L 10 AL 116/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 246/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 116/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Entstehung, Fälligkeit und Verfall von Beitragsansprüchen der Bundesagentur für Arbeit im Zusammenhang mit der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld während eines laufenden, arbeitsgerichtlichen Kündigungschutzverfahrens (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.09.1981 - 12 RK 58/80 - BSGE 52, 152ff; Urteil vom 22.06.1994 – 10 RAr 3/93SozR 3-4100 § 160 Nr. 1)
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.02.2016 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2013 wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattungspflicht der Klägerin in Bezug auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, die die Beklagte anlässlich der Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für einen Arbeitnehmer der Klägerin im Wege der Gleichwohlgewährung aufzubringen hatte.

Ein Arbeitnehmer der Klägerin, C. (S.), meldete sich am 17.02.2003 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Die Klägerin hatte das Arbeitsverhältnis mit S. fristlos mit Schreiben vom 02.01.2003 und bereits vorausgehend unter Einhaltung der Kündigungsfrist mit Schreiben vom 20.12.2002 zum 31.03.2003 gekündigt. Hierauf bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2003 Alg für die Zeit ab dem 17.02.2003 (Bescheid vom 12.03.2003) nach einem wöchentlichen (ungerundeten) Bemessungsentgelt von 912,13 EUR (gerundet 910,00 EUR) für eine Anspruchsdauer von 540 Kalendertagen.

Nachdem S. gegen die Klägerin eine Kündigungsschutzklage erhoben hatte, zeigte die Beklagte gegenüber der Klägerin (erstmals) auch den Anspruchsübergang in Bezug auf Arbeitsentgeltansprüche des S. an (Schreiben vom 13.03.2003). Die damit verbundene Anfrage, die Klägerin möge auf die Einrede der Verjährung und die Geltendmachung eventuell einschlägiger Ausschlussfristen verzichten, blieb seitens der Klägerin unbeantwortet.

In der Folgezeit wurde mit Teilurteil des Arbeitsgerichtes A-Stadt vom 28.05.2004 (10 Ca 352/03) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des S. durch die fristlose Kündigung vom 02.01.2003 nicht aufgelöst worden sei. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 08.09.2004 den Übergang von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 17.02.2003 bis 30.06.2003 geltend gemacht hatte, wies die Klägerin darauf hin, dass der Kündigungsrechtsstreit noch nicht abgeschlossen sei. Daraufhin stellte die Beklagte den Erstattungsanspruch ruhend bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens. Nach dem Ende des Leistungsbezuges zum 09.08.2004 lehnte die Beklagte einen Antrag des S. auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab (Bescheid vom 30.11.2004). Auf einen erneuten Versuch der Beklagten, einen Erstattungsanspruch geltend zu machen (Schreiben vom 22.02.2005), erklärte die Klägerin, dass lediglich der Kündigungsrechtsstreit in Bezug auf die (fristlose) Kündigung vom 02.01.2003 abgeschlossen sei. Der Streit um die ordentliche Kündigung zum 31.03.2003 werde noch weitergeführt. Es bestehe jedoch die Bereitschaft, die bis 31.03.2003 übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche auszugleichen (Schreiben vom 03.03.2005). Nach der Bezifferung des Erstattungsanspruch für den Zeitraum 17.02.2003 bis 31.03.2003, der Einziehung der Forderung und der Gutschrift des verbrauchten Anspruches, bewilligte die Beklagte S. Alg für den Zeitraum 10.08.2004 bis 21.09.2004. Mit Urteil des Landesarbeitsgerichtes A-Stadt vom 15.01.2008 (3 Sa 34/07) wurde festgestellt, dass auch durch die (ordentliche) Kündigung vom 20.12.2002 das Arbeitsverhältnis des S. nicht beendet worden sei. Auf die Geltendmachung des Anspruches am 28.08.2008, dass wegen des gleichwohl gewährten Alg der übergegangene Arbeitsentgeltanspruch zu erstatten sei, erhob die Klägerin die Einrede der Verjährung. Hierzu teilte S. der Beklagten mit (Schreiben vom 05.02.2009), sein vormaliger Bevollmächtigter habe es versäumt, im Kündigungsschutzprozess auch den Annahmeverzugslohn für die Zeit ab dem 01.04.2008 geltend zu machen. Er werde allein noch einen Schadensersatzanspruch gegen seinen vormaligen Bevollmächtigten geltend machen. Arbeitsentgelt werde er aufgrund der Ausschlussklausel im Haustarifvertrag gegenüber der Klägerin nicht mehr einklagen.

Mit Bescheid vom 21.10.2010 machte die Beklagte gegenüber der Klägerin geltend, es seien die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für S. in Höhe von 10.963,88 EUR zu erstatten, die anlässlich der Zahlung von Alg an S. im Zeitraum vom 01.04.2003 bis 21.09.2004 durch die Beklagte an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringen gewesen seien. Dem Bescheid widersprach die Klägerin. Die Forderung sei verjährt und es werde ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhoben (§ 25 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IV). Auch die Arbeitsentgeltansprüche des S. seien zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Geltendmachung am 28.08.2008 verjährt gewesen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2013 zurück. Grundsätzlich ruhe ein Anspruch auf Alg für Zeiten, für die Arbeitsentgelt zu beanspruchen sei. Soweit ein Arbeitsloser Arbeitsentgelt tatsächlich nicht erhalte, werde ihm Alg gleichwohl gewährt (§ 143 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III). In diesem Fall habe der Arbeitgeber gemäß § 335 Abs. 3 SGB III die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu ersetzen, soweit er für dieselbe Zeit Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu entrichten habe. Der Anspruch auf Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge hänge nicht vom Bestehen der Entgeltansprüche sondern vom Bestand des Beschäftigungsverhältnisses ab. Der Kündigungsschutzprozess habe die Verjährung der Rentenversicherungsbeiträge gehemmt, so dass nach dessen Abschluss im Jahr 2008 die Beitragsansprüche im Jahr 2010 noch nicht verjährt gewesen seien.

Mit der am 14.07.2014 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Widerspruchsbescheid vom 27.09.2013 sei ihr erstmals am 27.06.2014 zur Kenntnis gebracht worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die Beitragsansprüche verjährt, denn der Kündigungsschutzprozess habe deren Verjährung nicht gehemmt. Zudem sei der Widerspruchsbescheid auch aus formalen Gründen aufzuheben.

Das SG hat mit Urteil vom 17.02.2016 den Bescheid vom "14.09.2010" in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2013 aufgehoben. Die Klägerin habe ihrem Arbeitnehmer für den Zeitraum vom 01.04.2003 bis 21.09.2004 kein Arbeitsentgelt geschuldet. Insbesondere sei seitens des S. keine Leistungsklage auf Zahlung von Lohn wegen eines Annahmeverzuges der Klägerin erhoben worden. Damit seien Beitragsansprüche, die die Einzugsstelle hätte erheben können, nicht fällig geworden, so dass eine Einziehung ausgeschlossen gewesen sei. Ein Anspruchsübergang habe daher nicht eintreten können.

Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Es sei unerheblich, ob der Arbeitsentgeltanspruch wegen der Ausschlussfrist des Haustarifvertrages entfallen sei, denn maßgeblich sei allein, dass ein Arbeitsentgeltanspruch für den Zeitraum bestanden habe, für den Alg iSd § 143 SGB III gleichwohl gewährt worden sei. Der "Regress" in Bezug auf die zu erstattenden Sozialversicherungsbeiträge bleibe von der Ausschlussklausel unberührt. Der Ausschluss erfasse lediglich den wegen der Zahlung des Alg übergegangenen Arbeitsentgeltanspruch. Die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen sei mit der Fälligkeit des Arbeitsentgeltes entstanden, wobei die Beitragszahlungen erst mit dem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses fällig geworden seien. Die Beitragspflicht entstehe mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, vorliegend der Beschäftigung gegen Entgelt. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichtes sei das Arbeitsverhältnis auch durch die Kündigung vom 20.12.2002 nicht aufgelöst worden, so dass die Klägerin, die sich in Bezug auf die Arbeitsleistung im Annahmeverzug befunden habe, S. Arbeitsentgelt geschuldet habe, das zu den üblichen Zahltagen fällig geworden sei und die Beitragspflicht ausgelöst habe. Fällig geworden seien die Beiträge erst mit Abschluss des Kündigungsschutzprozesses im Januar 2008. Das nachträgliche Erlöschen des Arbeitsentgeltanspruches habe keinen Einfluss auf den darauf beruhenden Beitragsanspruch. Dieser sei der Dispositionsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien entzogen. Nach dem Haustarifvertrag der Klägerin (dort § 11) handle es sich um eine zweistufige Ausschlussklausel, die in einer zweiten Stufe eine gerichtliche Geltendmachung erfordere. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) werde ein Arbeitnehmer diesem Erfordernis gerecht, wenn er eine Kündigungsschutzklage erhebe. Damit sei vorliegend der Verfall der Arbeitsentgeltansprüche verhindert worden und die Beitragsansprüche seien entstanden gewesen. Bezüglich dieser Ansprüche habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass die Verjährungsfrist erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses beginne, weil die Beitragsansprüche in Abweichung von § 23 Abs. 1 SGB IV erst zu diesem Zeitpunkt fällig würden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten auf Kosten der Berufungsklägerin zurückzuweisen.

Das SG habe zutreffend erkannt, dass im streitigen Zeitraum ein Beschäftigungsverhältnis des S. gegen Entgelt nicht vorgelegen habe, weil ein Arbeitsentgeltanspruch nicht mehr bestanden habe. Nach dem Haustarifvertrag seien Arbeitsentgeltansprüche wegen Annahmeverzuges innerhalb von vier Monaten gerichtlich geltend zu machen. Dies sei nicht geschehen. Ungeachtet einer Entstehung seien die Beitragsansprüche jedoch nicht mit dem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses fällig geworden, sondern jeweils am drittletzten Bankarbeitstag eines Monats (§ 23 Abs. 1 SGB IV). Die Beklagte wäre insoweit gehalten gewesen, verjährungsunterbrechende Maßnahmen in die Wege zu leiten, denn maßgeblich seien diesbezüglich die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Die Auffassung der Beklagten, dass die Beitragsansprüche erst nach dem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses fällig würden, widerspreche der gesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Erst in der Folge einer Entscheidung des BVerfG vom 01.12.2010 habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bereits die Erhebung einer Kündigungsschutzklage genüge, um Ausschlussfristen zu wahren. Nach Hinweisen des Gerichtes hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, dass die von der Beklagten in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 13.08.1996 - 12 RK 76/94) zur Fälligkeit der Beitragsansprüche im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BAG zur Verjährung von Entgelt- oder Annahmeverzugslohnansprüchen stehe und sich mit dieser Ansicht auch nicht auseinandersetze. Es sei daher eine Analogie zu der Rechtsprechung bezüglich der Verjährung von Beitragsansprüchen zu ziehen (BSG, Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R), wonach "die Verjährung von Beitragsansprüchen nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Fälligkeit im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zu verzeichnen" sei, eintrete. Damit seien die Ansprüche der Beklagten mit Ablauf des Jahres 2008 verjährt. Ungeachtet dessen habe die Beklagte zur Durchsetzung ihres Anspruches am 21.10.2010 einen Bescheid erlassen, durch den - soweit man der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des BSG folgen wollte - die Verjährung allenfalls gehemmt worden sei. Nachdem die Beklagte jedoch nach dem Widerspruch keine Maßnahmen mehr getroffen habe, habe die Hemmungswirkung spätestens nach Ablauf von sechs Monaten nach der Erhebung des Widerspruchs geendet, weil eine Entscheidung über den Widerspruch nicht erfolgt sei, womit sich der Bescheid vom 21.10.2010 erledigt habe. Somit habe die Verjährung spätestens im Juni 2011 wieder zu laufen begonnen, so dass zumindest bei Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides im Juni 2014 der Erstattungsanspruch verjährt gewesen sei.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG) und in der Sache begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 21.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2013 ist rechtmäßig. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Sie ist zur Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge verpflichtet, die anlässlich der Zahlung von Alg für S. im Zeitraum vom 01.04.2003 bis 21.09.2004 in Höhe von 10.963,88 EUR durch die Beklagten zu entrichten waren.

Der Arbeitgeber hat - insoweit ist abzustellen auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Fälligkeit des streitgegenständlichen Ersatzanspruches - der Bundesagentur die im Falle des § 143 Abs. 3 geleisteten Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu ersetzen, soweit er für dieselbe Zeit Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung des Arbeitnehmers zu entrichten hat (§ 335 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Er wird insoweit von seiner Verpflichtung befreit, Beiträge an die Kranken- und Rentenversicherung zu entrichten (335 Abs. 3 Satz 2 SGB III).

Die Voraussetzungen dieses Ersatzanspruchs sind erfüllt. Die Beklagte hat im Zeitraum vom 01.04.2003 bis 21.09.2004 an S. auf der Grundlage des § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III Alg gezahlt, obwohl dessen Anspruch wegen eines zeitgleich bestehenden Anspruches auf Arbeitsentgelt, der durch die Klägerin aber nicht erfüllt wurde, gemäß § 143 Abs. 1 SGB III dem Grunde nach geruht hatte. Anlässlich dieser Zahlung von Alg hatte einerseits die Beklagte die Beiträge an den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen (§ 3 Satz 1 Nr. 3 iVm § 170 Abs. 1 Nr. 2b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI). Andererseits war auch die Klägerin für diesen Zeitraum aufgrund der Fortdauer des Arbeitsverhältnisses (und damit des beitragsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses iSd § 7 Abs. 1 SGB IV) verpflichtet, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung des S. zu zahlen (§ 1 Satz 1 Nr. 1, § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI iVm § 28d Satz 1, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV). In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob wegen der Säumnis sowohl der Beklagten als auch des S., die Arbeitsentgeltansprüche auf Annahmeverzugslohn für den Zeitraum 01.04.2003 bis 21.09.2004 gerichtlich geltend zu machen, diese aufgrund tarifvertraglicher Ausschlussfristen später wieder entfallen sind. Derartige tarifliche Ausschlussfristen muss sich die Beklagte zwar auch im Rahmen eines auf sie gemäß § 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) übergegangenen Arbeitsentgeltanspruches entgegenhalten lassen (st. Rspr. vgl. hierzu grundlegend: BAG, Urteil vom 24.05.1973 - 5 AZR 21/73 - DB 1973, 1752). Der hier streitige Anspruch nach § 335 Abs. 3 SGB III bezieht sich jedoch nur auf die für das Alg abgeführten Beiträge, und mit der Verweisung auf § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III stellt § 335 Abs. 3 Satz 1 SGB III lediglich darauf ab, dass ein Arbeitsentgeltanspruch für die Zeit der Gewährung des Alg entstanden war nicht aber, dass dieser noch durchsetzbar sein muss.

Die Beitragspflicht der Klägerin war mit der Fälligkeit des Arbeitsentgelts entstanden, wobei die Beitragszahlung erst mit dem Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens fällig geworden ist.

(Renten-)Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt ( ...) beschäftigt sind (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 SGB VI), wobei die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 22 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB IV). Die Beiträge waren hierbei jeweils zur Hälfte von S. als Versichertem und der Klägerin als Arbeitgeberin zu tragen (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages an die Einzugsstelle war die Klägerin als Arbeitgeberin verpflichtet (§ 28d Satz 1, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV), wobei sie gegenüber S. den von ihm zu tragenden Anteil lediglich im Wege des Lohnabzugs geltend machen konnte (§ 28g Satz 2 SGB IV).

In der hier streitigen Zeit - so das Ergebnis des Kündigungsschutzprozesses, den S. gegen die Klägerin in Bezug auf die ordentliche Kündigung vom 20.12.2002 geführt hatte (Urteil des LAG A-Stadt vom 15.01.2008 - 2 Sa 34/07) - dauerte das Arbeitsverhältnis gegen Entgelt und damit das Beschäftigungsverhältnis iSd § 7 Abs. 1 SGB IV zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitnehmer S. trotz der Kündigung fort. Auch während eines Kündigungsschutzprozesses wird das Arbeitsentgelt zu den gewöhnlichen Zahltagen fällig, wenn sich der Arbeitgeber bezüglich der Arbeitsleistung in Annahmeverzug befindet, woran vorliegend unter Beachtung der Rechtsprechung des BAG kein Zweifel besteht, soweit wie hier im Regelfall die Erhebung der Kündigungsschutzklage als Angebot der Arbeitsleistung ausreicht (vgl. BAG, Urteil vom 19.01.1999 - 9 AZR 679/97 - BAGE 90, 329ff mwN). Mit der Fälligkeit des Arbeitsentgelts entstand dann - jedenfalls während eines Kündigungsschutzverfahrens - auch die Beitragspflicht. Ein Annahmeverzug des Arbeitgebers ändert nichts am Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses, denn dies rechtfertigt sich bereits aus der Schutzfunktion der Versicherungspflicht. Ein Arbeitnehmer soll möglichst für die Dauer seines Arbeitslebens gegen die Risiken von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Alter und Tod geschützt werden, und dieses Bedürfnis wird nicht allein dadurch geringer, dass der Arbeitgeber während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht in Anspruch nimmt. Die im Streit stehenden Beitragsansprüche sind aber nicht nur (iS des § 22 SGB IV) entstanden, sondern auch gemäß § 23 Abs. 1 SGB IV fällig geworden und zwar abweichend von dieser Vorschrift nicht laufend mit dem Anspruch auf Arbeitsentgelt, sondern erst mit Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 25.09.1981 - 12 RK 58/80 - BSGE 52, 152ff).

Das BSG hat mit seiner Entscheidung vom 25.09.1981 einen Fälligkeitstatbestand sui generis im Wege richterlicher Rechtsfortbildung geschaffen, um den Besonderheiten der Beitragspflicht und Beitragsentrichtung während eines Kündigungsschutzprozesses und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Versicherungspflicht gerecht zu werden, sofern ein Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses gegenüber dem Arbeitgeber nicht durchzusetzen ist, zeitgleich aber eine Versicherungspflicht (in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung) durch den Bezug von Entgeltersatzleistungen begründet wird.

Den Überlegungen des BSG lag hierbei im Wesentlichen zugrunde, die Besonderheit eines Kündigungsschutzprozesses liege darin, dass es bei einem Streit um die Wirksamkeit einer Kündigung zugleich um Bestand und Dauer des Arbeitsverhältnisses (Beschäftigungsverhältnisses) gehe und, da dieses wiederum die Grundlage der Versicherungspflicht sei, um das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungspflicht schlechthin. Wegen der ausschließlichen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte und der Unsicherheit, die sich aus der Befugnis der Arbeitsvertragsparteien ergebe, sich über den Streitgegenstand ohne Rücksicht auf die wahre Rechtslage zu vergleichen, könne diese Frage auch von den Einzugsstellen nicht selbst entschieden oder im sozialgerichtlichen Verfahren geklärt werden. Das hindere zwar objektiv nicht das Entstehen von Versicherungspflicht während der Dauer des Annahmeverzuges; den Einzugsstellen fehle aber vor der Erledigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens je nach Lage des Falles und nach dem Stand des Verfahrens uU die für die Erhebung einer Beitragsforderung notwendige Klarheit darüber, ob Versicherungspflicht besteht und deshalb Beiträge erhoben werden können. Dennoch die Beiträge als fällig anzusehen, würde nicht nur den Arbeitgeber unangemessen belasten und im Ergebnis zu einer auf die Dauer des Kündigungsschutzprozesses ausgedehnten Beitragspflicht führen, sondern auch eine nicht zu rechtfertigende Mehrbelastung von Verwaltung und Gerichten nach sich ziehen, ohne dass dadurch der Arbeitnehmer wirksamer geschützt würde. Es sei auch eine andere Entscheidung nicht wegen der während eines Kündigungsschutzverfahrens bestehenden Unklarheit über das Bestehen eines Versicherungsschutzes und den Umfang der Versicherungsansprüche geboten. Die notwendige Klarheit über das Bestehen von Versicherungsverhältnissen lasse sich nicht dadurch herbeiführen, dass die Beiträge während des Kündigungsschutzprozesses weitergezahlt würden; denn diese Beiträge könnten nur vorläufig wirksam sein, sie wären zurückzuerstatten, sobald sich herausstellte, dass ein Beschäftigungsverhältnis nicht bestanden habe. Solche nur vorläufig wirksamen Beiträge würden den Versicherten nicht schützen, sondern ihn eher zu der unzutreffenden Auffassung verleiten, dass er durch diese Beiträge in jedem Fall versichert sei. Das könnte dazu führen, dass er es versäumt, sich freiwillig weiter zu versichern, so dass er bei einem für ihn ungünstigen Ausgang des Kündigungsschutzprozesses dann ohne jeden Versicherungsschutz wäre. Die - gerade im Sozialversicherungsrecht notwendige - Klarheit über den Versicherungsschutz sei somit nur dadurch zu erreichen, dass für die Zeiten, für die das Arbeitsverhältnis streitig sei - und zwar bis zur endgültigen Erledigung des Verfahrens -, Beitragsansprüche grundsätzlich nicht ohne weiteres fällig würden (BSG, Urteil vom 25.09.1981 aaO mw Argumenten).

Soweit die Klägerin dagegen einwendet, dies stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BAG zur Verjährung des Annahmeverzugslohnes, ist nicht nachvollziehbar dargelegt, worin dieser Widerspruch bestehen soll, nachdem vorliegend Beitragsansprüche streitig sind, die unabhängig vom Fortbestand und einer Durchsetzbarkeit der Arbeitsentgeltansprüche zu beurteilen sind und allein deren Entstehen voraussetzen. Darüber hinaus führt auch die Bezugnahme der Klägerin auf die Rechtsprechung zur "Verjährung von Beitragsansprüchen" (BSG, Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R) zu keiner anderen Betrachtungsweise. Diese Entscheidung behandelt lediglich die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge, so dass in der Entscheidung dort die Fragen des Bestandes eines Pflichtversicherungsverhältnisses und der Klarheit über den Versicherungsschutz keine tragenden Aspekte dargestellt haben, die aber wesentliche Grundlage für die Überlegungen waren, die zur Entscheidung des BSG vom 25.09.1981 für die besondere Situation des Versicherungsschutzes und die Fälligkeit der Beiträge während eines Kündigungsschutzverfahrens geführt haben. Die Sachverhaltskonstellationen sind somit nicht im Ansatz vergleichbar und daher einer analogen Betrachtungsweise nicht zugänglich.

An der Pflicht der Klägerin, die mit dem rechtskräftigen Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens 2 Sa 34/07 fällig gewordenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2003 bis 21.09.2004 zu tragen, hat sich allein durch den Verfall des Arbeitsentgeltanspruches des S. auch nichts geändert.

Die Klägerin geht fehl in der Annahme, die Beitragsansprüche seien mit den Arbeitsentgeltansprüchen in einer Weise verknüpft, dass sie dasselbe Schicksal teilen würden. Auch hierzu hat bereits das BSG in einer Entscheidung (Urteil vom 22.06.1994 - 10 RAr 3/93 - SozR 3-4100 § 160 Nr. 1) ausgeführt, dass ein nachträgliches (ex nunc) Erlöschen des Lohnanspruchs durch Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist - wie hier vorliegend - keinen Einfluss auf den darauf beruhenden Beitragsanspruch hat. Ein Fortfall der Beitragspflicht in dieser Fallkonstellation ist weder gesetzlich geregelt noch lässt er sich dem Gesetzeszweck oder der Rechtsprechung des BSG entnehmen.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, ein Arbeitgeber könnte zuvor entrichtete Beiträge wieder zurückfordern, wenn nach Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist neben der Lohnforderung auch die Beitragspflicht entfiele, da er anderenfalls gegenüber einem säumigen Arbeitgeber benachteiligt würde. Erstattungsfähig sind jedoch nur zu Unrecht d.h. ohne Rechtsgrund entrichtete Beiträge (§ 26 Abs. 2 SGB IV), wobei dies aus dem Gedanken folgt, dass abgewickelte Versicherungsverhältnisse nachträglich nicht geändert werden dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.1980 - 5 RKn 5/78 - SozR 2600 § 121 Nr. 3). Der Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist führt aber nicht dazu, dass auf das Entgelt zum Zeitpunkt der Beitragszahlung kein Anspruch bestand, sondern lässt lediglich einen zunächst entstandenen Lohnanspruch nachträglich erlöschen. Entfiele hierdurch auch die Beitragspflicht, so wäre ein säumiger Arbeitgeber nach Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist nicht mehr verpflichtet Beiträge zu entrichten, wohingegen ein pünktlich zahlender Arbeitgeber bereits entrichtete Beiträge nicht zurückverlangen könnte. Dies wäre mit dem Schutzzweck der Sozialversicherung nicht vereinbar und würde für die betroffenen Versicherten zu offensichtlich unbilligen Ergebnissen führen, wenn ein Arbeitgeber sich dadurch beitragsrechtliche Vorteile verschaffen könnte, dass er geschuldetes Arbeitsentgelt bei Fälligkeit nicht auszahlt. Diese Erwägungen gelten in gleichem Maße bei nachträglichem Wegfall eines zuvor fällig gewordenen Entgeltanspruchs. Schließlich verbietet sich ein Erstrecken der tariflichen Ausschlussfrist auf Beitragsforderungen auch deshalb, weil Vereinbarungen der Tarifparteien über das Schicksal der Beitragsforderung nach ihrem Entstehen unzulässig sind. Beitragsforderungen sind gesetzliche Ansprüche des öffentlichen Rechts, über die die Tarifvertragsparteien nicht disponieren können (vgl. hierzu eingehend: BSG, Urteil vom 22.06.1994 aaO mwN und Argumenten).

Die Beitragsansprüche der Beklagten sind auch noch nicht verjährt, denn Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ausgehend von einer Fälligkeit der von der Klägerin zu ersetzenden Beiträge im Anschluss an die Rechtskraft des Urteiles des LAG A-Stadt vom 15.01.2008 im Jahr 2008 wären die Beitragsansprüche erst mit Ablauf des Jahres 2012 am 01.01.2013 verjährt. Den Ablauf dieser Verjährungsfrist hat die Beklagte aber gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch den Bescheid vom 21.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2013 gehemmt, den sie zur Durchsetzung streitgegenständlichen Forderung erlassen hat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Hemmung auch nicht sechs Monate nach Erhebung des Widerspruches geendet, denn das Ende der Hemmung tritt erst nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ein (§ 52 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 SGB X), die angesichts des hier streitigen Verfahrens offenkundig noch nichteingetreten ist, oder sechs Monate nach einer anderweitigen Erledigung des Verwaltungsaktes (§ 52 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB X). Auch für letztes gibt es keine Anhaltspunkte, denn allein das Säumnis der Beklagten, die Erteilung eines Widerspruchsbescheides zügig zu betreiben, führt nicht zu einer endgültigen Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes, die allein eine Beseitigung der Hemmungswirkungen rechtfertigen kann (vgl. Becker in Hauck/Noftz, SGB, Stand Mai 15, § 52 SGB X Rn.47).

Auch die Höhe des von der Beklagten geltend gemachten Ersatzanspruches ist zumindest im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das der Beitragsberechnung für die Sozialversicherungsbeiträge zugrunde zu legende Entgelt ergibt sich für die Rentenversicherung aus § 166 Abs 1 Nr. 2 SGB VI und beträgt 80 v.H. des der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrundeliegenden Arbeitsentgeltes. Ausgehend von einem wöchentlichen ungerundeten Bemessungsentgelt von 912,13 EUR ergibt sich ein kalendertägliches Entgelt von 104,24 EUR (= 912,13 EUR: 7 x 80 v.H.), so dass sich für 540 Leistungstage beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 56.289,60 EUR (= 540 Tage x 104,24 EUR kalendertäglich) errechnen. Ausgehend von diesen beitragspflichtigen Einnahmen und einem Beitragssatz 19,50 % (Rentenversicherung) ergibt sich ein Erstattungsbetrag von 10.976,47 EUR, hinter dem die Forderung der Beklagten zurückbleibt (10.963,88 EUR), weil sie zugunsten der Klägerin für das Beitragsjahr 2003 lediglich von dem der Alg- Bewilligung zugrundeliegenden gerundeten Bemessungsentgelt ausgegangen war.

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG und folgt aus dem Unterliegen der Klägerin.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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