Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 28 (23) AL 77/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 103/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 AL 1/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07. Juni 2000 geändert. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 14. Januar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1998 verurteilt, der Klägerin auch die für die Zeit vom 01. Januar 1987 bis 31. Dezember 1992 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Die Klägerin war bis zur Geburt ihres Sohnes als Textilverkäuferin in Vollzeitarbeit versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend arbeitete sie ab 01.09.1977 regelmäßig nur noch 15 Stunden an zwei Tagen in der Woche bei derselben Arbeitgeberin, die ca. 10 bis 15 Arbeitnehmer beschäftigte. Am 08.07.1997 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte diesen Antrag bestandskräftig ab, weil die Klägerin nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausgeübt und damit die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Sie verwies die Klägerin auf die Möglichkeit der Beitragserstattung.
Daraufhin beantragte die Klägerin am 10.11.1997 bei der Kaufmännischen Krankenkasse I (KKH) die Erstattung der von 1977 bis 1997 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 6.523,33 DM, weil keine Versicherungspflicht bestanden habe. Die KKH leitete den Antrag der Beklagten zu und teilte ergänzend mit, sie habe am 22.11.1991 bei der Arbeitgeberin der Klägerin eine Betriebsprüfung ohne Beanstandungen durchgeführt. Eine versicherungsrechtliche Beurteilung hätte damals erfolgen können. Unterlagen seien aber nicht mehr vorhanden. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag auf Beitragserstattung mit Bescheid vom 14.01.1998 im Wesentlichen ab. Sie führte aus, die Betragsentrichtung zur Arbeitslosenversicherung sei in der streitigen Zeit zwar zu Unrecht erfolgt. Aus diesem Grund seien der Klägerin die ab 01.01.1993 entrichteten Beiträge zu erstatten. Der auf die Zeit davor entfallende Betrag von 4.267,31 DM sei jedoch verjährt. Es lägen keine besonderen Gründe vor, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, denn die Entrichtung der Beiträge sei nicht auf ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beklagten oder der damaligen Einzugsstelle zurückzuführen. Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid am 20.01.1998 Widerspruch, den die Beklagte durch Bescheid vom 30.03.1998 zurückwies. Sie berief sich weiterhin darauf, der Erstattungsanspruch der Klägerin für die Zeit von 1977 bis 31.12.1992 sei verjährt. Im Rahmen ihrer Ermessensausübung verzichte die Beklagte nicht auf die Erhebung dieser Einrede, weil weder auf ihrer Seite noch bei der KKH ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln vorgelegen habe. Auch die am 22.11.1991 durchgeführte Betriebsprüfung stelle im Rahmen der Ermessensausübung keinen Grund dar, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Hierbei handele es sich lediglich um eine schwerpunktmäßige Prüfung, bei der nicht für jeden Arbeitnehmer eines Betriebes geprüft werde, ob zu Recht Versicherungspflicht angenommen worden sei (abgesandt am 30.03.1998).
Hiergegen richtet sich die am 22.04.1998 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen, es stelle eine typische Konstellation dar, dass eine junge Mutter nach Ablauf der Schutzfristen nur noch eine Teilzeitbeschäftigung aufnehme. Wenn dementsprechend das Arbeitsentgelt verringert werde, bestehe sehr wohl eine Verpflichtung der mit dem Einzug der Sozialversicherungsbeiträge befassten Stellen, wegen des reduzierten Arbeitsentgeltes und der auch der Sozialversicherung bekannt gewordenen Mutterschaftssituation die Arbeitszeit zu überprüfen. Die Beklagte berufe sich daher zu Unrecht auf die Verjährung der entrichteten Beiträge von 1977 bis 31.12.1992.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.1998 ihr die ab September 1977 entrichtetene Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten und ergänzend darauf hingewiesen, es sei Sache des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, bei Zweifeln die Versicherungspflicht durch einen Antrag bei der Einzugsstelle abklären zu lassen. Dies sei offensichtlich von der Arbeitgeberseite versäumt worden, nachdem die Klägerin weniger als 18 Stunden wöchentlich gearbeitet habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.06.2000 abgewiesen und sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen den am 14.06.2000 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 06.07.2000 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie verbleibt zu deren Begründung bei ihrer Auffassung, es sei rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte angesichts der durchgeführten Betriebsprüfung und des Übergangs von einer Voll- in eine Teilzeitbeschäftigung auf die Verjährung der Beiträge berufe. Es gehe nicht an, der Klägerin die Prüfung und Feststellung zu überlassen, ob im Einzelfall Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu Unrecht abgeführt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 07.06.2000 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 11.01.1996 L 1 Ar 80/94 -, in dem bestätigt werde, dass Betriebsprüfungen im Interesse der Versicherungsträger die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherungen zu sichern hätten. Über diese Kontrollfunktion hinaus bezweckten sie insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten - Az.: 000 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, soweit die Beitragserstattung für die Zeit vom 01.01.1987 bis 31.12.1992 streitig ist, im Übrigen aber unbegründet.
Die Klägerin hat im Sinne des hier anzuwendenden § 185 a Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- (vor 1984: § 186 Abs. 1 Satz 1 AFG) von September 1977 bis 1997 zu Unrecht Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet. Sie ist in dieser Zeit nicht versicherungspflichtig gewesen, weil sie ihre Teilzeitbeschäftigung nur 15 Stunden wöchentlich ausgeübt hat und diese somit nach § 169 a Abs. 1 iVm § 102 Abs. 1 (bis 31.12.1988: § 169 Nr. 6 iVm § 102) AFG wegen Kurzzeitigkeit beitragsfrei zur Arbeitslosenversicherung gewesen ist. Gleichwohl hat der Arbeitgeber für sie Beiträge einschließlich des Arbeitnehmeranteils abgeführt. Die Beklagte hat der Klägerin daher zu Recht bereits die nach § 185 a Abs. 1 Satz 1 AFG iVm § 27 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) auf den - nach ihrer Meinung - nicht verjährten Erstattungsanspruch entfallenden Beiträge ab 01.01.1993 erstattet.
Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch für die Zeit vom 01.01.1987 bis 31.12.1992 einen Beitragserstattungsanspruch, weil die Beklagte wegen eines fehlerhaften Verhaltens der Einzugsstelle bei der im November 1991 durchgeführten Betriebsprüfung gehalten ist, von der Verjährungseinrede, deren Geltendmachung in ihrem pflichtgemäßem Ermessen steht, abzusehen und ihr insoweit kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (vgl. BSG - Urteil vom 26.06.1986 - 7 RAr 121/84 -). Denn sie hat außer Betracht gelassen, dass der Einzugsstelle (KKH) damals die Beitragsfreiheit der Klägerin nicht aufgefallen ist, obwohl ihr jedenfalls im Hinblick auf die Grösse der Arbeitgeberin (Kleinbetrieb mit 10 - 15 Arbeitnehmern) eine zutreffende Beurteilung der Beitragsfreiheit der Klägerin ohne Schwierigkeiten möglich war. Es trifft zwar zu, dass eine Betriebsprüfung oder deren Unterlassen im Rahmen des Lohnabzugsverfahrens gegenüber Arbeitgebern regelmäßig keinen Vertrauensschutz hinsichtlich der richtigen oder falschen Beurteilung der Versicherungspflicht durch die Einzugsstelle bewirkt, weil die Arbeitgeber die Einstufung grundsätzlich selbst vornehmen oder in Zweifelsfällen eine fachkundige Klärung herbeiführen können, so dass der Betriebsprüfung gegenüber Arbeitgebern nur eine Kontrollfunktion zukommt (vgl. hierzu BSG -SozR 2100 § 27 Nr. 4; BSGE 47, 194, 198; BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 8). Neben dieser Aufgabe und dem Ziel, Beitragsausfälle zu Lasten der Versicherungsträger zu verhindern, ist anlässlich der Betriebsprüfung aber auch darauf zu achten, dass keine Beiträge geleistet werden, die nicht oder nicht mehr geleistet werden dürfen. Denn die Prüfer sollen nicht nur die finanziellen Interessen des Versicherungsträgers verfolgen, sondern auch die Interessen der Versicherten berücksichtigen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, 11. Aufl. 1988 bis einschließlich 70. Nachtrag Seite 377 c mwN und 378; Peters, SGB IV, Stand: Dezember 1998, § 28 p Anm. 2). Die in dem von der Beklagten zitierten Urteil des 1. Senats des Landessozialgerichts NRW vom 11.01.1996 - L 1 Ar 80/94 -, das den Erstattungsanspruch eines Arbeitgebers betrifft, zum Ausdruck gekommene Auffassung, es sei nicht Sinn und Zweck von Betriebsprüfungen, die Beitragspflicht einzelner Beschäftigter festzustellen, teilt der erkennende Senat nicht. Der den Interessen der Versicherten dienenden Zielsetzung der Betriebsprüfung entspricht die Regelung des § 28 p Abs. 1 Sätze 2 und 6 SGB IV in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.1988 (BGBl. I 2330), nach der die Einzugsstellen auch die nach § 28 f Abs. 1 Satz 1 SGB IV von den Arbeitgebern zu erstellenden Lohnunterlagen sämtlicher Beschäftigten zu prüfen haben - also auch der Personen, die wegen ihres Beschäftigungsumfangs versicherungsfrei sind und die aufgrund der nach § 2 Abs. 1 Nrn. 4 - 7 Beitragsüberwachungs- verordnung - BÜVO - vom 22.05.1989 (BGBl. I 992) erforderlichen Angaben in den Lohnunterlagen (Beginn und Ende der Beschäftigung, Beschäftigungsart, maßgebende Angaben für die Versicherungspflicht oder von deren Befreiung, Arbeitsentgelt einschließlich dessen Zusammensetzung und zeitliche Zuordnung) als solche erkannt werden können. Diese Prüfung ist im Gegensatz zur Überprüfung der gemeldeten Arbeitsentgelte auch nicht nur auf eine Unstimmigkeitsprüfung reduziert (§ 6 Abs. 2 BÜVO), sondern ist daneben - wenn auch stichprobenhaft - als regelmäßige eigenständige Arbeitsvorgabe vorgesehen (§ 6 Abs. 1 BÜVO). Es kann vorliegend auf sich beruhen, welcher Umfang an Stichproben in den Lohnunterlagen nach § 6 Abs. 1 BÜVO zur Sicherung dieses Zwecks im allgemeinen zu fordern ist. Der Senat hält es jedenfalls bei Kleinbetrieben wie demjenigen, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen ist (ca. 10 - 15 Arbeitnehmer), auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich zugelassenen Stichproben für geboten und erforderlich, das angesichts der geringen Arbeitnehmerzahl und der nur alle vier Jahre vorgesehenen, häufig viel seltener stattfindenden Prüfung alle Lohnunterlagen im Sinne nach § 2 Abs. 1 BÜVO durchgesehen und geprüft werden, um anhand der insoweit aussagekräftigen Angaben nach § 2 Abs. 1 Nrn. 4 - 7 BÜVO die versicherungsfreien und versicherungspflichtigen Beschäftigten zu erfassen. Denn in derartigen Betrieben kommt es wegen des geringen Personalbestandes nicht zu einer für die Prüfer unzumutbaren Arbeitsbelastung, die durch die Zulassung der Stichproben vermieden werden soll, so dass die Verwirklichung des Arbeitnehmerschutzes bezüglich der richtigen versicherungsrechtlichen Beurteilung Vorrang vor der Arbeitserleichterung haben muss. Im vorliegenden Fall hätte sich bei einer entsprechenden Prüfung aufgedrängt, dass wegen der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts der Klägerin keine Beitragspflicht bestehen konnte. Da die Beklagte das sich aus der Zielsetzung der konkreten Betriebsprüfung ergebende Veräumnis der Einzugsstelle im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung, ob sie die Verjährungseinrede erheben soll, nach eigenem Bekunden nicht berücksichtigt und sich mit der Auskunft der zuständigen Einzugsstelle, sie habe über die Betriebsprüfung vom 22.11.1991 keine Unterlagen mehr, damals aber die Versicherungspflicht prüfen können, ohne Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im vorliegenden Fall - Kleinbetrieb, offensichtliche Versicherungsfreiheit der Klägerin angesichts des Arbeits- und Entgeltumfangs - zufrieden gegeben hat, hat sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt und ist gehalten, ausgehend vom 22.11.1991 (Zeitpunkt der Betriebsprüfung und dem Entstehen des Beratungsbedarfs für die richtige versicherungsrechtliche Beurteilung) für weitere vier Jahre ab 01.01.1987 - § 27 Abs. 2 SGB IV - die Verjährungseinrede nicht zu erheben.
Soweit die Klägerin darüber hinaus eine Beitragserstattung ab 1977 geltend macht, ist die Berufung unbegründet. Die Beklagte erhebt insoweit die Einrede der Verjährung zu Recht, da bei der Arbeitgeberin der Klägerin vor 1991 keine Kontrolle der Beitragsentrichtung durch eine Betriebsprüfung stattgefunden und keine Gelegenheit bestanden hat, die Fehlbeurteilung des Arbeitgebers zu erkennen und zu berichtigen. Insoweit ist kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln auf Seiten der Beklagten oder der Einzugsstelle zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Die Klägerin war bis zur Geburt ihres Sohnes als Textilverkäuferin in Vollzeitarbeit versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend arbeitete sie ab 01.09.1977 regelmäßig nur noch 15 Stunden an zwei Tagen in der Woche bei derselben Arbeitgeberin, die ca. 10 bis 15 Arbeitnehmer beschäftigte. Am 08.07.1997 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte diesen Antrag bestandskräftig ab, weil die Klägerin nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausgeübt und damit die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Sie verwies die Klägerin auf die Möglichkeit der Beitragserstattung.
Daraufhin beantragte die Klägerin am 10.11.1997 bei der Kaufmännischen Krankenkasse I (KKH) die Erstattung der von 1977 bis 1997 entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 6.523,33 DM, weil keine Versicherungspflicht bestanden habe. Die KKH leitete den Antrag der Beklagten zu und teilte ergänzend mit, sie habe am 22.11.1991 bei der Arbeitgeberin der Klägerin eine Betriebsprüfung ohne Beanstandungen durchgeführt. Eine versicherungsrechtliche Beurteilung hätte damals erfolgen können. Unterlagen seien aber nicht mehr vorhanden. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag auf Beitragserstattung mit Bescheid vom 14.01.1998 im Wesentlichen ab. Sie führte aus, die Betragsentrichtung zur Arbeitslosenversicherung sei in der streitigen Zeit zwar zu Unrecht erfolgt. Aus diesem Grund seien der Klägerin die ab 01.01.1993 entrichteten Beiträge zu erstatten. Der auf die Zeit davor entfallende Betrag von 4.267,31 DM sei jedoch verjährt. Es lägen keine besonderen Gründe vor, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, denn die Entrichtung der Beiträge sei nicht auf ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beklagten oder der damaligen Einzugsstelle zurückzuführen. Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid am 20.01.1998 Widerspruch, den die Beklagte durch Bescheid vom 30.03.1998 zurückwies. Sie berief sich weiterhin darauf, der Erstattungsanspruch der Klägerin für die Zeit von 1977 bis 31.12.1992 sei verjährt. Im Rahmen ihrer Ermessensausübung verzichte die Beklagte nicht auf die Erhebung dieser Einrede, weil weder auf ihrer Seite noch bei der KKH ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln vorgelegen habe. Auch die am 22.11.1991 durchgeführte Betriebsprüfung stelle im Rahmen der Ermessensausübung keinen Grund dar, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. Hierbei handele es sich lediglich um eine schwerpunktmäßige Prüfung, bei der nicht für jeden Arbeitnehmer eines Betriebes geprüft werde, ob zu Recht Versicherungspflicht angenommen worden sei (abgesandt am 30.03.1998).
Hiergegen richtet sich die am 22.04.1998 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen, es stelle eine typische Konstellation dar, dass eine junge Mutter nach Ablauf der Schutzfristen nur noch eine Teilzeitbeschäftigung aufnehme. Wenn dementsprechend das Arbeitsentgelt verringert werde, bestehe sehr wohl eine Verpflichtung der mit dem Einzug der Sozialversicherungsbeiträge befassten Stellen, wegen des reduzierten Arbeitsentgeltes und der auch der Sozialversicherung bekannt gewordenen Mutterschaftssituation die Arbeitszeit zu überprüfen. Die Beklagte berufe sich daher zu Unrecht auf die Verjährung der entrichteten Beiträge von 1977 bis 31.12.1992.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 14.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.03.1998 ihr die ab September 1977 entrichtetene Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten und ergänzend darauf hingewiesen, es sei Sache des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, bei Zweifeln die Versicherungspflicht durch einen Antrag bei der Einzugsstelle abklären zu lassen. Dies sei offensichtlich von der Arbeitgeberseite versäumt worden, nachdem die Klägerin weniger als 18 Stunden wöchentlich gearbeitet habe.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.06.2000 abgewiesen und sich der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen den am 14.06.2000 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 06.07.2000 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie verbleibt zu deren Begründung bei ihrer Auffassung, es sei rechtsmissbräuchlich, dass sich die Beklagte angesichts der durchgeführten Betriebsprüfung und des Übergangs von einer Voll- in eine Teilzeitbeschäftigung auf die Verjährung der Beiträge berufe. Es gehe nicht an, der Klägerin die Prüfung und Feststellung zu überlassen, ob im Einzelfall Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu Unrecht abgeführt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 07.06.2000 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und verweist ergänzend auf das Urteil des Landessozialgerichts NRW vom 11.01.1996 L 1 Ar 80/94 -, in dem bestätigt werde, dass Betriebsprüfungen im Interesse der Versicherungsträger die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherungen zu sichern hätten. Über diese Kontrollfunktion hinaus bezweckten sie insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten - Az.: 000 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, soweit die Beitragserstattung für die Zeit vom 01.01.1987 bis 31.12.1992 streitig ist, im Übrigen aber unbegründet.
Die Klägerin hat im Sinne des hier anzuwendenden § 185 a Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG- (vor 1984: § 186 Abs. 1 Satz 1 AFG) von September 1977 bis 1997 zu Unrecht Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet. Sie ist in dieser Zeit nicht versicherungspflichtig gewesen, weil sie ihre Teilzeitbeschäftigung nur 15 Stunden wöchentlich ausgeübt hat und diese somit nach § 169 a Abs. 1 iVm § 102 Abs. 1 (bis 31.12.1988: § 169 Nr. 6 iVm § 102) AFG wegen Kurzzeitigkeit beitragsfrei zur Arbeitslosenversicherung gewesen ist. Gleichwohl hat der Arbeitgeber für sie Beiträge einschließlich des Arbeitnehmeranteils abgeführt. Die Beklagte hat der Klägerin daher zu Recht bereits die nach § 185 a Abs. 1 Satz 1 AFG iVm § 27 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) auf den - nach ihrer Meinung - nicht verjährten Erstattungsanspruch entfallenden Beiträge ab 01.01.1993 erstattet.
Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch für die Zeit vom 01.01.1987 bis 31.12.1992 einen Beitragserstattungsanspruch, weil die Beklagte wegen eines fehlerhaften Verhaltens der Einzugsstelle bei der im November 1991 durchgeführten Betriebsprüfung gehalten ist, von der Verjährungseinrede, deren Geltendmachung in ihrem pflichtgemäßem Ermessen steht, abzusehen und ihr insoweit kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (vgl. BSG - Urteil vom 26.06.1986 - 7 RAr 121/84 -). Denn sie hat außer Betracht gelassen, dass der Einzugsstelle (KKH) damals die Beitragsfreiheit der Klägerin nicht aufgefallen ist, obwohl ihr jedenfalls im Hinblick auf die Grösse der Arbeitgeberin (Kleinbetrieb mit 10 - 15 Arbeitnehmern) eine zutreffende Beurteilung der Beitragsfreiheit der Klägerin ohne Schwierigkeiten möglich war. Es trifft zwar zu, dass eine Betriebsprüfung oder deren Unterlassen im Rahmen des Lohnabzugsverfahrens gegenüber Arbeitgebern regelmäßig keinen Vertrauensschutz hinsichtlich der richtigen oder falschen Beurteilung der Versicherungspflicht durch die Einzugsstelle bewirkt, weil die Arbeitgeber die Einstufung grundsätzlich selbst vornehmen oder in Zweifelsfällen eine fachkundige Klärung herbeiführen können, so dass der Betriebsprüfung gegenüber Arbeitgebern nur eine Kontrollfunktion zukommt (vgl. hierzu BSG -SozR 2100 § 27 Nr. 4; BSGE 47, 194, 198; BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 8). Neben dieser Aufgabe und dem Ziel, Beitragsausfälle zu Lasten der Versicherungsträger zu verhindern, ist anlässlich der Betriebsprüfung aber auch darauf zu achten, dass keine Beiträge geleistet werden, die nicht oder nicht mehr geleistet werden dürfen. Denn die Prüfer sollen nicht nur die finanziellen Interessen des Versicherungsträgers verfolgen, sondern auch die Interessen der Versicherten berücksichtigen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, 11. Aufl. 1988 bis einschließlich 70. Nachtrag Seite 377 c mwN und 378; Peters, SGB IV, Stand: Dezember 1998, § 28 p Anm. 2). Die in dem von der Beklagten zitierten Urteil des 1. Senats des Landessozialgerichts NRW vom 11.01.1996 - L 1 Ar 80/94 -, das den Erstattungsanspruch eines Arbeitgebers betrifft, zum Ausdruck gekommene Auffassung, es sei nicht Sinn und Zweck von Betriebsprüfungen, die Beitragspflicht einzelner Beschäftigter festzustellen, teilt der erkennende Senat nicht. Der den Interessen der Versicherten dienenden Zielsetzung der Betriebsprüfung entspricht die Regelung des § 28 p Abs. 1 Sätze 2 und 6 SGB IV in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.1988 (BGBl. I 2330), nach der die Einzugsstellen auch die nach § 28 f Abs. 1 Satz 1 SGB IV von den Arbeitgebern zu erstellenden Lohnunterlagen sämtlicher Beschäftigten zu prüfen haben - also auch der Personen, die wegen ihres Beschäftigungsumfangs versicherungsfrei sind und die aufgrund der nach § 2 Abs. 1 Nrn. 4 - 7 Beitragsüberwachungs- verordnung - BÜVO - vom 22.05.1989 (BGBl. I 992) erforderlichen Angaben in den Lohnunterlagen (Beginn und Ende der Beschäftigung, Beschäftigungsart, maßgebende Angaben für die Versicherungspflicht oder von deren Befreiung, Arbeitsentgelt einschließlich dessen Zusammensetzung und zeitliche Zuordnung) als solche erkannt werden können. Diese Prüfung ist im Gegensatz zur Überprüfung der gemeldeten Arbeitsentgelte auch nicht nur auf eine Unstimmigkeitsprüfung reduziert (§ 6 Abs. 2 BÜVO), sondern ist daneben - wenn auch stichprobenhaft - als regelmäßige eigenständige Arbeitsvorgabe vorgesehen (§ 6 Abs. 1 BÜVO). Es kann vorliegend auf sich beruhen, welcher Umfang an Stichproben in den Lohnunterlagen nach § 6 Abs. 1 BÜVO zur Sicherung dieses Zwecks im allgemeinen zu fordern ist. Der Senat hält es jedenfalls bei Kleinbetrieben wie demjenigen, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen ist (ca. 10 - 15 Arbeitnehmer), auch unter Berücksichtigung der grundsätzlich zugelassenen Stichproben für geboten und erforderlich, das angesichts der geringen Arbeitnehmerzahl und der nur alle vier Jahre vorgesehenen, häufig viel seltener stattfindenden Prüfung alle Lohnunterlagen im Sinne nach § 2 Abs. 1 BÜVO durchgesehen und geprüft werden, um anhand der insoweit aussagekräftigen Angaben nach § 2 Abs. 1 Nrn. 4 - 7 BÜVO die versicherungsfreien und versicherungspflichtigen Beschäftigten zu erfassen. Denn in derartigen Betrieben kommt es wegen des geringen Personalbestandes nicht zu einer für die Prüfer unzumutbaren Arbeitsbelastung, die durch die Zulassung der Stichproben vermieden werden soll, so dass die Verwirklichung des Arbeitnehmerschutzes bezüglich der richtigen versicherungsrechtlichen Beurteilung Vorrang vor der Arbeitserleichterung haben muss. Im vorliegenden Fall hätte sich bei einer entsprechenden Prüfung aufgedrängt, dass wegen der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts der Klägerin keine Beitragspflicht bestehen konnte. Da die Beklagte das sich aus der Zielsetzung der konkreten Betriebsprüfung ergebende Veräumnis der Einzugsstelle im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung, ob sie die Verjährungseinrede erheben soll, nach eigenem Bekunden nicht berücksichtigt und sich mit der Auskunft der zuständigen Einzugsstelle, sie habe über die Betriebsprüfung vom 22.11.1991 keine Unterlagen mehr, damals aber die Versicherungspflicht prüfen können, ohne Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse im vorliegenden Fall - Kleinbetrieb, offensichtliche Versicherungsfreiheit der Klägerin angesichts des Arbeits- und Entgeltumfangs - zufrieden gegeben hat, hat sie ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt und ist gehalten, ausgehend vom 22.11.1991 (Zeitpunkt der Betriebsprüfung und dem Entstehen des Beratungsbedarfs für die richtige versicherungsrechtliche Beurteilung) für weitere vier Jahre ab 01.01.1987 - § 27 Abs. 2 SGB IV - die Verjährungseinrede nicht zu erheben.
Soweit die Klägerin darüber hinaus eine Beitragserstattung ab 1977 geltend macht, ist die Berufung unbegründet. Die Beklagte erhebt insoweit die Einrede der Verjährung zu Recht, da bei der Arbeitgeberin der Klägerin vor 1991 keine Kontrolle der Beitragsentrichtung durch eine Betriebsprüfung stattgefunden und keine Gelegenheit bestanden hat, die Fehlbeurteilung des Arbeitgebers zu erkennen und zu berichtigen. Insoweit ist kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln auf Seiten der Beklagten oder der Einzugsstelle zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
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