L 9 AL 147/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AL 124/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 147/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 78/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 01. Juni 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Klägerin zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) sowie von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung gemäß § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Der am 20.09.1935 geborene Arbeitnehmer ... (Q.) war vom 01.07.1964 bis 31.07.1995 bei der Klägerin beschäftigt. Sie kündigte dem Q. mit Schreiben vom 02.12.1994 unter Einhaltung der siebenmonatigen Kündigungsfrist zum 31.07.1995 aus dringenden betrieblichen Erfordernissen. Anschließend schloss sie mit Q. am 09.12.1994 einen Abwicklungsvertrag. Hiernach waren sich gemäß Nr. 1 die Vertragspartner darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung vom 02.12.1994 unter Einhaltung der ordnungsgemäßen Kündigungsfristen fristgemäß zum 31.07.1995 sein Ende finde. Nach Nr. 2 zahlte die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Bezüge. Ausweislich der Nr. 3 verpflichtete sich Q., den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht gerichtlich geltend zu machen. Nach Nr. 4 erhielt Q. aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und als Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz eine einmalige Abfindung in Höhe von 75.000,- DM. Deren Auszahlung war nach Nr. 5 zum Austrittstermin am 31.07.1995 vorgesehen. Nach Nr. 6 war Q. mit Wirkung vom 01.01.1995 unter Anrechnung noch bestehender Urlaubsansprüche unwiderruflich von seiner Verpflichtung zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Entsprechend Nr. 7 durfte Q. den Firmen-PKW bis zum 31.01.1995 auch zu privaten Zwecken weiterhin nutzen. Ausweislich Nr. 8 erteilte die Klägerin dem Q. ein wohlwollendes Zeugnis. Schließlich sollten ausweislich der Nr. 10 (richtig in der Reihenfolge 9) mit der Erfüllung des Abwicklungsvertrages alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung abgegolten sein. Q. meldete sich am 01.08.1995 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm dieses durch Bescheid vom 11.08.1995 mit Wirkung ab 01.08.1995 für die Dauer von 832 Kalendertage. Er bezog die Leistung bis zum 28.01.1997 nachdem ihm durch Bescheid vom 14.01.1997 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.10.1996 bewilligt worden war.

Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23.01.1996 die Erstattungspflicht der Klägerin für die Zeit ab 01.08.1995 für längstens 624 Tage dem Grunde nach fest, weil keine Umstände, die nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 7 AFG von der Erstattungspflicht befreiten, vorlägen. Die Klägerin erhob hiergegen am 30.01.1996 Widerspruch, den die Beklagte durch Bescheid vom 19.02.1997 zurückwies. Sie verlangte ferner mit Bescheid vom 25.02.1997 die Erstattung von Alg für die Zeit vom 01.08.1995 bis 30.09.1996 (366 Leistungstage) in Höhe von 39.626,50 DM, von Beiträgen zur Krankenversicherung in Höhe von 8.499,86 DM, zur Rentenversicherung von 16.427,40 DM und schließlich zur sozialen Pflegeversicherung von 541,90 DM (insgesamt 65.095,65 DM).

Gegen den am 19.02.1997 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 24.03.1997 (Montag) Klage erhoben. Sie hat zu deren Begründung im wesentlichen vorgetragen, die angefochtenen Bescheide einschließlich des Leistungsbescheides seien rechtswidrig, da sie dem Q. sozialgerechtfertigt gekündigt habe. Sie habe ihm fristgemäß gekündigt, weil der Arbeitsplatz weggefallen sei und auf der Gruppenleiterebene keine vergleichbaren Arbeitnehmer für eine Sozialauswahl vorhanden gewesen seien. Das Arbeitsverhältnis sei nicht durch den nachträglich abgeschlossenen Abwicklungsvertrag beendet worden, sondern ausschließlich durch die ausgesprochene sozialgerechtfertigte Kündigung. Demzufolge seien die Voraussetzungen zur Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG erfüllt und sei auch der nach erneuter Anhörung ergangene Leistungsbescheid vom 22.12.1998, der dieselbe Erstattungszeit betreffe und denselben Erstattungsbetrag ausweise, rechtswidrig.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.02.1997 in der Fassung des Erstattungsbescheides vom 25.02.1997 in der Fassung des Bescheides vom 22.12.1998 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten und entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach erneuter Anhörung der Klägerin sowie des Q. den Leistungsbescheid vom 22.12.1998 für den streitigen Erstattungszeitraum und in gleicher Höhe erlassen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 01.06.2001 abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt, dass nur noch der Ersetzungsbescheid vom 22.12.1998 Gegenstand des Verfahrens sei, weil er an die Stelle der übrigen vorherigen Bescheide getreten sei. Die Klägerin sei ausreichend angehört worden. Die Beklagte habe zu Recht den Erstattungsbetrag nach § 128 Abs. 1 geltend gemacht, da die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt seien. Die Klägerin sei von der Erstattungspflicht nicht nach Satz 2 befreit, weil Q. keinen Anspruch auf andere Sozialleistungen gehabt habe und auch nicht die Voraussetzungen der Nr. 4 erfüllt seien. In Auslegung des Abwicklungsvertrages in Verbindung mit dem Kündigungsschreiben ergebe sich, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich durch einen Aufhebungsvertrag beendet worden sei, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht einer sozialgerechtfertigten Kündigung im Sinne der Nr. 4 gleichzusetzen sei. Denn während des Laufes der Kündigungsfrist sei bereits der Abwicklungsvertrag abgeschlossen worden, mit dem Q. auf sein Recht auf eine Kündigungsschutzklage verzichtet habe. Dies spreche dafür, dass eine einverständliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses erfolgt sei, weil Zweifel an der Rechtfertigung der Kündigung und deren Bestand nicht vor dem Arbeitsgericht zu klären gewesen seien. Dieses Ergebnis werde typischerweise durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages im gegenseitigen Einvernehmen erreicht.

Gegen das am 04.07.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 06.08.2001 (Montag) eingelegte Berufung der Klägerin. Sie verbleibt bei ihrer Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer sozialgerechtfertigten fristgemäßen Kündigung beendet worden sei und nicht durch den nachträglich vereinbarten Abwicklungsvertrag. Dies habe die Beklagte ebenso gesehen, weil sie dem Q. keine Sperrzeit wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auferlegt habe. Die Klägerin hat im Einzelnen eingehend zu ihrer Auffassung in Auslegung der Vertragsumstände, der Leistungsbeantragung des Q. und des angefochtenen Urteils Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 18.07.2003 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 01.06.2001 zu ändern und den Bescheid vom 22.12.1998 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr 33.282,88 Euro zurückzuzahlen und die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen sowie ebenfalls die Revision zuzulassen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakten der Beklagten - Stamm-Nr.: ...- und der Akte des Sozialgerichts Detmold - Az.: S 12 AL 208/96 = L 9 AL 101/99 LSG NRW -) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Der allein noch streitbefangene Erstattungsbescheid vom 22.12.1998 ist rechtmäßig. Soweit auch die Rückzahlung von Mahn- und Vollstreckungskosten im erstinstanzlichen Verfahren im Streit gestanden haben, kann dahinstehen, ob sie im Wege der Klageerweiterung Streitgegenstand geworden sind. Denn die Beklagte hat sich im Termin am 01.06.2001 verpflichtet, sie zu erstatten, so dass sie nicht mehr streitbefangen sind.

Der Senat sieht zunächst von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe im wesentlichen ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Sozialgericht hat bereits zutreffend dargelegt, dass die Erstattungspficht für den Arbeitnehmer Q. eingetreten und insbesondere der Befreiungstatbestand des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG nicht erfüllt ist. Auch wenn die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 18.07.2003 noch einmal eingehend ihre Rechtsauffassung zur Wirksamkeit einer ausgesprochenen sozialgerechtfertigten Kündigung unter Einhaltung der Fristen und den Abschluss eines folgenden Abwicklungsvertrages in Auslegung der Vertrags-/Kündigungsumstände, der Antragsangaben des Q. sowie des angefochtenen Urteils dargelegt hat, kann sich der Senat ihrer Auffassung nicht anschließen. Die Klägerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass ihr Vorgehen ein arbeitsrechtlich möglicher Weg der gütlichen Trennung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist. Anstelle eines ansonsten konstitutiv wirkenden Aufhebungsvertrages wird seitens des Arbeitgebers eine ordentliche fristgerechte Kündigung ausgesprochen und werden dann im Abwicklungsvertrag - wie im vorliegenden Fall - die einzelnen Modalitäten ebenso wie in einem Aufhebungsvertrag zwischen den Arbeitsvertragsparteien festgelegt. Da aber auch in diesem Fall ihr erklärtes Ziel ein gütliches, für jede Seite möglichst vorteilhaftes Auseinandergehen ist (vgl. Hümmerich, Abwicklungsvertrag kontra Aufhebungsvertrag, NJW 1996, 2081; Abschied vom arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag, NZA 94, 200 ff; Sauer, die Beendigung von Arbeitsverhältnissen im Blick auf die Sperrzeit nach dem AFG, NZA 97, 798 ff; Münchener Handbuch, Arbeitsrecht, Band 2, 2. Auflage, § 115; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Auflage, § 122), bleibt es jedoch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiterhin für die Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG entscheidungserheblich, ob die ausgesprochene Kündigung eine "leere Hülse" darstellt und letztlich im vorrangig gewollten - der Form nach - Abwicklungsvertrag der inhaltlich die Regelungen des Aufhebungsvertrages enthält (vgl. Literaturangaben a.a.O.), aufgeht und sie daher nicht zum Tragen kommen kann. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin kann nicht allein eine an einzelnen gestaffelt erfolgten selbständigen Rechtshandlungen ausgerichtete Auslegung für die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift maßgebend sein. Vielmehr sind deren Zusammenwirken entscheidend, um auch in diesem Fall Manipulationen entgegenwirken zu können (vgl. Gagel, AFG, Stand 1998, § 128 Rn. 154; Niesel, AFG, 2. Auflage, § 128 Rn. 35; BSG-Urteil vom 20.09.2001 - B 11 AL 30/01 R). Die streng an der Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (keine Austauschbarkeit von sozialgerechtfertigter Kündigung und Aufhebungsvertrag - vgl. BSG SozR. 3 - 4100 § 128 Nr. 5 sowie Urteile vom 25.06.1998 - B 7 AL 80/97 R - und 16.09.1998 - B 11 AL 59/97 R -) beruht gerade darauf, dass sich der Arbeitgeber uneingeschränkt der Prüfung der die Kündigung sozialrechtfertigenden Gründe aussetzt. Das wird im vorliegenden Fall aber auch bei dem gestaffelten Vorgehen der Arbeitsvertragsparteien (Kündigung, dann Abwicklungsvertrag) gerade umgangen. Denn Q. hat bereits eine Woche nach Erhalt der Kündigung vertraglich während des Laufes der Frist für eine Kündigungsschutzklage auf diese verzichtet und sich ausdrücklich zur Nichterhebung verpflichtet. Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ein Arbeitnehmer das Recht habe, eine Kündigung einfach hinzunehmen oder dagegen vorzugehen. Dies sei seine Entscheidung. Denn durch den vertraglichen Verzicht ist er praktisch gehindert, eine solche an sich freie Entscheidung während der Frist wieder rückgängig zu machen, weil er erst eine Anfechtungserklärung aussprechen müßte, deren Rechtmäßigkeit zu prüfen wäre. Die Klagefrist wäre dann bereits abgelaufen. Demgegenüber wäre die Klägerin im Sinne des Bundessozialgerichts ohne die Verzichtserklärung im Abwicklungsvertrag noch zwei weitere Wochen der Überprüfungsmöglichkeit vor dem Arbeitsgericht ausgesetzt gewesen - was sie aber erklärtermaßen gerade nicht gewollt hat. Die ausgesprochene Kündigung stellt somit nur eine formelle "leere Hülse" dar, die im gewollten Abwicklungsvertrag aufgeht und mit der die arbeitsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zugunsten der Klägerin ausgeschlossen worden ist. Kündigung und Abwicklungsvertrag stehen daher nicht eigenständig nebeneinander, sondern hängen untrennbar miteinander zusammen, so dass sie als Einheit mit der Folge zu bewerten sind, dass das gestaffelte Vorgehen ebenso wie ein Aufhebungsvertrag zu behandeln ist und vorliegend eine Befreiung nach § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG entfällt. Ob dies auch dann noch der Fall ist, wenn zunächst eine ordentliche sozialgerechtgertigte Kündigung ausgesprochen wird und der Abwicklungsvertrag nach Ablauf der Kündigungsschutzfrist oder als aufschiebend bedingter geschlossen wird (vgl. Hümmerich, NJW, a.a.O.; Grunewald, Der arbeitsrechtliche Abwicklungsvertrag - Alternative oder Ende des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages, NZA 94, 441 ff), hat der Senat angesichts des vorliegenden Sachverhalts nicht zu entscheiden. Bei diesen Beendigungsgestaltungen wäre dem Anspruch des Bundessozialgerichts auf den Verbleib der Prüfungsmöglichkeiten einer Kündigung vor dem Arbeitsgericht jedenfalls aber Rechnung getragen.

Die Höhe der Erstattungsforderung ist zutreffend ermittelt worden. Der Senat nimmt hierauf Bezug. Da die Klägerin im vorliegenden Fall vor Abschluss des Abwicklungsvertrages tatsächlich - wenn auch als leere Hülse - eine wirksame betriebsbedingte ordentliche Kündigung ausgesprochen und das Arbeitsverhältnis fristgemäß geendet hat, ist nach Auffassung des Senats keine zu berücksichtigende Sperrzeit zu Lasten des Q. eingetreten. Die Arbeitslosigkeit und damit die Belastung der Versichertengemeinschaft ist nicht durch das Verhalten des Q. verursacht worden - im Gegensatz zum Fall einer nur angedrohten fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung (vgl. BSG-Urteil vom 17.10.2002 - B 7 AL 92/01 R; 25.04.2002 - B 11 AL 65/01 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Berufung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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