Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 RJ 89/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 RJ 141/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 30/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. der Bekl.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2004 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Der 1942 geborene Kläger beantragte zunächst eine Altersrente bei der Beklagten. Diese wurde mit Bescheid vom 18.10.2002 in spanischer Sprache abgelehnt. Der Bescheid wurde nach Rücknahme des Widerspruchs bindend.
Am 30.12.2002 beantragte der Kläger über den spanischen Sozialversicherungsträger (instituto nacional de la Seguridad social) die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch die Beklagte. Im Rahmen des Antragsverfahrens befanden sich in der Verwaltungsakte der Beklagten Unterlagen und Vordrucke meist vom spanischen Sozialversicherungsträger in spanischer Sprache und ein medizinisches Gutachten in spanischer Sprache (vermutlich von März 2003).
Mit Bescheid vom 23.07.2003 lehnte die Beklagte ohne eigene Ermittlungen die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder wegen Berufsunfähigkeit ab, weil der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er begründete ihn damit, dass keine ausreichende Einsetzbarkeit bestehe, wie sich aus beigefügten Bescheinigungen eines Arztes, eines Krankenhauses und eines Sanatoriums ergebe. Diese Unterlagen wurden als Anlage in spanischer Sprache beigefügt. Die Beklagte ließ den letzten Absatz der Bescheinigung von D und vermutlich aus dem Bericht von Dr. C übersetzen. Den Bevollmächtigten des Klägers wurde mitgeteilt, das Gutachten ergebe keine erheblichen Einschränkungen für leidensgerechte Tätigkeiten, und es wurde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe.
Nach Mitteilung des Klägerbevollmächtigten, dass der Widerspruch aufrechterhalten bleibe, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder auch nur wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Aus dem Akteninhalt ergebe sich nämlich, dass der Kläger als ungelernter bzw. angelernter Arbeiter zu beurteilen sei, denn zuletzt sei er als Schweißer beschäftigt gewesen. Er sei daher auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, die er noch 6 Stunden und mehr täglich verrichten könnte.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 04.10.2004 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Nach Eingang der Verwaltungsakte der Beklagten hat das Gericht der Beklagten mitgeteilt, es beabsichtige, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen. Voraussichtlich sei damit zu rechnen, dass die angefochtenen Bescheide aufgehoben würden mit der Folge, dass die Beklagte dann nach Durchführung weiterer erforderlicher Ermittlungen verpflichtet sei, den Rentenantrag erneut zu bescheiden. Eine solche Vorgehensweise erscheine nach der neuen Vorschrift des § 131 Abs. 5 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geboten. Hier seien nämlich nicht alle spanischen Unterlagen, insbesondere nicht die Unterlagen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens, vollständig übersetzt worden. Bei der auszugsweisen Übersetzung sei auch nicht eindeutig, auf welche Unterlagen sich die von der Beklagten zur Akte genommene medizinische Übersetzung beziehe. Es sei die Zurückweisung des Widerspruches erfolgt, ohne dass ersichtlich sei, dass die von dem Kläger eingereichten medizinischen Unterlagen auch vollständig und damit sachgerecht gewürdigt worden seien. Es sei nicht klar, ob der beratungsärztliche Dienst vollständig und ausreichend informiert worden sei über alle Diagnosen des Klägers und seine Beschwerden und sonstigen Kenntnisse der spanischen Ärzte. Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren eine völlig unzureichende Sachaufklärung betrieben, die weder den Belangen des Klägers gerecht werde noch dem für die Beklagte geltenden Amtsermittlungsprinzip. Es erscheine daher geboten, dass die Beklagte nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide zunächst noch alle spanischen Unterlagen ihrer Akte zu übersetzen und auszuwerten und zunächst selbst zu überprüfen haben werde, ob das bisher vorliegende spanische Rentengutachten dem Kläger gerecht werde. Ohne genaue Kenntnis der zu übersetzenden spanischen ärztlichen Unterlagen und sonstigen Unterlagen sei nicht auszuschließen, dass noch ein weiteres Gutachten einzuholen sei.
Die Beklagte hat erwidert, medizinische Unterlagen aus Spanien bedürften keiner vollständigen Übersetzung ins Deutsche, da die ärztlichen Berater der Beklagten, die die Fälle nach dem EWG-Verfahren bearbeiten, Kenntnisse der spanischen Sprache hätten. Außerdem stütze sich die medizinische Fachsprache im Wesentlichen auf lateinische Ausdrücke, so dass auch in Fremdsprachen der Kern der Aussagen für Mediziner deutlich verständlich sei. Rein beschreibende Befunde seien daher im Allgemeinen ohne Übersetzung verständlich. Im Übrigen sei die Familienanamnese nicht von Interesse. Des weiteren sei nach ihrer Auffassung § 131 Abs. 5 SGG neuer Fassung schon nicht anwendbar. Diese Vorschrift, die sich an entsprechende Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Finanzgerichtsordnung (FGO) anlehne, sei beschränkt auf Anfechtungsklagen, wie sich aus der Kommentarliteratur zur VwGO ergebe. Bei Rentenklagen, die grundsätzlich Verpflichtungsklagen seien, sei eine Aufhebung ohne Sachentscheidung nicht sachdienlich, zumal sie eine gerichtliche Entscheidung in der Sache verzögere.
Aus medizinischer Sicht hätten die im Widerspruchsverfahren vorgelegten weiteren medizinischen Unterlagen keine wesentlichen Verschlechterungen ergeben. Bei medizinischen Unterlagen reiche es im Übrigen aus, die Zusammenfassung zu übersetzen; einzelne Diagnosen wie z.B. die Knochendichtemessung müssten nicht exakt übersetzt werden.
Von der Beklagten ist sodann die bisherige Übersetzung nochmals mit Anmerkungen vorgelegt worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.11.2004 hat das Sozialgericht Düsseldorf die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei die Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 01.09.2004 geltenden Fassung geboten gewesen. Diese Vorschrift sei anwendbar. Sie gelte für gerichtliche Entscheidungen ab dem 01.09.2004. Die Vorschrift sei auch deshalb anwendbar, weil noch keine 6 Monate seit Eingang der Verwaltungsakte der Beklagten (14.10.2004) vergangen seien. § 131 Abs. 5 SGG sei entgegen der Auffassung der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren auch auf Klagen anwendbar, die auf eine Verpflichtung der beklagten Behörde gerichtet seien. Der Vergleich der Beklagten mit der Kommentarliteratur zur VwGO und der Praxis der Verwaltungsgerichte überzeuge für das sozialgerichtliche Verfahren nicht. Denn das verwaltungsgerichtliche Verfahren sei - anders als das sozialgerichtliche Verfahren - wesentlich stärker geprägt von Anfechtungsklagen im Sinne von Klagen gegen Akte der klassischen Eingriffsverwaltung. Die überwiegende Anzahl der sozialgerichtlichen Verfahren dagegen seien typischerweise Klagen auf Erbringung einer Sozialleistung durch die Leistungsverwaltung. Würde man auch für das sozialgerichtliche Verfahren die Anwendbarkeit von § 131 Abs. 5 SGG, also der "Zurückverweisung" an die Verwaltung, nur auf Anfechtungsklagen beschränken, so würde damit die Sozialgerichtsbarkeit eines wichtigen Verfahrensinstruments für die überwiegende Anzahl der Verfahren beraubt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es auch kein relevanter Rechtsnachteil für den Kläger, wenn bisher nur eine "Zurückverweisung" ohne Sachentscheidung ergehe. Denn diese Vorgehensweise habe für den Kläger auch den Vorteil, dass ihm quasi erneut das volle Rechtsmittelverfahren eröffnet werde, nämlich das Verwaltungsverfahren einschließlich Widerspruchsverfahren, ohne dass er jetzt schon die Kosten des Klageverfahrens einschließlich seiner außergerichtlichen Kosten zu tragen habe. Es sei gerade sinnvoll, ihn nicht schon jetzt mit etwaigen Kosten des Klageverfahrens einschließlich seiner außergerichtlichen Kosten für eine Klage zu belasten, die nur deshalb nötig gewesen sei, weil die Beklagte im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt habe.
Es lägen auch die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG vor. Es seien nämlich nach Art und Umfang noch Ermittlungen erforderlich, um den Sachverhalt wirklich sachgerecht und abschließend beurteilen zu können. Es sei nach dem Akteninhalt ohne Spanischkenntnisse schon nicht ohne Weiteres ersichtlich, welche Berufsbiographie der Kläger habe und welche Berufe er zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt habe. Auch die tariflichen Einstufungen, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Arbeiterrentensenate Bedeutung haben könnten, sei nicht feststellbar.
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, die Ärzte ihres beratungsärztlichen Dienstes würden auch Spanisch verstehen bzw. Lateinisch und könnten somit den Kern von Unterlagen in spanischer Sprache auch verstehen. Es könne dahinstehen, ob Spanisch-Kenntnisse und noch vorhandene Latein-Kenntnisse auch für komplizierte Sachverhalte und auch zur Würdigung des bisherigen Berufsverlaufes ausreichend seien, denn auch die Sachbearbeitung und vor allem und gerade der Widerspruchsausschuss müssten wissen, worüber sie eigentlich entscheiden und ob eine Verweisung möglich sei oder nicht. Anderenfalls würden das Widerspruchsverfahren und der Widerspruchsausschuss ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht, wenn sie ohne eigene Prüfung sich blind auf den beratungsärztlichen Dienst verlassen würden. Schließlich gelte für die Beklagte der Untersuchungsgrundsatz, wonach sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände, zu berücksichtigen habe.
Soweit die Beklagte einwende, die Familienanamnese sei für sie nicht von Interesse, erscheine dies etwas überheblich gegenüber Gutachten und Berichten behandelnder Ärzte. Das Gericht weise darauf hin, dass auch nach den Begutachtungshinweisen der Rentenversicherungsträger die Anamnese generell zu den wichtigsten Bestandteilen eines Gutachtens zähle und dass bei sozialmedizinischen Gutachten auch stets eine Sozial- und Arbeitsanamnese vorhanden sein müsse. Sozial- und Arbeitsanamnese des Klägers ließen sich der Verwaltungsakte überhaupt nicht entnehmen.
Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die "Zurückverweisung" an die Beklagte sei auch sachdienlich im Sinne von § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG, weil nur damit dem der Beklagten obliegenden Untersuchungsgrundsatz des § 20 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) Genüge getan werde und weil dies im jetzigen frühen Verfahrensstand auch für den Kläger günstig sei. Denn mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und der Zurückverweisung an die Beklagte erlange er die Möglichkeit, nach Durchführung der noch erforderlichen Ermittlungen im Falle einer erneuten Ablehnung des Rentenantrages erneut wieder alle Rechtsmittel wie Widerspruch und Klageerhebung ausschöpfen zu können, ohne, dass ihm quasi schon die Vorinstanz des Widerspruchsverfahrens genommen werde.
Gegen den am 22.11.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 20.12.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, § 131 Abs. 5 SGG sei auf Verpflichtungsklagen nicht anwendbar. Sowohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch im sozialgerichtlichen Verfahren gebe es Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen, so dass die Verfahrensordnungen und entsprechenden Regelungen in beiden Verfahrensordnungen vergleichbar seien. Auch könnten umfangreiche Ermittlungsarbeiten sowohl in Verpflichtungs- als auch Anfechtungssituationen erforderlich werden. Selbst wenn im Sozialrecht insgesamt die Anzahl der Verpflichtungssituationen gegenüber den Anfechtungssituationen überwiegen sollte, so wären die Sozialgerichte gleichwohl nicht eines wesentlichen Verfahrensinstruments beraubt, da sie bereits über das Instrument des Bescheidungsurteils verfügten. Insoweit sei kein Raum für eine Anwendung des § 131 Abs. 5 SGG. Auch die Bundesrats-Drucksache 378/03 spreche für die von ihr vertretene Auffassung, da dort von der Möglichkeit die Rede sei, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes sei nur dann sinnvoll, wenn dieser den Betroffenen belaste, er durch die Aufhebung also "zunächst" aus der Welt sei. In einer Verpflichtungssituation bringe aber die Aufhebung eines die beantragte Leistung ablehnenden Verwaltungsaktes für den Betroffenen keine Verbesserung seiner Position. Die gerichtliche Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG hätte für ihn nur die Wiederholung des behördlichen Verfahrens zur Folge. Dies entspreche keinem effektiven Rechtsschutz. § 131 Abs. 5 SGG könne daher nur auf Anfechtungsklagen Anwendung finden. Im Übrigen lägen auch die sonstigen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG nicht vor. Um den Sachverhalt richtig beurteilen zu können, habe es keiner Übersetzung des spanischen Berufsbegriffes "Soldador" gebraucht.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2004 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Düsseldorf die Bescheide der Beklagten gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG aufgehoben mit dem Resultat, dass die Beklagte zu einer erneuten Sachentscheidung verpflichtet ist.
§ 131 Abs. 5 SGG sieht vor, dass für den Fall, dass das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben kann, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Norm ist durch Art. 8 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24.08.2004 - Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2197 ff., 2198, in Kraft seit 01.09.2004 (Art. 14 Satz 1) - dem bisherigen § 131 SGG angefügt worden.
§ 131 Abs. 5 SGG ist entgegen der Auffassung der Beklagten im vorliegenden Verfahren auch anwendbar.
Die Regelung ist § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO und § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO nachempfunden. Sie geht aber darüber hinaus, da sie auch für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- sowie für die Verpflichtungsklage gilt. Dafür sprechen nicht nur der Wortlaut und die gegenüber § 113 Abs. 3 VwGO bewusst anders gewählte systematische Stellung am Ende der Norm, sondern auch der in der Entstehungsgeschichte verdeutlichte Zweck, einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegen zu wirken, wenn die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden unterlassen wird (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1508, Seite 29 zu Art. 8 Nr. 1 und Zeihe, SGG, § 131 Rdnr. 25 b).
Systematische beziehen sich in § 131 SGG (im Unterschied zu § 113 Abs. 3 VwGO, denn die Absätze 1-2 des § 113 VwGO beziehen sich ausdrücklich auf die Anfechtungssituation), die dem Abs. 5 vorhergehenden Absätze 2 und 3 explizit auf Verpflichtungsklagen; sodann schließt sich Abs. 5 an. Schon daraus ist zu schließen, dass § 131 Abs. 5 SGG auch auf Verpflichtungsklagen anwendbar ist. Die in Abs. 4 des § 131 SGG geregelte Wahlanfechtungsklage kann eine Feststellungsklage sein, unter Umständen aber auch eine Leistungsklage (vgl. Meyer/Ladewig § 131 Rdnr. 15), so dass sich auch von daher eine Erstreckung auf eine Leistungs,- bzw Verpflichtungssituation bei Absatz 5 des § 131 SGG nicht verbietet.
Des weiteren schließen, entgegen der Argumentation der Beklagten, die Gesetzesbegründungen eine Begrenzung der Zurückverweisung allein auf Anfechtungsklagen in der Sozialgerichtsbarkeit nicht aus. Die verwaltungsgerichtliche Gesetzesbegründung zur Parallelnorm § 113 VwGO sieht ausdrücklich vor, dass für bestimmte Anfechtungsstreitigkeiten dem Gericht die Befugnis eingeräumt wird, im Urteil eine den Prozess zwar beendende, in der Sache selbst jedoch noch nicht abschließende Entscheidung zu treffen (vgl. Bundestags-Drucksache 11/7003, Seite 21). Im Unterschied zu dieser zeitlich früher eingeführten Regelung in der VwGO sieht bereits das Gesetz zur Änderung der FGO (FGO-Änderungsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil I, 1992, Seite 2109) den § 100 Abs. 3 Satz 1 der FGO vor. In Kenntnis der Regelungen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, der Auffassungen in der Literatur wie auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtspraxis ergibt sich aus der Gesetzesbegründung für das FGO-Änderungsgesetz (Bundestags-Drucksache 1261, Seite 18, 19), dass zumindest für das finanzgerichtliche Verfahren eine Einschränkung auf die reine Anfechtungsklagensituation nicht vorgesehen ist. Denn es wird ausgeführt, dass es beispielsweise ausreichend sei, dass das Gericht die Rechtslage, die Anlass für weitere Ermittlungen sein kann, anders beurteilt als die Verwaltung. Obwohl damit der Anwendungsbereich der Vorschrift erweitert worden sei, diene es den Interessen des Rechtssuchenden oftmals zwar mehr, wenn das Gericht eine abschließende Streitentscheidung träfe. Wenn jedoch nach Lage der Dinge zweifelsfrei Ermittlungen vorzunehmen seien, welche die Behörde nach ihren personellen und sachlichen Ausstattungen besser durchführen könne als das Gericht, sei ein Vorgehen nach Abs. 3 berechtigt. Entsprechend den Ausführungen in der Gesetzesbegründung zur FGO sieht demzufolge auch die finanzgerichtliche Kommentarliteratur zu § 100 Abs. 3 FGO keine ausdrückliche Beschränkung auf Anfechtungsklagen vor (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, FGO, § 100 Rdnr. 39 bis 48).
Darauf aufbauend kam es zur Änderung des SGG im Sinne der Anfügung des Abs. 5 in § 131 SGG. In der Gesetzesbegründung wird zwar zunächst auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren verwiesen, jedoch auch auf die entsprechende Regelung für das finanzgerichtliche Verfahren zurückgegriffen. Sodann wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeführt, dass die neue Norm geschaffen worden sei, um dem Gericht eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärung zu ersparen. Denn nach Beobachtungen der Praxis werde die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe (vgl. Bundesrats-Drucksache 378/03, Seite 67 sowie die insoweit wortgleichen Motive des Bundestags, vgl. Bundestags-Drucksache 15/1508 S. 29 und der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, S. 69). In Kenntnis der vorwiegend bei sozialgerichtlichen Verfahren anzutreffenden Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Leistungssituationen und mit der einzigen Intention, die Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zu unterbinden, kann der Gesetzgeber damit nur auch eine mögliche Zurückverweisung bei der Situation einer Anfechtungs- und Verpflichtungs,- bzw. Leistungsklage gemeint haben (a.A. Berliner Kommentar zum SGG, Humpert § 131 SGG Rdnr. 8; Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, VII Rdnr. 138 a; Meyer/Ladewig, SGG, § 131 Rdnr. 18f).
Aufgrund dieser nicht deckungsgleichen Gesetzesbegründungen ist auch ein Heranziehen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur zur VwGO, wie von der Beklagten vorgenommen, nicht haltbar. Die Beklagte zitiert zwar zu Recht das Bundesverwaltungsgericht (BVwGE 107, Seite 128) und die überwiegende Kommentarliteratur (z.B. Kopp, § 113 Rdnr. 166 und Redecker / von Oertzen, § 113 Rdnr. 24). Zum einen übersieht die Beklagte jedoch, dass es trotz unterschiedlicher Gesetzesbegründungen auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Entscheidungen und verwaltungsrechtliche Literatur gibt, die eine Anwendungserstreckung auch auf die Verpflichtungsklage vorsehen (so z.B. VG München, NVWZ 1996, Seite 412; OVG Münster, NVWZ RR 1966, Seite 503 und Eyermann-Fröhler, Schmidt, Rdnr. 40 zu § 113). Zum anderen verkennt sie, dass die dortigen Argumente nicht auf den sozialgerichtlichen Prozess zu übertragen sind. Denn wesentliches Argument für die Bejahung einer Anwendbarkeit des § 131 Abs. 5 SGG auch auf eine Verpflichtungssituation ist die Beachtung des Unterschiedes des sozialgerichtlichen Verfahrens im Verhältnis zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist wesentlich stärker geprägt von Anfechtungsklagen im Sinne von Klagen gegen Akte der klassischen Eingriffsverwaltung als das Sozialgerichtsverfahren. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die typische Klage ein Begehren auf Erbringung einer Sozialleistung durch die Leistungsverwaltung. Damit entspricht diese Situation grundsätzlich einer Verpflichtungsklage bzw. Leistungsklage. Würde man auch für das sozialgerichtliche Verfahren die Anwendbarkeit von § 131 Abs. 5 SGG auf Anfechtungsklagen beschränken, so würde damit die Sozialgerichtsbarkeit dieses neu eingeführten und wichtigen Verfahrensinstrumentes für die weit überwiegende Anzahl der Verfahren beraubt.
Gerade die typischerweise notwendige Sachverhaltsaufklärung, die von der Behörde unterlassen werden kann, fällt regelmäßig bei den sozialgerichtlichen Verpflichtungsklagen betreffend Klagen auf die Gewährung von Sozialleistungen wie Rente, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Teilhabeleistungen an. Folglich muss der Gesetzgeber bei der Einführung von § 131 Abs. 5 SGG auch die Fälle einer Verpflichtungssituation erfasst haben wollen.
Es stellt auch weder für den Kläger noch für die Beklagte einen relevanten Rechtsnachteil dar, wenn eine Entscheidung ohne Sachentscheidung getroffen wird, sondern quasi in die Verwaltung zurückverwiesen wird. Die Belange der Beklagten sind nicht tangiert. Für den Kläger bedeutet eine solche fehlende Sachentscheidung, dass er zwar seinem Ziel auf Sozialleistung nicht direkt näher gerückt ist. Jedoch unterbindet diese Vorgehensweise, dass der Kläger bereits für ein im Sinne der Beweiserhebung nicht vollständiges Verfahren mit außergerichtlichen Kosten belastet werden kann. Zudem hat diese Vorgehensweise für den Kläger den Vorteil, dass ihm erneut das volle Rechtsmittelverfahren eröffnet wird und er möglicherweise bei zureichenden Ermittlungen der Beklagten schon im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren eine Klärung seiner Situation und auch eine Verwirklichung des Anspruchs auf Sozialleistung erzielen kann. Aus diesem Grund überzeugt auch die Argumentation, dass der Kläger mit der bloßen Aufhebung des ablehnenden Bescheides in einer Leistungs- bzw. Verpflichtungssituation nichts gewonnen habe, weil die Aufhebung allein nichts über einen möglichen Anspruch aussage und die gerichtliche Entscheidung nur die Widerholung des behördlichen Verfahrens zur Folge habe, nicht. Der Kläger gewinnt die Verpflichtung zu einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren, welches das gegliederte Widerspruchs- und Klageverfahren zwingend voraussetzt.
Die Sorge der Beklagten, dass der Kläger wichtige Zeit durch eine Zurückverweisung in die Verwaltung verlieren könnte, ist berechtigt. Allein die Beklagte hat es aber in der Hand, durch ordnungsgemäße Ermittlungen dieser Sorge Abhilfe zu verschaffen. Auch jetzt noch wäre es ihr möglich, nach § 45 SGB X den maßgeblichen Bescheid aufzuheben und nach eingehenden Ermittlungen erneut zu bescheiden.
Der Sorge der Verzögerung wird auch Rechnung getragen durch die Frist, die § 131 Abs. 5 SGG für eine mögliche Zurückverweisung vorsieht. Das Beachten dieser Frist rechtfertigt, dass ein im Hinblick auf den Amtsermitlungsgrundsatz mangelhaftes Verwaltungsverfahren (und aus diesem Grund möglicherweise ohnehin zeitlich geringes Verwaltungsverfahren) nachgeholt werden muss. Denn das SGG setzt ein ordnungsgemäßes Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zwingend voraus. Aufgrund des Amtsermittlungsprinzipes der Beklagten ist sie vorrangig, d.h. an erster Stelle, zu den notwendigen Ermittlungen verpflichtet. Gerade in den Fällen wie dem Vorliegenden, bei dem auch Ermittlungen im Ausland notwendig werden können, darf es nicht zu einer Verlagerung der Ermittlungen in die Gerichtsbarkeit kommen. Denn auch die Beklagte unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz in gleicher Weise wie die Gerichte. Am schnellsten kommt ein Kläger in dieser Konstellation zu einer fundierten Entscheidung, wenn bereits im Verwaltungsverfahren umfassend ermittelt wird.
Aus diesem Grund erzielt der Kläger auch mit der prozessualen Möglichkeit, seine Klage auf einen Antrag auf Bescheidung umzustellen, keinen besseren Erfolg als mit der Zurückverweisung in die Verwaltung über § 131 Abs. 5 SGG. Denn der Zeitverlust eines Klägers bei dieser prozessualen Möglichkeit kann größer sein, da keine explizite Frist für eine solche Entscheidung wie in § 131 Abs. 5 SGG vorgesehen ist. Nur das Einhalten der Frist rechtfertigt, unter Berücksichtigung des Klägerinteresses, eine Zurückverweisung in die Verwaltung. Zudem muss es befremden, wenn der Gesetzgeber eine neue Vorschrift mit einer ausdrücklichen Intention erlässt, und die Klägerseite auf einen Umweg, möglicherweise nach Hinweis des Gerichts im Rahmen seiner Verpflichtung auf eine sinnvolle Antragstellung hinzuwirken, verwiesen wird. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es auch nie zu einer Umsetzung der Vorschrift des § 125 des Entwurfs der gescheiterten Verwaltungsprozeßordnung (VwPO) (vgl. Bundestags-Drucksache 10/3437 S. 30 f.) kam. Diese Norm sah nämlich in Abs. 2 Satz 2 für Verpflichtungsklagen die Möglichkeit eines Bescheidungsurteils vor, "wenn es wegen der Art und des Umfangs der erforderlichen Ermittlungen sachdienlich sei, die Höhe der Leistungen im Verwaltungsverfahren fortzusetzen". Gerade weil dieser Ansatz zu keiner Zeit in einem Gestetz verwirklicht worden ist, dagegen aber § 124 Abs. 3 des Entwurfes zur VwPO im § 113 Abs. 3 VwGO und damit auch im § 131 Abs. 5 SGG verwirklicht wurde, spricht dieses Unterlassen einer Umsetzung gegen den Umweg des Bescheidungstenors. Eine besondere Vorgehensweise bei Verpflichtungs- bzw. Leistungsklagen darf zumindest für den sozialgerichtlichen Prozess als überflüssig und als endgültig verworfen angesehen werden. Mangels Differenzierung im Wortlaut des § 131 Abs. 5 SGG und mangels Einführung einer speziellen Norm, wie z.B. einer dem § 125 Abs. 2 des Entwurfs der VwPO entsprechenden, ist § 131 Abs. 5 SGG auch für weitergehende Rechtsschutzziele als die einer Anfechtungsklage anwendbar.
Auch steht der Aufhebung der zugrundeliegenden Bescheide verbunden mit einer Zurückverweisung in die Verwaltung nicht die mangelnde Spruchreife entgegen. Ähnlich der Situation einer Zurückweisung von der zweiten in die erste Instanz rechtfertigt § 131 Abs. 5 SGG als besondere gesetzliche Grundlage eine Aufhebung der Bescheide, ohne in der Sache selbst schon eine Verpflichtung bzw. eine Leistung auszuurteilen. Es ist gerade Sinn und Zweck des § 131 Abs. 5 SGG ohne Spruchreife die Bescheide aufzuheben.
Schließlich hat das Sozialgericht auch zu Recht entschieden, dass noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, um den Sachverhalt sachgerecht und abschließend beurteilen zu können. Trotz der anscheinend subjektiven Fassung durch die in den Beurteilungsspielraum des Gerichts gestellten Zurückverweisungsmöglichkeiten durch die Formulierung "hält das Gericht" bewirkt der Zusammenhang mit den objektiv gefassten Begriffen "erforderlichen erheblichen Ermittlungen" und "Belangen der Beteiligten", dass Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG ist, dass objektiv eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist (vgl. entsprechend BFHE 177, Seite 217, 221). Anknüpfungspunkt ist daher das Erfordernis weiterer Sachaufklärung. Gerade dies ist im vorliegenden Verfahren von dem erstinstanzlichen Gericht ermessensfehlerfrei beurteilt worden. Denn die Lücken bei den Ermittlungen der Beklagten sind erheblich. Nach dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte alle maßgeblichen medizinischen Erkenntnisse über den Kläger ausreichend gewürdigt hat und alle medizinischen Belange über den Kläger nicht nur dem beratungsärztlichen Dienst, sondern auch der Sachbearbeitung und der Widerspruchsstelle der Beklagten bekannt waren. Um einen Sachvortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren angemessen berücksichtigen zu können, bedarf es der Übersetzung ausländischer Unterlagen ins Deutsche. Dies bezieht sich nicht nur auf die eigentlichen Diagnosen, sondern auch auf die Ausführungen zur Anamnese. Dies ergibt sich aus dem Untersuchungsgrundsatz, wonach alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen sind (§ 20 Abs. 1 und 2 SGB X). Nach § 19 Abs. 2 SGB X soll die Behörde unverzüglich die Vorlage von Übersetzungen ausländischer Schriftstücke verlangen, sofern sie nicht in der Lage ist, die Anträge oder Schriftstücke zu verstehen. Dies kann bei komplexen und auch medizinischen Unterlagen der Fall sein. So kann eine Nichtübersetzung von fremdsprachigen Unterlagen einen erheblichen Verfahrensfehler darstellen, der zu einer Zurückverweisung führen kann (OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.1998 in FamRZ 1998, 1445-1446). Bei § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB X handelt es sich im Übrigen um eine Soll-Vorschrift, bei der zur sachgerechten Bearbeitung es zwingend erforderlich ist, den gesamten Vortrag eines Widerspruchs einschließlich aller Anlagen zu verstehen. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass ihr beratungsärztlicher Dienst über Latein-Kenntnisse verfüge und er somit in der Lage gewesen sei, die spanischen Diagnosen zu verstehen, muss dies für eine hinreichende Form des Verständnisses bezweifelt werden. Es genügt im übrigen nicht, um eine kritische Überprüfungsmöglichkeit zu erhalten nur die Diagnosen zu verstehen, sondern es ist auch wichtig, die Anamnese, Befunde und vollständigen gutachterlichen Ausführungen zu verstehen und zu werten. Diesbezüglich hat das Sozialgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass nach den Begutachtungshinweisen der Rentenversicherungsträger die Anamnese generell zu den wichtigsten Bestandteilen eines Gutachtens zählt und dass bei sozialmedizinischen Gutachten auch stets eine Sozial- und Arbeitsanamnese vorhanden sein muss (Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, Hinweise zur Begutachtung, DRV-Schriften Bd. 21, Juni 2000, Seite 20 ff). Selbst wenn der beratungsärztliche Dienst aufgrund seiner Latein-Kenntnisse sich ein Bild über spanische Diagnosen und der dargestellten Erkrankungsbilder machen kann, bedeutet dies nicht, dass die Sachbearbeitung und auch die Widerspruchsstelle der Beklagten dazu in der Lage war.
Ein gravierendes Defizit bei dem Ermittlungen im Verwaltungsverfahren ist, dass die Beklagte sich mit dem beruflichen Werdegang des Klägers völlig unzureichend auseinandergesetzt hat. Der insbesondere im Berufungsverfahren vorgetragene Hinweis der Beklagten, dass "Soldador" übersetzt "Schweißer" heiße und der Kläger damit keinen Facharbeiterschutz genieße und obendrein der Kläger dem Verweis auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Widerspruchsverfahren nicht widersprochen habe, zeigt eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt und einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Bereits in der deutschen Berufswelt kann die Tätigkeit als Schweißer durchaus schwierige berufskundliche Ermittlungen erforderlich machen, um abzugrenzen, ob ein Schweißer nicht ausnahmsweise einen Facharbeiterschutz genießt. Selbst als Angelernter im oberen Bereich steht dem Versicherten ein begrenzter Schutz im Rahmen der Prüfung der Berufsunfähigkeit zu (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143 S.473 mwN.). Ohne Kenntnis von Bezahlung und Ausbildungsdauer sowie der sonstigen qualitativen Anforderungen der Berufstätigkeit konnte die Beklagte den Kläger aufgrund der Tätigkeitsbezeichnung "Soldador", auch wenn der Kläger nicht widerspricht, nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen. Dies hätte weiterer Feststellung zur Berufsbiographie des Klägers bedurft.
Folglich hat das Sozialgericht ermessensfehlerfrei nach § 131 Abs. 5 SGG die Bescheide aufgehoben. Dies hat das Sozialgerichtsgesetz auch in der Frist des § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG vorgenommen, denn die dort vorgeschriebene 6-Monatsfrist wurde vom Sozialgericht eingehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte mit ihrer Berufung unterlegen ist.
Die Revision war zuzulassen, da es für diese Problematik aufgrund der erst vor kurzem eingeführten Gesetzeslage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Der 1942 geborene Kläger beantragte zunächst eine Altersrente bei der Beklagten. Diese wurde mit Bescheid vom 18.10.2002 in spanischer Sprache abgelehnt. Der Bescheid wurde nach Rücknahme des Widerspruchs bindend.
Am 30.12.2002 beantragte der Kläger über den spanischen Sozialversicherungsträger (instituto nacional de la Seguridad social) die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit durch die Beklagte. Im Rahmen des Antragsverfahrens befanden sich in der Verwaltungsakte der Beklagten Unterlagen und Vordrucke meist vom spanischen Sozialversicherungsträger in spanischer Sprache und ein medizinisches Gutachten in spanischer Sprache (vermutlich von März 2003).
Mit Bescheid vom 23.07.2003 lehnte die Beklagte ohne eigene Ermittlungen die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder wegen Berufsunfähigkeit ab, weil der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Er begründete ihn damit, dass keine ausreichende Einsetzbarkeit bestehe, wie sich aus beigefügten Bescheinigungen eines Arztes, eines Krankenhauses und eines Sanatoriums ergebe. Diese Unterlagen wurden als Anlage in spanischer Sprache beigefügt. Die Beklagte ließ den letzten Absatz der Bescheinigung von D und vermutlich aus dem Bericht von Dr. C übersetzen. Den Bevollmächtigten des Klägers wurde mitgeteilt, das Gutachten ergebe keine erheblichen Einschränkungen für leidensgerechte Tätigkeiten, und es wurde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe.
Nach Mitteilung des Klägerbevollmächtigten, dass der Widerspruch aufrechterhalten bleibe, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder auch nur wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Aus dem Akteninhalt ergebe sich nämlich, dass der Kläger als ungelernter bzw. angelernter Arbeiter zu beurteilen sei, denn zuletzt sei er als Schweißer beschäftigt gewesen. Er sei daher auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, die er noch 6 Stunden und mehr täglich verrichten könnte.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 04.10.2004 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Nach Eingang der Verwaltungsakte der Beklagten hat das Gericht der Beklagten mitgeteilt, es beabsichtige, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen. Voraussichtlich sei damit zu rechnen, dass die angefochtenen Bescheide aufgehoben würden mit der Folge, dass die Beklagte dann nach Durchführung weiterer erforderlicher Ermittlungen verpflichtet sei, den Rentenantrag erneut zu bescheiden. Eine solche Vorgehensweise erscheine nach der neuen Vorschrift des § 131 Abs. 5 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geboten. Hier seien nämlich nicht alle spanischen Unterlagen, insbesondere nicht die Unterlagen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens, vollständig übersetzt worden. Bei der auszugsweisen Übersetzung sei auch nicht eindeutig, auf welche Unterlagen sich die von der Beklagten zur Akte genommene medizinische Übersetzung beziehe. Es sei die Zurückweisung des Widerspruches erfolgt, ohne dass ersichtlich sei, dass die von dem Kläger eingereichten medizinischen Unterlagen auch vollständig und damit sachgerecht gewürdigt worden seien. Es sei nicht klar, ob der beratungsärztliche Dienst vollständig und ausreichend informiert worden sei über alle Diagnosen des Klägers und seine Beschwerden und sonstigen Kenntnisse der spanischen Ärzte. Die Beklagte habe im Verwaltungsverfahren eine völlig unzureichende Sachaufklärung betrieben, die weder den Belangen des Klägers gerecht werde noch dem für die Beklagte geltenden Amtsermittlungsprinzip. Es erscheine daher geboten, dass die Beklagte nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide zunächst noch alle spanischen Unterlagen ihrer Akte zu übersetzen und auszuwerten und zunächst selbst zu überprüfen haben werde, ob das bisher vorliegende spanische Rentengutachten dem Kläger gerecht werde. Ohne genaue Kenntnis der zu übersetzenden spanischen ärztlichen Unterlagen und sonstigen Unterlagen sei nicht auszuschließen, dass noch ein weiteres Gutachten einzuholen sei.
Die Beklagte hat erwidert, medizinische Unterlagen aus Spanien bedürften keiner vollständigen Übersetzung ins Deutsche, da die ärztlichen Berater der Beklagten, die die Fälle nach dem EWG-Verfahren bearbeiten, Kenntnisse der spanischen Sprache hätten. Außerdem stütze sich die medizinische Fachsprache im Wesentlichen auf lateinische Ausdrücke, so dass auch in Fremdsprachen der Kern der Aussagen für Mediziner deutlich verständlich sei. Rein beschreibende Befunde seien daher im Allgemeinen ohne Übersetzung verständlich. Im Übrigen sei die Familienanamnese nicht von Interesse. Des weiteren sei nach ihrer Auffassung § 131 Abs. 5 SGG neuer Fassung schon nicht anwendbar. Diese Vorschrift, die sich an entsprechende Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Finanzgerichtsordnung (FGO) anlehne, sei beschränkt auf Anfechtungsklagen, wie sich aus der Kommentarliteratur zur VwGO ergebe. Bei Rentenklagen, die grundsätzlich Verpflichtungsklagen seien, sei eine Aufhebung ohne Sachentscheidung nicht sachdienlich, zumal sie eine gerichtliche Entscheidung in der Sache verzögere.
Aus medizinischer Sicht hätten die im Widerspruchsverfahren vorgelegten weiteren medizinischen Unterlagen keine wesentlichen Verschlechterungen ergeben. Bei medizinischen Unterlagen reiche es im Übrigen aus, die Zusammenfassung zu übersetzen; einzelne Diagnosen wie z.B. die Knochendichtemessung müssten nicht exakt übersetzt werden.
Von der Beklagten ist sodann die bisherige Übersetzung nochmals mit Anmerkungen vorgelegt worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 18.11.2004 hat das Sozialgericht Düsseldorf die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei die Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 01.09.2004 geltenden Fassung geboten gewesen. Diese Vorschrift sei anwendbar. Sie gelte für gerichtliche Entscheidungen ab dem 01.09.2004. Die Vorschrift sei auch deshalb anwendbar, weil noch keine 6 Monate seit Eingang der Verwaltungsakte der Beklagten (14.10.2004) vergangen seien. § 131 Abs. 5 SGG sei entgegen der Auffassung der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren auch auf Klagen anwendbar, die auf eine Verpflichtung der beklagten Behörde gerichtet seien. Der Vergleich der Beklagten mit der Kommentarliteratur zur VwGO und der Praxis der Verwaltungsgerichte überzeuge für das sozialgerichtliche Verfahren nicht. Denn das verwaltungsgerichtliche Verfahren sei - anders als das sozialgerichtliche Verfahren - wesentlich stärker geprägt von Anfechtungsklagen im Sinne von Klagen gegen Akte der klassischen Eingriffsverwaltung. Die überwiegende Anzahl der sozialgerichtlichen Verfahren dagegen seien typischerweise Klagen auf Erbringung einer Sozialleistung durch die Leistungsverwaltung. Würde man auch für das sozialgerichtliche Verfahren die Anwendbarkeit von § 131 Abs. 5 SGG, also der "Zurückverweisung" an die Verwaltung, nur auf Anfechtungsklagen beschränken, so würde damit die Sozialgerichtsbarkeit eines wichtigen Verfahrensinstruments für die überwiegende Anzahl der Verfahren beraubt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei es auch kein relevanter Rechtsnachteil für den Kläger, wenn bisher nur eine "Zurückverweisung" ohne Sachentscheidung ergehe. Denn diese Vorgehensweise habe für den Kläger auch den Vorteil, dass ihm quasi erneut das volle Rechtsmittelverfahren eröffnet werde, nämlich das Verwaltungsverfahren einschließlich Widerspruchsverfahren, ohne dass er jetzt schon die Kosten des Klageverfahrens einschließlich seiner außergerichtlichen Kosten zu tragen habe. Es sei gerade sinnvoll, ihn nicht schon jetzt mit etwaigen Kosten des Klageverfahrens einschließlich seiner außergerichtlichen Kosten für eine Klage zu belasten, die nur deshalb nötig gewesen sei, weil die Beklagte im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt habe.
Es lägen auch die Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG vor. Es seien nämlich nach Art und Umfang noch Ermittlungen erforderlich, um den Sachverhalt wirklich sachgerecht und abschließend beurteilen zu können. Es sei nach dem Akteninhalt ohne Spanischkenntnisse schon nicht ohne Weiteres ersichtlich, welche Berufsbiographie der Kläger habe und welche Berufe er zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt habe. Auch die tariflichen Einstufungen, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Arbeiterrentensenate Bedeutung haben könnten, sei nicht feststellbar.
Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, die Ärzte ihres beratungsärztlichen Dienstes würden auch Spanisch verstehen bzw. Lateinisch und könnten somit den Kern von Unterlagen in spanischer Sprache auch verstehen. Es könne dahinstehen, ob Spanisch-Kenntnisse und noch vorhandene Latein-Kenntnisse auch für komplizierte Sachverhalte und auch zur Würdigung des bisherigen Berufsverlaufes ausreichend seien, denn auch die Sachbearbeitung und vor allem und gerade der Widerspruchsausschuss müssten wissen, worüber sie eigentlich entscheiden und ob eine Verweisung möglich sei oder nicht. Anderenfalls würden das Widerspruchsverfahren und der Widerspruchsausschuss ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht, wenn sie ohne eigene Prüfung sich blind auf den beratungsärztlichen Dienst verlassen würden. Schließlich gelte für die Beklagte der Untersuchungsgrundsatz, wonach sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände, zu berücksichtigen habe.
Soweit die Beklagte einwende, die Familienanamnese sei für sie nicht von Interesse, erscheine dies etwas überheblich gegenüber Gutachten und Berichten behandelnder Ärzte. Das Gericht weise darauf hin, dass auch nach den Begutachtungshinweisen der Rentenversicherungsträger die Anamnese generell zu den wichtigsten Bestandteilen eines Gutachtens zähle und dass bei sozialmedizinischen Gutachten auch stets eine Sozial- und Arbeitsanamnese vorhanden sein müsse. Sozial- und Arbeitsanamnese des Klägers ließen sich der Verwaltungsakte überhaupt nicht entnehmen.
Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die "Zurückverweisung" an die Beklagte sei auch sachdienlich im Sinne von § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG, weil nur damit dem der Beklagten obliegenden Untersuchungsgrundsatz des § 20 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) Genüge getan werde und weil dies im jetzigen frühen Verfahrensstand auch für den Kläger günstig sei. Denn mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und der Zurückverweisung an die Beklagte erlange er die Möglichkeit, nach Durchführung der noch erforderlichen Ermittlungen im Falle einer erneuten Ablehnung des Rentenantrages erneut wieder alle Rechtsmittel wie Widerspruch und Klageerhebung ausschöpfen zu können, ohne, dass ihm quasi schon die Vorinstanz des Widerspruchsverfahrens genommen werde.
Gegen den am 22.11.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 20.12.2004 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, § 131 Abs. 5 SGG sei auf Verpflichtungsklagen nicht anwendbar. Sowohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch im sozialgerichtlichen Verfahren gebe es Anfechtungs- und Verpflichtungssituationen, so dass die Verfahrensordnungen und entsprechenden Regelungen in beiden Verfahrensordnungen vergleichbar seien. Auch könnten umfangreiche Ermittlungsarbeiten sowohl in Verpflichtungs- als auch Anfechtungssituationen erforderlich werden. Selbst wenn im Sozialrecht insgesamt die Anzahl der Verpflichtungssituationen gegenüber den Anfechtungssituationen überwiegen sollte, so wären die Sozialgerichte gleichwohl nicht eines wesentlichen Verfahrensinstruments beraubt, da sie bereits über das Instrument des Bescheidungsurteils verfügten. Insoweit sei kein Raum für eine Anwendung des § 131 Abs. 5 SGG. Auch die Bundesrats-Drucksache 378/03 spreche für die von ihr vertretene Auffassung, da dort von der Möglichkeit die Rede sei, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufzuheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes sei nur dann sinnvoll, wenn dieser den Betroffenen belaste, er durch die Aufhebung also "zunächst" aus der Welt sei. In einer Verpflichtungssituation bringe aber die Aufhebung eines die beantragte Leistung ablehnenden Verwaltungsaktes für den Betroffenen keine Verbesserung seiner Position. Die gerichtliche Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG hätte für ihn nur die Wiederholung des behördlichen Verfahrens zur Folge. Dies entspreche keinem effektiven Rechtsschutz. § 131 Abs. 5 SGG könne daher nur auf Anfechtungsklagen Anwendung finden. Im Übrigen lägen auch die sonstigen Voraussetzungen des § 131 Abs. 5 SGG nicht vor. Um den Sachverhalt richtig beurteilen zu können, habe es keiner Übersetzung des spanischen Berufsbegriffes "Soldador" gebraucht.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.11.2004 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Düsseldorf die Bescheide der Beklagten gemäß § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG aufgehoben mit dem Resultat, dass die Beklagte zu einer erneuten Sachentscheidung verpflichtet ist.
§ 131 Abs. 5 SGG sieht vor, dass für den Fall, dass das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben kann, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Norm ist durch Art. 8 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 24.08.2004 - Bundesgesetzblatt Teil I, Seite 2197 ff., 2198, in Kraft seit 01.09.2004 (Art. 14 Satz 1) - dem bisherigen § 131 SGG angefügt worden.
§ 131 Abs. 5 SGG ist entgegen der Auffassung der Beklagten im vorliegenden Verfahren auch anwendbar.
Die Regelung ist § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO und § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO nachempfunden. Sie geht aber darüber hinaus, da sie auch für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- sowie für die Verpflichtungsklage gilt. Dafür sprechen nicht nur der Wortlaut und die gegenüber § 113 Abs. 3 VwGO bewusst anders gewählte systematische Stellung am Ende der Norm, sondern auch der in der Entstehungsgeschichte verdeutlichte Zweck, einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegen zu wirken, wenn die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden unterlassen wird (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1508, Seite 29 zu Art. 8 Nr. 1 und Zeihe, SGG, § 131 Rdnr. 25 b).
Systematische beziehen sich in § 131 SGG (im Unterschied zu § 113 Abs. 3 VwGO, denn die Absätze 1-2 des § 113 VwGO beziehen sich ausdrücklich auf die Anfechtungssituation), die dem Abs. 5 vorhergehenden Absätze 2 und 3 explizit auf Verpflichtungsklagen; sodann schließt sich Abs. 5 an. Schon daraus ist zu schließen, dass § 131 Abs. 5 SGG auch auf Verpflichtungsklagen anwendbar ist. Die in Abs. 4 des § 131 SGG geregelte Wahlanfechtungsklage kann eine Feststellungsklage sein, unter Umständen aber auch eine Leistungsklage (vgl. Meyer/Ladewig § 131 Rdnr. 15), so dass sich auch von daher eine Erstreckung auf eine Leistungs,- bzw Verpflichtungssituation bei Absatz 5 des § 131 SGG nicht verbietet.
Des weiteren schließen, entgegen der Argumentation der Beklagten, die Gesetzesbegründungen eine Begrenzung der Zurückverweisung allein auf Anfechtungsklagen in der Sozialgerichtsbarkeit nicht aus. Die verwaltungsgerichtliche Gesetzesbegründung zur Parallelnorm § 113 VwGO sieht ausdrücklich vor, dass für bestimmte Anfechtungsstreitigkeiten dem Gericht die Befugnis eingeräumt wird, im Urteil eine den Prozess zwar beendende, in der Sache selbst jedoch noch nicht abschließende Entscheidung zu treffen (vgl. Bundestags-Drucksache 11/7003, Seite 21). Im Unterschied zu dieser zeitlich früher eingeführten Regelung in der VwGO sieht bereits das Gesetz zur Änderung der FGO (FGO-Änderungsgesetz, Bundesgesetzblatt Teil I, 1992, Seite 2109) den § 100 Abs. 3 Satz 1 der FGO vor. In Kenntnis der Regelungen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, der Auffassungen in der Literatur wie auch der verwaltungsgerichtlichen Rechtspraxis ergibt sich aus der Gesetzesbegründung für das FGO-Änderungsgesetz (Bundestags-Drucksache 1261, Seite 18, 19), dass zumindest für das finanzgerichtliche Verfahren eine Einschränkung auf die reine Anfechtungsklagensituation nicht vorgesehen ist. Denn es wird ausgeführt, dass es beispielsweise ausreichend sei, dass das Gericht die Rechtslage, die Anlass für weitere Ermittlungen sein kann, anders beurteilt als die Verwaltung. Obwohl damit der Anwendungsbereich der Vorschrift erweitert worden sei, diene es den Interessen des Rechtssuchenden oftmals zwar mehr, wenn das Gericht eine abschließende Streitentscheidung träfe. Wenn jedoch nach Lage der Dinge zweifelsfrei Ermittlungen vorzunehmen seien, welche die Behörde nach ihren personellen und sachlichen Ausstattungen besser durchführen könne als das Gericht, sei ein Vorgehen nach Abs. 3 berechtigt. Entsprechend den Ausführungen in der Gesetzesbegründung zur FGO sieht demzufolge auch die finanzgerichtliche Kommentarliteratur zu § 100 Abs. 3 FGO keine ausdrückliche Beschränkung auf Anfechtungsklagen vor (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, FGO, § 100 Rdnr. 39 bis 48).
Darauf aufbauend kam es zur Änderung des SGG im Sinne der Anfügung des Abs. 5 in § 131 SGG. In der Gesetzesbegründung wird zwar zunächst auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren verwiesen, jedoch auch auf die entsprechende Regelung für das finanzgerichtliche Verfahren zurückgegriffen. Sodann wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeführt, dass die neue Norm geschaffen worden sei, um dem Gericht eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärung zu ersparen. Denn nach Beobachtungen der Praxis werde die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe (vgl. Bundesrats-Drucksache 378/03, Seite 67 sowie die insoweit wortgleichen Motive des Bundestags, vgl. Bundestags-Drucksache 15/1508 S. 29 und der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, S. 69). In Kenntnis der vorwiegend bei sozialgerichtlichen Verfahren anzutreffenden Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Leistungssituationen und mit der einzigen Intention, die Aufwandsverlagerung auf die Gerichte zu unterbinden, kann der Gesetzgeber damit nur auch eine mögliche Zurückverweisung bei der Situation einer Anfechtungs- und Verpflichtungs,- bzw. Leistungsklage gemeint haben (a.A. Berliner Kommentar zum SGG, Humpert § 131 SGG Rdnr. 8; Krasney/Udsching, Handbuch des Sozialgerichtlichen Verfahrens, VII Rdnr. 138 a; Meyer/Ladewig, SGG, § 131 Rdnr. 18f).
Aufgrund dieser nicht deckungsgleichen Gesetzesbegründungen ist auch ein Heranziehen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und der Kommentarliteratur zur VwGO, wie von der Beklagten vorgenommen, nicht haltbar. Die Beklagte zitiert zwar zu Recht das Bundesverwaltungsgericht (BVwGE 107, Seite 128) und die überwiegende Kommentarliteratur (z.B. Kopp, § 113 Rdnr. 166 und Redecker / von Oertzen, § 113 Rdnr. 24). Zum einen übersieht die Beklagte jedoch, dass es trotz unterschiedlicher Gesetzesbegründungen auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Entscheidungen und verwaltungsrechtliche Literatur gibt, die eine Anwendungserstreckung auch auf die Verpflichtungsklage vorsehen (so z.B. VG München, NVWZ 1996, Seite 412; OVG Münster, NVWZ RR 1966, Seite 503 und Eyermann-Fröhler, Schmidt, Rdnr. 40 zu § 113). Zum anderen verkennt sie, dass die dortigen Argumente nicht auf den sozialgerichtlichen Prozess zu übertragen sind. Denn wesentliches Argument für die Bejahung einer Anwendbarkeit des § 131 Abs. 5 SGG auch auf eine Verpflichtungssituation ist die Beachtung des Unterschiedes des sozialgerichtlichen Verfahrens im Verhältnis zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist wesentlich stärker geprägt von Anfechtungsklagen im Sinne von Klagen gegen Akte der klassischen Eingriffsverwaltung als das Sozialgerichtsverfahren. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die typische Klage ein Begehren auf Erbringung einer Sozialleistung durch die Leistungsverwaltung. Damit entspricht diese Situation grundsätzlich einer Verpflichtungsklage bzw. Leistungsklage. Würde man auch für das sozialgerichtliche Verfahren die Anwendbarkeit von § 131 Abs. 5 SGG auf Anfechtungsklagen beschränken, so würde damit die Sozialgerichtsbarkeit dieses neu eingeführten und wichtigen Verfahrensinstrumentes für die weit überwiegende Anzahl der Verfahren beraubt.
Gerade die typischerweise notwendige Sachverhaltsaufklärung, die von der Behörde unterlassen werden kann, fällt regelmäßig bei den sozialgerichtlichen Verpflichtungsklagen betreffend Klagen auf die Gewährung von Sozialleistungen wie Rente, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Teilhabeleistungen an. Folglich muss der Gesetzgeber bei der Einführung von § 131 Abs. 5 SGG auch die Fälle einer Verpflichtungssituation erfasst haben wollen.
Es stellt auch weder für den Kläger noch für die Beklagte einen relevanten Rechtsnachteil dar, wenn eine Entscheidung ohne Sachentscheidung getroffen wird, sondern quasi in die Verwaltung zurückverwiesen wird. Die Belange der Beklagten sind nicht tangiert. Für den Kläger bedeutet eine solche fehlende Sachentscheidung, dass er zwar seinem Ziel auf Sozialleistung nicht direkt näher gerückt ist. Jedoch unterbindet diese Vorgehensweise, dass der Kläger bereits für ein im Sinne der Beweiserhebung nicht vollständiges Verfahren mit außergerichtlichen Kosten belastet werden kann. Zudem hat diese Vorgehensweise für den Kläger den Vorteil, dass ihm erneut das volle Rechtsmittelverfahren eröffnet wird und er möglicherweise bei zureichenden Ermittlungen der Beklagten schon im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren eine Klärung seiner Situation und auch eine Verwirklichung des Anspruchs auf Sozialleistung erzielen kann. Aus diesem Grund überzeugt auch die Argumentation, dass der Kläger mit der bloßen Aufhebung des ablehnenden Bescheides in einer Leistungs- bzw. Verpflichtungssituation nichts gewonnen habe, weil die Aufhebung allein nichts über einen möglichen Anspruch aussage und die gerichtliche Entscheidung nur die Widerholung des behördlichen Verfahrens zur Folge habe, nicht. Der Kläger gewinnt die Verpflichtung zu einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren, welches das gegliederte Widerspruchs- und Klageverfahren zwingend voraussetzt.
Die Sorge der Beklagten, dass der Kläger wichtige Zeit durch eine Zurückverweisung in die Verwaltung verlieren könnte, ist berechtigt. Allein die Beklagte hat es aber in der Hand, durch ordnungsgemäße Ermittlungen dieser Sorge Abhilfe zu verschaffen. Auch jetzt noch wäre es ihr möglich, nach § 45 SGB X den maßgeblichen Bescheid aufzuheben und nach eingehenden Ermittlungen erneut zu bescheiden.
Der Sorge der Verzögerung wird auch Rechnung getragen durch die Frist, die § 131 Abs. 5 SGG für eine mögliche Zurückverweisung vorsieht. Das Beachten dieser Frist rechtfertigt, dass ein im Hinblick auf den Amtsermitlungsgrundsatz mangelhaftes Verwaltungsverfahren (und aus diesem Grund möglicherweise ohnehin zeitlich geringes Verwaltungsverfahren) nachgeholt werden muss. Denn das SGG setzt ein ordnungsgemäßes Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zwingend voraus. Aufgrund des Amtsermittlungsprinzipes der Beklagten ist sie vorrangig, d.h. an erster Stelle, zu den notwendigen Ermittlungen verpflichtet. Gerade in den Fällen wie dem Vorliegenden, bei dem auch Ermittlungen im Ausland notwendig werden können, darf es nicht zu einer Verlagerung der Ermittlungen in die Gerichtsbarkeit kommen. Denn auch die Beklagte unterliegt dem Amtsermittlungsgrundsatz in gleicher Weise wie die Gerichte. Am schnellsten kommt ein Kläger in dieser Konstellation zu einer fundierten Entscheidung, wenn bereits im Verwaltungsverfahren umfassend ermittelt wird.
Aus diesem Grund erzielt der Kläger auch mit der prozessualen Möglichkeit, seine Klage auf einen Antrag auf Bescheidung umzustellen, keinen besseren Erfolg als mit der Zurückverweisung in die Verwaltung über § 131 Abs. 5 SGG. Denn der Zeitverlust eines Klägers bei dieser prozessualen Möglichkeit kann größer sein, da keine explizite Frist für eine solche Entscheidung wie in § 131 Abs. 5 SGG vorgesehen ist. Nur das Einhalten der Frist rechtfertigt, unter Berücksichtigung des Klägerinteresses, eine Zurückverweisung in die Verwaltung. Zudem muss es befremden, wenn der Gesetzgeber eine neue Vorschrift mit einer ausdrücklichen Intention erlässt, und die Klägerseite auf einen Umweg, möglicherweise nach Hinweis des Gerichts im Rahmen seiner Verpflichtung auf eine sinnvolle Antragstellung hinzuwirken, verwiesen wird. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es auch nie zu einer Umsetzung der Vorschrift des § 125 des Entwurfs der gescheiterten Verwaltungsprozeßordnung (VwPO) (vgl. Bundestags-Drucksache 10/3437 S. 30 f.) kam. Diese Norm sah nämlich in Abs. 2 Satz 2 für Verpflichtungsklagen die Möglichkeit eines Bescheidungsurteils vor, "wenn es wegen der Art und des Umfangs der erforderlichen Ermittlungen sachdienlich sei, die Höhe der Leistungen im Verwaltungsverfahren fortzusetzen". Gerade weil dieser Ansatz zu keiner Zeit in einem Gestetz verwirklicht worden ist, dagegen aber § 124 Abs. 3 des Entwurfes zur VwPO im § 113 Abs. 3 VwGO und damit auch im § 131 Abs. 5 SGG verwirklicht wurde, spricht dieses Unterlassen einer Umsetzung gegen den Umweg des Bescheidungstenors. Eine besondere Vorgehensweise bei Verpflichtungs- bzw. Leistungsklagen darf zumindest für den sozialgerichtlichen Prozess als überflüssig und als endgültig verworfen angesehen werden. Mangels Differenzierung im Wortlaut des § 131 Abs. 5 SGG und mangels Einführung einer speziellen Norm, wie z.B. einer dem § 125 Abs. 2 des Entwurfs der VwPO entsprechenden, ist § 131 Abs. 5 SGG auch für weitergehende Rechtsschutzziele als die einer Anfechtungsklage anwendbar.
Auch steht der Aufhebung der zugrundeliegenden Bescheide verbunden mit einer Zurückverweisung in die Verwaltung nicht die mangelnde Spruchreife entgegen. Ähnlich der Situation einer Zurückweisung von der zweiten in die erste Instanz rechtfertigt § 131 Abs. 5 SGG als besondere gesetzliche Grundlage eine Aufhebung der Bescheide, ohne in der Sache selbst schon eine Verpflichtung bzw. eine Leistung auszuurteilen. Es ist gerade Sinn und Zweck des § 131 Abs. 5 SGG ohne Spruchreife die Bescheide aufzuheben.
Schließlich hat das Sozialgericht auch zu Recht entschieden, dass noch weitere Ermittlungen erforderlich sind, um den Sachverhalt sachgerecht und abschließend beurteilen zu können. Trotz der anscheinend subjektiven Fassung durch die in den Beurteilungsspielraum des Gerichts gestellten Zurückverweisungsmöglichkeiten durch die Formulierung "hält das Gericht" bewirkt der Zusammenhang mit den objektiv gefassten Begriffen "erforderlichen erheblichen Ermittlungen" und "Belangen der Beteiligten", dass Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG ist, dass objektiv eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist (vgl. entsprechend BFHE 177, Seite 217, 221). Anknüpfungspunkt ist daher das Erfordernis weiterer Sachaufklärung. Gerade dies ist im vorliegenden Verfahren von dem erstinstanzlichen Gericht ermessensfehlerfrei beurteilt worden. Denn die Lücken bei den Ermittlungen der Beklagten sind erheblich. Nach dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte alle maßgeblichen medizinischen Erkenntnisse über den Kläger ausreichend gewürdigt hat und alle medizinischen Belange über den Kläger nicht nur dem beratungsärztlichen Dienst, sondern auch der Sachbearbeitung und der Widerspruchsstelle der Beklagten bekannt waren. Um einen Sachvortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren angemessen berücksichtigen zu können, bedarf es der Übersetzung ausländischer Unterlagen ins Deutsche. Dies bezieht sich nicht nur auf die eigentlichen Diagnosen, sondern auch auf die Ausführungen zur Anamnese. Dies ergibt sich aus dem Untersuchungsgrundsatz, wonach alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen sind (§ 20 Abs. 1 und 2 SGB X). Nach § 19 Abs. 2 SGB X soll die Behörde unverzüglich die Vorlage von Übersetzungen ausländischer Schriftstücke verlangen, sofern sie nicht in der Lage ist, die Anträge oder Schriftstücke zu verstehen. Dies kann bei komplexen und auch medizinischen Unterlagen der Fall sein. So kann eine Nichtübersetzung von fremdsprachigen Unterlagen einen erheblichen Verfahrensfehler darstellen, der zu einer Zurückverweisung führen kann (OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.01.1998 in FamRZ 1998, 1445-1446). Bei § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB X handelt es sich im Übrigen um eine Soll-Vorschrift, bei der zur sachgerechten Bearbeitung es zwingend erforderlich ist, den gesamten Vortrag eines Widerspruchs einschließlich aller Anlagen zu verstehen. Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass ihr beratungsärztlicher Dienst über Latein-Kenntnisse verfüge und er somit in der Lage gewesen sei, die spanischen Diagnosen zu verstehen, muss dies für eine hinreichende Form des Verständnisses bezweifelt werden. Es genügt im übrigen nicht, um eine kritische Überprüfungsmöglichkeit zu erhalten nur die Diagnosen zu verstehen, sondern es ist auch wichtig, die Anamnese, Befunde und vollständigen gutachterlichen Ausführungen zu verstehen und zu werten. Diesbezüglich hat das Sozialgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass nach den Begutachtungshinweisen der Rentenversicherungsträger die Anamnese generell zu den wichtigsten Bestandteilen eines Gutachtens zählt und dass bei sozialmedizinischen Gutachten auch stets eine Sozial- und Arbeitsanamnese vorhanden sein muss (Das ärztliche Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, Hinweise zur Begutachtung, DRV-Schriften Bd. 21, Juni 2000, Seite 20 ff). Selbst wenn der beratungsärztliche Dienst aufgrund seiner Latein-Kenntnisse sich ein Bild über spanische Diagnosen und der dargestellten Erkrankungsbilder machen kann, bedeutet dies nicht, dass die Sachbearbeitung und auch die Widerspruchsstelle der Beklagten dazu in der Lage war.
Ein gravierendes Defizit bei dem Ermittlungen im Verwaltungsverfahren ist, dass die Beklagte sich mit dem beruflichen Werdegang des Klägers völlig unzureichend auseinandergesetzt hat. Der insbesondere im Berufungsverfahren vorgetragene Hinweis der Beklagten, dass "Soldador" übersetzt "Schweißer" heiße und der Kläger damit keinen Facharbeiterschutz genieße und obendrein der Kläger dem Verweis auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Widerspruchsverfahren nicht widersprochen habe, zeigt eine mangelnde Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt und einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz. Bereits in der deutschen Berufswelt kann die Tätigkeit als Schweißer durchaus schwierige berufskundliche Ermittlungen erforderlich machen, um abzugrenzen, ob ein Schweißer nicht ausnahmsweise einen Facharbeiterschutz genießt. Selbst als Angelernter im oberen Bereich steht dem Versicherten ein begrenzter Schutz im Rahmen der Prüfung der Berufsunfähigkeit zu (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143 S.473 mwN.). Ohne Kenntnis von Bezahlung und Ausbildungsdauer sowie der sonstigen qualitativen Anforderungen der Berufstätigkeit konnte die Beklagte den Kläger aufgrund der Tätigkeitsbezeichnung "Soldador", auch wenn der Kläger nicht widerspricht, nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen. Dies hätte weiterer Feststellung zur Berufsbiographie des Klägers bedurft.
Folglich hat das Sozialgericht ermessensfehlerfrei nach § 131 Abs. 5 SGG die Bescheide aufgehoben. Dies hat das Sozialgerichtsgesetz auch in der Frist des § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG vorgenommen, denn die dort vorgeschriebene 6-Monatsfrist wurde vom Sozialgericht eingehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte mit ihrer Berufung unterlegen ist.
Die Revision war zuzulassen, da es für diese Problematik aufgrund der erst vor kurzem eingeführten Gesetzeslage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt.
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