euro zu übernehmen.
Die Beklagte hat mit den Schreiben vom 28. November 2003 und 11. April 2005 erneut auf die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie auf das ab 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesundheitsmodernisierungsgesetz hingewiesen, das in der Neufassung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II der gesetzlichen Krankenversicherung zuordnet, auch wenn dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI berücksichtigt wurde. Nach dem Tod der Versicherten hat die Klägerin ihre Rechtsnachfolge angezeigt.
Das SG hat mit Urteil vom 5. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Bis 31. Dezember 2003 sei die Beklagte nicht zur Kostenerstattung verpflichtet, vielmehr sei für die Kostenübernahme die Pflegeversicherung zuständig. Da die Versicherte auch Hilfe beim An- und Auskleiden benötigte, stand das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe in unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser Leistung. Liege aber ein solcher sachlicher und zeitlicher Zusammenhang vor, fallen Kosten solcher Behandlungspflegemaßnahmen in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Sie seien nach der Rechtsprechung des BSG und des Bayerischen Landessozialgerichts daneben nicht als Maßnahme der häuslichen Krankenpflege von den Krankenkassen zu erbringen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. August 2005, mit der sie ihr früheres Vorbringen wiederholt. Sie hat die Rechnung für die Betreuung durch die Sozialstation von August 2002 bis August 2003 vorgelegt, in der die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe mit 1.323,84 Euro und für die Hausbesuche mit 961,14 Euro angegeben sind (Gesamtbetrag 2.284,98 Euro).
Sie beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 5. Juli 2005 sowie des Bescheides vom 12. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2003 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Klasse II sowie die anteiligen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 2.284,98 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist nicht beschränkt, da sie wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden.
Die Klägerin ist aufgrund der umfassenden Vollmacht der Versicherten, die nicht durch den Tod der Versicherten erloschen ist, zur Prozessführung befugt (§ 73 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 86 Zivilprozessordnung). Auch wenn dort der Fall des Todes nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist die Vorsorgevollmacht so auszulegen, dass sie nicht nur bei den wohl nur beispielhaft genannten Ereignissen, sondern auch im Todesfall gelten soll.
Eine Sonderrechtsnachfolge kommt nicht in Betracht, da die Rechnungen der Sozialstation St. K. e.V. ab März 2003 eine andere Anschrift der verstorbenen Versicherten enthalten als die Anschrift der Klägerin, so dass zweifelhaft ist, ob die Klägerin zur hier maßgeblichen Zeit des Todes der Versicherten mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat (§ 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch I). Es ist aber mangels gegenteiliger Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Klägerin Erbin der Versicherten gewesen ist, wie sie mit Schreiben vom 20. Juni 2005 dem SG mitgeteilt hat.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Versicherten im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V), die die Maßnahme des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen betrifft, nach dem damals geltenden Recht nicht zugestanden hat. Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung des § 37 Abs. 2 SGB V (Gesetz vom 14. November 2003, BGBl I S. 2190) regelt, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form von Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung auch das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II in den Fällen umfasst, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch XI ( SGB XI) zu berücksichtigen ist. Dementsprechend hat die Beklagte wieder die Maßnahmen der Behandlungspflege ab 1. Januar 2004 insoweit übernommen.
Vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 stand der Versicherten ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V nicht zu, die die Verrichtung des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II betrifft. Die Klägerin hat daher in diesem Zeitraum weder einen Anspruch auf Kostenerstattung der streitigen Leistung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V noch auf Freistellung von etwaigen Kosten.
Nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB V in der einschlägigen Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1211) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ist grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI pflegebedürftig ist und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. In einem derartigen Fall ruht allenfalls der Anspruch aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (Bundessozialgericht - BSG - vom 30. März 2000 SozR 3-2500 § 37 Nr. 2). Die Behandlungssicherungspflege wird, wie sich aus § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch XI ergibt, durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich nicht ausgeschlossen (BSG vom 30. Oktober 2001 SozR 3-2500 § 37 Nr. 3). Ob der Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V hier eingreift, weil die damals im Haushalt lebende Person (Klägerin) etwa in der Lage war, die Versicherte insoweit zu pflegen und zu versorgen, muss nicht weiter geklärt werden, da eine Kostenerstattung bzw. Freistellung schon aus anderen Gründen ausscheidet.
Das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II ist eine Maßnahme der Behandlungspflege (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2004, L 4 KR 41/03). Als Behandlungspflege sind diejenigen Pflegemaßnahmen anzusehen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Gesundheitszustand der Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen sollen, die Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V zu erreichen. Es müssen krankheitsspezifische Maßnahmen sein. Teilweise wird Behandlungspflege auch allgemein als "nichtärztliche medizinische Fachpflege" bezeichnet, die aber nicht notwendig von Fachkräften erbracht werden muss. Es handelt sich also um medizinisch indizierte und geprägte Hilfeleistungen. Damit das ärztliche Behandlungsziel eingehalten wird, müssen die Maßnahmen der Behandlungspflege ein Teil des ärztlichen Behandlungsplans sein. Sie werden in der Regel nicht von selbständigen Heilberufen eigenverantwortlich erbracht, sondern sind vom Vertragsarzt anzuordnen und zu verantworten. Ein Verzeichnis der verordnungsfähigen Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege enthalten die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 16. Februar 2000 (Bundesanzeiger Nr. 91, S. 8878). In dem Abschnitt Leistungen der Behandlungspflege wird unter Nr. 31 das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse II bis IV der Behandlungspflege zugeordnet.
Das BSG hat mit Urteil vom 20. Mai 2003 (SozR 4-2500 § 32 Nr. 1) für Recht erkannt, dass zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen gehören, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern.
Die medizinische Notwendigkeit des Tragens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Denn mit den angefochtenen Bescheiden hat sie sich lediglich für unzuständig für die Kostentragung bezeichnet und im Übrigen auf die Stellungnahme des MDK verwiesen, der die medizinische Notwendigkeit der streitigen Leistung bejaht hat.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung fällt jedoch das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klassen II und III als eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Hierzu zählt die Behandlungspflege nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Liegt eine der genannten Voraussetzungen vor, ist der zeitliche Aufwand für diese Maßnahme der Behandlungspflege im Rahmen des Gesamtaufwands für die betroffene Verrichtung der Grundpflege als Pflegebedarf zu berücksichtigen (BSG vom 30. Oktober 2001 a.a.O.; BSG vom 20. Mai 2003 a.a.O. m.w. Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Entgegen der Klägerin ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 17. März 2005 (SozR 4-2500 § 37 Nr. 3) keine für sie günstige Entscheidung. Denn das BSG hat sich hier mit § 37 Abs. 2 SGB V i.d.F. vom 14. November 2003 befasst, der zum 1. Januar 2004, also nach dem Ende des streitigen Zeitraums, in Kraft getreten ist.
Der hier vorausgesetzte unmittelbare zeitliche Zusammenhang ergibt sich aus der Stellungnahme des MDK vom 8. August 2002, wonach bei der Feststellung des zeitlichen Hilfebedarfs krankheitspezifischer Pflegemaßnahmen, d.h. (An-/Ausziehen von Kompressionsstrümpfen) der Hilfebedarf bei der Grundpflegemaßnahme An- und Auskleiden zu berücksichtigen ist.
In dieser Zuordnung der streitigen Leistungen der Behandlungspflege zum Hilfebedarf für Maßnahmen der Grundpflege liegt keine gleichheitssatzwidrige Benachteiligung gegenüber den Versicherten, die keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten (Art. 3 Grundgesetz). Sollte es sich hierbei um Fälle handeln, in denen Pflegebedürftigkeit und ein Anspruch nach dem SGB XI nicht gegeben sind, sind die Fälle nicht vergleichbar, da im vorliegenden Fall die Versicherte die zusätzlichen Leistungen nach dem SGB XI erhalten hatte und insoweit eine Vergleichbarkeit beider Personengruppen nicht gegeben war. Die zusätzlichen Leistungen der Pflegeversicherung sind ein sachliches Differenzierungskriterium für die unterschiedliche Behandlung. Sollte die Beklagte in etwaigen, vergleichbaren Fällen die Kosten des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen übernommen haben, ist darauf hinzuweisen, dass es kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz).
Damit besteht auch kein Anspruch auf die anteiligen Fahrkosten, weil diese eine akzessorische Nebenleistung zur Hauptleistung (An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen) sind, zu deren Kostenübernahme die Beklagte im streitigen Zeitraum nicht verpflichtet war.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenübernahme für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen (monatlich 236,40 Euro) vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 sowie die anteilige Übernahme der Fahrkosten der Sozialstation.
Die 1923 geborene Versicherte, die Mitglied der Beklagten war, verstarb am 4. Mai 2005. Sie hatte Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe II bezogen. Der behandelnde praktische Arzt H. (M.) hat bei ihr folgende Diagnosen gestellt: Multiple Sklerose, Zustand nach Endgliedampuation rechts, Morbus Parkinson, Zustand nach Lendenwirbelkörper 1/2 Fraktur, Katarakt, Ulcusprophylaxe, ausgeprägte Gonarthrose beidseits, venöse Insuffizienz. Sie war mit einem suprapubischen Katheter versorgt.
Der praktische Arzt H. erstellte am 17. Juni 2002 für die Versicherte eine Folgeverordnung über häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 1. Juli 2002 bis 30. September 2002. Darin verordnete er u.a. als sonstige Maßnahme der Behandlungspflege Kompressionsstrümpfe beidseits zweimal täglich/siebenmal wöchentlich (An- und Ausziehen). Zuständig für die Leistungsdurchführung war die Sozialstation St. K. e.V. (M.). Die Versicherte lebte (nach dem Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit nach SGB XI vom 01.09.2000) ab Ende Februar 2000 bei ihrer Tochter (Klägerin). Der von der Beklagten gehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) gelangte in der Stellungnahme vom 8. August 2002 zu dem Ergebnis, das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe sei bei dem Hilfebedarf An- und Auskleiden zu berücksichtigen; dies begründe nicht eine höhere Pflegestufe.
Mit Bescheid vom 12. August 2002 lehnte daraufhin die Beklagte eine weitere Kostenübernahme dieser Leistung aus den Mitteln der Krankenversicherung ab. Die Leistung sei bei der Ermittlung des für die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen in der Pflegeversicherung maßgebenden Zeitaufwandes zu berücksichtigen.
Der dagegen eingelegte Widerspruch der Versicherten vom 10. September 2002 - bei anderen Personen erfolge keine Anrechnung auf die Leistungen der Pflegeversicherung, und die monatlichen Kosten von 236,40 Euro seien eine unzumutbare Belastung - wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2003 zurückgewiesen. Die Behandlungspflege gehöre nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) immer dann zu den Leistungen der Pflegeversicherung, wenn sie entweder untrennbar mit einer Verrichtung der Grundpflege zusammenhängt oder objektiv mit einer solchen Verrichtung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Dies sei bei dem An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Fall.
Die Versicherte hat hiergegen am 25. August 2003 beim Sozialgericht Würzburg (SG) Klage erhoben. Die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe seien krankheitsbedingt und daher von der Beklagten zu tragen. Wenn diese Maßnahme nicht in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden stehe, würden die Kosten von der Krankenversicherung getragen, dies verstoße gegen den Gleichheitssatz. Sie habe monatlich für die morgendliche und abendliche Maßnahme 236,40 Euro und zusätzlich 49,80 Euro Anfahrtpauschale zu tragen. Da der Betrag der Pflegeversicherung hierfür nicht mehr ausreicht, habe sie aus ihrem eigenen Einkommen monatlich 200,00 Euro zu übernehmen.
Die Beklagte hat mit den Schreiben vom 28. November 2003 und 11. April 2005 erneut auf die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie auf das ab 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesundheitsmodernisierungsgesetz hingewiesen, das in der Neufassung des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II der gesetzlichen Krankenversicherung zuordnet, auch wenn dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI berücksichtigt wurde. Nach dem Tod der Versicherten hat die Klägerin ihre Rechtsnachfolge angezeigt.
Das SG hat mit Urteil vom 5. Juli 2005 die Klage abgewiesen. Bis 31. Dezember 2003 sei die Beklagte nicht zur Kostenerstattung verpflichtet, vielmehr sei für die Kostenübernahme die Pflegeversicherung zuständig. Da die Versicherte auch Hilfe beim An- und Auskleiden benötigte, stand das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe in unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser Leistung. Liege aber ein solcher sachlicher und zeitlicher Zusammenhang vor, fallen Kosten solcher Behandlungspflegemaßnahmen in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Sie seien nach der Rechtsprechung des BSG und des Bayerischen Landessozialgerichts daneben nicht als Maßnahme der häuslichen Krankenpflege von den Krankenkassen zu erbringen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. August 2005, mit der sie ihr früheres Vorbringen wiederholt. Sie hat die Rechnung für die Betreuung durch die Sozialstation von August 2002 bis August 2003 vorgelegt, in der die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe mit 1.323,84 Euro und für die Hausbesuche mit 961,14 Euro angegeben sind (Gesamtbetrag 2.284,98 Euro).
Sie beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 5. Juli 2005 sowie des Bescheides vom 12. August 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2003 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 die Kosten für das An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Klasse II sowie die anteiligen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 2.284,98 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist nicht beschränkt, da sie wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist unbegründet; das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden.
Die Klägerin ist aufgrund der umfassenden Vollmacht der Versicherten, die nicht durch den Tod der Versicherten erloschen ist, zur Prozessführung befugt (§ 73 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 86 Zivilprozessordnung). Auch wenn dort der Fall des Todes nicht ausdrücklich erwähnt ist, ist die Vorsorgevollmacht so auszulegen, dass sie nicht nur bei den wohl nur beispielhaft genannten Ereignissen, sondern auch im Todesfall gelten soll.
Eine Sonderrechtsnachfolge kommt nicht in Betracht, da die Rechnungen der Sozialstation St. K. e.V. ab März 2003 eine andere Anschrift der verstorbenen Versicherten enthalten als die Anschrift der Klägerin, so dass zweifelhaft ist, ob die Klägerin zur hier maßgeblichen Zeit des Todes der Versicherten mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat (§ 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch I). Es ist aber mangels gegenteiliger Erkenntnisse davon auszugehen, dass die Klägerin Erbin der Versicherten gewesen ist, wie sie mit Schreiben vom 20. Juni 2005 dem SG mitgeteilt hat.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Versicherten im streitigen Zeitraum ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch V (SGB V), die die Maßnahme des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen betrifft, nach dem damals geltenden Recht nicht zugestanden hat. Die am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Neufassung des § 37 Abs. 2 SGB V (Gesetz vom 14. November 2003, BGBl I S. 2190) regelt, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form von Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung auch das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II in den Fällen umfasst, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch XI ( SGB XI) zu berücksichtigen ist. Dementsprechend hat die Beklagte wieder die Maßnahmen der Behandlungspflege ab 1. Januar 2004 insoweit übernommen.
Vom 17. August 2002 bis 31. August 2003 stand der Versicherten ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 SGB V nicht zu, die die Verrichtung des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II betrifft. Die Klägerin hat daher in diesem Zeitraum weder einen Anspruch auf Kostenerstattung der streitigen Leistung gemäß § 13 Abs. 3 SGB V noch auf Freistellung von etwaigen Kosten.
Nach § 37 Abs. 1 S. 1 SGB V in der einschlägigen Fassung des Gesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl I S. 1211) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Der Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ist grundsätzlich nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene im Sinne der §§ 14, 15 SGB XI pflegebedürftig ist und zugleich Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. In einem derartigen Fall ruht allenfalls der Anspruch aus der sozialen Pflegeversicherung, soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht (Bundessozialgericht - BSG - vom 30. März 2000 SozR 3-2500 § 37 Nr. 2). Die Behandlungssicherungspflege wird, wie sich aus § 13 Abs. 2 Sozialgesetzbuch XI ergibt, durch die gleichzeitige Gewährung von Grundpflege als Leistung der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich nicht ausgeschlossen (BSG vom 30. Oktober 2001 SozR 3-2500 § 37 Nr. 3). Ob der Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V hier eingreift, weil die damals im Haushalt lebende Person (Klägerin) etwa in der Lage war, die Versicherte insoweit zu pflegen und zu versorgen, muss nicht weiter geklärt werden, da eine Kostenerstattung bzw. Freistellung schon aus anderen Gründen ausscheidet.
Das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II ist eine Maßnahme der Behandlungspflege (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2004, L 4 KR 41/03). Als Behandlungspflege sind diejenigen Pflegemaßnahmen anzusehen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Gesundheitszustand der Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen sollen, die Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V zu erreichen. Es müssen krankheitsspezifische Maßnahmen sein. Teilweise wird Behandlungspflege auch allgemein als "nichtärztliche medizinische Fachpflege" bezeichnet, die aber nicht notwendig von Fachkräften erbracht werden muss. Es handelt sich also um medizinisch indizierte und geprägte Hilfeleistungen. Damit das ärztliche Behandlungsziel eingehalten wird, müssen die Maßnahmen der Behandlungspflege ein Teil des ärztlichen Behandlungsplans sein. Sie werden in der Regel nicht von selbständigen Heilberufen eigenverantwortlich erbracht, sondern sind vom Vertragsarzt anzuordnen und zu verantworten. Ein Verzeichnis der verordnungsfähigen Einzelmaßnahmen der Behandlungspflege enthalten die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 16. Februar 2000 (Bundesanzeiger Nr. 91, S. 8878). In dem Abschnitt Leistungen der Behandlungspflege wird unter Nr. 31 das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse II bis IV der Behandlungspflege zugeordnet.
Das BSG hat mit Urteil vom 20. Mai 2003 (SozR 4-2500 § 32 Nr. 1) für Recht erkannt, dass zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen gehören, die durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern.
Die medizinische Notwendigkeit des Tragens von Kompressionsstrümpfen der Klasse II wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Denn mit den angefochtenen Bescheiden hat sie sich lediglich für unzuständig für die Kostentragung bezeichnet und im Übrigen auf die Stellungnahme des MDK verwiesen, der die medizinische Notwendigkeit der streitigen Leistung bejaht hat.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung fällt jedoch das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klassen II und III als eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Hierzu zählt die Behandlungspflege nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 SGB XI ist oder jedenfalls mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang steht. Liegt eine der genannten Voraussetzungen vor, ist der zeitliche Aufwand für diese Maßnahme der Behandlungspflege im Rahmen des Gesamtaufwands für die betroffene Verrichtung der Grundpflege als Pflegebedarf zu berücksichtigen (BSG vom 30. Oktober 2001 a.a.O.; BSG vom 20. Mai 2003 a.a.O. m.w. Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Entgegen der Klägerin ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 17. März 2005 (SozR 4-2500 § 37 Nr. 3) keine für sie günstige Entscheidung. Denn das BSG hat sich hier mit § 37 Abs. 2 SGB V i.d.F. vom 14. November 2003 befasst, der zum 1. Januar 2004, also nach dem Ende des streitigen Zeitraums, in Kraft getreten ist.
Der hier vorausgesetzte unmittelbare zeitliche Zusammenhang ergibt sich aus der Stellungnahme des MDK vom 8. August 2002, wonach bei der Feststellung des zeitlichen Hilfebedarfs krankheitspezifischer Pflegemaßnahmen, d.h. (An-/Ausziehen von Kompressionsstrümpfen) der Hilfebedarf bei der Grundpflegemaßnahme An- und Auskleiden zu berücksichtigen ist.
In dieser Zuordnung der streitigen Leistungen der Behandlungspflege zum Hilfebedarf für Maßnahmen der Grundpflege liegt keine gleichheitssatzwidrige Benachteiligung gegenüber den Versicherten, die keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten (Art. 3 Grundgesetz). Sollte es sich hierbei um Fälle handeln, in denen Pflegebedürftigkeit und ein Anspruch nach dem SGB XI nicht gegeben sind, sind die Fälle nicht vergleichbar, da im vorliegenden Fall die Versicherte die zusätzlichen Leistungen nach dem SGB XI erhalten hatte und insoweit eine Vergleichbarkeit beider Personengruppen nicht gegeben war. Die zusätzlichen Leistungen der Pflegeversicherung sind ein sachliches Differenzierungskriterium für die unterschiedliche Behandlung. Sollte die Beklagte in etwaigen, vergleichbaren Fällen die Kosten des An- und Ausziehens von Kompressionsstrümpfen übernommen haben, ist darauf hinzuweisen, dass es kein Recht auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz).
Damit besteht auch kein Anspruch auf die anteiligen Fahrkosten, weil diese eine akzessorische Nebenleistung zur Hauptleistung (An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen) sind, zu deren Kostenübernahme die Beklagte im streitigen Zeitraum nicht verpflichtet war.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved