S 7 VI 1767/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 7 VI 1767/06
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Beklagten wird unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2006 verurteilt, eine Polyarthrose der Langstrahlen beider Hände und arthritischer Komponente mehrerer Langstrahlengelenke mit leichtgradiger Greifstörung der rechten Hand (endphasige Faustschlussbeeinträchtigung) als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und der Klägerin ab Juni 2004 eine monatliche Rente nach einem Grad der Schädigungsfolge von 40 in gesetzlicher Höhe zu zahlen. 2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob weitere Schädigungsfolgen nach dem Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immun-Prophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (An-tiDHG) anzuerkennen und eine Rente nach einem Grad der Schädigungsfolge (GdS) von 40 zu zahlen ist.

Die am 28. November 1951 geborene Klägerin gehört zu dem Personenkreis, dem in den Jahren 1978/1979 in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet eine der in § 1 Anti-DHG genannten Chargen im Rahmen der Anti-D-Immun-Prophylaxe verabreicht wurde. Sie wurde dabei mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert. Mit Bescheid vom 01. November 2001 anerkannte der Beklagte Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung und finanzielle Hilfe nach dem AntiDHG, den Anspruch auf eine Einmalzahlung in Höhe von 12.000,00 DM sowie Anspruch auf eine monatliche Rente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähig-keit ( MdE)von 30.

Im Juni 2004 beantragte die Klägerin die Neufeststellung von Schädigungsfolgen sowie die Erhöhung der MdE wegen Gelenkschmerzen und Schwellungen im Zusammenhang mit ver-stärkten Symptomen seitens der Hepatitis-C, schmerzhafter Schwellung des rechten Handgelenkes mit Bewegungseinschränkung und Reduzierung der Greifkraft sowie Gelenkbeschwer-den im Knie- und Schultergelenk.

Der Beklagte zog Arztbriefe von Prof. H. vom Krankenhaus St. M. D. vom 08.02.2004, 17.10.2004, des Orthopäden Dr. Jäger vom 01.07.2004, der Internistin und Rheumatologin Dr. K. vom H. Klinikum E.vom 09.03.2005 sowie des Orthopäden Dr. M. vom 12.01.2005 ebenso bei wie den Reha-Entlassungsbericht der H.-Klinik B. B. vom 17.12.2005 bei, wertete diese versorgungsärztlich aus und lehnte sodann eine Erhöhung der MdE für die Folgen der Anti-Immun-Prophylaxe im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Gelenkbeschwerden bzw. Gelenkveränderungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die HCV-Infektion zurückzufüh-ren seien.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog der Beklagte einen Befundbericht der Fachärz-tin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. M. vom 30.05.2006 bei und wies den Wider-spruch nach versorgungsärztlicher Stellungnahme durch OMR Dipl.-med. F. vom ärztlichen Dienst des Beklagten im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass die Anerkennung wei-terer Folgen der Hepatitis-C-Erkrankung nicht möglich sei, da ein ursächlicher Zusammenhang mit der angeschuldigten Schädigung nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit hergeleitet werden könne. Eine entzündliche Komponente habe als Ursache für die geltend gemachten Gelenkbeschwerden ausgeschlossen werden können. Eine MdE von mehr als 30 käme nicht in Betracht, da eine mäßige entzündliche Aktivität der chronischen Hepatitis an Hand der Laborwerte nicht vorliegen würde (Widerspruchsbescheid vom 17. August 2006).

Hiergegen richtet sich die am 05. September 2006 erhobene Klage. Die Klägerin vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die geltend gemachten Schädigungsfolgen auf die Hepati-tis-C-Infektion zurückzuführen seien. Die Annahme des Beklagten, dass dabei allein das Organ Leber betroffen sei, sei falsch und veraltet.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 04.10.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2006 zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolge eine "Polyarthrose der Langstrahlen beider Hände und arthritischer Komponente mehrerer Langstrahlengelenke mit leichtgradiger Greifstörung der rechten Hand (endphasige Faustschlussbeeinträchtigung)" Festzustellen sowie Antrag auf Neufeststellung eine monatliche Rente nach einem Grad der Schädigungsfolge von 40 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist hierzu im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze, insbesondere auch die Stellungnahmen des ärztli-chen Dienstes.

Das Gericht hat Befundberichte und Arztbriefe von folgenden Ärzten bzw. Kliniken beigezo-gen: Dr. M. vom 13.10.2006, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. vom 20.10.2006, des In-ternisten und Gastroenterologen Prof. Sch. vom 25.10.2006 und 27.10.2006, der Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. K. vom 09.03.2005 sowie des Instituts für Virologie der C. B. vom 02.08.2006 sowie der Ärzte für Laboratoriumsmedizin Dres. L. und L. vom 02.07.2007. Hierauf wird Bezug genommen.

Darüber hinaus das Gericht Beweis erhoben durch Einholen eines orthopädischen Gutachtens von Dr. Sch.vom Begutachtungsinstitut K ... Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten vom 28.06.2007 sowie den ergänzenden Stellungnahmen vom 02.10.2007, 17.10.2007 und 28.11.2007 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin das Mischbild einer Polyarthrose der Lang-strahlen beider Hände und arthritischen Komponenten mehrer Langstrahlengelenke mit leichtgradiger Greifstörung der rechten Hand (endphasige Faustschlussbeeinträchtigung) mit Wahrscheinlichkeit auf die Hepatitis-C-Infektion zurückzuführen seien. Die MdE hierfür betrüge 20 und die Gesamt-MdE 40.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere der medizinischen Unterla-gen und des Gutachtens wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Beklagtenakten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der geheimen Beratung ge-wesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04. Oktober 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in deren Rechten. Die Klägerin hat An-spruch auf Anerkennung einer Polyarthrose der Langstrahlen beider Hände und arthritischer Komponente mehrer Langstrahlengelenke mit leichtgradiger Greifstörung der rechten Hand (endphasige Faustschlussbeeinträchtigung) als weitere Schädigungsfolge sowie die Zahlung einer monatlichen Rente ab Juni 2004 nach einem Grad der Schädigungsfolge (GdS) von 40.

Maßgebliche Rechtsvorschrift hierfür ist das AntiDHG vom 02.08.2000 (BGBL I 2000, 1270) in der Fassung des Änderungsgesetzes durch Artikel 3 G vom 13.12.2007 (BGBL I 2007, 2904) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Unstreitig ist zunächst, dass die Klägerin zu dem Personenkreis des § 1 Abs. 1 AntiDHG gehört, da sie durch eine den dort aufgeführten Chargen durchgeführten Anti-D-Imunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert wurde. Diese Personen erhalte aus humanitären und sozialen Gründen Kran-kenbehandlung und eine finanzielle Hilfe. Die finanziellen Hilfen sind in § 3 AntiDHG gelistet und umfassen neben einer Einmalzahlung, abhängig von dem GdS (vergl. § 3 Abs. 3 An-tiDHG) auch eine monatliche Rente, ebenfalls abhängig von der Höhe des GdS (vergl. § 3 Abs. 1, 2 AntiDHG), wobei sich der GdS nach den §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 2 BGV richtet (§ 3 Abs. 4 Satz 1 AntiDHG). Die Voraussetzungen für die Gewährung der finanziellen Hilfen nach Abs. 1 werden unabhängig anderweitiger Anerkennungen über das Ausmaß der Schädigungsfolgen festgestellt (§ 3 Abs. 4 Satz 2 AntiDHG). Die Ermittlung der Höhe des GdS bedarf dabei nach Auffassung der Kammer zunächst der genauen Feststellung der mit der gesundheitlichen Schä-digung, hier: Infizierung mit dem HCV, einhergehenden gesundheitlichen Schädigung (Schä-digungsfolge). Hierfür genügt- wie im Übrigen sozialen Entschädigungsrecht auch - die Wahr-scheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlich ist der ursächliche Zusam-menhang dann, wenn wenigstens mehr für ihn als gegen ihn spricht (BSG Urteil vom 17.12.1997 - 9 RVI 1/95). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Kammer davon über-zeugt, dass bei der Klägerin weitere Schädigungsfolgen in Form einer Polyarthrose der Lang-strahlen beider Hände und arthritischer Komponenten mehrer Langstrahlengelenke mit leichtgradiger Greifstörung der rechten Hand (endphasige Faustschlussbeeinträchtigung) vor-liegen. Die Kammer folgt dabei den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sch. in dessen Gutachten vom 28.06.2007 sowie den Stellungnahmen vom 02.10.2007, 17.10.2007 und 28.11.2007. Zwar lässt sich für die vorgenannten Gesundheitsstörungen hin-sichtlich der erforderlichen Kausalität ein Vollbeweis, worauf der Sachverständige überzeu-gend hinweist, nicht führen. Dies ist aus den vorgenannten Gründen aber auch nicht erforder-lich. Entscheidend ist zunächst, dass die Befundauffälligkeiten an den Fingergelenken nicht dem typischen Bild einer - nur - Polyarthrose Typ Bourchard für die Mittelgelenke bzw. Heb-erden für die Endgelenke entsprechen. Ebenfalls entsprechen sie - mit Ausnahme des Kleinfin-gerendgelenkes rechts - aber auch nicht einer klassischen entzündlich-rheumatischen Erkran-kung, wie z. B. einer rheumatoiden Polyarthritis. Hierfür fehlen die bandförmigen Entkal-kungsreaktionen entlang der Grenzlamellen, die Usurenbildungen, die kleinzystischen Auflo-ckerungen in der Spongiosaarchitektur usw. Das Befundbild ist gänzlich uncharakteristisch für eine Psoriasis-Arthritis, zumal Psoriasis-Effloreszenzen am Hautmantel nicht anzutreffen sind. Auch für eine Gicht-Arthritis spricht nichts, da bei dem normalen Körpergewicht der Klägerin auch keinerlei Stoffwechselstörungen dieser Art laborklinisch festzumachen waren. Für eine Chondrocalcinose besteht kein Anhaltspunkt, da diese sich fast ausschließlich an den Kniege-lenken abspielt. Für eine HCV-assoziierte Gelenkerkrankung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit spricht vor allem, dass die seronegative entzündlich-rheumatische System-erkrankung im vorliegenden Fall - wie am Kleinfingerendgelenk rechts - zu entzündlichen Ge-lenkdestruktionen, so ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine zumindest leichte Erhö-hung des CRP zu erwarten. Entscheidend ist dabei, dass nach den glaubhaften Angaben der Klägerin vor der HCV-Infektion keinerlei Gelenkbeschwerden oder Gliederschmerzen vorhan-den waren, diese jedoch nach der Infektion sehr frühzeitig einsetzten. Da dies typisch für eine HCV-assoziierte Arthralgie mit späterem latentem Übergang in arthritische Veränderung ist, ist die Kammer davon überzeugt, dass die vorgenannten Gesundheitsstörungen mit überwie-gender Wahrscheinlichkeit auf die erfolgte HCV-Infektion zurückzuführen ist. Die Kammer folgt auch der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, dass der GdS (früher Minde-rung der Erwerbsfähigkeit - MdE) mit 20 zu bewerten ist, da diese Einschätzung im Überein-stimmung mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädi-gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2008, steht (vgl. Anhaltspunkte Nr. 26.18 Seite 121). Bei integrierender Betrachtung der vorhandenen Schädigungsfolgen in Form einer chronischen Hepatitis mit einem GdS von 30 sowie der Schäden der Veränderung der Fingergelenke bzw. der Polyarthrose beider Hände mit einem Einzel-GdS von 20 liegt nach Auffassung der Kammer, die auch insoweit der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständi-gen Dr. Sch. folgt, ein Gesamt-GdS von 40 vor. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass sich die Schädigungsfolgen auf orthopädischem Fachgebiet in anderen Lebensbereichen aus-wirken als die rein internistischen Schädigungsfolgen. Die Voraussetzungen für einen Gesamt-GdS von 40 liegen seit dem Zeitpunkt der Antragstellung vor, wie sich aus den überzeugenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen in dessen Stellungnahme vom 17.10.2007 ergibt. Denn zu diesem Zeitpunkt haben bereits ähnliche Befundverhältnisse vorgelegen, wie sie zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen angetroffen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Rechtskraft
Aus
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