Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 KR 93/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 KR 126/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Rechtsstreit L 2 (5) KR 106/01 ist durch gerichtlichen Vergleich vom 28.10.2004 erledigt. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Krankengeld. Umstritten ist insbesondere, ob das Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 vor dem erkennenden Senat durch gerichtlichen Vergleich beendet worden ist.
Der am 00.00.1948 geborene Kläger ist gelernter Bäcker und arbeitete zuletzt als selbständiger Versicherungsmakler. Seit dem 15.06.1991 ist er bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, ab dem 01.03.1992 als hauptberuflich Selbständiger mit Anspruch auf Krankengeld. Aufgrund der Diagnosen "LWS - Syndrom, Hypertonie, Spondylolisthesis L 5/S 1" (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Arzt B vom 06.09.1994) zahlte ihm die Beklagte Krankengeld vom 07.09.1994 bis zum 01.05.1996 (Ende eines von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte getragenen Heilverfahrens zur medizinischen Rehabilitation). Am 13.05.1996 bescheinigte Arzt B (Diagnose: "Verdacht auf Vorliegen einer Schrumpfniere") erneut Arbeitsunfähigkeit, worauf die Beklagte Krankengeld ab dem 14.05.1996 zahlte. Vom 11. bis 26.06.1996 erfolgte stationäre Behandlung mit Nephrektomie links am 13.06.1996. Vom 30.06. bis 05.07.1996 musste der Kläger sich sodann aufgrund einer transitorisch ischämischen Attacke in stationäre Behandlung begeben. Mit Bescheid vom 30.08.1996 teilte ihm die Beklagte mit, der Krankengeldbezug ende am 09.10.1996, da er bereits zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Blockfrist vom 01.04.1995 bis zum 31.03.1998 für insgesamt 78 Wochen Krankengeld bezogen habe.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 26.09.1996 Widerspruch und machte geltend, über den 09.10.1996 hinaus Anspruch auf Krankengeld zu haben. Entgegen seiner Zusammenhangsbeurteilung (24.06.1996) verneinte Arzt B in einer Bescheinigung vom 14.10.1996, eingegangen bei der Beklagten am 15.10.1996, einen Zusammenhang zwischen der vorbestehenden essentiellen Hypertonie und der Schrumpfniere. Am 05.11.1996 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Münster (SG) Klage erhoben. Mit Bescheid vom 10.12.1996 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und ausgeführt, die erneute Arbeitsunfähigkeit ab dem 13.05.1996 beruhe auf derselben Krankheitsursache wie die zur Arbeitsunfähigkeit vom 01.04.1995 bis zum 01.05.1996 führenden Vorerkrankungen. Der für den Zeitraum vom 10.10. bis 27.10.1996 geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld sei nicht begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger am 13.06.2001 ein Teilanerkenntnis der Beklagten vom 24.03.2000 angenommen, in dem diese sich verpflichtete, ihm Krankengeld auch über den 09.10.1996 hinaus zum 27.10.1996 zu zahlen. Mit Urteil vom 13.06.2001 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag, dem Kläger über den 27.10.1996 hinaus für 78 Wochen beginnend am 14.05.1996 Krankengeld zu zahlen, sei unzulässig, da die Beklagte im Widerspruchsverfahren über einen Krankengeldanspruch ab dem 28.10.1996 nicht entschieden habe. Im anschließenden Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen haben der anwaltlich vertretene Kläger und die Beklagte auf Vorschlag des Senats am 28.10.2004 "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" folgenden Vergleich geschlossen:
1. Die Beklagte zahlt ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 02. bis 12.05.1996.
2. Der Kläger nimmt seine Berufung zurück.
3. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Rechtsstreit ist damit in vollem Umfang erledigt.
Dieser Vergleich wurde nach dem Diktat durch den Senatsvorsitzenden nochmals vom Tonträger vorgespielt und von den Beteiligten genehmigt. Am 22.11.2004 hat der Kläger mitgeteilt, "fristgerecht nehme ich den geschlossenen Vergleich vom 28.10.2004 zurück. Ich halte meine Berufung somit aufrecht." Unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens führte er zur Begründung an, er könne seine Arbeitsunfähigkeit über den 27.10.1996 hinaus nicht beweisen, da ihm das Gutachten des Medizinischen Dienstes (MDK) zum Bescheid vom 30.08.1996 fehle. Nach § 275 f Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor dem Bescheid den MDK "zu Rate zu ziehen". Habe sie die Einholung eines solchen Gutachtens versäumt, so sei die Leistungsunterbrechung rechtsunwirksam und ungültig.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren L 2 (5) KR 106/01 fortzusetzen und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13.06.2001 zu ändern sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung der Bescheide vom 30.08. und 10.12.1996 Krankengeld vom 15.10.1996 an fortdauernd zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
dahingehend zu erkennen, dass der Rechtsstreit L 2 (5) KR 106/01 durch den gerichtlichen Vergleich vom 28.10.2004 erledigt ist.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger während der mündlichen Verhandlung den Senatsvorsitzenden als auch alle Berichterstatter des erkennenden Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat (§ 60 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 47 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung des Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.08.2004 (BGBl I 2198)), da das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt worden ist (Beschluss vom 04.07.2005).
Das Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 ist durch den vor dem Senat am 28.10.2004 geschlossenen Vergleich vollständig erledigt (§ 101 Abs 1 SGG). Die Zurücknahme der Berufung hat den Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG). An der Wirksamkeit dieses Vergleiches bestehen keine Zweifel. Die vom Kläger erklärte "Rücknahme" des Prozessvergleichs greift nicht durch. Es liegen weder prozessual- noch materiell-rechtliche Gründe vor, die diesen unwirksam machen, noch enthält der Vergleich ein Rücktrittsrecht. Ein Prozessvergleich hat eine Doppelnatur: Er ist einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, welche die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt (Urteil BSG vom 24.01.1991, Az: 2 RU 51/90 = HV-INFO 1991, 1166-1169). Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs sind nicht ersichtlich. Sein Inhalt wird durch den Inhalt der Sitzungsniederschrift bewiesen (§§ 122 SGG, 165 ZPO). Er ist unter Beachtung der Anforderungen der §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 ZPO protokolliert worden. Inhaltlich beseitigte er die Ungewissheit, ob dem Kläger über den 27.10.1996 hinaus ein Krankengeldanspruch zustand. Hierauf sind die Beteiligten ausweislich der Terminsniederschrift vom 28.10.2004 ausdrücklich hingewiesen worden. Diese Ungewissheit ist von den Beteiligten im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt worden, da sich die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger im Gegenzug zur Berufungsrücknahme noch für die Zeit vom 02. bis 12.05.1996 Krankengeld zu zahlen. Der Vergleich ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger hat insbesondere seinen Bevollmächtigten ordnungsgemäß bevollmächtigt (§ 73 SGG). Die schriftlich erteilte Prozessvollmacht vom 03.12.2002 erstreckt sich auf die Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln. Die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten, dass er mit dem Prozessvergleich die Berufung zurücknehme, ist unmissverständlich. Hierin liegt eine wirksame Zustimmung zum Inhalt des Vergleichs. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Vergleichs nach den §§ 116 f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder seine Unwirksamkeit nach § 779 BGB sind nicht ersichtlich. Eine Nichtigkeit nach § 142 BGB scheidet ebenfalls aus. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers seine "Rücknahme" des Vergleichs als Anfechtungserklärung iSd § 143 BGB versteht, liegt kein Anfechtungsgrund vor, da die Beteiligten von den gleichen Tatsachen ausgegangen sind. Soweit der Kläger offenbar meint, einen einmal geschlossenen gerichtlichen Vergleich durch einfache Willenserklärung zurücknehmen zu können, liegt darin nur ein unbeachtlicher Rechtsirrtum. Ein solches Rücktrittsrecht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Rücktrittsrechts in einem gerichtlichen Vergleich, vgl Leitherer, in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 101 Rn 14) enthält der Vergleich gerade nicht. Schließlich entspricht der Vergleich den gesetzlichen Vorgaben der §§ 54 Abs 1, 58 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 54 Abs 1 SGB X, der über § 58 SGB X für Vergleichsverträge Anwendung findet (KassKomm:Krasney, § 58 SGB X RdNr 14), sind die Behörden ermächtigt, eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch Vergleich zu beseitigen. Der Abschluss des Vergleichs ist zulässig, wenn die Behörde ihn "zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält" (§ 54 Abs 1 SGB X). Damit geht § 54 Abs 1 SGB X erkennbar davon aus, dass für die Zulässigkeit und Wirksamkeit eines Vergleichs nicht die materielle Richtigkeit der getroffenen Regelung das entscheidende Kriterium ist, sondern dass die für den Abschluss eines Vergleichs genannten Voraussetzungen (zB Bestehen einer Ungewissheit) gegeben sind (BSG aaO). Die Unwirksamkeit eines Vergleichs ist nur dann anzunehmen, wenn sein Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (vgl §§ 134 und 138 BGB), nicht aber soweit sein Inhalt aus der Sicht eines Beteiligten mit sonstigen materiell-rechtlichen Vorschriften ganz oder teilweise im Widerspruch steht. Zweck des Vergleiches ist für derartige Fälle gerade, ein Zurückgreifen auf Umstände auszuschließen, über die man sich verglichen hat (Freischmidt in Hauck, Kommentar zum SGB X, § 58 SGB X Anm 12).
Zu Unrecht stützt der Kläger sein Begehren auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens auf die §§ 275 f SGB V. Unabhängig von einer möglichen Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen durch Einschaltung des MDK weiter zu ermitteln (vgl dazu KassKomm:Hess § 275 SGB V RdNr 3), war der geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld über den 27.10.1996 hinaus ungewiss. Der Senat hat die Beteiligten auf die diesbezüglich bestehenden Beweisschwierigkeiten ausdrücklich hingewiesen. Insoweit ist die bestehende Ungewissheit durch beiderseitiges Nachgeben wirksam iSd § 779 BGB geregelt worden. Die von dem Kläger letztlich aufgeworfene Frage der materiell-rechtlichen Richtigkeit des Vergleichsinhalts ist ebenso wie die von ihm behauptete Interessenlage auf Seiten der Beklagten für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Darüber hinaus liegen keine der in § 58 Abs 2 SGB X abschließend genannten Nichtigkeitsgründe vor. Auch ein Widerruf der Zustimmung zum Vergleich ist nicht möglich. Zwar ist ein solcher Widerruf unter den Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 179 ff SGG, 578 ff ZPO grundsätzlich denkbar. Zugunsten des Klägers greift jedoch keiner der in §§ 179, 180 SGG genannten Wiederaufnahmegründe ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision hat der Senat keine Veranlassung gesehen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von Krankengeld. Umstritten ist insbesondere, ob das Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 vor dem erkennenden Senat durch gerichtlichen Vergleich beendet worden ist.
Der am 00.00.1948 geborene Kläger ist gelernter Bäcker und arbeitete zuletzt als selbständiger Versicherungsmakler. Seit dem 15.06.1991 ist er bei der Beklagten gegen Krankheit versichert, ab dem 01.03.1992 als hauptberuflich Selbständiger mit Anspruch auf Krankengeld. Aufgrund der Diagnosen "LWS - Syndrom, Hypertonie, Spondylolisthesis L 5/S 1" (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Arzt B vom 06.09.1994) zahlte ihm die Beklagte Krankengeld vom 07.09.1994 bis zum 01.05.1996 (Ende eines von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte getragenen Heilverfahrens zur medizinischen Rehabilitation). Am 13.05.1996 bescheinigte Arzt B (Diagnose: "Verdacht auf Vorliegen einer Schrumpfniere") erneut Arbeitsunfähigkeit, worauf die Beklagte Krankengeld ab dem 14.05.1996 zahlte. Vom 11. bis 26.06.1996 erfolgte stationäre Behandlung mit Nephrektomie links am 13.06.1996. Vom 30.06. bis 05.07.1996 musste der Kläger sich sodann aufgrund einer transitorisch ischämischen Attacke in stationäre Behandlung begeben. Mit Bescheid vom 30.08.1996 teilte ihm die Beklagte mit, der Krankengeldbezug ende am 09.10.1996, da er bereits zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Blockfrist vom 01.04.1995 bis zum 31.03.1998 für insgesamt 78 Wochen Krankengeld bezogen habe.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 26.09.1996 Widerspruch und machte geltend, über den 09.10.1996 hinaus Anspruch auf Krankengeld zu haben. Entgegen seiner Zusammenhangsbeurteilung (24.06.1996) verneinte Arzt B in einer Bescheinigung vom 14.10.1996, eingegangen bei der Beklagten am 15.10.1996, einen Zusammenhang zwischen der vorbestehenden essentiellen Hypertonie und der Schrumpfniere. Am 05.11.1996 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Münster (SG) Klage erhoben. Mit Bescheid vom 10.12.1996 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und ausgeführt, die erneute Arbeitsunfähigkeit ab dem 13.05.1996 beruhe auf derselben Krankheitsursache wie die zur Arbeitsunfähigkeit vom 01.04.1995 bis zum 01.05.1996 führenden Vorerkrankungen. Der für den Zeitraum vom 10.10. bis 27.10.1996 geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld sei nicht begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger am 13.06.2001 ein Teilanerkenntnis der Beklagten vom 24.03.2000 angenommen, in dem diese sich verpflichtete, ihm Krankengeld auch über den 09.10.1996 hinaus zum 27.10.1996 zu zahlen. Mit Urteil vom 13.06.2001 hat das SG die darüber hinausgehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag, dem Kläger über den 27.10.1996 hinaus für 78 Wochen beginnend am 14.05.1996 Krankengeld zu zahlen, sei unzulässig, da die Beklagte im Widerspruchsverfahren über einen Krankengeldanspruch ab dem 28.10.1996 nicht entschieden habe. Im anschließenden Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen haben der anwaltlich vertretene Kläger und die Beklagte auf Vorschlag des Senats am 28.10.2004 "zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits" folgenden Vergleich geschlossen:
1. Die Beklagte zahlt ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 02. bis 12.05.1996.
2. Der Kläger nimmt seine Berufung zurück.
3. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
4. Der Rechtsstreit ist damit in vollem Umfang erledigt.
Dieser Vergleich wurde nach dem Diktat durch den Senatsvorsitzenden nochmals vom Tonträger vorgespielt und von den Beteiligten genehmigt. Am 22.11.2004 hat der Kläger mitgeteilt, "fristgerecht nehme ich den geschlossenen Vergleich vom 28.10.2004 zurück. Ich halte meine Berufung somit aufrecht." Unter Vertiefung seines bisherigen Vorbringens führte er zur Begründung an, er könne seine Arbeitsunfähigkeit über den 27.10.1996 hinaus nicht beweisen, da ihm das Gutachten des Medizinischen Dienstes (MDK) zum Bescheid vom 30.08.1996 fehle. Nach § 275 f Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor dem Bescheid den MDK "zu Rate zu ziehen". Habe sie die Einholung eines solchen Gutachtens versäumt, so sei die Leistungsunterbrechung rechtsunwirksam und ungültig.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren L 2 (5) KR 106/01 fortzusetzen und das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13.06.2001 zu ändern sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung der Bescheide vom 30.08. und 10.12.1996 Krankengeld vom 15.10.1996 an fortdauernd zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
dahingehend zu erkennen, dass der Rechtsstreit L 2 (5) KR 106/01 durch den gerichtlichen Vergleich vom 28.10.2004 erledigt ist.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger während der mündlichen Verhandlung den Senatsvorsitzenden als auch alle Berichterstatter des erkennenden Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat (§ 60 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 47 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) in der Fassung des Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.08.2004 (BGBl I 2198)), da das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt worden ist (Beschluss vom 04.07.2005).
Das Berufungsverfahren L 2 (5) KR 106/01 ist durch den vor dem Senat am 28.10.2004 geschlossenen Vergleich vollständig erledigt (§ 101 Abs 1 SGG). Die Zurücknahme der Berufung hat den Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§ 156 Abs 2 Satz 1 SGG). An der Wirksamkeit dieses Vergleiches bestehen keine Zweifel. Die vom Kläger erklärte "Rücknahme" des Prozessvergleichs greift nicht durch. Es liegen weder prozessual- noch materiell-rechtliche Gründe vor, die diesen unwirksam machen, noch enthält der Vergleich ein Rücktrittsrecht. Ein Prozessvergleich hat eine Doppelnatur: Er ist einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits eine Prozesshandlung, welche die Beendigung des Rechtsstreits bewirkt (Urteil BSG vom 24.01.1991, Az: 2 RU 51/90 = HV-INFO 1991, 1166-1169). Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit des Vergleichs sind nicht ersichtlich. Sein Inhalt wird durch den Inhalt der Sitzungsniederschrift bewiesen (§§ 122 SGG, 165 ZPO). Er ist unter Beachtung der Anforderungen der §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, 162 ZPO protokolliert worden. Inhaltlich beseitigte er die Ungewissheit, ob dem Kläger über den 27.10.1996 hinaus ein Krankengeldanspruch zustand. Hierauf sind die Beteiligten ausweislich der Terminsniederschrift vom 28.10.2004 ausdrücklich hingewiesen worden. Diese Ungewissheit ist von den Beteiligten im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt worden, da sich die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger im Gegenzug zur Berufungsrücknahme noch für die Zeit vom 02. bis 12.05.1996 Krankengeld zu zahlen. Der Vergleich ist auch nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher Vertrag nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Kläger hat insbesondere seinen Bevollmächtigten ordnungsgemäß bevollmächtigt (§ 73 SGG). Die schriftlich erteilte Prozessvollmacht vom 03.12.2002 erstreckt sich auf die Einlegung und Zurücknahme von Rechtsmitteln. Die Erklärung seines Prozessbevollmächtigten, dass er mit dem Prozessvergleich die Berufung zurücknehme, ist unmissverständlich. Hierin liegt eine wirksame Zustimmung zum Inhalt des Vergleichs. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des Vergleichs nach den §§ 116 f Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder seine Unwirksamkeit nach § 779 BGB sind nicht ersichtlich. Eine Nichtigkeit nach § 142 BGB scheidet ebenfalls aus. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers seine "Rücknahme" des Vergleichs als Anfechtungserklärung iSd § 143 BGB versteht, liegt kein Anfechtungsgrund vor, da die Beteiligten von den gleichen Tatsachen ausgegangen sind. Soweit der Kläger offenbar meint, einen einmal geschlossenen gerichtlichen Vergleich durch einfache Willenserklärung zurücknehmen zu können, liegt darin nur ein unbeachtlicher Rechtsirrtum. Ein solches Rücktrittsrecht (zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines solchen Rücktrittsrechts in einem gerichtlichen Vergleich, vgl Leitherer, in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 101 Rn 14) enthält der Vergleich gerade nicht. Schließlich entspricht der Vergleich den gesetzlichen Vorgaben der §§ 54 Abs 1, 58 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Nach § 54 Abs 1 SGB X, der über § 58 SGB X für Vergleichsverträge Anwendung findet (KassKomm:Krasney, § 58 SGB X RdNr 14), sind die Behörden ermächtigt, eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch Vergleich zu beseitigen. Der Abschluss des Vergleichs ist zulässig, wenn die Behörde ihn "zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält" (§ 54 Abs 1 SGB X). Damit geht § 54 Abs 1 SGB X erkennbar davon aus, dass für die Zulässigkeit und Wirksamkeit eines Vergleichs nicht die materielle Richtigkeit der getroffenen Regelung das entscheidende Kriterium ist, sondern dass die für den Abschluss eines Vergleichs genannten Voraussetzungen (zB Bestehen einer Ungewissheit) gegeben sind (BSG aaO). Die Unwirksamkeit eines Vergleichs ist nur dann anzunehmen, wenn sein Inhalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt (vgl §§ 134 und 138 BGB), nicht aber soweit sein Inhalt aus der Sicht eines Beteiligten mit sonstigen materiell-rechtlichen Vorschriften ganz oder teilweise im Widerspruch steht. Zweck des Vergleiches ist für derartige Fälle gerade, ein Zurückgreifen auf Umstände auszuschließen, über die man sich verglichen hat (Freischmidt in Hauck, Kommentar zum SGB X, § 58 SGB X Anm 12).
Zu Unrecht stützt der Kläger sein Begehren auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens auf die §§ 275 f SGB V. Unabhängig von einer möglichen Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen durch Einschaltung des MDK weiter zu ermitteln (vgl dazu KassKomm:Hess § 275 SGB V RdNr 3), war der geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld über den 27.10.1996 hinaus ungewiss. Der Senat hat die Beteiligten auf die diesbezüglich bestehenden Beweisschwierigkeiten ausdrücklich hingewiesen. Insoweit ist die bestehende Ungewissheit durch beiderseitiges Nachgeben wirksam iSd § 779 BGB geregelt worden. Die von dem Kläger letztlich aufgeworfene Frage der materiell-rechtlichen Richtigkeit des Vergleichsinhalts ist ebenso wie die von ihm behauptete Interessenlage auf Seiten der Beklagten für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Darüber hinaus liegen keine der in § 58 Abs 2 SGB X abschließend genannten Nichtigkeitsgründe vor. Auch ein Widerruf der Zustimmung zum Vergleich ist nicht möglich. Zwar ist ein solcher Widerruf unter den Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach den §§ 179 ff SGG, 578 ff ZPO grundsätzlich denkbar. Zugunsten des Klägers greift jedoch keiner der in §§ 179, 180 SGG genannten Wiederaufnahmegründe ein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision hat der Senat keine Veranlassung gesehen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
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