L 12 KA 66/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KA 50/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 66/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 24/15 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Einbeziehung von Arztgruppen mit weniger als 1000 Ärzten in die Bedarfsplanung durch die Festsetzung von Verhältniszahlen ist nach pflichtgemäßem Ermessen des Gemeinsamen Bundesausschusses möglich.
2. Der Gemeinsame Bundesausschuss konnte das prozedurale Entscheidungsmoratorium vom 06.09.2012 (§ 48 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BedarfsplRL) auf der Grundlage von § 104 Abs. 2 SGB V zur Sicherung des umfassenden Auftrags zur Neuordnung der vertragsärztlichen Bedarfsplanung durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz erlassen. § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV erfasst diesen Fall einer Rechtsänderung, die die Grundlagen der Bedarfsplanung beeinflusst, nicht (vgl. BSG Urteil vom 17.10.2007, B 6 KA 45/06 R).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2014 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Genehmigung der Anstellung eines Strahlentherapeuten.

Mit Antrag vom 19.12.2012, beim Zulassungsausschuss eingegangen am 20.12.2012, beantragte der Kläger die Genehmigung der Beschäftigung des Strahlentherapeuten Dr. C. in seiner strahlentherapeutischen Praxis in A-Stadt.

Am 15.2.2013 ordnete der Landesausschuss eine Zulassungsbeschränkung für Strahlentherapeuten in Bayern wegen Überversorgung an.

Aufgrund des Beschlusses vom 5.6.2013 lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 19.6.2013 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, dass der vollständige Antrag auf Genehmigung der Anstellung des Strahlentherapeuten Dr. C. vor der Veröffentlichung des Beschlusses des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Zulassungsbeschränkungen am 8.3.2013 gestellt worden sei. Die nachträglich angeordnete Zulassungssperre könne diesem Antrag nicht entgegengehalten werden. Diesem Ergebnis stehe auch der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 6.9.2012 nicht entgegen, da dieser insoweit keine Regelungskompetenz gehabt habe und damit ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliege. § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV lege fest, dass ein Antrag wegen Zulassungsbeschränkungen nur dann abgelehnt werden könne, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren. Mit Bescheid vom 14.11.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 95 Abs. 9 Satz 1 SGB V könne eine Anstellungsgenehmigung erteilt werden, wenn keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet seien. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Bedarfsplanungsrichtlinie, geändert mit Beschluss vom 6.9.2012, seien Anträge von Strahlentherapeuten wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei der Antragstellung angeordnet waren. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Bedarfsplanungsrichtlinie könne der Zulassungsausschuss erst dann enscheiden, wenn der Landesausschuss die Feststellung nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB V getroffen habe. Vorliegend habe der Landesausschuss mit Beschluss vom 15.2.2013 eine Überversorgung für die Arztgruppe der Strahlentherapeuten festgestellt und für den Planungsbereich Bayern eine Zulassungsbeschränkung angeordnet. Der Versorgungs- grad betrage 161,6 %.

Hiergegen legte der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) ein. Zur Begründung verwies er auf § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Danach könne ein Antrag wegen Zulassungsbeschränkungen nur dann abgelehnt werden, wenn diese bereits bei Antragstellung angeordnet waren. Diese Vorschrift habe der GBA zu umgehen versucht. Der Moratoriumsbeschluss vom 6.9.2012 in § 48 Bedarfsplanungsrichtlinie, nach dem Anträge auf Erteilung einer Anstellungsgenehmigung erst verbeschieden werden dürften, sobald der Landesausschuss auf der Basis der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie über eine Überversorgung entschieden habe, verstoße gegen § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Durch diese Regelung würden faktisch Zulassungsbeschränkungen für einen Zeitraum verhängt, in dem die betroffenen Arztgruppen überhaupt noch nicht der Bedarfsplanung unterlagen. Auch habe der Gesetzgeber keine Übergangsregelungen vorgesehen. Der Moratoriumsbeschluss greife darüber hinaus in unverhältnismäßiger und rechtswidriger Weise in Grundrechtspositionen etwaiger Antragsteller ein. Die Vorgehensweise des GBA sei als "Nacht- und Nebelaktion" zu bezeichnen.

Die Beigeladene zu 1) führte demgegenüber aus, dass der GBA durch einfache Änderung der Bedarfsplanungsrichtlinie bestimmen könne, welche Fachgebiete der Bedarfsplanung unterlägen. Aus dieser Kompetenz ergebe sich auch die funktionelle Zuständigkeit des GBA, eine Regelung zu erlassen, nach der über Zulassungsanträge erst zu dem Zeitpunkt entschieden werden dürfe, nach dem der Landesausschuss die Feststellungen nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB V getroffen habe. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte stünden einem Moratorium nicht entgegen. Auch die Einbeziehung der bislang nicht beplanten Arztgruppen verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. § 101 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sehe nur eine zwingende Festlegung vor, wenn die Zahl der Ärzte einer Arztgruppe bundesweit 1000 übersteige, schließe jedoch die Einbeziehung kleinerer Arztgruppen nicht aus.

Mit Urteil vom 20.3.2014 wies das SG die Klage ab. Nach § 95 Abs. 9 S. 1 SGB V sei eine Anstellungsgenehmigung zu erteilen, sofern für die Arztgruppe, der der anzustellende Arzt angehört, keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet seien. Die Zulassungssperre sei vom Landesausschuss zwar erst mit Beschluss vom 15.2.2013, also noch nicht zum Zeit- punkt der Antragstellung am 20.12.2012, angeordnet worden. Ein Verstoß gegen § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV werde dadurch jedoch nicht begründet, da der GBA mit Beschluss vom 6.9.2012 ein Moratorium verfügt habe. Zu dieser Regelung sei der GBA auch befugt, wie das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt habe. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liege ebenfalls nicht vor. Es liege allenfalls eine unechte Rückwirkung vor, die bereits rechtmäßig sei, wenn ausreichende Gemeinwohlgründe sie erforderten und das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht überwiege. Die allgemeine Erwartung, dass sich die bestehende Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeit einer Vertragsarztzulassung nicht verändern werde, sei nicht Gegenstand des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein. Zur Begründung verwies er auf seine bisherigen Ausführungen und vertiefte diese. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17.10.2007 beziehe sich nur auf die Zulassungsanträge, die im Zeitraum zwischen der Bekanntmachung der Bedarfsplanungsrichtlinie und einer Beschlussfassung des Landesausschusses gestellt würden. Rechtliche Bedenken bestünden auch gegen die Einbeziehung von Arztgruppen mit einer Zahl von unter 1000. Auch sei die Bezugnahme auf den Versorgungsgrad des Jahres 2010 problematisch.

Der Beklagte verwies erneut darauf, dass kein Vertrauensschutz dahingehend bestehe, dass sich die bestehende Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeiten der Vertragsarztzulassung bzw. einer Anstellungsgenehmigung nicht verändern würde. Im Übrigen sei das Moratorium rechtmäßig. Der Hinweis des Klägers auf § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV verkenne, dass diese Norm nur dann gelte, wenn in einer bereits beplanten Arztgruppe eine Zulassungsbeschränkung zwischen dem Eingang des Zulassungsantrags und der Entscheidung des Zulassungsausschusses ergehe.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag aus dem Schreiben vom 9. Oktober 2014.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogenen Akten des Beklagten sowie des Zulassungsausschusses verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Anstellungsgenehmigung, da der Antrag nach dem Beschluss des GBA vom 6.9.2012 sowie dessen Veröffentlichung gestellt wurde.

Nach § 95 Abs. 9 Satz 1 SGB V, § 32b Ärzte-ZV hat der Kläger nur einen Anspruch auf die Genehmigung der Anstellung, sofern für die Arztgruppe der Strahlenmediziner keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind. Dies war zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung der Fall, der Beklagte war aber durch das Entscheidungsmoratorium vom 6.9.2012 (§ 48 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BedarfsplRL i.d.F. ab 6.9.2012, BAnz AT 21.09.2012 B4) an einer positiven Entscheidung gehindert. Nach § 48 Abs. 2 S. 3 BedarfsplRL war der Antrag des Klägers wegen Zulassungsbeschränkungen auch dann abzulehnen, wenn diese noch nicht bei Antragstellung angeordnet waren.

Die Einbeziehung der bisher nicht von der Bedarfsplanung erfassten Arztgruppe der Strahlenmediziner ist möglich. Rechtsgrundlage ist § 101 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, wonach Verhältniszahlen für den allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad in der vertragsärztlichen Versorgung festgesetzt werden können. Dem steht § 101 Abs. 2 Nr. 2 SGB V nicht entgegen. Insoweit wird der GBA lediglich verpflichtet, bei einem Überschreiten der Zahl der Ärzte von 1000 zwingend Verhältniszahlen festzusetzen. Wird bei einer Arztgruppe die Zahl von bundesweit 1000 Ärzten nicht erreicht, besteht nach pflichtgemäßem Ermessen jedenfalls die Möglichkeit, auch für diese Arztgruppe Verhältniszahlen festzusetzen. Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Einbeziehung der von § 48 BedarfsplRL i.d.F. ab 6.9.2012 erfassten Arztgruppen unverhältnismäßig im Sinne einer fehlenden Erforderlichkeit oder Eignung wäre. Vielmehr zeigen die tragenden Gründe eine starke Steigerung der Vertragsarztzahlen in den bisher unbeplanten Arztgruppen, die eine Reaktion erforderlich machte.

Unstreitig wurden die Verhältniszahlen für die Gruppe der Strahlenmediziner vom Landesausschuss erst nach Antragstellung festgesetzt. Deshalb ist entscheidungserheblich, ob der GBA die Kompetenz zum Erlass des Beschlusses vom 6.9.2012 hatte, mit dem das Entscheidungsmoratorium festgesetzt wurde. Davon geht der Senat aus. Der Klägerbevollmächtigte beruft sich demgegenüber zu Unrecht auf § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Hierzu hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 17.10.2007 (B 6 KA 45/06 R) ausdrücklich ausgeführt, dass diese Vorschrift nur den Fall betrifft, "dass aufgrund der Entwicklung der Arztzahlen für eine Arztgruppe Zulassungsbeschränkungen neu eingeführt werden" (juris Rn. 18). Die Konstellationen aus Anlass einer Rechtsänderung, die die Grundlagen der Bedarfsplanung beeinflusst, würden von der pauschalen Regelung des § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV jedoch nicht erfasst, diese besonderen Fallgestaltungen müssten vielmehr vom jeweiligen Normgeber im Kontext mit diesen Änderungen einer spezifischen und dem Zweck der Bedarfsplanung entsprechenden Lösung zugeführt werden. Der GBA habe insoweit im Rahmen der abgestuften Normsetzungsdelegation nach § 104 Abs. 2 SGB V die Kompetenz, ein Moratorium zu verhängen.

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung geht der Senat davon aus, dass das Moratorium aus Anlass von Rechtsänderungen, welche die Bedarfsplanung beeinflussen, erlassen wurde, so dass der GBA ein Moratorium erlassen konnte. Dieser Feststellung liegt die Tatsache zu Grunde, dass mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) ab 2013 die Bedarfsplanung zur Sicherung einer flächendeckenden Versorgung weiterentwickelt wurde (BT-Drs. 17/6906, S. 42 f.), insbesondere durch eine Neugestaltung der Planungsbereiche und die stärkere Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Mit dem GKV-VStG wurde ein umfassender Auftrag zur Neuordnung der vertragsärztlichen Bedarfsplanung zur Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung erteilt. Der GBA sollte bis zum 1.1.2013 die Planungsbereiche neu ordnen und die Verhältniszahlen neu festsetzen. Damit konnte der GBA auf der Grundlage von § 104 Abs. 2 SGB V ein prozedurales Entscheidungsmoratorium erlassen. § 19 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV ist nicht einschlägig.

Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt ebenfalls nicht vor. Rechtsgrundlage für die Ablehnung des klägerischen Antrags ist § 48 Abs. 2 S. 3 BedarfsplRL; er wurde am 21.9.2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht und damit rechtswirksam. Da der Kläger den Antrag erst am 20.12.2012 beim Zulassungsausschuss stellte, also lange nach Inkrafttreten der Norm, liegt keine echte Rückwirkung vor, die einen Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt voraussetzt. Ein weitergehendes schützenswertes Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage liegt nicht vor, da ein schützenswertes Vertrauen potentieller Zulassungsbewerber und Antragsteller dahingehend, dass sich die bestehende Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeiten einer Vertragsarztzulassung nicht verändern werde, verfassungsrechtlich nicht gewährleistet ist (BSG a.a.O. Rn. 24).

Damit war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG, § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision war zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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