L 15 U 116/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 153/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 116/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 25/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28. April 1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Klägerin unter Anrechnung der vom beigeladenen Land gezahlten Grundrente die Verletztenrente von 30 v.H. der Vollrente bis zum 23.November 1997 und danach bis zum 30. Juni 1998 eine solche in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren ist. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1974 geborene Klägerin begann im August 1990 bei der F ...in B ... eine Berufsausbildung zur Chemielaborantin. Ihr Ausbilder war ab Herbst 1991 der chemisch-technische Assistent R ... K ... (K.), den die Jugenschutzkammer R ... des Landgerichts B ... am 27.12.1994 wegen Vergewaltigung und Nötigung der Klägerin rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt hat.

Dieser Entscheidung liegen die folgenden Feststellungen zugrunde, die auf der Einlassung des K. und dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung beruhen: Ab Anfang 1992 war die Klägerin im Ausbildungsbetrieb wiederholt sexuellen Belästigungen und Zudringlichkeiten des K. ausgesetzt, denen sie sich auf Dauer nicht aktiv widersetzte, weil K. ihr bei Abwehrversuchen immer wieder drohte, er werde als ihr persönlicher Ausbilder dafür sorgen, dass sie nicht - wie von der Klägerin erstrebt - vorzeitig zur Abschlußprüfung zugelassen werde. Bei ihm - K. - gebe es nur Liebe oder Haß, und wenn sie sich nicht für die Liebe entscheide, werde er sie beim Ausbildungsleiter schlecht machen. Bei einer Gelegenheit nahm K. der Klägerin den Gürtel ihrer Hose weg und erklärte ihr, dies bedeute, dass er Macht über sie habe. Die Klägerin befürchtete, dass der Vorgesetzte des K. im Falle einer Anzeige der Übergriffe nicht ihr, sondern K. glauben werde. Unter dem Eindruck der Drohungen des K. stimmte die Klägerin auch gemeinsamen Unternehmungen in der Freizeit zu. So begleitete sie ihn in eine Gemeinschaftssauna, zum Schwimmen, zum Essen und in den Zirkus Roncalli. Am 15.04.1992 - einem gemeinsamen Urlaubstag - stimmte die Klägerin auf Drängen des K. dem Besuch einer Kunstausstellung zu. K. holte die Klägerin von ihrer Wohnung ab und überredete sie zu einem Frühstück in seiner Wohnung. Dort schlug er vor, "ins Bett kuscheln zu gehen". Die Klägerin lehnte dies ab, woraufhin K. ihr erneut mit der Vereitelung der vorzeitigen Zulassung zur Abschlußprüfung drohte. Die nach den Feststellungen der Jugendschutzkammer völlig verängstigte Klägerin ließ sich daraufhin von K. ausziehen und duldete nach der Versicherung des K., es sei ja nur dieses eine Mal, den Geschlechtsverkehr mit ihm. Auch in der Folgezeit setzte K. seine sexuellen Übergriffe am Arbeitsplatz fort. Auf Drängen des K. erklärte sich die Klägerin dazu bereit, ihn am 22.05.1992 - einem weiteren gemeinsamen Urlaubstag - zum Schwimmen zu begleiten. K. holte die Klägerin wieder ab und gab dann vor, sie müßten zunächst noch einmal in seine Wohnung, weil er sein Schwimmzeug vergessen habe. Die Klägerin vertraute der Versicherung des K., der Vorfall vom 15.04.1992 werde sich nicht wiederholen. In der Wohnung vergewaltigte K. die Klägerin, die um keinen Preis erneut Geschlechtsverkehr mit K. haben wollte und sich deshalb diesmal heftig wehrte. Unter Anwendung körperlicher Gewalt gelang es K. aber, den Widerstand der Klägerin zu brechen, in sie einzudringen und trotz des Flehens der Klägerin, er möge mit der Vergewaltigung aufhören, den Geschlechtsverkehr auszuführen. Anschließend flüchtete die Klägerin in ein in der Nähe der Wohnung des K. gelegenes Geschäft, von wo aus die Polizei alarmiert wurde. Auf die zur Hilfe gerufenen Polizeibeamten machte die Klägerin einen völlig aufgelösten Eindruck. Sie weinte und konnte zunächst keine zusammenhängenden Angaben machen.

Die Jugendschutzkammer hat in ihrem Urteil vom 27.12.1994 für Recht erkannt, dass sich K. nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen am 15.04.1992 eines besonders schweren Falles der Nötigung und am 22.05.1992 der Vergewaltigung schuldig gemacht hat. Bei der Strafzumessung hat das Gericht zu Lasten des K. unter anderem berücksichtigt, dass er die damals erst siebzehnjährige Klägerin schon seit Januar 1992 am Arbeitsplatz bedrängt und ihren erkennbaren Wunsch, die Ausbildung vorzeitig mit Erfolg zu beenden, für seine Zwecke ausgenutzt habe. Bei den Versuchen der Klägerin, sich ihm zu entziehen, habe K. seine Machtstellung als Ausbilder ausgenutzt, indem er der Klägerin berufliche Nachteile angedroht habe. Die Klägerin sei noch heute - wie ihr Verhalten in der Hauptverhandlung deutlich gemacht habe - erheblich durch die Taten belastet. Die Schilderung des Tatgeschehens löse bei ihr Angst aus, noch mehr als zweieinhalb Jahre nach der Tat habe sie Probleme mit Intimkontakten.

Das beigeladene Land bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 21.05.1996 eine Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Es erkannte die Vergewaltigung vom 22.05.1992 als vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne von § 1 OEG an und stellte fest, dass die Klägerin durch die Schädigungsfolge "postraumatische psychische Störungen" in ihrer Erwerbsfähigkeit um 30 v.H. gemindert sei. Dieser Entscheidung lag ein Gutachten der Nervenärztin und Psychotherapeutin Dr. Br ... vom 24.04.1996 zugrunde, die die Klägerin neurologisch, psychiatrisch und testpsychologisch untersucht, eine prolongierte posttraumatische Belastungsreaktion diagnostiziert und den Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die nächsten zwei Jahre auf 30 v.H. geschätzt hatte.

Auf Veranlassung des beigeladenen Landes beantragte die Klägerin am 30.11.1994 auch Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, die die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.1996 und Widerspruchsbescheid vom 18.04.1996 mit der Begründung ablehnte, die Klägerin habe keinen Unfall erlitten, denn bei den Taten des K. handele es sich um eine Kette von Ereignissen, die sich über mehrere Monate verteilt, also nicht in nur einer Arbeitsschicht ereignet hätten. Aber auch wenn man der Vergewaltigung vom 22.05.1992 eine eigenständige Bedeutung für die Schädigungsfolgen und damit Unfallcharakter zumesse, handele es sich bei dieser Tat nicht um einen Arbeitsunfall, weil sie nicht auf einem betriebsbezogenen Motiv beruht habe.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Vergewaltigung vom 22.05.1992 sei für sie das einschneidende und belastende Erlebnis gewesen, dass ihre posttraumatischen psychischen Störungen ausgelöst habe. Dabei handele es sich um einen Arbeitsunfall, weil die Stellung des K. als ihr persönlicher Ausbilder die Tat erst ermöglicht habe.

Zur Erläuterung der Drohungen des K. hat die Klägerin im Erörterungstermin am 30.07.1997 auf Befragen des Sozialgerichts erklärt, die Ausbildung zur Chemielaborantin dauere planmäßig dreieinhalb Jahre. Die Zulassung zur Abschlußprüfung sei aber ausnahmsweise schon nach drei Jahren möglich, wenn nach der Beendigung des zweiten Ausbildungsjahres der Notendurchschnitt des Zeugnisses der Berufsschule besser als 2,5 sei und der Ausbildungsbetrieb die praktischen Leistungen mit mindestens "gut" bewerte. Für die Beurteilung ihrer praktischen Leistungen im zweiten Ausbildungsjahr sei K. zuständig gewesen.

Das Sozialgericht hat zunächst die Unterlagen über die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin bei der Diplom-Psychologin O ...-H ... vom 25.08.1992 bis 17.02.1995 beigezogen, auf die Bezug genommen wird. Die Klägerin ist dann im Auftrag des Sozialgerichts am 24.11.1997 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B ... untersucht worden. Der Sachverständige hat bei ihr eine prolongierte posttraumatische Belastungsreaktion festgestellt, deren Folgen sich aber im Vergleich zur Untersuchung bei Frau Dr. Br ... gebessert hätten. Er hat die Auffassung vertreten, dass die ständigen sexuellen Belästigungen der Klägerin durch K. alleine die jetzt festgestellten Gesundheitsstörungen nicht erklären könnten. So seien lang andauernde posttraumatische Belastungsreaktionen in der Regel auf ein besonders herausragendes katastrophenähnliches Ereignis zurückzuführen. Hier komme der Vergewaltigung vom 22.05.1992 die überragende Bedeutung für die Entstehung der Erkrankung der Klägerin zu. Erst dieses Ereignis habe die Klägerin als so einschneidend und belastend erlebt, dass sie psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen habe. Die durch die prolongierte posttraumatische Belastungsreaktion bedingte (MdE), hat Dr. B ... ab dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit mit 30. v.H. und seit der Untersuchung der Klägerin durch ihn am 24.11.1997 mit 20 v.H. eingeschätzt. Er hat eine weitere Besserung für wahrscheinlich gehalten.

Die Beklagte hat dieser Beurteilung durch Vorlage einer Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. B ... vom 06.03.1998 widersprochen. Prof. Dr. B ... hat zu Bedenken gegeben, dass es sich bei posttraumatischen Belastungsreaktionen um vorübergehende Störungen handele, die in der Regel nur wenige Monate andauerten. Auch bei der Klägerin sei ein psychischer Leidensdruck schon länger nicht mehr erkennbar. So habe sie inzwischen ein Chemiestudium begonnen und auf eine weitere psychoterapeutische Betreuung verzichtet. Die sexuellen Übergriffe des K. habe sie jetzt offenbar kompensiert. Von einer Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit könne nicht mehr ausgegangen werden.

Das Sozialgericht hat daraufhin Dr. B ... erneut gehört. Er ist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.05.1998 bei seiner Beurteilung geblieben und hat dargelegt, dass Frauen erfahrungsgemäß mehrere Jahre benötigten, um Vergewaltigungserlebnisse zu verarbeiten.

Unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. B ... hat das beigeladene Land die Bewilligung von Versorgungsrente mit Bescheid vom 20.08.1998 ab 01.10.1998 mit der Begründung aufgehoben, die als Schädigungsfolge anerkannte Gesundheitsstörung bedinge keine MdE von mindestens 25 v.H. mehr.

Durch Urteil vom 28. 04.1999 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 22.05.1992 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin ab Wiedereintritt ihrer Arbeitsfähigkeit eine Verletztenrente von 30 v.H. der Vollrente und ab 01.12.1997 eine solche in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie hält an ihrer Auffassung fest, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin seien die Folge eines monatelangen Gesamtvorgangs sexuell bestimmter Belästigungen. Sie habe daher keinen Unfall erlitten. Aber selbst wenn man die Vergewaltigung als ein herausragendes Einzelereignis ansehe, fehle es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin. Bei Überfällen außerhalb des Betriebs bejahe die Rechtsprechung einen solchen Zusammenhang nur, wenn ein Versicherter im Rahmen seiner Beschäftigung an die Stelle gelangt sei, an der er überfallen worden sei, oder wenn der Täter ein betriebsbezogenes Motiv gehabt habe, zum Beispiel Wertsachen oder andere Gegenstände des Unternehmens habe rauben wollen, die sich in der Privatsphäre des Versicherten befunden hätten. Das Ereignis vom 22.05.1992 habe sich hingegen ausschließlich in der Privatsphäre der daran Beteiligten abgespielt. So habe sich die Vergewaltigung in der Wohnung des K. ereignet. Die Klägerin habe an diesem Tag Urlaub gehabt.

Sie habe auch schon früher ihre Freizeit mit K. verbracht. Für die Tat des K. seien ausschließlich persönliche Beweggründe maßgebend gewesen, betriebliche Belange hätten keine Rolle gespielt.

Die Beklagte macht hilfsweise geltend, das Sozialgericht habe übersehen, dass der Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente in Höhe der nach dem OEG gezahlten Versorgungsrente auf das beigeladene Land übergegangen sei und nach § 107 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) insoweit als erfüllt gelte.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.04.1999 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und das beigeladene Land beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Klägerin ist im Auftrag des Senats am 11.04.2000 nochmals durch Dr. B ... untersucht worden. Der Sachverständige hat eine weitere Besserung der posttraumatischen Belastungsreaktion festgestellt und sieht diese Erkrankung inzwischen als abgeklungen an. Er schätzt die hierdurch bedingte MdE ab Sommer 1998 nur noch auf 10 v.H. ein und hält sie ab Anfang 1999 für nicht mehr meßbar.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K ... vom 20.05.2000 überreicht. Dr. K ... hält als Folge der posttraumatischen Belastungsreaktion bis Sommer 1994 eine MdE um 30 v.H. und danach für weitere sechs Monate eine solche von 20 v.H. für gerechtfertigt. Ab Januar 1995 sieht er die Erwerbsfähigkeit der Klägerin als nicht mehr beeinträchtigt an.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Streitakten, die Unfallakten der Beklagten, die Versorgungsakten des beigeladenen Landes und die Strafakten 36 Js 142/92 (StA Bochum) Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verletztenrente in dem im Tenor genannten Umfang zu.

Die Klägerin hat entgegen der Ansicht der Beklagten am 22.05.1992 einen Arbeitsunfall erlitten.

Nach der Vorschrift des § 548 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), die hier gemäß § 212 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) auch nach Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 anzuwenden ist, ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 genannten versicherten Tätigkeiten erleidet.

Anders als die Beklagte meint, fehlt es hier nicht schon an einem Unfallereignis. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (vgl. jetzt die gesetzliche Definition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Zeitlich begrenzt ist ein Ereignis, wenn es entweder plötzlich oder innerhalb einer Arbeitsschicht bzw. in einem vergleichbaren Zeitraum eintritt (BSGE 15, 41). Die Vergewaltigung der Klägerin durch K. am 22.05.1992 erfüllt diese Voraussetzungen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits vor dieser Tat mehrere Monate lang sexuellen Belästigungen und Übergriffen des K. ausgesetzt war. Die Vergewaltigung vom 22.05.1992 hebt sich nämlich derart aus der Kette dieser Ereignisse heraus, dass sie nicht nur als letzte von mehreren gleichwertigen Ursachen erscheint (vgl. hierzu Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anm. 11.3 m.w.N). Der Senat entnimmt dies dem Gutachten des Dr. B ..., demzufolge der Vergewaltigung die überragende Bedeutung für die Entstehung der psychischen Erkrankung der Klägerin zukommt. Der Sachverständige legt überzeugend dar, dass so lange andauernde posttraumatische Belastungsreaktionen wie sie bei der Klägerin festgestellt worden sind in der Regel nur durch ein herausragendes katastrophenähnliches Ereignis wie eine Vergewaltigung ausgelöst werden. Die von der Klägerin bis dahin hingenommenen sexuellen Belästigungen und Übergriffe hätten hierfür nicht ausgereicht. Tatsächlich hat K. den Widerstand der Klägerin erstmals am 22.05.1992 mit körperlicher Gewalt gebrochen. Während die Klägerin am 15.04.1992 den Geschlechtsverkehr mit ihm unter dem Eindruck seiner Drohungen geduldet hatte, wollte sie am 22.05.1992 um keinen Preis noch einmal mit K. verkehren, weshalb sie sich diesmal heftig wehrte. Gleichwohl hat K. den Verkehr mit körperlicher Gewalt erzwungen. Die Richtigkeit der Einordnung des Ereignisses vom 22.05.1992 durch Dr. B ... als besonders ein schneidendes katastrophenähnliches Erlebnis wird auch dadurch als zutreffend bestätigt, dass die Klägerin nunmehr erstmalig die Flucht vor K. ergriff und auf die zur Hilfe gerufenen Polizeibeamten einen aufgelösten Eindruck machte.

Bei dem Unfall vom 22.05.1992 handelt es sich auch um einen Arbeitsunfall, denn die Vergewaltigung der Klägerin durch K. ist ihrer gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Die Tat stand in dem erforderlichen inneren Zusammenhang (vgl. hierzu unter anderem BSG SozR 2200 § 548 Nr. 92; SozR 3 - 2200 § 548 Nrn. 21 und 27) mit ihrer betrieblichen Berufsausbildung.

Der innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, einen Unfall der versicherten Tätigkeit zuzurechnen, ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu der der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84; BSG SozR 3-2200 § 9548 Nr. 22 und 23). Die Vergewaltigung der Klägerin durch K. ist danach nicht ihrem privaten, unversicherten Lebensbereich, sondern dem Ausbildungsverhältnis mit der F ... GmbH zuzuordnen. Denn zu dem Vorfall am 25.05.1992 wäre es nie gekommen, wenn sich die Klägerin nicht allein auf Grund ihrer sich aus dem Ausbildungsverhältnis ergebenden persönlichen Abhängigkeit genötigt gesehen hätte, die Annäherungsversuche des K. zu dulden. Schon das belegt einen engen sachlichen Bezug des Unfallgeschehens mit der betrieblichen Beschäftigung der Klägerin. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin an diesem Tag Urlaub hatte und sich auch nicht im Ausbildungsbetrieb aufhielt, sondern in der Wohnung des K. Sie selbst war nämlich nach den Feststellungen der Jugendschutzkammer in der Hauptverhandlung, deren Richtigkeit die Beteiligten nicht in Zweifel ziehen und die auch der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, nicht daran interessiert, sich in ihrer Freizeit mit K. zu treffen. Die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur deshalb in der Begleitung ihres Ausbilders, weil K. immer wieder damit gedroht hatte, anderenfalls den vorzeitigen Abschluß der Berufsausbildung zu vereiteln. Damit hat K. seine Machtposition als Ausbilder ausgenutzt, um sich die Gelegenheit zur Aufnahme sexueller Kontakte mit der Klägerin zu verschaffen, die ihm privat verwehrt geblieben wären. Das der Klägerin auf diese Weise abgenötigte Verhalten unterliegt bei wertender Betrachtung ebenso dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wie das Tätigwerden eines Versicherten auf Weisung des unmittelbaren oder mittelbaren Dienstvorgesetzten, das auch dann der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, wenn private Angelegenheiten besorgt werden (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens a.a.O. § 8 Anm. 6.4 m.w.N). Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin den K. schon vor dem streitigen Vorfall verschiedentlich in die Sauna, zum Essen, zum Schwimmen und bei einem Zirkusbesuch begleitet hat. Denn auch zur Teilnahme an die sen Unternehmungen hatte sich die Klägerin keineswegs aus freien Stücken, sondern allein unter dem Eindruck der Drohung des K., also der Ausnutzung seiner betrieblichen Machtposition als Ausbilder bereitgefunden.

Der innere Zusammenhang zwischen der Vergewaltigung der Klägerin durch K. und ihrem Ausbildungsverhältnis wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin einem vorsätzlichen Angriff zum Opfer gefallen ist, dessen Beweggründe nicht in Umständen liegen, die mit ihrer Berufsausbildung in Verbindung stehen. Auch bei einem auf rein persönlichen Gründen beruhenden - hier sexuell bestimmten - Überfall kann der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben sein, wenn die besonderen Umstände, unter denen die versicherte Tätigkeit ausgeübt wird, oder die Verhältnisse am Arbeitsplatz die Gewalttat erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 28). So liegt der Fall hier. Wie bereits dargelegt, hatte K. mit der Klägerin nur deshalb Kontakt, weil er seine betriebliche Stellung als Ausbilder ausnutzte und immer wieder drohte, die vorzeitige Zulassung der Klägerin zur Abschlußprüfung zu verhindern. Die Machtposition des K., die dem betrieblichen Bereich zuzuordnen ist, hat die Tat vom 22.05.1992 also wesentlich begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht.

Der Arbeitsunfall vom 22.05.1992 hat bei der Klägerin psychische Störungen im Sinne einer posttraumatischen Belastungsreaktion aus gelöst. Dies haben sowohl die Nervenärztin und Psychotherapeutin Dr. Br ..., deren für das beigeladene Land erstellte Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises würdigt, als auch der vom Sozialgericht bestellte Sachverständige Dr. B ... festgestellt. Die psychoreaktiven Folgen der Vergewaltigung werden auch durch die beigezogenen Unterlagen über die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin bei der Diplom-Psychologin O ...- H ... vom 25.08.1992 bis 17.02.1995 dokumentiert. Der Zusammenhang zwischen der Straftat des K. und der posttraumatischen Belastungsreaktion der Klägerin wird zudem weder von der Beklagten noch ihren ärztlichen Beratern Dr. B ... und Dr. K ... in Abrede gestellt.

Die Klägerin hat in dem im Tenor genannten Umfang Anspruch auf Verletztenrente, weil ihre Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalls über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert war (§§ 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 RVO). Die MdE betrug nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung (§ 580 Abs. 2 RVO) zunächst 30 v.H. Der Senat folgt auch insoweit den Gutachten von Frau Dr. Br ... und des Dr. B ..., die im Hinblick darauf, dass die Klägerin in der ersten Zeit nach ihrer Vergewaltigung psychisch ganz erheblich beeinträchtigt war, schlüssig erscheinen. So läßt sich der Dokumentation der Diplom-Psychologin O ...-H ... entnehmen, dass die Klägerin an Depressionen litt, Suizid- und Todesgedanken hatte, ein Rückzugsverhalten und Grübeltendenzen zeigte, unter Appetitmangel mit erheblichen Gewichtsverlust, Schlafstörungen mit nächtlichen Alpträumen und massiven Ängsten vor einer Wiederholung der traumatischen Erfahrung litt und im sexuellen Erleben und Verhalten deutlich beeinträchtigt war. Psychoreaktive Störungen dieser Intensität werden nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Anhaltswerten mit einer MdE von 20 bis 40 v.H. bewertet (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 4. Aufl. Seite 225). Eine Besserung der Unfallfolgen läßt sich erst seit der Untersuchung der Klägerin durch Dr. B ... am 24.11.1997 feststellen, der von diesem Zeitpunkt an eine MdE von nur noch 20 v.H. für gerechtfertigt hält. Der Sachverständige hat an dieser Beurteilung auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme ihres ärztlichen Beraters Prof. Dr. Be ... vom 06.03.1998 festgehalten, der psychoreaktive Folgen der Vergewaltigung vom 22.05.1992 nur für wenige Monate annimmt. Dr. B ... hat Prof. Dr. B ... entgegengehalten, dass Frauen erfahrungsgemäß mehrere Jahre benötigten, um Vergewaltigungserlebnisse zu verarbeiten. Tatsächlich befand sich die Klägerin zunächst auch 2 1/2 Jahre lang ständig in psychotherapeutischer Behandlung. Aber auch danach begab sie sich wegen der Unfallfolgen noch in psychotherapeutische Behandlung, so für etwa vier Monate kurz vor ihrer Untersuchung durch Dr. B ... am 24.11.1997. Auch Frau Dr. B ... hatte noch am 24.4.1996 eine MdE um 30 v.H. festgestellt. Schließlich widerspricht jetzt auch Dr. K ... der Einschätzung des Prof. Dr. B ... und sieht eine MdE um 30 v.H. immerhin für zwei Jahre als gerechtfertigt an. Letztlich kommt der Bewertung durch Frau Dr. B ... und Dr. B ... aber auch deshalb das entscheidende Gewicht zu, weil diese Gutachter die Klägerin eingehend untersucht und mit ihr gesprochen haben, während Prof. Dr. B ... und Dr. K ... ihre Stellungnahmen nur nach Aktenlage abgegeben haben. Gerade für die Beurteilung psychoreaktiver Störungen kommt aber der Exploration durch die Sachverständigen besondere Bedeutung zu. Die Nachuntersuchung der Klägerin durch Dr. B ... im Berufungsverfahren am 14.02.2000 hat ergeben, dass sich die posttraumatische Belastungsreaktion - wie vom Sachverständigen schon in seinem Gutachten vom 24.11.1997 erwartet - weiter gebessert hat und inzwischen abgeklungen ist. Dr. B ... schätzt die unfallbedingte MdE ab Sommer 1998 nur noch mit 10 v.H. ein und hält sie ab Anfang 1999 für nicht mehr meßbar. Auch diese Feststellungen hält der Senat für überzeugend. So ist die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin endgültig erst im Frühjahr 1998 beendet worden. Im Sommer 1998 hat die Klägerin ihr Chemiestudium beendet und eine Beschäftigung in der Forschungsabteilung der Firma H ... in D ... aufgenommen. Nach alledem steht ihr seit 01.07.1998 keine Verletztenrente mehr zu, wogegen sich die Klägerin auch nicht wendet.

Der Anspruch der Klägerin auf Verletztenrente besteht nicht, so weit sie vom beigeladenen Land Versorgungsrente nach dem OEG erhalten hat. Dies folgt aus § 107 des X. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), wonach der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt gilt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Das beigeladene Land ist - wie sich aus § 71 b des hier entsprechend anzuwendenden Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ergibt - nur der nachrangig verpflichtete Leistungsträger, weshalb ihm nach § 104 SGB X in Höhe der gezahlten Versorgungsrente ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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