Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 104/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 KN 27/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur vorzeitigen Erfüllung der Wartezeit nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI muss der Gewahrsam (hier: Haft in der ehemaligen DDR) mit dem Eintritt der Erwerbsminderung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Die Bedingung ist als ursächlich zu bezeichnen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.
2. Zur posttraumatischen Belastungsstörung.
2. Zur posttraumatischen Belastungsstörung.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1954 in Z./Sachsen geborene Kläger absolvierte in der ehemaligen DDR von 1971 bis 1973 eine Berufsausbildung zum Maler und Tapezierer. Er war als Maler und von 1976 bis 1978 auch als Lehrausbilder tätig; nach eigenen Angaben arbeitete er mit kurzen Unterbrechungen bis Mai 2006 als Maler; dabei war er bis Januar 1989 abhängig beschäftigt, anschließend als selbstständiger Maler tätig. Daneben war er vorübergehend als Versicherungsvertreter und Gastwirt selbstständig tätig.
Der Versicherungsverlauf weist Pflichtbeitragszeiten zuletzt vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 auf.
Von 3. Oktober 1984 bis 4. November 1985 war er in der DDR wegen eines Ausreiseantrags und Widerstandes gegen die SED in Haft. Das Bezirksgericht C. hob mit Beschluss vom 5. November 1991 das Urteil des Kreisgerichts K./Mitte-Nord vom 8. Januar 1985 auf und rehabilitierte den Kläger. Er erhielt eine Kapitalentschädigung (1.840,65 EUR) sowie mit Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 20. Dezember 2007 monatliche besondere Zuwendungen in Höhe von 250.- EUR nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG). Die Regierung von Niederbayern hatte ferner mit Bescheid vom 16. Februar 1987 eine Eingliederungshilfe nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) in Höhe von 360,00 DM bewilligt.
Die Beklagte führte vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 eine stationäre Reha-Maßnahme durch. Nach dem Entlassungsbericht vom 27. Juni 2000 bestand eine posttraumatische Belastungsstörung bei paranoider Persönlichkeitsstörung, eine arterielle Hypertonie, ein Alkoholabusus mit Leberparenchymschaden sowie eine Adipositas. Der Kläger sei sowohl in der Tätigkeit als Malermeister als auch für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig leistungsfähig. Er wurde arbeitsfähig entlassen.
Mit Feststellungsbescheid vom 24. November 2005 stellte die Beklagte die Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis 31. Dezember 1998, als für die Beteiligten verbindlich fest.
Am 12. Dezember 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2007 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlten. Im maßgeblichen Zeitraum vom 12. Dezember 2001 bis 11. Dezember 2006 sei kein Kalendermonat mit entsprechenden Beiträgen belegt. Die Ausnahmetatbestände der §§ 241 Abs. 2, 53 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht gegeben.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, seine psychischen Erkrankungen lägen schon seit früheren Jahren (seit 1989) vor. Es müsse deshalb von einem Leistungsfall im Jahre 1989 ausgegangen werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2007 zurück. Der Kläger habe sich vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 in einer stationären Reha-Maßnahme befunden; aus dem Entlassungsbericht gehe hervor, dass zum Entlassungszeitpunkt ein vollschichtiges Leistungsvermögen für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorgelegen habe. Ein Leistungsfall bereits 1989 könne daher nicht nachvollzogen werden.
Der Kläger erhob Klage vor dem Sozialgericht München. Er sei vom HHG erfasst; aufgrund dieses Tatbestandes seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt. Aufgrund der Schwere der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei er außer Stande, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit nachzugehen.
Das Sozialgericht zog die Akte zu einer beantragten Reha-Maßnahme (Az.: S 4 KN 395/06) bei und holte einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. K. vom 7. Mai 2007 ein, bei dem der Kläger seit 2. März 1995 in Behandlung war. Es bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen, eine arterielle Hypertonie, eine chronische Lumbalgie bei Spondylolisthesis L5, eine Kniegelenksarthrose beidseits sowie eine "Belastung nach Inhaftierung zu DDR-Zeiten".
Die Beklagte teilte mit, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung zuletzt im Mai 1991 erfüllt gewesen seien.
Der in beiden sozialgerichtlichen Verfahren beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vertrat in dem nervenärztlichen Gutachten vom 13. Juli 2007 die Ansicht, dass ein Zusammenhang der derzeitigen Erwerbsminderung mit der Inhaftierung 1984/1985 nicht bestehe. Seit 1989 bestünden eine hyperthyme und schizotypische Primärpersönlichkeit. Derzeit bestehe darüber hinaus eine Mischpsychose mit maniformer und zum Teil paranoider Symptomatik, ein Verdacht auf Alkoholmissbrauch, eine Gonalgie beidseits sowie ein degeneratives Lendenwirbelsäulen-
(LWS-)Syndrom, derzeit geringer Ausprägung und ohne Hinweis auf ein nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit und ohne Hinweis auf eine Nervenwurzelirritation. Der Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, da wahnhafte bzw. wahnähnliche Symptome hinzugetreten seien. Der Kläger könne Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mehr weniger als drei Stunden täglich verrichten. Allerdings lasse sich für die Zeit vor 2006 eine lediglich untervollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers nicht belegen. Eine angemessene psychiatrische Behandlung sei notwendig.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2007 stellte Dr. B. klar, dass die Herabsetzung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden durch die akute psychotische Störung bedingt sei. Diese bestehe mit Sicherheit nicht seit 1989, sondern erst seit etwa einem Jahr. Vor Mitte 2006 habe eine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht bestanden.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2007 ab. Für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Sozialgericht verwies insoweit gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides. Das Leistungsvermögen des Klägers sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in dem Beruf als Malermeister und damit im maßgeblichen Hauptberuf für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit sei erst mit dem Auftreten einer psychotischen Störung im Jahre 2006 auf unter sechs bzw. sogar unter drei Stunden gefallen. Sowohl dem Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit als auch einer Berufsunfähigkeit bereits im Jahre 1989 stehe entgegen, dass der Kläger in seinem erlernten Beruf als Maler bis 1993 und erneut von 1997 bis 2006 tätig gewesen sei. Hiergegen spreche auch der Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik B. vom 27. Juni 2000. Schließlich habe Dr. B. überzeugend dargelegt, dass der Kläger nicht aufgrund des in der ehemaligen DDR erworbenen Gewahrsams vermindert erwerbsfähig geworden sei.
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, das Gutachten des Dr. B. sei grob fehlerhaft. Die Folgen der Stasi-Haft und damit verbunden auch der anschließende Scheidungskonflikt hätten berücksichtigt werden müssen. Entgegen der Ansicht des Dr. B. leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Haft sei ein traumatisches Ereignis im Sinne der Definition einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat die Einholung eines weiteren psychiatrischen und psychotherapeutischen Gutachtens durch einen Sachverständigen, der über durch entsprechende Veröffentlichungen, ärztliche bzw. gutachterliche Tätigkeit nachgewiesene Fähigkeiten zur Beurteilung der posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Inhaftierungen, insbesondere Inhaftierungen in der früheren DDR verfügen müsse, angeregt.
In nichtöffentlicher Sitzung vom 7. März 2008 hat der damalige Berichterstatter den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Der Kläger hat u.a. angegeben, die Tätigkeit als Maler insbesondere wegen Problemen mit dem Kreuz und den Knien, Schlafstörungen und anderen psychischen Problemen beendet zu haben. Kreuzschmerzen und psychische Probleme seien im Wesentlichen auch der Grund dafür gewesen, dass er nicht mehr als Vertreter tätig gewesen sei. Die Tätigkeit als Gastwirt sei wegen Problemen mit dem Verpächter beendet worden. Auf die Niederschrift der Sitzung wird Bezug genommen.
Der Kläger hat u.a. die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2005 übersandt. Er könne nicht mehr angeben, welche Ärzte ihn seit 1985 behandelt haben. Der Senat hat für die Zeit ab 1985 bzw. 1991 einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. D. vom 23. Juni 2008 eingeholt, der den Kläger jedoch erstmals am 2. März 1995 behandelt hatte. Der Dr. E. hat in dem Befundbericht vom 1. September 2008 angegeben, dass der Kläger seit Februar 2003 bei ihm in Behandlung sei. Er hat bescheinigt, dass der Kläger durch die Haft und die daraus für ihn resultierenden Folgen massive und bleibende psychische und körperliche Schäden erlitten habe. Diese Schäden hätten auf die psychische, körperliche und soziale Gesundheit bis heute massive Auswirkungen. Es bestünden bleibende schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dr. E. hat Angstzustände, rezidivierende Depressionen, eine chronische posttraumatische Belastungsstörung sowie eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostiziert.
Der Berichterstatter hat den Sachverhalt in einer erneuten nichtöffentlichen Sitzung vom 16. Dezember 2008 erörtert. Auch hierzu wird auf die Niederschrift verwiesen.
Der Kläger hat auf die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI hingewiesen, wonach die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt sei, wenn Versicherte wegen eines Gewahrsams im Sinne des § 1 HHG vermindert erwerbsfähig geworden seien. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sei ihm auch dann Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt als 1991 eingetreten sei. Für die Zeit 1991 und davor verfüge er aber über keine fachärztlichen Gutachten oder Befunde. Es läge eine posttraumatische Belastungsstörung vor; hierzu hat er auf die Befunde des Dr. E. verwiesen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass allein die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach dem HHG nicht automatisch die Zurechnung einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung bedinge. Es müsse der Eintritt von Erwerbsminderung durch die dem HHG zugrunde liegende Maßnahme vorangehen. Nach der Inhaftierung habe der Kläger aber wieder eine vollschichtige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Diese Tätigkeiten sei bis März 2005 verrichtet worden. Es sei daher auszuschließen, dass eine relevante Erwerbsminderung bereits im Jahre 1985 vorgelegen haben soll.
Parallel dazu war ein Berufungsverfahren, das auf die Gewährung medizinischer Rehabilitationsleistungen gerichtet war, anhängig (Az,: L 13 KN 2/08). Einen entsprechenden Antrag des Klägers vom 27. April 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juni 2006 ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte sie ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 27. Oktober 2006 ein, der u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung, und einen Alkoholmissbrauch feststellte. Er habe keine Hinweise für eine episodisch ablaufende Affektstörung oder eine psychotische Störung gefunden. Das Leistungsvermögen auch als Malermeister betrage mehr als sechs Stunden. Eine ambulante Behandlung sei ausreichend. Das vom Sozialgericht München eingeholte und oben dargelegte Gutachten des Dr. B. gelangte hierzu zu dem Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers vor allem auch als Maler bzw. Malermeister gefährdet ist, da aufgrund der arthrotischen Kniegelenkserkrankungen Tätigkeiten in kniender Position möglicherweise nicht mehr verrichtet werden könnten und die psychopathologische Symptomatik eine deutliche Minderung der Erwerbsfähigkeit bedinge. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit könne aber durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht abgewendet, wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden. Das derzeitige Krankheitsbild bedürfe einer psychiatrischen Akutbehandlung. Durch ein stationäres Heilverfahren könne die Erwerbsfähigkeit zwar vermutlich wesentlich gebessert werden. Der Kläger sei jedoch nicht dazu geneigt, sich einer derartigen Behandlung zu unterziehen. Er lehne eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung derzeit ab. Das Sozialgericht wies auch diese Klage mit Urteil vom 19. Februar 2008 (Az.: S 4 KN 395/06) ab. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat der Kläger am 16. Dezember 2008 zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 10. September 2008 hat der Senat in dem vorliegenden Verfahren
Prozesskostenhilfe bewilligt und den damaligen Prozessbevollmächtigten beigeordnet, der die Vertretung zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2009 niedergelegt hat.
Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag zur Niederschaft gegeben hat, beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2007 und den Bescheid vom 5. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 12. Dezember 2006 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Akten der Regierung von Niederbayern, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, weil diesem kein Anspruch auf eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI zusteht.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 1 S. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3 SGB VI.
Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 1 S. 1 SGB VI liegen bei dem Kläger nicht vor. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig im Mai 1991 und jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der AntragsteIlung im April 2006 erfüllt waren. In der Zeit ab 13. Juni 1989 lagen (bis 20. Juni 2000) lediglich 24 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten vor. Nicht - mit Ausnahme des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI - bestritten ist ferner, dass, wie die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid zutreffend ausführte, die Ausnahmetatbestände der §§ 241 Abs. 2, 53 SGB VI nicht gegeben sind. Damit kann der Senat offen lassen, ob ab März 1991 und vor allem gegenwärtig die medizinischen Voraussetzungen einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderungsrente erfüllt waren oder sind.
Aber auch § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI greift vorliegend nicht. §·53 SGB VI fingiert das Vorliegen der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist bei Eintritt der Fiktion eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren nicht erforderlich. Die Wartezeit ist aber insbesondere auch nicht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI vorzeitig erfüllt. Dies ist der Fall, wenn Versicherte wegen eines Gewahrsams (§ 1 HHG) vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben sind. Zwar findet aufgrund der Haft in der ehemaligen DDR in den Jahren 1984 und 1985 § 1 HHG Anwendung; dies ergibt sich ohne Weiteres auch aus den von der Regierung von Niederbayern beigezogenen Akten. Eine Rechtsstandsbescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG liegt in der Bescheinigung vom 16. Februar 1987 vor. Dabei muss der Gewahrsam mit dem Eintritt der Erwerbsminderung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Nach der geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist die Bedingung als ursächlich anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Dabei ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend (zum Ganzen: KassKomm-Niesel, § 53 SGB VI Rdnr. 6).
Der Kläger führt psychische Beeinträchtigungen bzw. eine posttraumatische Belastungsstörung auf die damalige Haft zurück. Der behandelnde Arzt Dr. E., auf den sich der Kläger vor allem stützt, diagnostizierte Angstzustände, rezidivierende Depressionen, eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie eine chronische posttraumatische Belastungsstörung. Der Allgemeinarzt Dr. K. stellte u.a. eine Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen fest. Dr. B. beschrieb in dem Gutachten eine Mischpsychose mit maniformer und zum Teil paranoider Symptomatik bei vermutlich zu Grunde liegender hyperthymer und schizotypischer Primärpersönlichkeit. Erst ca. 2006 ist die psychotische Symptomatik aufgetreten.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob diese Erkrankungen, die auch nach Einschätzung des Dr. B. in der Zwischenzeit, allerdings erst seit ca. 2006, zu einem Absinken der Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden geführt haben, ursächlich im Sinne der oben dargelegten Theorie der wesentlichen Bedingung auf die Haft (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V) zurückzuführen ist. Dagegen spricht, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, zunächst der lange Zeitraum zwischen der Haftentlassung im Jahre 1985 und dem Auftreten des Leistungsfalls ca. im Jahre 2006. Auch arbeitete der Kläger nach der Haftentlassung und später nach seiner Übersiedlung nach Landshut vor allem als Maler. Allerdings kann eine Ursächlichkeit allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs weder anerkannt noch abgelehnt werden. Gerade psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen verlaufen oft schleichend und können erst nach Jahren zum Tragen kommen. Ferner kann eine Verschlimmerung kausal auf das Ereignis zurückzuführen sein. Vor allem Dr. E. sieht einen wesentlichen Zusammenhang mit der Haft als gegeben an. Er beschreibt ein beim Kläger bestehendes Wiedererleben (flash-back) der psychischen Hafterlebnisse mit Herzrhythmusstörungen und Angstgefühlen, aber auch mit Schlafstörungen, Albträumen und Übererregung bzw. schweren Erregungszuständen. Der Hausarzt Dr. K. berichtete zum einen von einer Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen, andererseits von einer "Belastung nach Inhaftierung zu DDR-Zeiten" - ist also in der Befunderhebung deutlich zurückhaltender als Dr. E ...
Hingegen sieht Dr. B. keinen Zusammenhang der derzeitigen Erwerbsminderung mit der Inhaftierung. Aus der Anamnese geht hierbei hervor, dass die DDR-Vergangen-heit zwar weiterhin erheblich auf den Kläger einwirkt. Er zeigte die Tendenz zu paranoidem Denken wie die Idee, dass die Staatssicherheit der DDR immer noch aktiv sei und ihm Schaden zufügen wolle. Er fühlt sich weiterhin durch die Staatssicherheit verfolgt. Eine depressive Störung oder eine Angstsymptomatik konnte der Sachverständige allerdings nicht feststellen. Der Kläger gab an, gelegentlich Albträume gehabt zu haben, die Haft jedoch insgesamt zunächst "recht gut weggesteckt" zu haben. Erst der Scheidungskonflikt mit der Ehefrau und der Ärger mit seiner Wohnungsgesellschaft hatte die Thematik insoweit reaktiviert, als die Träume häufiger aufgetreten sind. Ein PTSD-typisches Vermeidungsverhalten im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung war für den Sachverständigen im Rahmen seiner Untersuchung nicht erkennbar.
Der Reha-Entlassungsbericht vom 27. Juni 2000 geht von einer posttraumatischen Belastungsstörung bei paranoider Persönlichkeitsstörung aus. Auch im Rahmen dieser Reha-Maßnahme spielte die Haft eine wichtige Rolle in der Anamnese. Die posttraumatische Belastungsstörung wurde dabei vom Kläger im Zusammenhang mit der Haft gesehen (BI. 2.3), von den Ärzten jedoch mit den Folgen eines Schädel-Hirntraumas III. Grades mit anschließendem Kleinhirninfarkt, den die damalige Ehefrau bei einem Unfall am 11. Februar 1998 erlitten hat. Es wird aus diesem Bericht sehr deutlich, dass die paranoide Persönlichkeitsstörung vor dem Grundgefühl des Klägers, schon im Elternhaus zu kurz gekommen zu sein, zu sehen ist. Es entwickelte sich als Basisgefühl eine Verbitterung und ein permanentes Gefühl der Unzufriedenheit. Die einjährige Haft als politischer Häftling hat sich "nur" verstärkend ausgewirkt. Bereits damals schilderte der Kläger den Eindruck, dass die DDR-Täter vor den Opfern bevorzugt und sein berufliches Fortkommen behindern würden. So heißt es z. B. in dem Entlassungsbericht: "Manchmal wacht er noch schweißgebadet auf und sieht Bilder aus der Haftsituation." Rehabilitationsziel war demgemäß u.a. der Beginn der Bearbeitung der posttraumatischen Belastungsstörung. Auffallend war auch ein Alkoholabusus.
Der im Rahmen des Reha-Verfahrens von der Beklagten gehörte Dr. S. stellte ebenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung fest. Eine psychotische Störung wurde nicht diagnostiziert.
Im Ergebnis spielen damit für die psychischen Beeinträchtigungen verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle. Zum einen ein von Kindheit an geprägtes Grundgefühl einer Verbitterung und ein permanentes Gefühl der Unzufriedenheit, das die Grundlage für eine paranoide Persönlichkeitsstörung bildet. Die Haft als solches wurde zunächst relativ gut verarbeitet, ohne dass es zu gravierenden Störungen gekommen ist. Ein besonderer Einschnitt war - auch wenn dies vom Kläger vehement bestritten wird - nach den vorliegenden Gutachten der Unfall der Ehefrau mit den gravierenden, die Familie belastenden Folgen, schließlich die Trennung der Eheleute und am Rande wohl auch die Wohnungssituation. Dabei wird sich die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung, die ganz bestimmte Anforderungen hat, hinsichtlich der Haft nur schwer begründen lassen. Nach den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) setzt bereits die Diagnose ein "belastendes außergewöhnliches Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweifelung hervorrufen würde", voraus. Zu Recht hegt Dr. B. Zweifel, ob dies bei einer Haftsituation - auch unter den besonderen Verhältnissen zu Zeiten der DDR - gegeben ist. Auch die krankheitstypischen flash-backs lassen sich nicht belegen. Der Kläger berichtet lediglich von gelegentlichen Albträumen bzw. Träumen, die den Gefängnisaufenthalt zum Inhalt haben. Er berichtet auch, dass diese nur zwei- bis viermal im Jahr auftreten. Ein Vermeidungsverhalten ist im Rahmen der Untersuchung durch Dr. B. nicht festgestellt worden. Vielmehr berichtet der Kläger nach allen vorliegenden Arztberichten offen über die Haftsituation und die subjektiven Folgen.
Letztlich kann der Senat aber die Frage, ob die bestehenden psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen tatsächlich auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen sind, offen lassen. Die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch einen Sachverständigen, der nachgewiesene Fähigkeiten zur Beurteilung der posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Inhaftierungen, insbesondere Inhaftierungen in der früheren DDR, verfügt, ist daher nicht notwendig. Das Gutachten des Dr. B. ist sowohl in der Befunderhebung, Anamnese und Diagnosestellung als auch in der Bewertung der Leistungsfähigkeit gründlich und überzeugend. Es beruht auf einer ambulanten Untersuchung und würdigt die vorliegenden Befunde sowie den medizinischen Inhalt der Akten. Der Senat hat keine Bedenken, es seiner Entscheidung zugrunde zu legen, zumal es sich um einen erfahrenen und fachlich kompetenten Gutachter handelt und das Gutachtensergebnis durch weitere medizinische Befunde wie den o.g. Reha-Entlassungsbericht gestützt wird. Eine erneute Begutachtung hält der Senat daher nicht für erforderlich, zumal der Kläger medizinische Unterlagen für den Zeitraum vor 1995 nicht vorlegen kann.
Der Senat gelangt daher zu der Überzeugung, dass die derzeitige Erwerbsminderung in keinem wesentlicher Zusammenhang mit der Inhaftierung steht. Auch besteht keine (Mit-)Ursächlichkeit der Haft dadurch, dass die Ehe geschieden wurde. Zum einen erfolgte die Ehescheidung erst im Mai 2006. Die krisenhafte Entwicklung der Ehe ist, wie sich ebenfalls aus dem Gutachten des Dr. B. ergibt, auf den Unfall, die damit verbundenen Folgen und die Nachbehandlung zurückzuführen, nicht auf Haftfolgen. Die Ausnahmevorschrift des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI greift damit nicht.
Aus den dargelegten Gründen scheidet auch das Eintreten des Leistungsfalls der Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch gegeben waren (Mai 1991), aus. Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung ist das Leistungsvermögen des Klägers erst ab Mitte 2006 auf unter sechs bzw. drei Stunden abgesunken. Das Absinken auf unter drei Stunden ist nach dem Gutachten des Dr. B. durch die akute psychotische Störung bedingt, die erst ab diesem Zeitpunkt als nachgewiesen anzusehen ist. Nach dem Reha-Entlassungsbericht wurde der Kläger im Juni 2000 noch vollschichtig leistungsfähig für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen. Schließlich war der Kläger tatsächlich auch noch nach 1991 erwerbstätig als selbstständiger Maler sowie als Versicherungsvertreter und Gastwirt.
Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach
§ 240 SGB VI scheidet aus. Zwar beendete der Kläger, der gelernter Malermeister ist, die Tätigkeiten als Malermeister und Vertreter nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen; maßgeblich waren hierfür jedoch nicht psychische, sondern orthopädische Gesundheitsbeeinträchtigungen, die jedoch nicht ursächlich für die Annahme einer Erwerbsminderung sind. Nach dem Reha-Entlassungbericht wurde der Kläger aber auch vollschichtig leistungsfähig für die Tätigkeit als Malermeister entlassen, so dass sich eine Prüfung, ob eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI vorliegt, erübrigt. Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die letztmalig im Mai 1991 erfüllt sein müssen. Darüber hinaus beendete er die Tätigkeit als Gastwirt aufgrund von Problemen mit dem Verpächter, so dass die berufliche Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde und eine Lösung von dem Beruf vorliegt (BSGE 32, 242, 244).
Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI scheidet damit aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1954 in Z./Sachsen geborene Kläger absolvierte in der ehemaligen DDR von 1971 bis 1973 eine Berufsausbildung zum Maler und Tapezierer. Er war als Maler und von 1976 bis 1978 auch als Lehrausbilder tätig; nach eigenen Angaben arbeitete er mit kurzen Unterbrechungen bis Mai 2006 als Maler; dabei war er bis Januar 1989 abhängig beschäftigt, anschließend als selbstständiger Maler tätig. Daneben war er vorübergehend als Versicherungsvertreter und Gastwirt selbstständig tätig.
Der Versicherungsverlauf weist Pflichtbeitragszeiten zuletzt vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 auf.
Von 3. Oktober 1984 bis 4. November 1985 war er in der DDR wegen eines Ausreiseantrags und Widerstandes gegen die SED in Haft. Das Bezirksgericht C. hob mit Beschluss vom 5. November 1991 das Urteil des Kreisgerichts K./Mitte-Nord vom 8. Januar 1985 auf und rehabilitierte den Kläger. Er erhielt eine Kapitalentschädigung (1.840,65 EUR) sowie mit Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 20. Dezember 2007 monatliche besondere Zuwendungen in Höhe von 250.- EUR nach § 17 a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG). Die Regierung von Niederbayern hatte ferner mit Bescheid vom 16. Februar 1987 eine Eingliederungshilfe nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) in Höhe von 360,00 DM bewilligt.
Die Beklagte führte vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 eine stationäre Reha-Maßnahme durch. Nach dem Entlassungsbericht vom 27. Juni 2000 bestand eine posttraumatische Belastungsstörung bei paranoider Persönlichkeitsstörung, eine arterielle Hypertonie, ein Alkoholabusus mit Leberparenchymschaden sowie eine Adipositas. Der Kläger sei sowohl in der Tätigkeit als Malermeister als auch für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig leistungsfähig. Er wurde arbeitsfähig entlassen.
Mit Feststellungsbescheid vom 24. November 2005 stellte die Beklagte die Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurücklagen, also die Zeiten bis 31. Dezember 1998, als für die Beteiligten verbindlich fest.
Am 12. Dezember 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. Januar 2007 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fehlten. Im maßgeblichen Zeitraum vom 12. Dezember 2001 bis 11. Dezember 2006 sei kein Kalendermonat mit entsprechenden Beiträgen belegt. Die Ausnahmetatbestände der §§ 241 Abs. 2, 53 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) seien nicht gegeben.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, seine psychischen Erkrankungen lägen schon seit früheren Jahren (seit 1989) vor. Es müsse deshalb von einem Leistungsfall im Jahre 1989 ausgegangen werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2007 zurück. Der Kläger habe sich vom 16. Mai bis 20. Juni 2000 in einer stationären Reha-Maßnahme befunden; aus dem Entlassungsbericht gehe hervor, dass zum Entlassungszeitpunkt ein vollschichtiges Leistungsvermögen für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorgelegen habe. Ein Leistungsfall bereits 1989 könne daher nicht nachvollzogen werden.
Der Kläger erhob Klage vor dem Sozialgericht München. Er sei vom HHG erfasst; aufgrund dieses Tatbestandes seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt. Aufgrund der Schwere der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei er außer Stande, einer wirtschaftlich verwertbaren Tätigkeit nachzugehen.
Das Sozialgericht zog die Akte zu einer beantragten Reha-Maßnahme (Az.: S 4 KN 395/06) bei und holte einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. K. vom 7. Mai 2007 ein, bei dem der Kläger seit 2. März 1995 in Behandlung war. Es bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen, eine arterielle Hypertonie, eine chronische Lumbalgie bei Spondylolisthesis L5, eine Kniegelenksarthrose beidseits sowie eine "Belastung nach Inhaftierung zu DDR-Zeiten".
Die Beklagte teilte mit, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung zuletzt im Mai 1991 erfüllt gewesen seien.
Der in beiden sozialgerichtlichen Verfahren beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vertrat in dem nervenärztlichen Gutachten vom 13. Juli 2007 die Ansicht, dass ein Zusammenhang der derzeitigen Erwerbsminderung mit der Inhaftierung 1984/1985 nicht bestehe. Seit 1989 bestünden eine hyperthyme und schizotypische Primärpersönlichkeit. Derzeit bestehe darüber hinaus eine Mischpsychose mit maniformer und zum Teil paranoider Symptomatik, ein Verdacht auf Alkoholmissbrauch, eine Gonalgie beidseits sowie ein degeneratives Lendenwirbelsäulen-
(LWS-)Syndrom, derzeit geringer Ausprägung und ohne Hinweis auf ein nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit und ohne Hinweis auf eine Nervenwurzelirritation. Der Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, da wahnhafte bzw. wahnähnliche Symptome hinzugetreten seien. Der Kläger könne Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mehr weniger als drei Stunden täglich verrichten. Allerdings lasse sich für die Zeit vor 2006 eine lediglich untervollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers nicht belegen. Eine angemessene psychiatrische Behandlung sei notwendig.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11. September 2007 stellte Dr. B. klar, dass die Herabsetzung des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden durch die akute psychotische Störung bedingt sei. Diese bestehe mit Sicherheit nicht seit 1989, sondern erst seit etwa einem Jahr. Vor Mitte 2006 habe eine quantitative Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht bestanden.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2007 ab. Für die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Sozialgericht verwies insoweit gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides. Das Leistungsvermögen des Klägers sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in dem Beruf als Malermeister und damit im maßgeblichen Hauptberuf für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit sei erst mit dem Auftreten einer psychotischen Störung im Jahre 2006 auf unter sechs bzw. sogar unter drei Stunden gefallen. Sowohl dem Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit als auch einer Berufsunfähigkeit bereits im Jahre 1989 stehe entgegen, dass der Kläger in seinem erlernten Beruf als Maler bis 1993 und erneut von 1997 bis 2006 tätig gewesen sei. Hiergegen spreche auch der Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik B. vom 27. Juni 2000. Schließlich habe Dr. B. überzeugend dargelegt, dass der Kläger nicht aufgrund des in der ehemaligen DDR erworbenen Gewahrsams vermindert erwerbsfähig geworden sei.
Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, das Gutachten des Dr. B. sei grob fehlerhaft. Die Folgen der Stasi-Haft und damit verbunden auch der anschließende Scheidungskonflikt hätten berücksichtigt werden müssen. Entgegen der Ansicht des Dr. B. leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Haft sei ein traumatisches Ereignis im Sinne der Definition einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er hat die Einholung eines weiteren psychiatrischen und psychotherapeutischen Gutachtens durch einen Sachverständigen, der über durch entsprechende Veröffentlichungen, ärztliche bzw. gutachterliche Tätigkeit nachgewiesene Fähigkeiten zur Beurteilung der posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Inhaftierungen, insbesondere Inhaftierungen in der früheren DDR verfügen müsse, angeregt.
In nichtöffentlicher Sitzung vom 7. März 2008 hat der damalige Berichterstatter den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Der Kläger hat u.a. angegeben, die Tätigkeit als Maler insbesondere wegen Problemen mit dem Kreuz und den Knien, Schlafstörungen und anderen psychischen Problemen beendet zu haben. Kreuzschmerzen und psychische Probleme seien im Wesentlichen auch der Grund dafür gewesen, dass er nicht mehr als Vertreter tätig gewesen sei. Die Tätigkeit als Gastwirt sei wegen Problemen mit dem Verpächter beendet worden. Auf die Niederschrift der Sitzung wird Bezug genommen.
Der Kläger hat u.a. die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2005 übersandt. Er könne nicht mehr angeben, welche Ärzte ihn seit 1985 behandelt haben. Der Senat hat für die Zeit ab 1985 bzw. 1991 einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. D. vom 23. Juni 2008 eingeholt, der den Kläger jedoch erstmals am 2. März 1995 behandelt hatte. Der Dr. E. hat in dem Befundbericht vom 1. September 2008 angegeben, dass der Kläger seit Februar 2003 bei ihm in Behandlung sei. Er hat bescheinigt, dass der Kläger durch die Haft und die daraus für ihn resultierenden Folgen massive und bleibende psychische und körperliche Schäden erlitten habe. Diese Schäden hätten auf die psychische, körperliche und soziale Gesundheit bis heute massive Auswirkungen. Es bestünden bleibende schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dr. E. hat Angstzustände, rezidivierende Depressionen, eine chronische posttraumatische Belastungsstörung sowie eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostiziert.
Der Berichterstatter hat den Sachverhalt in einer erneuten nichtöffentlichen Sitzung vom 16. Dezember 2008 erörtert. Auch hierzu wird auf die Niederschrift verwiesen.
Der Kläger hat auf die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI hingewiesen, wonach die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt sei, wenn Versicherte wegen eines Gewahrsams im Sinne des § 1 HHG vermindert erwerbsfähig geworden seien. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sei ihm auch dann Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt als 1991 eingetreten sei. Für die Zeit 1991 und davor verfüge er aber über keine fachärztlichen Gutachten oder Befunde. Es läge eine posttraumatische Belastungsstörung vor; hierzu hat er auf die Befunde des Dr. E. verwiesen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass allein die Zugehörigkeit zum Personenkreis nach dem HHG nicht automatisch die Zurechnung einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung bedinge. Es müsse der Eintritt von Erwerbsminderung durch die dem HHG zugrunde liegende Maßnahme vorangehen. Nach der Inhaftierung habe der Kläger aber wieder eine vollschichtige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Diese Tätigkeiten sei bis März 2005 verrichtet worden. Es sei daher auszuschließen, dass eine relevante Erwerbsminderung bereits im Jahre 1985 vorgelegen haben soll.
Parallel dazu war ein Berufungsverfahren, das auf die Gewährung medizinischer Rehabilitationsleistungen gerichtet war, anhängig (Az,: L 13 KN 2/08). Einen entsprechenden Antrag des Klägers vom 27. April 2006 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juni 2006 ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte sie ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 27. Oktober 2006 ein, der u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung, und einen Alkoholmissbrauch feststellte. Er habe keine Hinweise für eine episodisch ablaufende Affektstörung oder eine psychotische Störung gefunden. Das Leistungsvermögen auch als Malermeister betrage mehr als sechs Stunden. Eine ambulante Behandlung sei ausreichend. Das vom Sozialgericht München eingeholte und oben dargelegte Gutachten des Dr. B. gelangte hierzu zu dem Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers vor allem auch als Maler bzw. Malermeister gefährdet ist, da aufgrund der arthrotischen Kniegelenkserkrankungen Tätigkeiten in kniender Position möglicherweise nicht mehr verrichtet werden könnten und die psychopathologische Symptomatik eine deutliche Minderung der Erwerbsfähigkeit bedinge. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit könne aber durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht abgewendet, wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden. Das derzeitige Krankheitsbild bedürfe einer psychiatrischen Akutbehandlung. Durch ein stationäres Heilverfahren könne die Erwerbsfähigkeit zwar vermutlich wesentlich gebessert werden. Der Kläger sei jedoch nicht dazu geneigt, sich einer derartigen Behandlung zu unterziehen. Er lehne eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung derzeit ab. Das Sozialgericht wies auch diese Klage mit Urteil vom 19. Februar 2008 (Az.: S 4 KN 395/06) ab. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat der Kläger am 16. Dezember 2008 zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 10. September 2008 hat der Senat in dem vorliegenden Verfahren
Prozesskostenhilfe bewilligt und den damaligen Prozessbevollmächtigten beigeordnet, der die Vertretung zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2009 niedergelegt hat.
Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag zur Niederschaft gegeben hat, beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2007 und den Bescheid vom 5. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 12. Dezember 2006 eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Akten der Regierung von Niederbayern, der Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, weil diesem kein Anspruch auf eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI zusteht.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 1 S. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3 SGB VI.
Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 1 S. 1 SGB VI liegen bei dem Kläger nicht vor. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig im Mai 1991 und jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der AntragsteIlung im April 2006 erfüllt waren. In der Zeit ab 13. Juni 1989 lagen (bis 20. Juni 2000) lediglich 24 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten vor. Nicht - mit Ausnahme des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI - bestritten ist ferner, dass, wie die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid zutreffend ausführte, die Ausnahmetatbestände der §§ 241 Abs. 2, 53 SGB VI nicht gegeben sind. Damit kann der Senat offen lassen, ob ab März 1991 und vor allem gegenwärtig die medizinischen Voraussetzungen einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderungsrente erfüllt waren oder sind.
Aber auch § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI greift vorliegend nicht. §·53 SGB VI fingiert das Vorliegen der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI ist bei Eintritt der Fiktion eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren nicht erforderlich. Die Wartezeit ist aber insbesondere auch nicht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI vorzeitig erfüllt. Dies ist der Fall, wenn Versicherte wegen eines Gewahrsams (§ 1 HHG) vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben sind. Zwar findet aufgrund der Haft in der ehemaligen DDR in den Jahren 1984 und 1985 § 1 HHG Anwendung; dies ergibt sich ohne Weiteres auch aus den von der Regierung von Niederbayern beigezogenen Akten. Eine Rechtsstandsbescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG liegt in der Bescheinigung vom 16. Februar 1987 vor. Dabei muss der Gewahrsam mit dem Eintritt der Erwerbsminderung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Nach der geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist die Bedingung als ursächlich anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Dabei ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend (zum Ganzen: KassKomm-Niesel, § 53 SGB VI Rdnr. 6).
Der Kläger führt psychische Beeinträchtigungen bzw. eine posttraumatische Belastungsstörung auf die damalige Haft zurück. Der behandelnde Arzt Dr. E., auf den sich der Kläger vor allem stützt, diagnostizierte Angstzustände, rezidivierende Depressionen, eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie eine chronische posttraumatische Belastungsstörung. Der Allgemeinarzt Dr. K. stellte u.a. eine Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen fest. Dr. B. beschrieb in dem Gutachten eine Mischpsychose mit maniformer und zum Teil paranoider Symptomatik bei vermutlich zu Grunde liegender hyperthymer und schizotypischer Primärpersönlichkeit. Erst ca. 2006 ist die psychotische Symptomatik aufgetreten.
Die entscheidende Frage ist jedoch, ob diese Erkrankungen, die auch nach Einschätzung des Dr. B. in der Zwischenzeit, allerdings erst seit ca. 2006, zu einem Absinken der Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden geführt haben, ursächlich im Sinne der oben dargelegten Theorie der wesentlichen Bedingung auf die Haft (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V) zurückzuführen ist. Dagegen spricht, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, zunächst der lange Zeitraum zwischen der Haftentlassung im Jahre 1985 und dem Auftreten des Leistungsfalls ca. im Jahre 2006. Auch arbeitete der Kläger nach der Haftentlassung und später nach seiner Übersiedlung nach Landshut vor allem als Maler. Allerdings kann eine Ursächlichkeit allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs weder anerkannt noch abgelehnt werden. Gerade psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen verlaufen oft schleichend und können erst nach Jahren zum Tragen kommen. Ferner kann eine Verschlimmerung kausal auf das Ereignis zurückzuführen sein. Vor allem Dr. E. sieht einen wesentlichen Zusammenhang mit der Haft als gegeben an. Er beschreibt ein beim Kläger bestehendes Wiedererleben (flash-back) der psychischen Hafterlebnisse mit Herzrhythmusstörungen und Angstgefühlen, aber auch mit Schlafstörungen, Albträumen und Übererregung bzw. schweren Erregungszuständen. Der Hausarzt Dr. K. berichtete zum einen von einer Persönlichkeitsstörung mit manischen Zügen, andererseits von einer "Belastung nach Inhaftierung zu DDR-Zeiten" - ist also in der Befunderhebung deutlich zurückhaltender als Dr. E ...
Hingegen sieht Dr. B. keinen Zusammenhang der derzeitigen Erwerbsminderung mit der Inhaftierung. Aus der Anamnese geht hierbei hervor, dass die DDR-Vergangen-heit zwar weiterhin erheblich auf den Kläger einwirkt. Er zeigte die Tendenz zu paranoidem Denken wie die Idee, dass die Staatssicherheit der DDR immer noch aktiv sei und ihm Schaden zufügen wolle. Er fühlt sich weiterhin durch die Staatssicherheit verfolgt. Eine depressive Störung oder eine Angstsymptomatik konnte der Sachverständige allerdings nicht feststellen. Der Kläger gab an, gelegentlich Albträume gehabt zu haben, die Haft jedoch insgesamt zunächst "recht gut weggesteckt" zu haben. Erst der Scheidungskonflikt mit der Ehefrau und der Ärger mit seiner Wohnungsgesellschaft hatte die Thematik insoweit reaktiviert, als die Träume häufiger aufgetreten sind. Ein PTSD-typisches Vermeidungsverhalten im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung war für den Sachverständigen im Rahmen seiner Untersuchung nicht erkennbar.
Der Reha-Entlassungsbericht vom 27. Juni 2000 geht von einer posttraumatischen Belastungsstörung bei paranoider Persönlichkeitsstörung aus. Auch im Rahmen dieser Reha-Maßnahme spielte die Haft eine wichtige Rolle in der Anamnese. Die posttraumatische Belastungsstörung wurde dabei vom Kläger im Zusammenhang mit der Haft gesehen (BI. 2.3), von den Ärzten jedoch mit den Folgen eines Schädel-Hirntraumas III. Grades mit anschließendem Kleinhirninfarkt, den die damalige Ehefrau bei einem Unfall am 11. Februar 1998 erlitten hat. Es wird aus diesem Bericht sehr deutlich, dass die paranoide Persönlichkeitsstörung vor dem Grundgefühl des Klägers, schon im Elternhaus zu kurz gekommen zu sein, zu sehen ist. Es entwickelte sich als Basisgefühl eine Verbitterung und ein permanentes Gefühl der Unzufriedenheit. Die einjährige Haft als politischer Häftling hat sich "nur" verstärkend ausgewirkt. Bereits damals schilderte der Kläger den Eindruck, dass die DDR-Täter vor den Opfern bevorzugt und sein berufliches Fortkommen behindern würden. So heißt es z. B. in dem Entlassungsbericht: "Manchmal wacht er noch schweißgebadet auf und sieht Bilder aus der Haftsituation." Rehabilitationsziel war demgemäß u.a. der Beginn der Bearbeitung der posttraumatischen Belastungsstörung. Auffallend war auch ein Alkoholabusus.
Der im Rahmen des Reha-Verfahrens von der Beklagten gehörte Dr. S. stellte ebenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung fest. Eine psychotische Störung wurde nicht diagnostiziert.
Im Ergebnis spielen damit für die psychischen Beeinträchtigungen verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle. Zum einen ein von Kindheit an geprägtes Grundgefühl einer Verbitterung und ein permanentes Gefühl der Unzufriedenheit, das die Grundlage für eine paranoide Persönlichkeitsstörung bildet. Die Haft als solches wurde zunächst relativ gut verarbeitet, ohne dass es zu gravierenden Störungen gekommen ist. Ein besonderer Einschnitt war - auch wenn dies vom Kläger vehement bestritten wird - nach den vorliegenden Gutachten der Unfall der Ehefrau mit den gravierenden, die Familie belastenden Folgen, schließlich die Trennung der Eheleute und am Rande wohl auch die Wohnungssituation. Dabei wird sich die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung, die ganz bestimmte Anforderungen hat, hinsichtlich der Haft nur schwer begründen lassen. Nach den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) setzt bereits die Diagnose ein "belastendes außergewöhnliches Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweifelung hervorrufen würde", voraus. Zu Recht hegt Dr. B. Zweifel, ob dies bei einer Haftsituation - auch unter den besonderen Verhältnissen zu Zeiten der DDR - gegeben ist. Auch die krankheitstypischen flash-backs lassen sich nicht belegen. Der Kläger berichtet lediglich von gelegentlichen Albträumen bzw. Träumen, die den Gefängnisaufenthalt zum Inhalt haben. Er berichtet auch, dass diese nur zwei- bis viermal im Jahr auftreten. Ein Vermeidungsverhalten ist im Rahmen der Untersuchung durch Dr. B. nicht festgestellt worden. Vielmehr berichtet der Kläger nach allen vorliegenden Arztberichten offen über die Haftsituation und die subjektiven Folgen.
Letztlich kann der Senat aber die Frage, ob die bestehenden psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen tatsächlich auf eine posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen sind, offen lassen. Die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch einen Sachverständigen, der nachgewiesene Fähigkeiten zur Beurteilung der posttraumatischen Belastungsstörung in Folge von Inhaftierungen, insbesondere Inhaftierungen in der früheren DDR, verfügt, ist daher nicht notwendig. Das Gutachten des Dr. B. ist sowohl in der Befunderhebung, Anamnese und Diagnosestellung als auch in der Bewertung der Leistungsfähigkeit gründlich und überzeugend. Es beruht auf einer ambulanten Untersuchung und würdigt die vorliegenden Befunde sowie den medizinischen Inhalt der Akten. Der Senat hat keine Bedenken, es seiner Entscheidung zugrunde zu legen, zumal es sich um einen erfahrenen und fachlich kompetenten Gutachter handelt und das Gutachtensergebnis durch weitere medizinische Befunde wie den o.g. Reha-Entlassungsbericht gestützt wird. Eine erneute Begutachtung hält der Senat daher nicht für erforderlich, zumal der Kläger medizinische Unterlagen für den Zeitraum vor 1995 nicht vorlegen kann.
Der Senat gelangt daher zu der Überzeugung, dass die derzeitige Erwerbsminderung in keinem wesentlicher Zusammenhang mit der Inhaftierung steht. Auch besteht keine (Mit-)Ursächlichkeit der Haft dadurch, dass die Ehe geschieden wurde. Zum einen erfolgte die Ehescheidung erst im Mai 2006. Die krisenhafte Entwicklung der Ehe ist, wie sich ebenfalls aus dem Gutachten des Dr. B. ergibt, auf den Unfall, die damit verbundenen Folgen und die Nachbehandlung zurückzuführen, nicht auf Haftfolgen. Die Ausnahmevorschrift des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI greift damit nicht.
Aus den dargelegten Gründen scheidet auch das Eintreten des Leistungsfalls der Erwerbsminderung zu einem Zeitpunkt, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch gegeben waren (Mai 1991), aus. Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachverhaltsaufklärung ist das Leistungsvermögen des Klägers erst ab Mitte 2006 auf unter sechs bzw. drei Stunden abgesunken. Das Absinken auf unter drei Stunden ist nach dem Gutachten des Dr. B. durch die akute psychotische Störung bedingt, die erst ab diesem Zeitpunkt als nachgewiesen anzusehen ist. Nach dem Reha-Entlassungsbericht wurde der Kläger im Juni 2000 noch vollschichtig leistungsfähig für schwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen. Schließlich war der Kläger tatsächlich auch noch nach 1991 erwerbstätig als selbstständiger Maler sowie als Versicherungsvertreter und Gastwirt.
Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach
§ 240 SGB VI scheidet aus. Zwar beendete der Kläger, der gelernter Malermeister ist, die Tätigkeiten als Malermeister und Vertreter nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen; maßgeblich waren hierfür jedoch nicht psychische, sondern orthopädische Gesundheitsbeeinträchtigungen, die jedoch nicht ursächlich für die Annahme einer Erwerbsminderung sind. Nach dem Reha-Entlassungbericht wurde der Kläger aber auch vollschichtig leistungsfähig für die Tätigkeit als Malermeister entlassen, so dass sich eine Prüfung, ob eine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI vorliegt, erübrigt. Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die letztmalig im Mai 1991 erfüllt sein müssen. Darüber hinaus beendete er die Tätigkeit als Gastwirt aufgrund von Problemen mit dem Verpächter, so dass die berufliche Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde und eine Lösung von dem Beruf vorliegt (BSGE 32, 242, 244).
Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI scheidet damit aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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