L 15 SF 210/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 210/14
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Es ist nicht zulässig, den bei der Benutzung von öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Verkehrsmitteln zu leistenden Fahrtkostenersatz auf den Betrag zu beschränken, der bei Anschaffung der kostengünstigsten Fahrkarte angefallen wäre.
2. Bei der Erstattung von Auslagen für die Benutzung öffentlicher, regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel reicht es grundsätzlich aus, wenn die Kosten tatsächlich entstanden sind, ein kausaler Zusammenhang zwischen gerichtlich angeordnetem Termin und Fahrtkosten besteht und sich die geltend gemachten Kosten in dem in § 5 Abs. 1 JVEG vorgegebenen Rahmen bewegen. Darauf, ob die entstandenen Auslagen objektiv notwendig gewesen sind, kommt es grundsätzlich nicht an.
Die Entschädigung des Antragstellers für die Wahrnehmung des Termins zur Begutachtung am 07.07.2014 wird auf 28,10 EUR festgesetzt.



Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt einen Fahrtkostenersatz wegen der Wahrnehmung eines gerichtlich angeordneten Begutachtungstermins nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

In dem am Bayerischen Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 19 R 956/11 geführten Rechtsstreit wurde der dortige Kläger und jetzige Antragsteller am 07.07.2014 im Rahmen einer von Amts wegen angeordneten Begutachtung durch den ärztlichen Sachverständigen in N-Stadt untersucht.

Mit auf den 10.07.2014 datiertem Entschädigungsantrag, bei Gericht eingegangen am 11.07.2014, beantragte der Antragsteller Fahrtkostenersatz wegen des Erscheinens zur gutachtlichen Untersuchung am 07.07.2014. Er sei mit dem Bus nach B-Stadt und von dort mit dem Zug nach N-Stadt gefahren. Er machte Kosten in Höhe von 28,10 EUR geltend und legte dazu ein VGN Tagesticket Plus (Gesamtraum, 2. Klasse) zu 17,50 EUR und zwei Busfahrkarten von seinem Wohnort nach B-Stadt und zurück zu je 5,30 EUR vor.

Mit Schreiben vom 17.07.2014 bewilligte die Kostenbeamtin des LSG als Fahrtkostenersatz 17,50 EUR, was dem Preis des VGN Tagestickets Plus entspricht. Das Lösen von zwei VGN Busfahrkarten sei - so die Kostenbeamtin - nicht nötig gewesen, wobei sie auf ihr Schreiben vom 13.03.2014 verwies. In diesem Schreiben hatte die Kostenbeamtin die vom Antragsteller in einer weitgehend identischen Konstellation geltend gemachten Kosten für zwei Busfahrkarten und zwei Einzelfahrkarten der Bahn auf die Kosten einer "VGN Tagesfahrkarte für die Strecke von B-Stadt bis E-Stadt und zurück" in Höhe von 17,50 EUR gekürzt, ohne die Kürzung weitergehend zu erläutern.

Mit beim LSG am 28.07.2014 eingegangenem Schreiben hat die Antragsteller "Widerspruch" gegen die Abrechnung erhoben. Er - so der Antragsteller - sei gezwungen gewesen, Busfahrkarten vom Wohnort nach B-Stadt und zurück zu kaufen, da er nur von dort mit dem Zug weiter fahren könne.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit am 28.07.2014 eingegangenem Schreiben sinngemäß die gerichtliche Festsetzung beantragt.

Der Fahrtkostenersatz wegen der Wahrnehmung des Begutachtungstermins am 07.07.2014 ist antragsgemäß auf 28,10 EUR festzusetzen.

Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich wie hier um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinn des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.

1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Kostenfestsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; vgl. auch Meyer/Höver/Bach/Oberlack, a.a.O., § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).

2. Anzuwendende Fassung des JVEG

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechts-modernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist nach dem gemäß Art. 55 2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

3. Fahrtkostenersatz für Bus und Bahn

Für Fahrtkosten (Bus und Bahn) ist ein Auslagenersatz gemäß § 5 JVEG in Höhe von insgesamt 28,10 EUR zu leisten.

Der Gesetzgeber hat mit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 JVEG dem Zeugen bzw. Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit einem Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels. Wählt der Beteiligte wie hier die Anreise mit öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln, werden ihm gemäß § 5 Abs. 1 JVEG die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks ersetzt. Voraussetzung ist immer, dass die durchgeführte Fahrt auch objektiv notwendig war, um den gerichtlich angeordneten Termin wahr zu nehmen (vgl. Beschluss des Senats vom 21.05.2014, Az.: L 15 SF 137/13). Die entstandenen Kosten sind nachzuweisen (zur Nachweisführung: vgl. Beschluss des Senats vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B).

3.1. Objektive Notwendigkeit der Bus- und Bahnfahrten

Objektiv erforderlich waren beide Busfahrten am 07.07.2014 vom Wohnort des Antragstellers nach B-Stadt und zurück sowie die beiden Zugfahrten am 07.07.2014 von B-Stadt nach E-Stadt und zurück.

3.2. Umfang der Kostenerstattung

Es sind Kosten in Höhe von 28,10 EUR zu erstatten.

3.2.1. Nachweis der Kosten

Für die Busfahrt sind Kosten in Höhe von insgesamt 10,60 EUR (zwei Einzelfahrten zu je 5,30 EUR) und für die Bahnfahrt Kosten in Höhe von 17,50 EUR (Tagesticket Plus) jeweils durch die Vorlage der Fahrkarten nachgewiesen.

3.2.2. Keine Begrenzung der Entschädigung auf die kostengünstigste Fahrkarte

Es ist nicht zulässig, den Fahrtkostenersatz auf den Betrag zu beschränken, der bei Anschaffung der kostengünstigsten Fahrkarte angefallen wäre.

Zwar ist wegen des allgemeinen haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 7 Bundeshaushaltsordnung, Art. 7 Bayerische Haushaltsordnung) im Bereich der Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen, Dritten und ehrenamtlichen Richtern grundsätzlich das im gesamten Bereich des Kostenrechts geltende Gebot der Kostendämpfung und Kostenminimierung zu beachten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 24.05.2012, Az.: L 15 SF 24/12 B und vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05; vgl. auch Meyer/Höver/Bach/Oberlack, a.a.O., § 5, Rdnr. 2; Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014, § 5 JVEG, Rdnr. 2). Dies kann aber nicht dazu führen, dass dadurch die vom Gesetzgeber vorgegebenen Maßgaben für die Entschädigung über den Wortlaut des Gesetzes hinaus verschärft würden. Darauf, ob ein Antragsteller durch geschickte Auswahl der Fahrkarten eine weitere Reduzierung der Kosten erreichen hätte können, kommt es bei der Entschädigung nicht an, solange sich die tatsächlich entstandenen Kosten in dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen halten (vgl. Beschluss des Senats vom 16.12.2014, Az.: L 15 SF 209/14). Die im gesamten Kostenrecht geltende Kostenminimierungspflicht findet insofern ihre Grenze an den Vorgaben des § 5 Abs. 1 JVEG (vgl. Beschlüsse des Senats vom 21.05.2014, Az.: L 15 SF 137/13, und vom 16.12.2014, Az.: L 15 SF 209/14).

Diesen Rahmen hat der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 JVEG wie folgt gesetzt:
"bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks".

Irgendwelche weitergehenden Einschränkungen hat der Gesetzgeber nicht gemacht. Insbesondere gibt es keine Einschränkungen mehr, wie sie noch zur Geltungszeit des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG) vorgesehen waren. Dort war in § 9 Abs. 2 Satz 2 ZuSEG geregelt, dass der Ersatz der Beförderungsauslagen nach den persönlichen Verhältnisses des Anspruchsstellers zu bemessen sei, was dazu führte, dass Kosten der ersten Wagenklasse - mit gewissen Ausnahmen - nur dann als erstattungsfähig betrachtet wurden, wenn sich Personen vom Berufsstand des Antragstellers erfahrungsgemäß bei solchen Reisen dieser Klasse bedienten (vgl. Meyer/Höver/Bach, ZuSEG, 22. Aufl. 2002, § 9, Rdnr. 5). Zudem wurde aufgrund der in § 9 Abs. 1 Satz 1 ZuSEG enthaltenen Vorgabe, das preisgünstigste öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, die Auslagenerstattung im Regelfall auf die Kosten beschränkt, die bei Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verbilligung der Fahrtkosten entstanden wären (vgl. Meyer/Höver/Bach, ZuSEG, a.a.O., § 9, Rdnr. 5.6). Damit war der Antragsteller entschädigungsrechtlich verpflichtet, Sonderangebote, Verbundfahrkarten, vergünstigte Rückfahrkarten und dergleichen in Anspruch zu nehmen (vgl. Beschluss des Bayer. LSG vom 06.05.1997, Az.: L 16 Ar 386/93.Ko).

Derartige, durch den Status oder die Kostenminimierungspflicht begründete Einschränkungen gibt es im Geltungsbereich des JVEG nicht mehr.

Der Gesetzgeber hat dies im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum JVEG (vgl. Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG] - Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 143) wie folgt begründet:

"Für den Bereich der Erstattung von Fahrtkosten und sonstigen Aufwendungen sowie der Entschädigung für Aufwand werden folgende Regelungen vorgeschlagen: Die Regelungen zur Erstattung der Fahrtkosten sollen erstmals so vereinheitlicht werden, dass zukünftig für alle Berechtigten die gleichen Bestimmungen gelten. Dies würde bedeuten, dass sich die Fahrtkostenerstattung bei Benutzung öffentlicher, regelmäßig verkehrender Verkehrsmittel durch Sachverständige, Dolmetscher, Übersetzer oder Zeugen nicht mehr wie bisher auch an deren persönlichen Verhältnissen sondern - wie heute schon im Bereich der Entschädigung ehrenamtlicher Richter - nur noch an der Höhe der mit der Benutzung des Verkehrsmittels verbundenen tatsächlichen Kosten orientieren würde. Persönliche Umstände wie Alter, Beruf oder Gesundheitszustand des Erstattungsberechtigten sollen also künftig für den Umfang der Erstattung ohne Belang sein. Damit soll ein Beitrag zu einem einfach zu handhabenden und sozial gerechteren Entschädigungssystem geleistet werden."

Weiterer Hintergrund ist, dass die mit dem KostRMoG erfolgte Neukonzeption des Entschädigungs- und Vergütungsrechts von dem elementaren gesetzgeberischen Bedürfnis nach einer Vereinfachung der Rechtsanwendung geprägt war (vgl. die Gesetzesbegründung zum KostRMoG, a.a.O., z.B. S. 2, 139, 140, 142, 143, 180; vgl. auch Beschluss des Senats vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11). Insofern ist davon auszugehen, dass mit der im JVEG erfolgten Beschränkung nur noch auf die Kosten der ersten Wagenklasse und insbesondere dem Verzicht auf die Vorgabe, alle Vergünstigungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, eine nicht unerhebliche Entlastung der Kostenbeamten und auch der Kostenrichter eingetreten ist.

Bei Berücksichtigung der im JVEG geltenden aufgezeigten Maßgaben stellt sich die Frage nicht, ob ein Antragsteller eine kostengünstigere Fahrkarte wählen hätte können (vgl. Beschluss des Senats vom 16.12.2014, Az.: L 15 SF 209/14). Vielmehr sind die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks zu ersetzen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller auch dann mit der ersten Wagenklasse gefahren wäre, wenn er die Kosten dafür selbst hätte tragen müssen.

3.2.3. Keine Begrenzung der Entschädigung über den Gesichtspunkt der Notwendigkeit der erworbenen Fahrkarte

Dem Antragsteller kann nicht entgegen gehalten werden, dass die Busfahrkarten nicht erforderlich gewesen wären, da für die Busfahrten auch das von ihm erworbene VGN Tagesticket Plus gegolten hätte und die Busfahrkarten daher unnötig gewesen sind.

3.2.3.1. Allgemeines

Im Gegensatz zu dem in § 7 Abs. 1 JVEG geregelten Ersatz für sonstige, in §§ 5, 6 und 12 JVEG nicht besonders genannte Auslagen kommt es beim Ersatz von Fahrtkosten öffentlicher, regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel grundsätzlich nicht darauf auf an, ob die entstandenen Auslagen objektiv notwendig gewesen sind. Dies gilt nicht nur bezüglich der Höhe des Fahrkartenpreises (vgl. oben Ziff. 3.2.2.), sondern auch hinsichtlich der objektiven Erforderlichkeit der Fahrkarte. Es kann daher einem Antragsteller im Rahmen der Entschädigung nicht nur nicht entgegen gehalten werden, dass eine günstigere Fahrkarte auch ausgereicht hätte, um den gerichtlichen Termin wahrzunehmen, sondern im Regelfall auch nicht, dass er die zur Entschädigung vorgelegte Fahrkarte überhaupt nicht erwerben hätte müssen.

Dabei stützt sich der Senat auf folgende Gesichtspunkte:

* Schon der vom Gesetzgeber gewählte Wortlaut in § 5 Abs. 1 JVEG ("die tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe ... der ersten Wagenklasse") einerseits und § 5 Abs. 3 JVEG ("wegen besondere Umstände notwendig"), § 5 Abs. 5 JVEG ("durch besondere Umstände genötigt") und § 7 Abs. 1 JVEG ("soweit sie notwendig sind") andererseits zeigt, dass dem Grundsatz der objektiven Notwendigkeit entstandener Kosten keine allumfassende Gültigkeit im Bereich des JVEG zukommt.

Hätte der Gesetzgeber dem Grundsatz der Notwendigkeit in diesem Zusammenhang relevante Bedeutung zugemessen, hätte er dies als Mittel zur Kostenbegrenzung einführen können. Dies wäre im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens zulässig gewesen. Denn was die Entschädigung von Zeugen, denen über § 191 SGG die Beteiligten gleichgestellt sind, angeht, darf nicht verkannt werden, dass die Teilnahme an einem gerichtlich angeordneten Termin Teil der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten ist und der Gesetzgeber verfassungsmäßig nicht verpflichtet ist, dafür überhaupt einen Ausgleich zu gewähren (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10.10.1978, Az.: 2 BvL 3/78).

* Wie bereits oben (vgl. oben Ziff. 3.2.2.) erläutert, ist die Neukonzeption des Entschädigungs- und Vergütungsrechts von dem elementaren gesetzgeberischen Bedürfnis nach einer Vereinfachung der Rechtsanwendung und Reduzierung des Verwaltungsaufwands geprägt. Dass es dabei zu Mehrkosten kommen kann, hat der Gesetzgeber ausdrücklich hingenommen. So hat er beispielsweise zum JVEG Folgendes (vgl. die Gesetzesbegründung zum KostRMoG, a.a.O., S. 143, ganz ähnlich auch auf S. 180) ausgeführt:
"Die vorgeschlagene Regelung kann zwar zu Mehrkosten führen. Es erscheint jedoch im Hinblick auf die angestrebte Vereinfachung des Kostenrechts geboten, die nach der derzeitigen Rechtslage unumgängliche und für alle Beteiligten mühsame und zeitintensive Vergleichsberechnung zukünftig entfallen zu lassen."

Dies zeigt eindrucksvoll, dass der Gesetzgeber beim Erlass des § 5 Abs. 1 JVEG dem Notwendigkeitsgrundsatz keine entscheidende Bedeutung zugemessen hat, um das Ziel der Verwaltungsvereinfachung nicht zu konterkarieren.

* Das Tarifsystem der öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittel ist so unübersichtlich und schwer durchschaubar geworden, dass es einem Betroffenen oft nur schwer möglich ist, zu ermitteln, ob eine weitere Teilfahrkarte nötig ist oder nicht (vgl. z.B. Frankfurter Rundschau vom 11.11.2013: "Verloren im Tarif-Dschungel"). So sind die Fälle nicht selten, bei denen mehrere Fahrkartenoptionen zur Verfügung stehen, die sich auch darin unterscheiden, dass teilweise zusätzliche Fahrkarten für Teilstrecken zu erwerben sind, die bei einer anderen Option verzichtbar sind. Selbst bei einem Fahrkartenerwerb an einem Schalter ist - dies zeigt die Praxis - nicht immer sichergestellt, dass die kostengünstigste Fahrkarte empfohlen wird. Einen Beitrag dazu, sich in diesem Tarifdschungel nicht entschädigungsrechtlich zu verlaufen, liefert der Gesetzgeber damit, dass er pauschal die tatsächlich entstandenen Fahrkosten bis zur Höhe der Anreise in der ersten Wagenklasse als erstattungsfähig bezeichnet hat.

* Dem Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber bezweckten Verwaltungsvereinfachung der Kostenbehandlung würde es nicht entsprechen, wenn sich die Kostenbeamten und Kostenrichter, die es teilweise mit bayernweit gestellten Entschädigungsanträgen zu tun haben, mit den Details der diversen Nahverkehrssysteme und Fahrkartenmöglichkeiten im Einzelnen beschäftigen müssten. Vielmehr soll die Berechnung der Entschädigung zeiteffektiv unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber vergleichsweise großzügig vorgegebenen Kostenobergrenze einer Anreise in der ersten Wagenklasse erfolgen. Unter diesen Prämissen ist es hinzunehmen, dass es im Einzelfall nicht auszuschließen ist, dass objektiv nicht erforderliche Kosten erstattet werden, die aber bei anderer zulässiger Fahrkartenwahl möglicherweise sogar noch überschritten worden wären.

Bei der Erstattung von Auslagen für die Benutzung öffentlicher, regelmäßig verkehrender Beförderungsmittel reicht es daher grundsätzlich aus, wenn die Kosten tatsächlich entstanden sind, ein kausaler Zusammenhang zwischen gerichtlich angeordnetem Termin und Fahrtkosten besteht und sich die geltend gemachten Kosten in dem in § 5 Abs. 1 JVEG vorgegebenen Rahmen bewegen.

Es ist daher auch grundsätzlich ohne entschädigungsrechtliche Relevanz, wenn der Antragsteller Kosten aufgewendet hat, die er vermieden hätte, wenn er auf eigene Kosten reisen hätte müssen und daher die erforderlichen Kosten möglicherweise sorgfältiger geprüft hätte. Denn eine Orientierung an der eigenüblichen Sorgfalt beim Fahrkartenerwerb hat der Gesetzgeber aufgrund der Zielsetzung einer Verwaltungsvereinfachung nicht vorgesehen.

Lediglich im ganz seltenen Ausnahmefall, wenn es offensichtlich auf der Hand liegt, dass so gut wie jeder eigenverantwortlich handelnder Antragsteller, der nur ganz vereinzelt mit öffentlichen, regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln verreist, die geltend gemachten Kosten nicht aufgewendet hätte, sieht der Senat keine Erstattungsfähigkeit mehr. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Handhabbarkeit dürfen die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter dabei aber nicht überspannt werden (Leitgedanke der Rechtsprechung des Kostensenats vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10, vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B, vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13, vom 08.05.2014, Az.:
L 15 SF 42/12, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, vom 03.11.2014, Az.: L 15 SF 254/12, und vom 04.11.2014, Az.: L 15 SF 198/14).

3.2.3.2. Zum Fall des Antragstellers

Bei Beachtung dieser Vorgaben sind die vom Antragsteller geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 28,10 EUR zu erstatten.

Dass die Kosten für die Busfahrkarten objektiv nicht erforderlich waren, ist für die Bemessung der Entschädigung ohne rechtliche Bedeutung. Die geltend gemachten Kosten liegen in dem vom Gesetzgeber eröffneten Rahmen für die Entschädigung. Allein die Fahrt mit der Bahn von B-Stadt nach N-Stadt und zurück mit der ersten Wagenklasse, die eine nach dem JVEG zulässige Reiseart dargestellt hätte, hätte insgesamt 41,- EUR gekostet. Diesen Rahmen überschreiten die vom Antragsteller getätigten Aufwendungen für alle Fahrkarten nicht.

Es liegt auch nicht offensichtlich auf der Hand, dass so gut wie jeder eigenverantwortlich handelnder Antragsteller die Busfahrkarten nicht gekauft hätte. Von einer offensichtlichen fehlenden Erforderlichkeit der Busfahrkarten kann auch nicht wegen des Schreibens der Kostenbeamtin vom 13.03.2014 an den Antragsteller ausgegangen werden. Denn dort ist zwar eine Kürzung auf die Kosten eines VGN Tagestickets Plus erfolgt, aber nicht näher erläutert worden, warum die Kürzung erfolgt ist. Allenfalls bei genauem Hinterfragen hätte sich der Antragsteller die Kürzung damit erklären können, dass er nicht nur die Bahnfahrten, sondern auch die Busfahrten mit dem VGN Tagesticket Plus absolvieren hätte können. Dies reicht für den Senat aber nicht aus, um die Busfahrkarten von der Auslagenerstattung auszuschließen.

Die Entschädigung des Antragstellers für die Teilnahme am Begutachtungstermin am 07.07.2014 ist daher antragsgemäß auf 28,10 EUR festzusetzen.

Der Kostensenat des Bayer. LSG trifft diese Entscheidung nach Übertragung wegen grundsätzlicher Bedeutung in voller Besetzung (§ 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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