L 16 Kr 120/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 Kr 32/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 Kr 120/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.05.1995 geändert. Die Bescheide der Beklagten vom 09.01.1992 und vom 24.07.1992 werden aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin und der Beigeladenen zu 3) in beiden Instanzen. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin ohne Erlaubnis Arbeitnehmer verliehen hat und deshalb verpflichtet ist, für diese Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

Die Klägerin ist aus einem Staatshandelsunternehmen ungarischen Rechts hervorgegangen. Über sie wickelte die Volksrepublik Ungarn unter anderem Auslandsgeschäfte ab. Sitz der Gesellschaft ist Budapest. Die Geschäfte in der Bundesrepublik Deutschland werden über ein Verwaltungsbüro in Köln abgewickelt. Die Klägerin setzte aufgrund von Werkverträgen ungarische Arbeitnehmer in deutschen Firmen ein. Diese Werkverträge wurden den zuständigen Landesarbeitsämtern zur Genehmigung vorgelegt. Aufgrund der genehmigten Verträge erteilten die örtlich zuständigen Arbeitsämter die erforderlichen Arbeitserlaubnisse für die ungarischen Beschäftigten der Klägerin.

In der Zeit von Juni 1990 bis Dezember 1990 wurden von der Klägerin auf der Grundlage von Werkverträgen vom 30.03.1990 und 18.04.1990 ungarische Arbeitnehmer auf Baustellen der Beigeladenen zu 3) eingesetzt. Der Nettoumsatz aus dieser Geschäftsbeziehung betrug etwa 434.000 DM. Die Bearbeitungsstellen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, eingerichtet bei der Beigeladenen zu 2), prüften die Abwicklung der Verträge. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß die ungarischen Arbeitnehmer tatsächlich nicht im Rahmen der Werkverträge tätig geworden, sondern von der Klägerin unerlaubt an die Beigeladene zu 3) verliehen worden waren. Die daraufhin eingeschaltete Beklagte nahm die Klägerin aus einer Lohnsumme von 434.000 DM mit Bescheid vom 09.01.1992 auf Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 156.275 DM in Anspruch. Auf den Widerspruch der Klägerin ermäßigte die Beklagte ihre Forderungen auf 98.319,86 DM und wies den Widerspruch im übrigen mit Bescheid vom 24.07.1992 zurück.

Die Klägerin hat rechtzeitig Klage erhoben und vorgetragen: Die Werkverträge seien so durchgeführt worden, wie sie abgeschlossen worden seien. Die ungarischen Arbeitnehmer seien entgegen der Ansicht der Beklagten nicht in den Betriebsablauf der Beigeladenen zu 3) eingegliedert gewesen. Ihre Leistung und Kontrolle habe vielmehr dem bei ihr beschäftigten Herrn J K oblegen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beitragsbescheid der Beklagten vom 09.01.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.1992 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im wesentlichen die Begründung ihrer Verwaltungsentscheidungen vorgetragen.

Die Beigeladene zu 2) hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen. Die Beigeladenen zu 1) und 3) haben keinen Antrag gestellt.

Das Sozialgericht hat über die Ausgestaltung der Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin und den deutschen Unternehmen durch uneidliche Vernehmung der Zeugen B P und H N mit dem aus der Sitzungsniederschrift vom 28.06.1993 ersichtlichen Ergebnis Beweis erhoben und die Klage abgewiesen. Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 16.06.1995 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 06.07.1995 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen erster Instanz und trägt ergänzend vor: Sie sei nicht Arbeitgeberin der ungarischen Arbeitnehmer gewesen. Das Arbeitsverhältnis zu den ungarischen Beschäftigungsfirmen habe nämlich fortbestanden. Die Rechtsbeziehungen zwischen ihr und den Beschäftigungsfirmen seien durch einen Kommissionsvertrag geregelt gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem Antrag 1. Instanz zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2) schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Die Beigeladene zu 3) stellt keinen Antrag. Die Beigeladene zu 1) war im Senatstermin nicht vertreten. Sie ist in der Terminsmitteilung daraufhingewiesen worden, daß der Rechtsstreit auch in ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne.

Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten L 16 Kr 117/95, L 16 Kr 119/95 und L 16 Kr 121/95 nebst Beiakten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auch in Abwesenheit der Beigeladenen zu 1) den Rechtsstreit entscheiden, weil sie auf diese rechtliche Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Beklagte hat die Klägerin zu Unrecht zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen.

Nach § 5 SGB V, § 1227 RVO in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung sind abhängig Beschäftigte versicherungspflichtig in der Kranken- und Rentenversicherung sowie gemäß § 168 AFG beitragspflichtig in der Arbeitslosenversicherung. Der Arbeitgeber ist für die Beiträge zahlungspflichtig. Nach § 5 Abs. 1 SGB IV gelten jedoch die Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuches bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in seinen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im voraus begrenzt ist.

Arbeitgeberin der ungarischen Arbeitnehmer ist allerdings die Klägerin. Sie hat sie in dem Vertrag, der den Geschäftsbeziehungen zu der Beigeladenen zu 3) zugrundegelegen hat, selbst als eigene Arbeitskräfte bezeichnet. Sie ist auch gegenüber der Beigeladenen zu 2) immer als Arbeitgeberin aufgetreten. Noch im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, ihre Arbeitgeberpflichten, wie Lohnzahlung, Abführung von Steuern usw. erfüllt zu haben. Der Zeuge P hat bekundet, die ungarischen Arbeitnehmer hätten von der Klägerin ein Festgehalt von 1.400,- DM zuzüglich Nebenleistungen erhalten. Damit steht fest, daß die Klägerin gegenüber den deutschen Behörden und auch gegenüber ihren eigenen Landsleuten als Arbeitgeberin aufgetreten ist. Daran muß sie sich festhalten lassen. Der in der Streitsache L 16 Kr 119/95 vorgelegte Kommissionsvertrag bezieht sich nur auf das Innenverhältnis zwischen der Klägerin und den ungarischen Beschäftigungsfirmen; er hat für die Arbeitgebereigenschaft der Klägerin keine Bedeutung.

Die Klägerin hat ihre ungarischen Arbeitnehmer bei der Beigeladenen zu 3) jedoch in Erfüllung des mit dieser Firma abgeschlossenen Werkvertrages eingesetzt. Dieser Vertrag erfüllt die Kriterien eines Werkvertrages. Sein Gegenstand ist auf einen bestimmten Erfolg gerichtet, wozu im einzelnen Teilleistungsverträge mit Leistungsverzeichnissen abgeschlossen worden sind. Die Klägerin schuldete die termingerechte Abwicklung und die qualitativ einwandfreie und fachmännische Durchführung der Aufträge. Mängel hatte sie auf ihre Kosten zu beseitigen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der Senat nicht feststellen, daß die von der Klägerin und der Beigeladenen zu 3) abgeschlossenen Werkverträge nicht tatsächlich durchgeführt, sondern die Arbeitnehmer der Klägerin wie eigene Leute der Beigeladenen zu 3) eingesetzt waren. Ob Arbeitskräfte im Rahmen eines Werkvertrages tätig werden oder zur Dienstleistung überlassen sind, hängt vom Inhalt des zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrags ab. Der Vertragsinhalt kann sich zwar sicherlich auch aus seiner tatsächlichen Durchführung ergeben. Das setzt jedoch voraus, daß die tatsächliche Durchführung dem Wissen und Willen der Vertragsparteien, d. h. der Personen entspricht, die für die beteiligten Unternehmen handlungsbefugt sind. Dafür sind die Aussagen der deutschen Arbeitnehmer vor dem Arbeitsamt Q keine ausreichende Entscheidungsgrundlage, wobei der Senat davon ausgeht, daß diese Aussagen inhaltlich richtig sind. Weder der Polier C noch die anderen vernommenen Arbeitnehmer noch der von der Klägerin eingesetzte Bauführer K waren für die vertragsschließenden Parteien handlungsbefugt. Ihr tatsächliches Verhalten läßt deshalb für sich allein keine Rückschlüsse auf den vereinbarten Vertragsinhalt zu. Die von den Vertragsparteien festgelegten Gewerke waren Teil der Gesamtgewerke, die für die Errichtung des Bauwerks erforderlich waren. Daß unter diesen Umständen eine Abstimmung in der Reihenfolge, wer wann wo welches Gewerk auszuführen hatte, notwendig ist, liegt in der Natur der Sache. Ebenso liegt es dann nahe, daß der für die Koordination auf der Baustelle Verantwortliche meint, über alle auf der Baustelle anwesenden Arbeitnehmer frei verfügen zu können. Zu einer Berichtigung dieser Meinung wird schon deshalb kein Anlaß bestanden haben, weil jeder an einer zügigen Durchführung der Arbeiten und an reibungsloser Zusammenarbeit interessiert ist und die Ungarn schon aus sprachlichen Gründen nur gemeinsam eingesetzt werden. Auch wenn Arbeitsanweisungen von Beschäftigten der Beigeladenen zu 3) unmittelbar an die Ungarn, ohne den ungarischen Vorarbeiter oder Bauführer einzuschalten, gegeben worden sind, folgt daraus für sich allein noch keine Arbeitnehmerüberlassung. Ein Arbeitnehmer wird nämlich einem Dritten nicht schon dann im Sinne des § 1 Abs. 1 AÜG zur Arbeitsleistung überlassen, wenn er aufgrund seines Arbeitsvertrages Weisungen des Dritten zu befolgen hat. Erforderlich ist vielmehr, daß er in der Betriebsorganisation des Dritten für diesen und nicht weiterhin allein für seinen Arbeitgeber tätig wird. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer durch seine Arbeitsleistung nach wie vor ausschließlich Pflichten erfüllt, die seinem Arbeitgeber gegenüber fremden Auftraggebern obliegen (vgl. BAG, Urteil vom 22.06.1994, 7 AZR 286/93, in Der Betrieb 1995, 981). Anhaltspunkte dafür, daß die ungarischen Arbeiter außerhalb der vereinbarten Gewerke für die Beigeladene zu 3) tätig geworden sind, sind nicht vorgetragen und auch von amtswegen nicht erkennbar.

Der Senat verkennt nicht, daß die Rechtsfigur des Werkvertrages eine Grauzone geschaffen hat, die die Kontrolle der Beschäftigung von Ausländern im Bundesgebiet und die Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht unerheblich erschwert. Eine restriktive Auslegung des Gesetzes oder Beweiserleichterungen für die Beklagte verbieten sich in diesem Falle jedoch schon deshalb, weil die Rechtskonstruktion des Werkvertrages von der Bundesanstalt für Arbeit, der Beigeladenen zu 2) dazu benutzt worden ist, der Klägerin - aus welchen beschäftigungspolitischen Erwägungen heraus auch immer - den zeitlich begrenzten Einsatz ihrer Arbeitskräfte zu ermöglichen.

Nach alledem waren die Arbeitskräfte der Klägerin auf den Baustellen der Beigeladenen zu 3) als entsandte Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 SGB IV und damit versicherungs- und beitragsfrei beschäftigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen hat nicht bestanden; das Urteil beruht auf einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, die einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung im Regelfall entzogen ist.
Rechtskraft
Aus
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